II. Abteilung, Band 1

Nr. 114

1890 Januar 25

Rede1 Kaiser Wilhelm II. zum Schluß des 7. Reichstags

Druck, Teildruck

Wilhelm II. sieht es als seine Aufgabe an, die von seinem Großvater begonnene Arbeiterversicherungsgesetzgebung gemeinsam mit dem Reichstag fortzuführen

Sie stehen am Schluß der siebenten Legislaturperiode des Reichstags.

Die verflossenen drei Jahre bilden in der Entwicklung des Reichs einen Abschnitt von so hervorragender Bedeutung, daß es Mir Herzensbedürfnis ist, von dieser Stelle aus in Erinnerung zu bringen, zu welchen Ergebnissen für das Vaterland Ihre und der verbündeten Regierungen gemeinsame Tätigkeit geführt hat.

Durch den Hintritt Meines hochseligen Großvaters und Vaters, der beiden ersten Deutschen Kaiser gesegneten Andenkens, ist das Reich schwer betroffen worden; aber erhebend haben sich bei diesem Anlaß die Treue und der starke monarchische Sinn des Volkes kundgegeben.

Vor Ihnen, als den berufenen Vertretern des Volkes, sei dafür noch einmal Mein kaiserlicher Dank ausgesprochen. [...]

Mit besonderer Befriedigung habe Ich die fortschreitende Durchführung der in der Botschaft Meines hochseligen Herrn Großvaters vom Jahre 1881 ausgesprochenen Gedanken durch den weiteren Ausbau der Unfallversicherungsgesetzgebung und namentlich durch die Vereinbarung des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes begrüßt. Den der Fürsorge vorzugsweise bedürftigen Gliedern des Volkes ist dadurch für die Sicherung ihrer Zukunft eine Gewähr geboten, welche für den inneren Frieden des Vaterlandes von guten Folgen begleitet sein wird. Bleibt auch auf diesem Gebiet noch vieles zu tun übrig, so bin Ich doch überzeugt, daß der Anteil, [ Druckseite 486 ] welchen der Reichstag an dem bereits Erreichten hat, im Volke nicht vergessen werden wird.

Auf den gewonnenen Grundlagen wird sich weiter bauen lassen, um den arbeitenden Klassen die Gewißheit zu verschaffen, daß die gesetzgebenden Gewalten für ihre berechtigten Interessen und Wünsche ein warmes Herz haben und daß eine befriedigende Gestaltung ihrer Lage nur auf dem Wege friedlicher und gesetzmäßiger Ordnung zu erreichen ist. Es ist Mein dringender Wunsch und Meine Hoffnung, daß es dem folgenden Reichstag gelingen möge, im Verein mit den verbündeten Regierungen für die auf diesem Feld notwendigen Verbesserungen wirksame gesetzliche Formen zu schaffen. Ich betrachte es als Meine ernste und erhabene Aufgabe, auf die Erfüllung dieser Hoffnung hinzuwirken.

[...]

Registerinformationen

Personen

  • Bismarck, Herbert Graf von (1849–1904) , Sohn und Mitarbeiter Otto von Bismarcks, Staatssekretär im Auswärtigen Amt
  • Goßler, Dr. Gustav von (1838–1902) , preußischer Kultusminister
  • Herrfurth, Ernst Ludwig (1830–1900) , preußischer Innenminister
  • Homeyer, Gustav (1824–1894) , Unterstaatssekretär im preußischen Staatsministerium
  • Lucius von Ballhausen, Freiherr Dr. Robert (1835–1914), preußischer Landwirtschaftsminister
  • Schelling, Dr. Hermann von (1824–1908) , preußischer Justizminister
  • Scholz, Dr. Adolf von (1833–1924) , Staatssekretär im Reichsschatzamt; später: preußischer Finanzminister
  • Verdy du Vernois, Justus von (1832–1910) , preußischer Kriegsminister

Sachindex

  • Arbeiterschutz
  • Arbeiterschutz – internationaler
  • Februarerlasse
  • Kronrat, preußischer
  • Staatsministerium, preußisches
  • 1Stenographische Berichte des Reichstags, 7. LP V. Session 1889/1890, S. 1257─1258; Entwurf von der Hand v. Boettichers v. 24.1.1890: BArch R 1501 Nr. 114630, fol. 134─ 138 Rs.Von Boetticher schrieb am 22.1.1890 an Bismarck: Bezüglich des Schlusses entsteht die Frage, ob Seiner Majestät angeraten werden soll, denselben Allerhöchstselbst vorzunehmen. Sollten Euere Durchlaucht dies für angezeigt halten, so bitte ich um eine Weisung, damit ich eine Schlußrede vorbereiten kann. Für den Schluß durch Euere Durchlaucht oder durch mich habe ich bereits die Ermächtigungsordre entwerfen lassen und eine Ansprache vorbereitet, welche ich mir erlauben werde, Euerer Durchlaucht nach Hochdero Rückkehr vorzulegen. Mir will scheinen, daß man diesen Reichstag beim Schluß der Legislaturperiode nicht ohne ein Wort des Dankes für die Zustimmung zu den wichtigen Gesetzentwürfen der letzten Jahre wird entlassen können (Auszug: BArch R 43 Nr. 1820, fol. 153─153 Rs.).Mit Schreiben v. 25.1.1890 teilte Bismarck Wilhelm II. mit, daß er nicht wohl genug sei, um an der Schlußsitzung teilzunehmen und entschuldigte sein Ausbleiben (ebenda, fol. 156). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 114, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0114

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