II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 133

1883 Dezember 29

Erstfassung der Grundzüge1 für die dritte Unfallversicherungsvorlage mit Begründung

Druck mit Randbemerkungen und Streichungen Bismarcks, Teildruck2

[Zwangsversicherung mit Haftungsausschluß bis zur Vorsatzgrenze, Versicherungspflichtgrenze 2000 M, 13wöchige Karenzzeit, Höchstjahresarbeitsverdienst 1200 M, Berufsgenossenschaften auf Reichsebene, Umlageverfahren, Reichsgarantie, Arbeiterausschüsse, Reichsversicherungsamt]

Grundzüge für den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter.

I. Allgemeine Bestimmungen.

Umfang der Versicherung

1. Die Unfallversicherung erstreckt sich auf alle in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Steinbrüchen, Gräbereien (Gruben), Fabriken und Hüttenwerken beschäftigten Arbeiter und Betriebsbeamten, auf letztere jedoch nur, sofern ihr Arbeitsverdienst 2 000 Mark nicht übersteigt.

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Betriebsbeamte mit einem 2 000 Mark übersteigenden Arbeitsverdienst können aufgrund statutarischer Bestimmung (Ziffer 12) gegen Unfälle versichert werden. Für Arbeiter und Betriebsbeamte sowie für die Hinterbliebenen von solchen tritt, wenn ihnen infolge eines Betriebsunfalls eine den Bestimmungen des Unfallversicherungsgesetzes entsprechende Entschädigung gewährt wird3, das Haftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871 außer Kraft.

Als Fabriken gelten insbesondere diejenigen Betriebe, in welchen die Bearbeitung oder Verarbeitung von Gegenständen gewerbsmäßig ausgeführt wird, und in welchen zu diesem Zweck entweder mindestens drei versicherungspflichtige Personen unter gleichzeitiger Verwendung von Dampfkesseln oder durch elementare Kraft bewegten Triebwerken oder ohne eine solche mindestens zehn versicherungspflichtige Personen regelmäßig beschäftigt werden.

Welche Betriebe außerdem als Fabriken im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, entscheidet das Reichsversicherungsamt (Ziffer 44). Für Betriebe, welche mit einer Unfallgefahr nicht verbunden sind, kann durch Beschluß des Bundesrats die Versicherungspflicht ausgeschlossen werden.

2. Auf Beamte, welche in Betriebsverwaltungen des Reichs, eines Bundesstaates oder eines Kommunalverbandes mit festem Gehalt und Pensionsberechtigung angestellt sind, findet das Unfallversicherungsgesetz keine Anwendung.

Wird solchen Beamten und deren Hinterbliebenen bei Unfällen infolge gesetzlicher oder statutarischer Bestimmung eine Pension oder eine Entschädigung gewährt, welche hinter dem nach Maßgabe dieses Gesetzes sich ergebenden Entschädigungsbetrage nicht zurückbleibt, so steht denselben ein weitergehender Anspruch aus dem Unfall aufgrund des Haftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 nicht zu.

(Gegenstand der Versicherung und Umfang der Entschädigung)

3. Gegenstand der Versicherung ist der nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen zu bemessende Ersatz des Schadens, welcher durch eine Körperverletzung oder durch Tötung entsteht.

Der Schadensersatz besteht

a) im Falle der Verletzung:

1. in den Kosten des Heilverfahrens von Beginn der 14. Woche nach Eintritt des Unfalls ab;

2. in einer bei völliger Erwerbsunfähigkeit 66 2/3 Prozent, bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit höchstens 50 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes betragenden Jahresrente, wobei der 4 Mark täglich übersteigende Betrag nur mit einem Dritteil zur Anrechnung kommt;

b) im Falle der Tötung:

1. in einem Pauschquantum zum Ersatz der Beerdigungskosten. Dasselbe besteht in dem Zwanzigfachen des durchschnittlichen täglichen Arbeitsverdienstes;

2. in der Gewährung einer Jahresrente von 20 Prozent des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes des Verstorbenen an die Witwe und von 10 Prozent an jedes hinterbliebene Kind bis zum zurückgelegten 15. Lebensjahre, bzw. von 15 Prozent, [ Druckseite 453 ] wenn das Kind auch mutterlos ist, wobei jedoch die Renten zusammen 50 Prozent des Arbeitsverdienstes nicht übersteigen dürfen,

3. in der Gewährung einer Jahresrente von 20 Prozent des Arbeitsverdienstes des Verstorbenen an bedürftige Aszendenten.

Im Falle ihrer Wiederverheiratung erhält die Witwe den dreifachen Betrag ihrer Jahresrente als Abfindung.

Als Arbeitsverdienst gilt der vom Verletzten während des letzten Jahres bezogene Lohn mit der Maßgabe, daß bei Festsetzung der Entschädigung der von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörde für die Arbeiterklasse, welcher der Beschädigte angehört, ermittelte durchschnittliche Tagelohn zugrunde zu legen ist, falls dieser den Betrag des von dem Beschädigten bezogenen durchschnittlichen Tagelohns übersteigt.

In gleicher Weise ist dieser von der höheren Verwaltungsbehörde festgesetzte Tageslohn der Entschädigung zugrunde zu legen, wenn der Verletzte in dem Betriebe nicht ein volles Jahr, von dem Unfall zurückgerechnet, beschäftigt war.

Bei Personen, welche wegen noch nicht beendigter Ausbildung keinen oder einen geringeren Lohn beziehen, gilt als Jahresverdienst das Dreihundertfache des von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörde festzusetzenden ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter, jedoch höchstens der Betrag von 150 Mark.4

Dem Verletzten steht ein Anspruch auf Entschädigung nicht zu, wenn er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Die Ansprüche der Hinterbliebenen werden hierdurch nicht berührt.

4. An Stelle der vorerwähnten Leistungen kann bis zum beendigten Heilverfahren freie Kur und Verpflegung in einem Krankenhause gewährt werden, und zwar

a) für Verunglückte, welche verheiratet sind oder bei einem Angehörigen ihrer Familie wohnen, wenn die Art der Verletzung Anforderungen an die Behandlung oder Verpflegung stellt, welchen in der Familie nicht genügt werden kann,

b) für sonstige Verunglückte in allen Fällen.

Für die Zeit der Verpflegung des Verunglückten in dem Krankenhause5 haben dessen Ehefrau, Kinder und Aszendenten denselben Anspruch auf Entschädigung, welcher nach Ziffer 3 b 2 den Hinterbliebenen eines Verunglückten zusteht.

(Träger der Versicherung)

5. Die Versicherung erfolgt auf Gegenseitigkeit durch die Unternehmer der unter 1 fallenden Betriebe, welche zu diesem Zweck in Berufsgenossenschaften vereinigt werden. Jede Berufsgenossenschaft erstreckt sich in der Regel über das ganze Reichsgebiet und umfaßt alle Betriebe derjenigen Industriezweige, für welche dieselbe errichtet ist.6

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Betriebsanlagen, welche wesentliche Bestandteile verschiedenartiger Industriezweige umfassen, sind derjenigen Berufsgenossenschaft zuzuteilen, welcher der Hauptbetrieb angehört.

Die Berufsgenossenschaften haben die Rechte juristischer Personen.

6. Die Mittel zur Deckung der von den Berufsgenossenschaften zu leistenden Entschädigungsbeträge und der Verwaltungskosten werden durch Beiträge aufgebracht, welche auf die Mitglieder nach Maßgabe der in ihren Betrieben von den Versicherten verdienten Löhne und Gehälter, sowie der statutenmäßigen Gefahrentarife (Ziffer 13 d) jährlich umgelegt werden.

II. Bildung der Berufsgenossenschaften.

(Feststellung der versicherungspflichtigen Betriebe)

7. Zum Zweck der Ermittlung sämtlicher versicherungspflichtiger Betriebe sind die Unternehmer binnen einer im Gesetz zu bestimmenden Frist verpflichtet, dieselben unter Angabe des Gegenstandes und der Art des Betriebes, sowie der Zahl der durchschnittlich darin beschäftigten Personen bei der unteren Verwaltungsbehörde anzumelden.

