Geschichte des Projektes

Zur Entstehung der „Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914“

Mit der „Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914“ werden Quellen vorgelegt, deren Edition Historiker schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts planten. Eine erste auf eine wissenschaftliche Edition gerichtete Initiative ging 1916 von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aus. Im Akademieverbund sollten „Quellen zur Politik Deutschlands seit 1866“ herausgegeben werden. Innerhalb der Preußischen Akademie der Wissenschaften übernahm dabei nach 1919 Hans Rothfels (1891-1976) die Edition von Akten zur „staatlichen Sozialpolitik in der Epoche Bismarcks“. Zur Publikationsreife gelangten dessen reichhaltige Recherche- und Transkriptionsarbeiten jedoch nicht. Insbesondere für die I. Abteilung der Quellensammlung bildete der im Bundesarchiv archivierte Nachlass Rothfels immerhin eine wichtige Arbeitsgrundlage.

Seit 1949 griff die neu gegründete Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur auf Initiative von Peter Rassow (1889-1961) und Karl Erich Born (1922-2000) das ruhende Projekt erneut auf, das jedoch gegenüber den Plänen Rothfels‘ zeitlich und inhaltlich breiter angelegt sein sollte. „Der Reichsbau hatte soziologisch keinen Raum, der für die Industriearbeiterschaft reserviert gewesen wäre und den Arbeitern von vornherein das Gefühl gegeben hätte, gleichberechtigte Mitbewohner des Hauses zu sein.“ Mit diesem Bild hat Rassow als Leiter der Kommission für Geschichte der Akademie 1959 treffend beschrieben, weshalb die Sozialpolitik zum Kernproblem der Innenpolitik des Kaiserreichs geworden ist.

Ein von Karl Erich Born, Hansjoachim Henning und Manfred Schick bearbeiteter Einführungsband der Quellensammlung erschien 1966, lange nach dem Tod des Projektgründers. Am Lehrstuhl Born wurden in Tübingen über Jahre hinweg Quellen gesammelt und ausgewählt, überwiegend auf der Ebene von Parteien und Verbänden.

In den Jahren 1978 bis 1985 erschienen zunächst vier kleine „Beihefte“ zur Organisationsgeschichte wichtiger Verbände. Mit dem Band 1 der IV. Abteilung gelangte im Jahr 1982 der erste „reguläre“ Band der Quellensammlung zur Druckreife, der von Hansjoachim Henning bearbeitete Band „Das Jahr 1905“. Fünf Jahre später folgte ein weiterer Band.

Im Jahr 1991 wurden am Lehrstuhl Born der Universität Tübingen und am Lehrstuhl Tennstedt der Universität Kassel Arbeitsstellen der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur errichtet. Die Tübinger Arbeitsstelle wurde 1992 an die Universität Duisburg verlegt. Die Bände der Abteilungen I. bis III. entstanden an der Universität Kassel, die der IV. Abteilung in Tübingen bzw. Duisburg. Seit 1993 erschienen die Quellenbände in enger zeitlicher Abfolge.

Beide Arbeitsstellen fanden gegenüber der Gründungsphase veränderte Rahmenbedingungen vor. Der Zusammenbruch der DDR erleichterte den Zugang zu wichtigen Ministerialakten (z.B. preußisches Handelsministerium, Reichsamt des Innern, Reichskanzleramt). Editions- und Reprintprojekte zur Geschichte der Arbeiterbewegung in den 70er und 80er Jahren reduzierten Abgrenzungsfragen und erlaubten eine Konzentration auf die Kernfragen des Projekts.

Die lange Geschichte der Quellensammlung und die konzeptionellen Überlegungen und deren Veränderung wurden wiederholt ausführlich thematisiert:

  • Vorwort zum Einführungsband von 1966, S. 7-10.
  • Einleitung zu dem 1994 erschienenen Band 1 der I. Abteilung, S. XXXVIII-XLVII.
  • Lothar Machtan, Hans Rothfels und die sozialpolitische Geschichtsschreibung in der Weimarer Republik, in: ders. (Hrsg.), Bismarcks Sozialstaat, Frankfurt am Main 1994, S. 310-384.
  • Gerhard A. Ritter, Neue Historische Literatur. Sozialpolitik im Zeitalter Bismarcks. Ein Bericht über neue Quelleneditionen und neue Literatur, in: Historische Zeitschrift 265 (1997), S. 683-720.