Für die nicht angemeldeten Betriebe hat die untere Verwaltungsbehörde die Angaben nach ihrer Kenntnis der Verhältnisse zu beschaffen.

Ein nach den Gruppen, Klassen und Ordnungen der Reichs-Berufsstatistik geordnetes Verzeichnis sämtlicher unter Ziffer 1 fallenden Betriebe ihres Bezirks ist von der unteren Verwaltungsbehörde der oberen Verwaltungsbehörde und von dieser nach stattgefundener Revision dem Reichsversicherungsamt einzureichen.

(Bildung der freiwilligen Berufsgenossenschaften.)

8. Die Bildung der Berufsgenossenschaften erfolgt auf dem Wege der Vereinbarung der Betriebsunternehmer unter Zustimmung des Bundesrats.

Die Zustimmung des Bundesrats ist zu versagen7,

a) wenn die Anzahl der Betriebe, für welche die Berufsgenossenschaft gebildet werden soll, oder die Anzahl der in denselben beschäftigten Arbeiter zu gering ist, um die dauernde Leistungsfähigkeit der Berufsgenossenschaft in Bezug auf die bei der Unfallversicherung ihr obliegenden Pflichten zu gewährleisten.

b) wenn Betriebe von der Aufnahme in die Berufsgenossenschaft ausgeschlossen werden sollen, welche wegen ihrer geringen Zahl oder wegen der geringen Zahl der in ihnen beschäftigten Arbeiter eine eigene leistungsfähige Berufsgenossenschaft zu bilden außerstande sind und nach einer anderen Berufsgenossenschaft zweckmäßig nicht zugeteilt werden können.

9. Die Beschlußfassung über die Bildung der Berufsgenossenschaften erfolgt durch die zu diesem Zweck zu einer Generalversammlung zu berufenen Betriebsgenossen mit Stimmenmehrheit. In derselben hat jeder Unternehmer oder Vertreter eines Betriebes, in welchem nicht mehr als 20 Personen beschäftigt werden, eine; darüber hinaus bis zu 200 für je 20 und von 200 an für je 100 mehr beschäftigte Personen eine weitere Stimme. Abwesende können sich durch stimmberechtigte Berufsgenossen vertreten lassen. Anträge auf Einberufung der Generalversammlung [ Druckseite 455 ] sind an das Reichsversicherungsamt (vergl. unten Nr. 44) zu richten. Denselben ist seitens des Reichsversicherungsamts, sofern nicht der Fall unter Ziffer 8a vorliegt, stattgegeben, wenn dieselben innerhalb der durch das Gesetz festzusetzenden Frist und mindestens von dem zehnten Teil der Betriebsunternehmer derjenigen Industriezweige, für welche die Bildung der Berufsgenossenschaft beantragt wird, oder von solchen Betriebsunternehmern, die mindestens den fünften Teil der in diesen Industriezweigen vorhandenen Arbeiter beschäftigen, gestellt worden sind.

aFindet das Reichsversicherungsamt bei der Prüfung von Anträgen auf Einberufung der Generalversammlung, daß der unter Ziffer 8 b vorgesehene Fall vorliegt, so hat dasselbe die Unternehmer der dabei in Betracht kommenden Betriebea zum Zweck der Beschlußfassung über die Abgrenzung der Berufsgenossenschaft in der Generalversammlung mit einzuladen.

10. Aufgrund der unter Ziffer 7 erwähnten Verzeichnisse werden die Betriebsunternehmer nach Maßgabe der Bestimmungen unter Ziffer 9 von dem Reichsversicherungsamt zur Generalversammlung unter Angabe der ihnen zustehenden Stimmenzahl einzeln eingeladen.

Die Generalversammlung findet in Gegenwart eines Vertreters des Reichsversicherungsamts statt. aDerselbe eröffnet die Versammlung, welche unter seiner Leitung aus ihrer Mitte einen Vorstand wählt.

Der Vorstand übernimmt die Leitung der Verhandlungen, bei welchen der Vertreter des Reichsversicherungsamts jederzeit zu hören ist.

Die Generalversammlung hat über den auf Bildung der Berufsgenossenschaft gerichteten Antrag, welcher zu ihrer Einberufung Anlaß gegeben hat, sowie über die aus ihrer Mitte dazu etwa gestellten Abänderungsanträge Beschluß zu fassen.

Über die Verhandlungen ist ein Protokoll aufzunehmen. Dasselbe ist durch den Vorstand dem Reichsversicherungsamt einzureichen, welches dasselbe dem Bundesrat behufs der nach Ziffer 8 erforderlichen Beschlußfassung vorlegt.a

(Bildung der Berufsgenossenschaften durch den Bundesrat.)

11. Für diejenigen Betriebszweige, für welche innerhalb der im Gesetz festzusetzenden Frist Anträge auf Einberufung der Generalversammlung zur freiwilligen Bildung einer Berufsgenossenschaft nicht gestellt worden sind, werden die Berufsgenossenschaften durch den Bundesrat nach Anhörung von Vertretern der beteiligten Betriebszweige gebildet.

Ebenso sind durch den Bundesrat Berufsgenossenschaften für diejenigen Betriebszweige zu bilden, für welche aufgrund von Beschlüssen der Generalversammlung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist vom Bundesrat genehmigte Genossenschaften nicht zustande kommen.

(Regelung der Verwaltung der Berufsgenossenschaften.)

a12. Die Berufsgenossenschaften regeln ihre innere Verwaltung, sowie ihre Geschäftsordnung durch ein von der Generalversammlung ihrer Mitglieder (Genossenschaftsversammlung) zu beschließendes Statut.

Das Genossenschaftsstatut bedarf zu seiner Gültigkeit der Genehmigung des Reichsversicherungsamts.

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Bis zum Zustandekommen eines gültigen Genossenschaftsstatuts finden die Vorschriften unter Ziffer 9 und 10, soweit sich dieselben auf das Stimmrecht der Genossenschaftsmitglieder, auf die Einladung derselben und auf die Beteiligung eines Vertreters des Reichsversicherungsamts an den Verhandlungen beziehen, auch auf die Genossenschaftsversammlungen Anwendung.

13. Das Genossenschaftsstatut muß außer dem Namen und dem Sitze der Genossenschaft die Bezeichnung der Betriebszweige enthalten, für welche die Genossenschaft errichtet worden ist.

Dasselbe muß außerdem Bestimmung treffen:

a) über die Bildung des Genossenschaftsvorstandes und über den Umfang der Befugnisse desselben;

b) über die Berufung der Genossenschaftsversammlung, sowie über die Formen der Beschlußfassung derselben;

c) über das Stimmrecht der Berufsgenossen in der Genossenschaftsversammlung; das Statut kann die für die erste Generalversammlung vorgeschriebene Abstufung des Stimmrechts (Ziffer 9) abändern, auch bestimmen, daß die Genossenschaftsversammlung aus einer von den Berufsgenossen gewählten Vertretung, insbesondere auch aus Abgeordneten der etwa gebildeten Genossenschaftsabteilungen bestehen soll;

d) über den Maßstab für die Verteilung der Genossenschaftslasten.

Jede Genossenschaft hat für die einzelnen Betriebszweige und Betriebsarten je nach dem Grade der mit denselben verbundenen Unfallgefahr entsprechende Gefahrenklassen zu bilden und nach denselben die Höhe der zu leistenden Beiträge abzustufen. Außer der nach Gefahrenklassen zu bemessenden Höhe der Unfallgefahr müssen für die Verteilung der Genossenschaftslasten die Löhne und Gehälter der versicherten Personen maßgebend sein. Die Einteilung in Gefahrenklassen und die Feststellung des Verhältnisses derselben zueinander (der Gefahrentarif) sind nach Ablauf von längstens zwei Jahren und sodann mindestens von fünf zu fünf Jahren einer Revision zu unterziehen.

Die Ergebnisse derselben sind der Genossenschaftsversammlung zur Beschlußfassung vorzulegen. Die von derselben hierüber gefaßten Beschlüsse bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts.

Löhne und Gehälter, welche den Betrag von durchschnittlich 4 Mark für den Arbeitstag übersteigen, dürfen über diesen Betrag hinaus bei der Verteilung der Genossenschaftslasten nur mit einem Dritteil (vergl. Ziffer 3 lit. a Nr. 2) in Anrechnung gebracht werden;

e) über das von den Organen der Genossenschaft bei der Einschätzung der Betriebe in der Gefahrenklassen (Gefahrentarif) zu beobachtende Verfahren, sowie über das dagegen zuzulassende Reklamationsverfahren;

f) wenn die Genossenschaft in Abteilungen geteilt werden soll, über die Abgrenzung, Organisation und Zuständigkeit der Abteilungen, sowie über die Zuständigkeit der örtlichen Genossenschaftsorgane (Vertrauensmänner);

g) über die von den Genossenschaftsmitgliedern alljährlich zu bewirkende Einsendung von Arbeiter- und Lohnnachweisungen für die Zwecke der Umlagerechnungen, und über die Art der Hebung der Mitgliederbeiträge; [ Druckseite 457 ] h) über die Folgen von Betriebseinstellungen, bezüglich der Zugehörigkeit zur Genossenschaft;

i) über die Aufstellung der Jahresrechnung, sowie über deren Prüfung und Abnahme;

k) über die Ausübung der der Genossenschaft zustehenden Befugnisse zum Erlasse von Vorschriften behufs der Unfallverhütung und zur Überwachung der Betriebe. Beschlüsse der Genossenschaftsversammlung, welche die Abänderung oder Ergänzung des Statuts betreffen, bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts.

Durch das Statut kann für den Fall der Bildung von Abteilungen bestimmt werden, daß die zu leistenden Entschädigungen bis zu 50 Prozent derselben von der Abteilung getragen werden müssen, in deren Bezirk die Unfälle eingetreten sind.a

14. Kommt innerhalb einer festzusetzenden Frist ein von dem Reichsversicherungsamt genehmigtes Statut nicht zustande, so wird dasselbe auf den Vorschlag des Reichsversicherungsamts vom Bundesrat erlassen.

Solange die Wahl der gesetzlichen Organe einer Genossenschaft ordnungsmäßig nicht vollzogen ist, oder solange diese Organe die Erfüllung ihrer gesetzlichen oder statutorischen Obliegenheiten verweigern, hat das Reichsversicherungsamt die letzteren auf Kosten der Genossenschaft wahrzunehmen.

15. Die Mitglieder der Vorstände der Berufsgenossenschaften und der Abteilungen, sowie die Vertrauensmänner verwalten ihr Amt als unentgeltliches Ehrenamt: Bare Auslagen werden ihnen ersetzt.

(Abänderung des Bestandes der Berufsgenossenschaften.)

16. Nach erfolgtem Abschluß der Organisation der Berufsgenossenschaften sind Änderungen in dem Bestande der letzteren unter nachstehenden Voraussetzungen zulässig:

a) Die Vereinigung mehrerer Genossenschaften erfolgt auf übereinstimmenden Beschluß der beteiligten Genossenschaftsversammlungen. Zum Inkrafttreten der Vereinigung ist die Genehmigung des Reichsversicherungsamts erforderlich.

b) Die Ausscheidung einzelner Industriezweige aus einer Genossenschaft und die Zuteilung derselben zu einer anderen Genossenschaft ist auf Beschluß der beiden beteiligten Genossenschaftsversammlungen mit Genehmigung des Reichsversicherungsamts zulässig, sofern durch diese Ausscheidung die Leistungsfähigkeit der ersteren Genossenschaft in Bezug auf die ihr obliegenden Pflichten nicht gefährdet wird.

c) Wird in den Fällen zu a und b die Vereinigung mehrerer Genossenschaften oder die Ausscheidung einzelner Industriezweige aus einer Genossenschaft und die Zuteilung derselben zu einer anderen Genossenschaft aufgrund eines Genossenschaftsbeschlusses beantragt, dagegen von der anderen beteiligten Genossenschaft abgelehnt, so entscheidet auf Anrufen der Bundesrat.

ad) Wollen die Unternehmer einzelner Betriebszweige und der Genossenschaft, welcher sie angehören, ausscheiden, um eine besondere Genossenschaft zu bilden, so haben sie dies bei der Genossenschaft zu beantragen. Ueber den Antrag hat die Genossenschaftsversammlung zu beschließen. Der Beschluß der letzteren ist durch [ Druckseite 458 ] Vermittlung des Reichsversicherungsamts8 dem Bundesrat vorzulegen, welcher darüber entscheidet, ob nach Maßgabe der Bestimmungen unter Nr. 8 und b dem Antrage stattzugeben ist oder nicht.a [...] Rechtsfolgen von Abänderungen im Bestand der Berufsgenossenschaften (Vereinigung, Beitritt, Austritt).

(Teilung des Risikos)

18. Vereinbarungen von Berufsgenossenschaften, wonach dieselben die von ihnen zu leistenden Entschädigungsbeträge ganz oder zum Teil gemeinsam tragen, sind zulässig. Beschlüsse der beteiligten Genossenschaftsversammlungen, durch welche derartige Vereinbarungen getroffen werden, bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts.9

Über die Verteilung des auf eine jede Berufsgenossenschaft entfallenden Anteils an der gemeinsam zu tragenden Entschädigung unter die Mitglieder der Genossenschaft entscheidet die Genossenschaftsversammlung. Mangels einer anderweiten Bestimmung erfolgt die Umlage dieses Betrages in gleicher Weise, wie die von der Genossenschaft nach Maßgabe des Statuts zu leistenden Entschädigungsbeträge (Ziffer 6).

(Bildung eines Reservefonds)

19. Den Berufsgenossenschaften ist die Ansammlung eines Reservefonds mittels Erhebung von Zuschlägen zu den nach Ziffer 6 zu erhebenden Beiträgen gestattet.

Zu anderen als den durch das Gesetz vorgezeichneten Zwecken dürfen weder Beiträge von den Mitgliedern der Genossenschaft erhoben werden, noch Verwendungen aus dem Vermögen der Genossenschaft erfolgen.10

III. Mitgliedschaft des einzelnen Betriebes; Betriebsveränderungen. [...]

IV. Arbeiterausschüsse und Schiedsgerichte.

(Arbeiterausschüsse)

23. Zum Zweck der Wahl von Beisitzern zum Schiedsgericht (Ziffer 26), der Mitwirkung bei der Untersuchung von Unfällen (Ziffer 29) und der Begutachtung der zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Vorschriften, welche die Arbeiter binden sollen (Ziffer 42), wird für jede Genossenschaft und, sofern die Genossenschaft in Abteilungen geteilt ist, für jede Abteilung ein Arbeiterausschuß errichtet.

Die Vermehrung der Arbeiterausschüsse kann auf Antrag der Interessenten durch Beschluß des Bundesrats angeordnet werden.

24. Der Arbeiterausschuß besteht aus Vertretern derjenigen Orts- und Fabrikkrankenkassen, sowie derjenigen Knappschaftskassen, welchen die in den Betrieben der Genossenschaftsmitglieder beschäftigten versicherten Personen angehören.

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Die Wahl erfolgt durch die Vorstände der bezeichneten Kassen unter Ausschluß der denselben angehörenden Vertreter der Arbeitgeber.

Der Arbeiterausschuß soll aus mindestens neun und höchstens achtzehn Mitgliedern und ebenso vielen Stellvertretern bestehen, welche auf vier Jahre zu wählen sind. Innerhalb dieser Grenzen bestimmt das Reichsversicherungsamt, oder sofern die Genossenschaft in Abteilungen geteilt ist, die höhere Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk die Abteilung ihren Sitz hat, mittels eines Regulativs die Anzahl der Mitglieder und deren Verteilung auf örtlich oder nach Betriebszweigen abzugrenzende Teile der Genossenschaft oder Abteilung. In dem Falle der Ziffer 23 Absatz 2 bestimmt der Bundesrat die höhere Verwaltungsbehörde, welche das Regulativ zu erlassen hat.

Die Ausschußmitglieder erhalten aus der Genossenschaftskasse Ersatz für notwendige bare Auslagen und entgangenen Arbeitsverdienst.

25. Durch das in Ziffer 24 bezeichnete Regulativ kann der Arbeiterausschuß nach örtlicher Begrenzung und nach Betriebszweigen in Sektionen geteilt werden. Die Ausschüsse und deren Sektionen wählen ihren Vorsitzenden aus der Mitte ihrer Mitglieder. Sie fassen ihre Beschlüsse unter Leitung des Vorsitzenden nach Stimmenmehrheit.

Die näheren Vorschriften über die Wahl und Geschäftsführung der Ausschüsse werden im übrigen durch das Regulativ bestimmt, welches so lange in Kraft bleibt, bis Änderungen desselben vom Arbeiterausschusse beschlossen und von der höheren Verwaltungsbehörde genehmigt werden. [...]

V. Feststellung und Auszahlung der Entschädigungen.

(Anzeige und Untersuchung der Unfälle.)

28. Von jedem in einem versicherten Betriebe vorkommenden Unfall, durch welchen eine in demselben beschäftigte Person getötet wird oder eine Körperverletzung erleidet, welche eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder den Tod zur Folge hat, ist von dem Betriebsunternehmer bei der Polizeibehörde schriftliche Anzeige zu erstatten.

29. Jeder zur Anzeige gelangte Unfall, durch welchen eine versicherte Person getötet wird oder eine Körperverletzung erleidet, welche voraussichtlich den Tod oder eine Erwerbsunfähigkeit von mehr als dreizehn Wochen zur Folge haben wird, ist von der Polizeibehörde so bald wie möglich einer Untersuchung zu unterziehen, durch welche festzustellen sind:

a) die Veranlassung und Art des Unfalls,

b) die getöteten oder verletzten Personen,

c) die Art der vorgekommenen Verletzung,

d) der Verbleib der verletzten Personen,

e) die Hinterbliebenen der durch den Unfall getöteten Personen, welche nach Ziffer 3 einen Entschädigungsanspruch erheben können.

Die beteiligte Genossenschaft, der zuständige Arbeiterausschuß und der Betriebsunternehmer können durch einen Vertreter, der Betriebsunternehmer auch in Person an den Untersuchungsverhandlungen teilnehmen. Zu dem Ende ist ihnen von der Einleitung der letzteren rechtzeitig Kenntnis zu geben. Außerdem sind, [ Druckseite 460 ] soweit tunlich, die sonstigen Beteiligten und auf Antrag und Kosten der Genossenschaft Sachverständige zuzuziehen. Ist die Genossenschaft in Abteilungen eingeteilt, oder sind von der Genossenschaft Vertrauensmänner bestellt, so ist die Mitteilung von der Einleitung der Untersuchung an den Abteilungsvorstand beziehungsweise an den Vertrauensmann zu richten. Ist der Arbeiterausschuß in Sektionen eingeteilt (Ziffer 25), so ist die Anzeige an den betreffenden Sektionsvorsitzenden zu richten.

(Entscheidung der Vorstände)

Die Feststellung der Entschädigungen für die durch Unfall verletzten Versicherten und für die Hinterbliebenen der durch Unfall getöteten Versicherten erfolgt

A. sofern die Genossenschaft in Abteilungen eingeteilt ist, durch die Vorstände der Abteilungen, wenn es sich handelt

a) um den Ersatz der Kosten des Heilverfahrens

b) um die für die Dauer einer voraussichtlich vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Rente,

c) um den Ersatz der Beerdigungskosten,

B. in allen übrigen Fällen durch die Vorstände der Genossenschaften.

Das Genossenschaftsstatut kann bestimmen, daß die Feststellung der Entschädigungen durch besondere Ausschüsse der Vorstände der Genossenschaften bzw. der Abteilungen oder im Falle der lit. a durch örtliche Beauftragte derselben Vertrauensmänner zu bewirken ist.

Vor der Feststellung der Entschädigung ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, binnen achttägiger Frist sich über die Unterlagen, auf welche dieselbe gegründet werden soll, zu äußern.

(Berufung gegen die Entscheidung der Vorstände)

31. Gegen die Bescheide der Vorstände (Vertrauensmänner) ─ Ziffer 30 ─, durch welche Entschädigungsansprüche abgelehnt oder Entschädigungen festgestellt werden, findet die Berufung auf schiedsrichterliche Entscheidung statt.

Die Berufung ist bei Vermeidung des Ausschlusses binnen vier Wochen11 nach der Zustellung des Bescheides bei dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts (Ziffer 26) zu erheben. Dieselbe hat keine aufschiebende Wirkung. (Entscheidung des Schiedsgerichts: Rekurs an das Reichsversicherungsamt)

32. Die Entscheidung des Schiedsgerichts ist dem Berufenden und dem Vorstande (Vertrauensmanne), welcher den angefochtenen Bescheid erlassen hat, zuzustellen.

Gegen die Entscheidung steht in den Fällen der Ziffer 30 lit. b beiden Parteien binnen einer Frist von vier Wochen der Rekurs an das Reichsversicherungsamt zu. Derselbe hat keine aufschiebende Wirkung.

(Veränderung der Verhältnisse)

33. Tritt in den Verhältnissen, welche für die Feststellung der Entschädigung maßgebend waren, eine wesentliche Veränderung ein, so kann eine anderweitige Feststellung derselben auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen.12

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(Fälligkeitstermine)

34. Die Kosten des Heilverfahrens und die Kosten der Beerdigung (Ziffer 3) sind innerhalb acht Tagen nach ihrer Feststellung zu zahlen.

Die Entschädigungsrenten der Verletzten und der Hinterbliebenen der Getöteten sind in monatlichen Raten im voraus zu zahlen.

(Ins Ausland verzogene bzw. ausländische Entschädigungsberechtigte)

35. Die Berechtigung zum Bezug der Entschädigungsrenten ruht, solange der Berechtigte nicht im Inlande wohnt.

Ist der Berechtigte ein Ausländer, und verläßt derselbe dauernd das Reichsgebiet, so kann er für seinen Entschädigungsanspruch mit dem dreifachen Betrag der Jahresrente abgefunden werden.

(Unpfändbarkeit der Entschädigungsforderungen)

36. Die den Entschädigungsberechtigten kraft des Unfallversicherungsgesetzes zustehenden Forderungen können mit rechtlicher Wirkung weder verpfändet, noch auf Dritte übertragen, noch für andere als die in § 749 Absatz 4 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Forderungen der Ehefrau und ehelichen Kinder und die des ersatzberechtigten Armenverbandes gepfändet werden.

(Auszahlungen durch die Post)

37. Die Auszahlung der aufgrund des Unfallversicherungsprinzips zu leistenden Entschädigungen wird auf Anweisung der Genossenschaftsvorstände vorschußweise durch die Postverwaltungen, und zwar in der Regel durch dasjenige Postamt, in dessen Bezirk der Entschädigungsberechtigte zur Zeit des Unfalls seinen Wohnsitz hatte, bewirkt.

Verlegt der Entschädigungsberechtigte seinen Wohnsitz, so hat er die Überweisung der Auszahlung der ihm zustehenden Rente an das Postamt seines neuen Wohnortes der dem Genossenschaftsvorstande, von welchem die Zahlungsanweisung erlassen worden ist, zu beantragen. [...]

VI. Unfallverhütung.

(Überwachung der Betriebe durch die Genossenschaften.)

42. Die Genossenschaften sind befugt, für den Umfang der Genossenschaften oder für bestimmte Betriebszweige oder Betriebsarten oder bestimmt abzugrenzende Bezirke Vorschriften zu erlassen:

a) über die von den Mitgliedern zur Verhütung von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen unter Bedrohung der Zuwiderhandelnden mit der Einschätzung ihrer Betriebe in eine höhere Gefahrenklasse;

b) über das in den Betrieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu beobachtende Verhalten unter Bedrohung der Zuwiderhandelnden mit Geldstrafen bis zu sechs Mark. Diese Geldstrafen sind von der Ortspolizeibehörde festzusetzen und an diejenige Krankenkasse abzuführen, welcher der bestrafte Versicherte angehört.

Derartige Vorschriften bedürfen der Genehmigung des Bundesrats.

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Vor der Einholung der Genehmigung sind die Vorschriften unter Ziffer 2 den beteiligten Arbeiterausschüssen (Ziffer 23) zur gutachtlichen Erklärung mitzuteilen.

Für die Herstellung der vorgeschriebenen Einrichtungen (lit. a) ist den Mitgliedern eine angemessene Frist zu bewilligen.

Die von den Behörden zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Anordnungen sind vorher den beteiligten Genossenschaften zur Begutachtung mitzuteilen; die Genossenschaften und Arbeiterausschüsse sind befugt, Anträge auf Erlaß derartiger Anordnungen zu stellen.

43. Die Genossenschaften sind befugt, durch Beauftragte die Verfolgung der zur Verhütung von Unfällen erlassenen Vorschriften (Ziffer 42) zu überwachen, von den Einrichtungen der Betriebe, soweit sie für die Zugehörigkeit zur Genossenschaft oder für die Einschätzung in den Gefahrentarif von Bedeutung sind, Kenntnis zu nehmen und behufs Prüfung der von den Betriebsunternehmern eingereichten Arbeiter- und Lohn-Nachweisungen die Geschäftsbücher und Listen einzusehen, aus welchen die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Beamten und die Beträge der verdienten Löhne und Gehälter ersichtlich werden.

Die einer Genossenschaft angehörenden Betriebsunternehmer sind verpflichtet, den als solchen legitimierten Beauftragten der beteiligten Genossenschaft auf Erfordern den Zutritt zu ihren Betriebsstellen während der Betriebszeit zu gestatten und die gezeichneten Bücher und Listen an Ort und Stelle zur Einsicht vorzulegen. Sie können hierzu auf Antrag der Beauftragten von der unteren Verwaltungsbehörde durch Geldstrafen im Betrage bis zu fünfhundert Mark angehalten werden. Die Beauftragten sowie die Mitglieder der Vorstände der Genossenschaften haben über die Tatsachen, welche durch die Überwachung und Kontrolle der Betriebe zu ihrer Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit zu beobachten. Die Beauftragten der Genossenschaften sind hierauf von der unteren Verwaltungsbehörde ihres Wohnorts zu verpflichten.

Die durch die Überwachung und Kontrolle entstehenden Kosten gehören zu den Verwaltungskosten der Genossenschaft. Soweit dieselben in baren Auslagen bestehen, können sie durch den Vorstand der Genossenschaft dem Betriebsunternehmer auferlegt werden, wenn derselbe durch Nichterfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen zu ihrer Aufwendung Anlaß gegeben hat. Gegen die Anfertigung der Kosten findet die Beschwerde an das Reichsversicherungsamt statt. Die Beitreibung derselben erfolgt in derselben Weise wie die der Gemeindeabgaben.

VII. Das Versicherungsamt.

44. Die Genossenschaften unterliegen in bezug auf die Befolgung des Unfallversicherungsgesetzes der Beaufsichtigung des Reichsversicherungsamts.

Das Reichsversicherungsamt hat seinen Sitz in Berlin. Es besteht aus mindestens drei ständigen Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden, und aus acht nichtständigen Mitgliedern.

Die ständigen Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt.13 Von den nichtständigen Mitgliedern werden vier vom Bundesrat [ Druckseite 463 ] aus seiner Mitte, und je zwei mittels schriftlicher Abstimmung von den Genossenschaftsvorständen und den Arbeiterausschüssen gewählt. Die Amtsdauer der nichtständigen Mitglieder währt vier Jahre. Das Stimmenverhältnis der einzelnen Genossenschaftsvorstände und Arbeiterausschüsse bei der Wahl der nichtständigen Mitglieder bestimmt der Bundesrat unter Berücksichtigung der Zahl der versicherungspflichtigen Personen.

Die nichtständigen Mitglieder erhalten, wenn sie in Berlin wohnen, für die Teilnahme an den Arbeiten und Sitzungen des Reichsversicherungsamts eine zu fixierende Entschädigung, wenn sie außerhalb Berlins wohnen außer Tagegeldern die Kosten der Hin- und Rückreise nach den für die Vortragenden Räte der obersten Reichsbehörden geltenden Sätzen (Verordnung vom 21. Juni 1875, Reichs-Gesetzblatt S. 249).

Die Kosten des Reichsversicherungsamts und seiner Verwaltung trägt das Reich. Der Geschäftsgang desselben wird vom Bundesrat mit der Maßgabe geregelt, daß die Beschlußfassung desselben durch die Anwesenheit von mindestens fünf Mitgliedern (einschließlich des Vorsitzenden)14, unter denen sich je ein Vertreter der Genossenschaftsvorstände und der Arbeiterausschüsse befinden müssen, bedingt ist, wenn es sich handelt

a) um die Vorbereitung der Beschlußfassung des Bundesrats bei der Bestimmung, welche Betriebe mit einer Unfallgefahr nicht verbunden und deshalb nicht versicherungspflichtig sind (Ziffer I), bei der Genehmigung von Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (Ziffer 15, 4), bei der Errichtung von Arbeiterausschüssen (Ziffer 23) und bei der Genehmigung von Vorschriften zur Verhütung von Unfällen (Ziffer 42);

b) um die Entscheidung vermögensrechtlicher Streitigkeiten der Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (Ziffer 16);

c) um die Entscheidung auf Rekurse gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte (Ziffer 32).

Solange die Wahl der Vertreter der Genossenschaftsvorstände und der Arbeiterausschüsse nicht zustande gekommen ist, genügt die Anwesenheit von fünf anderen Mitgliedern (einschließlich des Vorsitzenden).

45. Die Aufsicht des Reichsversicherungsamts über den Geschäftsbetrieb der Genossenschaften hat sich auf die Beobachtung der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften zu erstrecken. Das Reichsversicherungsamt ist befugt, jederzeit eine Prüfung der Geschäftsführung der Genossenschaften vorzunehmen. Die Vorstandsmitglieder und Beamten der Genossenschaften sind auf Erfordern des Reichsversicherungsamts zur Vorlegung der15 Bücher, Belege und der auf den Inhalt der Bücher bezüglichen Korrespondenzen, sowie der auf die Festlegung der Entschädigungen und Jahresbeiträge bezüglichen Schriftstücke an die Beauftragten des Reichsversicherungsamts oder an das letztere selbst verpflichtet. Dieselben können hierzu durch Ordnungsstufen bis zu fünfhundert Mark angehalten werden.

Das Reichsversicherungsamt entscheidet, unbeschadet der Rechte Dritter, über Streitigkeiten, welche sich auf die Rechte und Pflichten der Inhaber der Genossenschaftsämter, [ Druckseite 464 ] auf die Auslegung der Statuten und die Gültigkeit der vollzogenen Wahlen beziehen. Dasselbe kann die Inhaber der Genossenschaftsämter zur Verfolgung der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften durch Ordnungsstrafen bis zu fünfhundert Mark anhalten und gegen die Beauftragten, sowie die Mitglieder der Vorstände, welche das Gebot der Verschwiegenheit verletzen (Ziffer 13), Ordnungsstrafen bis zu gleicher Höhe16 verhängen.

VIII. Schluß- und Strafbestimmungen.

46. Die nach Maßgabe des Unfallversicherungsgesetzes versicherten Personen und deren Hinterbliebene können gegen den Betriebsunternehmer, in dessen Betrieb die ersteren beschäftigt waren, einen Anspruch auf Ersatz des infolge eines Unfalls erlittenen Schadens nur dann geltend machen, wenn derselbe den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. In diesem Falle beschränkt sich der Anspruch auf den Betrag, um welchen die den Berechtigten nach den bestehenden17 gesetzlichen Vorschriften gebührende Entschädigung diejenige übersteigt, auf welche sie nach dem Unfallversicherungsgesetze Anspruch haben.18

Der Anspruch verjährt in achtzehn Monaten vom Tage des Unfalls an gerechnet.

47. Der Betriebsunternehmer ist verpflichtet, alle Aufwendungen zu erstatten, welche infolge des Unfalls aufgrund des Unfallversicherungsgesetzes oder des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juli 1883 (Reichs-Gesetzbl. S. 73) von den Genossenschaften, Krankenkassen oder Gemeinden zu machen sind, wenn er, oder im Falle seiner Handlungsunfähigkeit sein gesetzlicher Vertreter, den Unfall vorsätzlich oder durch vorsätzliches Zuwiderhandeln gegen die zur Verhütung von Unfällen erlassenen Vorschriften herbeigeführt hat.19

48. Die Haftung eines Dritten, welcher den Unfall vorsätzlich herbeigeführt oder durch Verschulden verursacht hat, bestimmt sich nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften. Jedoch geht die Forderung der Entschädigungsberechtigten an den Dritten auf die Genossenschaft insoweit über, als die Verpflichtung der letzteren zur Entschädigung durch das Unfallversicherungsgesetz begründet ist.

49. Den Betriebsunternehmern ist untersagt, die Anwendung der Bestimmungen des Unfallversicherungsgesetzes zu ihrem Vorteil durch Verträge mittels Reglements oder besonderen Übereinkunft im voraus auszuschließen oder zu beschränken. Vertragsbestimmungen, welche diesem Verbote zuwiderlaufen, haben keine rechtliche Wirkung.

50. Die öffentlichen Behörden sind verpflichtet, den im Vollzuge des Unfallversicherungsgesetzes an sie ergehenden Ersuchen der Genossenschafts- (und Abteilungs-)Vorstände und der Schiedsgerichte sowie des Reichsversicherungsamts zu [ Druckseite 465 ] entsprechen. Die gleiche Verpflichtung liegt den Organen der Genossenschaften untereinander ob.

51. Betriebsunternehmer haften bei Meidung von Geldstrafen ─ sofern nicht der Tatbestand des Betruges vorliegt20 ─ für die tatsächliche Richtigkeit der von ihnen einzureichenden Arbeiter- und Lohn-Nachweisungen, sowie für die rechtzeitige Anzeige von Unfällen und solchen Betriebseröffnungen und Änderungen, deren Anmeldung vorgeschrieben ist.

52. Die Bestimmungen der Abschnitte II, III IV, VII sowie die auf diese Abschnitte bezüglichen Strafbestimmungen treten sofort in Kraft.

Im übrigen wird der Zeitpunkt, mit welchem das Gesetz in Kraft tritt, mit Zustimmung des Bundesrats durch Kaiserliche Verordnung bestimmt.

Begründung der Grundzüge für den Entwurf eines Gesetzes betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter

Zu Ziffer 1. Der Ausgangspunkt für die auf die gesetzliche Regelung der Arbeiter-Unfallversicherung gerichteten Bestrebungen bildet § 2 des Haftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871.

Aus der Unzulänglichkeit21 desselben ist das Bedürfnis der Unfallversicherung erwachsen. Demgemäß handelt es sich zunächst darum, für den Kreis der unter § 2 des Haftpflichtgesetzes fallenden Arbeiter eine bessere Fürsorge im Falle eines Betriebsunfalls gesetzlich sicherzustellen. Die Vorlage beschränkt sich daher, um nicht durch die an sich wünschenswerte Ausdehnung auf die weiteren Arbeiterkreise die Schwierigkeiten zu vermehren, vorläufig auf die Arbeiter in den bisher haftpflichtigen Betrieben, wobei die Ausdehnung der Unfallversicherung auch auf weitere Kreise der arbeitenden Bevölkerung vorbehalten bleibt. [...]

Zu Ziffer 3. Die Grundsätze für den Umfang und die Bemessung der bei Unfällen zu gewährenden Entschädigung sind im allgemeinen der letzten Gesetzesvorlage entnommen.

Im Gegensatz zu der letzten Gesetzesvorlage soll der 4 Mark täglich übersteigende Lohnbetrag nicht ganz außer Ansatz bleiben, sondern mit einem Dritteil in Anrechnung kommen. Diese Änderung erscheint notwendig, um den besser gestellten Arbeitern und Betriebsbeamten, insbesondere in dem Fall der Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Beamten mit einem 2 000 Mark übersteigenden Arbeitsverdienst, einen ihrer bisherigen wirtschaftlichen Lage mehr entsprechenden Unterhalt zu sichern. Ferner erscheint zur Beseitigung von Härten in denjenigen Fällen, in denen z. B. wegen mangelnden Absatzes eine vorübergehende Einschränkung der Arbeitszeit und somit des Arbeitsverdienstes für einzelne Arbeiter eintritt, die Festsetzung eines der Schadensregulierung zugrunde zu legenden Minimallohnsatzes geboten. Als solcher wird in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Krankenversicherungsgesetzes der durch die höhere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörde für die einzelnen Arbeiterklassen festzusetzende [ Druckseite 466 ] ortsübliche Tageslohn anzunehmen sein, dessen Normierung aufgrund genauer Ermittlungen durch eine Stelle erfolgt, welche die maßgebenden Verhältnisse vollständig zu übersehen in der Lage ist. Da nicht sowohl die Zerstörung und Schmälerung der in Ausübung begriffenen Erwerbstätigkeit, als vielmehr die Vernichtung und Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit die Grundlage für die Höhe der zu gewährenden Unfallentschädigung bildet, so ist es gerechtfertigt, nicht nur den tatsächlich bezogenen Lohn, sondern auch den unter normalen Verhältnissen mindestens zu erlangenden Arbeitsverdienst, welcher eben in dem ortsüblichen durchschnittlichen Tageslohn besteht, in Berücksichtigung zu ziehen.

Diese Erwägung läßt es auch notwendig erscheinen, für diejenigen Personen, welche wegen noch nicht beendigter Ausbildung keinen oder einen geringeren Lohn beziehen, einen anderen Betrag als den tatsächlichen Arbeitsverdienst der Entschädigung zugrunde zu legen. Die Beschränkung desselben auf den Höchstbetrag von 450 Mark entspricht dem Beschluß des Reichstags bei der Beratung des ersten Gesetzentwurfs, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter.22

Erscheint es aus allgemeinen Gründen gerechtfertigt, einen Entschädigungsanspruch nicht anzuerkennen, wenn der Verletzte den Unfall vorsätzlich selbst herbeigeführt hat, so wird doch auch in diesem Falle den Hinterbliebenen desselben die Entschädigung nicht versagt werden dürfen.

Es empfiehlt sich, die Wiederverheiratung einer Witwe, deren Ehemann durch einen Unfall getötet worden ist, dadurch zu erleichtern, daß ihr, falls sie zur anderweiten Ehe schreitet, eine Abfindung gewährt wird. In Übereinstimmung mit der früheren Gesetzvorlage ist dafür der dreifache Betrag der Rente vorgesehen worden, welche sie nach dem Tode des Mannes bezogen hatte. [...]

Zu Ziffer 5. Als Träger der Unfallversicherung empfehlen sich Berufsgenossenschaften mit obligatorischem Beitritt, denn in der Gemeinsamkeit des Berufs wurzelt die Gemeinschaft der sozialen Interessen und Pflichten. Bei der Unfallversicherung aber handelt es sich in erster Linie um die Erfüllung einer sozialen Pflicht, welche unbedingt sichergestellt werden muß. Der Versuch, diese Sicherstellung auf dem Wege der privatrechtlichen Haftpflicht zu erreichen, hat nicht zum Ziele23 geführt. Die hierbei gesammelten Erfahrungen nötigen vielmehr zu der Überzeugung, daß die wirtschaftliche Sicherung der Arbeiter gegen die Folgen der Betriebsunfälle in genügendem Maße nur dadurch herbeigeführt werden kann, daß die Fürsorgepflicht aus dem Gebiete des Privatrechts und des Zivilprozesses herausgehoben wird in das Bereich der öffentlich rechtlichen Verpflichtung. Aber auch ein bloß polizeilicher Zwang vermag die auf diesem Gebiete liegenden Aufgaben mit Erfolg nicht zu lösen. Dazu bedarf es vielmehr einer Organisation der beteiligten Berufskreise zum Zwecke einer selbsttätigen Mitwirkung bei der Erfüllung der Aufgaben. Die gesamte Entwicklung unseres öffentlichen Lebens weist für diese Organisation auf die genossenschaftliche Form hin. Da es sich um die öffentlich-rechtliche Sicherstellung einer allgemeinen sozialen Verpflichtung handelt, so ist für die Bildung der Genossenschaften eine Zwangspflicht nicht zu vermeiden. Dagegen liegt [ Druckseite 467 ] es im Begriffe der Genossenschaft, daß den Berufsgenossen hinsichtlich der Art und Weise, wie sie die ihnen obliegende gemeinsame Aufgabe lösen wollen, jede mit jener Sicherstellung irgend verträgliche Freiheit der Entschließung gewährt wird. Dem Begriff und Wesen der Berufsgenossenschaft entspricht es, daß in ihr nur solche gewerblichen Betriebe vereinigt werden, welche auf wirtschaftlichem Gebiet im allgemeinen die gleichen Ziele und Interessen verfolgen.24

Bildet die Gemeinsamkeit der wichtigeren Interessen die Grundlage der Berufsgenossenschaften, so ist damit im allgemeinen die territoriale Abgrenzung derselben nach Verwaltungsbezirken oder Staatsgebieten ausgeschlossen und ihre Ausdehnung auf das ganze Reichsgebiet als die Regel gegeben.

Die Berufsgenossenschaften sollen die Rechte juristischer Personen besitzen. Sie können demgemäß unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie vor Gericht klagen und verklagt werden.

Zu Ziffer 6. Die Kosten der Unfallversicherung sollen ausschließlich von den Berufsgenossenschaften getragen und mittels Umlagen dergestalt aufgebracht werden, daß immer nur der Darlehnsbedarf, allenfalls unter Hinzurechnung eines zur Herstellung eines mäßigen Reservefonds erforderlichen Betrages25 auf die Berufsgenossen umgelegt wird. Dieses einfache System empfiehlt sich um so mehr, als es sich nach den Grundgedanken des Gesetzes um große, dauernde, mit gesetzlichem Beitrittszwange ausgestattete Genossenschaften handelt. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einer Berufsgenossenschaft ist nach der vorgesehenen Organisation geradezu26 ausgeschlossen. Damit fällt aber auch jeder Grund hinweg, die Berufsgenossenschaften mit der komplizierten Rechnungsführung und Kassenverwaltung zu belasten, welche unvermeidlich sein würde, wenn man das System der Privatversicherungsgesellschaften, nämlich die sofortige Erhebung der nach versicherungstechnischen Grundsätzen für die Deckung der eintretenden Entschädigungsfälle notwendigen Kapitalreserven zur Anwendung bringen wollte.

Die in der früheren Vorlage vorgesehenen Zuschüsse des Reichs sind in Fortfall gekommen. Wenn auch in neuerer Zeit die Auffassung immer mehr Boden zu gewinnen scheint, welche in der ausschließlichen Übernahme der durch Betriebsunfälle herbeigeführten Schäden durch die Arbeitgeber die Befriedigung einer gerechten Forderung erblickt, so findet diese Übernahme der Kosten der Unfallversicherung durch die Betriebsunternehmer doch in dem Vermögen derselben ihre natürliche und notwendige Grenze. Es würde weder der Billigkeit und dem allgemeinen Rechtsbewußtsein noch den wirtschaftlichen Interessen der Gesamtheit entsprechen, die Betriebsunternehmer zur Einstellung ihrer Produktion zu nötigen, wenn an der Hand der praktischen Erfahrungen es sich herausstellt, daß infolge der ihnen durch die Unfallversicherung auferlegten Lasten ihre Leistungs- und ihre Konkurrenzfähigkeit gefährdet wird. In diesem Falle einzutreten, ist und bleibt die Pflicht des Reichs. Gleichwohl hat von der Anerkennung dieser Verpflichtung im Gesetz und der Festlegung der näheren Voraussetzungen und Bedingungen, unter [ Druckseite 468 ] denen die Beitragsleistung des Reichs notwendig wird und eintreten soll, abgesehen werden können, da bei dem vorgesehenen Umlageverfahren eine Überbürdung der Industrie mindestens für eine Reihe von Jahren nicht zu befürchten ist. Sollte indessen die Erfahrung die Notwendigkeit einer Beihilfe an die Hand geben, so wird die Gewährung einer solchen ins Auge gefaßt werden müssen.27

Zu Ziffer 7. Die Anmeldung der versicherungspflichtigen Betriebe ist notwendig, um das für die Bildung und die vorläufige Abgrenzung der Berufsgenossenschaften erforderliche Material zu erlangen.

Für die definitive Zugehörigkeit der einzelnen Betriebe zu einer Berufsgenossenschaft ist diese Anmeldung nicht entscheidend (Ziffer 21.)

Zu Ziffer 8. Aufgabe des Gesetzes ist, die Bildung von Berufsgenossenschaften zu sichern, welche in ihrer Abgrenzung zur nachhaltigen Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten und zur Ausübung der damit verbundenen Rechte befähigt sind. Soweit dieses Ziel auf dem Wege der freien Vereinbarung der Berufsgenossen zu erreichen ist, liegt kein Grund zu einer behördlichen Festsetzung und Abgrenzung der Berufsgenossenschaften vor. Um eine Garantie für das Zustandekommen von Berufsgenossenschaften zu gewinnen, die sich der Erfüllung ihrer Aufgaben dauernd gewachsen zeigen, bedarf es einer Instanz, von deren Genehmigung die Bildung der einzelnen Genossenschaften abhängig zu machen ist. Als diese Instanz ist der Bundesrat in Aussicht genommen. Die Genehmigung an die Bedingung zu knüpfen, daß die zu bildenden Berufsgenossenschaften eine bestimmte Anzahl von Betrieben oder eine gewisse Anzahl von in denselben beschäftigten Arbeitern umfassen, erscheint nicht wohl angängig, da diese Faktoren allein die Leistungsfähigkeit einer Berufsgenossenschaft nicht bedingen, dieselbe vielmehr auch von anderen Momenten, insbesondere von der wirtschaftlichen Lage der betreffenden Industriezweige wesentlich abhängt. In dieser Beziehung bindende Normen aufzustellen, erscheint deshalb nicht geraten.28 Dieselben dürften um so entbehrlicher sein, als nach den Erfahrungen, welche auf dem Gebiet der freiwilligen Vereinsbildung zum Zweck der Förderung und der Vertretung der gemeinsamen Interessen gewisser Industriezweige gemacht worden sind, mit Grund vertraut werden darf, daß auch bei der Bildung berufsgenossenschaftlicher Verbände zum Zweck der Übernahme der Unfallversicherung eine zu große Zersplitterung nicht zu fürchten ist, daß vielmehr das Bestreben, diese Lasten auf möglichst breite Schultern zu legen, im eigenen Interesse der Beteiligten zur Herstellung leistungsfähiger Berufsgenossenschaften fuhren wird.

Nach der Bestimmung im letzten Absatz unter b soll der Bundesrat in der Lage sein, etwaigen Bestrebungen entgegenzutreten, die darauf gerichtet sind, bei der Bildung und Abgrenzung von Berufsgenossenschaften Betriebsarten mit größerer Unfallgefahr trotz ihrer wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit ihrer Interessen von der Aufnahme in die zu bildende Berufsgenossenschaft auszuschließen.29

[ Druckseite 469 ]

Zu Ziffer 9. Bei Anträgen auf Bildung freiwilliger Berufsgenossenschaften wird eine Garantie dafür geboten werden müssen, daß dieselben voraussichtlich den Intentionen der Majorität der Berufsgenossen entsprechen. Aus diesem Grunde erscheint die Vorschrift, daß die Anträge durch eine größere Zahl von Berufsgenossen unterstützt sein müssen, wovon die Anzahl der von denselben beschäftigten Arbeiter angemessen zu berücksichtigen ist, geboten. Die in Ziffer 9 vorgeschlagene Abmessung der den Unternehmern oder Vertretern eines Betriebes einzuräumenden Stimmenzahl ist notwendig, um von vornherein ein billiges30, den Interessen der Betriebsunternehmer in der Unfallversicherung entsprechendes Verhältnis bei den Abstimmungen über die Bildung der Genossenschaften zu sichern.

Gleichwohl empfiehlt es sich, die Abstimmung in den Generalversammlungen durch Bevollmächtigte zu gestatten, und zwar nicht allein im Interesse der Geschäftsvereinfachung, sondern auch namentlich, um zu ermöglichen, daß bei Interessenkollisionen der verschiedenen Gesichtspunkte im Verhältnis ihrer Bedeutung ohne übermäßige Opfer an Zeit und Geld zu Wort kommen.

Die Einwirkung des Reichsversicherungsamts auf die Abgrenzung der Berufsgenossenschaften bereits in diesem Stadium zu gestatten, empfiehlt sich aus Zweckmäßigkeitsgründen, um erfolglose Generalversammlungen zu vermeiden.

Zu Ziffer 10. Durch die Einladungsschreiben, in welchen die Zahl der Stimmen, zu deren Führung der Einzelne berechtigt ist, angegeben werden soll, wird die unentbehrliche Legimitation für die in der Generalversammlung Erscheinenden in geeignetster Weise beschafft.

Hat die Generalversammlung auch zunächst nur den Zweck, den Betriebsunternehmern Gelegenheit zu geben, über die beantragte Bildung der Berufsgenossenschaft Beschluß zu fassen, so ergibt sich doch aus der Natur der Sache, daß in derselben Anträge auf anderweite Abgrenzung der Berufsgenossenschaft, ─ Vereinigung mit einer anderen Berufsgenossenschaft, Ausscheidung einzelner Industriezweige und Zuteilung derselben an eine andere Berufsgenossenschaft, Übernahme einzelner Industriezweige aus einer anderen Berufsgenossenschaft ─ gestellt werden können31 und daß dergleichen Anträge zur Bearbeitung und Abstimmung zu bringen sind. Die Generalversammlungen bieten somit die beste Gelegenheit, über die Wünsche und die Bedürfnisse der einzelnen Industriezweige bezüglich der Abgrenzung der Berufsgenossenschaften eingehende und vollständige Information zu erhalten. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, zu derselben einen Vertreter des Reichsversicherungsamts zuzuziehen, dessen Aufgabe, abgesehen von der Eröffnung und Leitung der Verhandlungen bis zur Wahl des Vorstandes, vorzugsweise darin bestehen wird, für eine möglichst vollständige Äußerung der Wünsche der Beteiligten und für den Fall, daß die Prinzipalanträge seitens des Bundesrats nicht genehmigt werden sollten, sowie für eine zweckentsprechende Abstimmung, z. B. durch Industriezweigen, Sorge zu tragen. Zur Erreichung dieses Zwecks wird dem [ Druckseite 470 ] Vertreter des Reichsversicherungsamts das Recht, jederzeit in der Generalversammlung gehört zu werden, einzuräumen sein. [...]

Zu Ziffer 13. Die hier über den notwendigen und zum Teil auch über den fakultativen Inhalt des Statuts vorgesehenen Bestimmungen werden durch die grundlegende Wichtigkeit des Statuts für die gesamte innere Verwaltung der Genossenschaft bedingt. Im einzelnen wird hierzu noch folgendes bemerkt:

Zu lit. a.: Im Interesse der Geschäftsvereinfachung wird es sich empfehlen32, die Beschlußfassung des Vorstandes der Berufsgenossenschaft und der Abteilungen in eiligen Fällen durch schriftliche Abstimmung seiner Mitglieder zu gestatten und dies im Statut ausdrücklich hervorzuheben.

Zu lit. d.: Der Maßstab für die Verteilung der Genossenschaften ist als die bedeutsamste Aufgabe zu bezeichnen, deren Lösung durch das Statut den Berufsgenossen anvertraut werden soll. Dabei werden indessen im Interesse einer möglichst gerechten Verteilung gewisse gesetzliche Normen nicht entbehrt werden können.

Da nämlich die Unfallgefahr nicht bloß in den einzelnen Industriezweigen, sondern auch innerhalb derselben je nach der größeren oder geringeren Vollkommenheit der Betriebseinrichtungen eine verschiedene ist, so entspricht es der Billigkeit, daß dieser Verschiedenheit auch hinsichtlich der Leistungen der einzelnen Betriebe zu den Kosten der Unfallversicherung Rechnung getragen wird. In diesem Behufe wird den Berufsgenossenschaften die Aufstellung von Gefahrentarifen vorzuschreiben sein, in deren einzelnen Klassen die Beiträge nach dem Maße der Unfallgefahr verschieden abgestuft werden. Hierbei wird sich eine möglichst scharfe Abgrenzung der Klassen, insbesondere nach äußerlich erkennbaren Merkmalen empfehlen, um den Mitgliedern der Berufsgenossenschaften eine gewisse Kontrolle über die Richtigkeit der Veranlagung der einzelnen Betriebe zu denselben zu erleichtern.

Um die kleinen, weniger gefährlichen Betriebe vor einer zu starken Heranziehung an den Kosten der Unfallversicherung im Verhältnis zu den größeren gefährlichen Betrieben zu schützen, ist die Feststellung des Tarifs durch das Statut und damit zugleich die Genehmigung desselben durch das Reichsversicherungsamt vorgesehen. Hierdurch wird der den kleineren Betrieben durch die Bestimmung in Ziffer 12 bezüglich der ihnen bis zum Zustandekommen des Statuts in der Genossenschaftsversammlung zustehenden Stimmenzahl bereits gegen eine Majorisierung gewährte Schutz nicht unerheblich verstärkt.

Die Bestimmung, daß das Statut zu seiner Gültigkeit der Genehmigung des Reichsversicherungsamts bedarf, verhindert zugleich, daß die Absicht des Gesetzes dadurch vereitelt wird, daß seitens der Berufsgenossenschaft ein Gefahrentarif überhaupt nicht aufgestellt wird, was die Erhebung gleicher Beiträge für alle Industriezweige und Betriebsarten zur Folge haben würde.

Mit Rücksicht darauf, daß die Erfahrungen über den Umfang der Unfallgefahr in den einzelnen Industriezweigen und Betriebsarten noch nicht abgeschlossen [ Druckseite 471 ] sind33, ist die periodische Revision der vorgenommenen Einteilung und der nach Gefahrenklassen bewirkenden Abstufung der Beiträge vorgesehen. Selbstverständlich werden die Beschlüsse den Genossenschaftsversammlungen über die Bewertung der Ergebnisse dieser Revisionen im Statut gleichfalls der behördlichen Genehmigung zu unterwerfen sein.34

Zu lit. f. Die räumliche Ausdehnung der Berufsgenossenschaften kann im Interesse der Geschäftsvereinfachung eine Einteilung derselben in Abteilungen wünschenswert erscheinen lassen; es wird dann Sache des Genossenschaftsstatuts sein, die Abgrenzung der Befugnisse der Abteilungen gegenüber dem Vorstande und der Generalversammlung zur Genossenschaft zu regeln.

Die Entscheidung darüber, ob eine Einteilung der Berufsgenossenschaft in Abteilungen notwendig oder ob das Institut der Vertrauensmänner als Ersatz der Abteilungen oder neben denselben einzuführen ist, kann ebenfalls dem Genossenschaftsstatut vorbehalten bleiben. Die Einfuhrung des Instituts der Vertrauensmänner wird sich empfehlen, wenn die Betriebe wenig konzentriert sind und sich über weite Gebiete erstrecken, weil dann die Abteilungen zu groß sein würden, um die Anknüpfung und Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen zwischen dem Abteilungsvorstande und den Betriebsunternehmern der ganzen Abteilung zu ermöglichen. Da die Bezirke der Vertrauensmänner ungleich enger begrenzt werden können, so würde durch die Einigung derselben erheblich an Kosten gespart werden. Den Vertrauensmännern würde die Kontrolle über die Schutzmaßregeln in den Fabriken und für Mitwirkung bei der Feststellung der Unfälle übertragen werden können; außerdem würde denselben in denjenigen Fällen, in denen Abteilungen nicht gebildet sind, in denen sie also direkt unter dem Vorstande der Berufsgenossenschaft fungieren, die vorläufige Fürsorge für die Verunglückten und deren Hinterbliebene zur Pflicht gemacht werden können.

Über die Abgrenzung der Bezirke der Vertrauensmänner sowie über die Wahl derselben und ihrer Stellvertreter wird ebenfalls das Gesellschaftsstatut Bestimmung zu treffen haben.

Mit Rücksicht darauf, daß in einzelnen Industriezweigen, z. B. bei dem Bergbau, die Unfallgefahr infolge der Verschiedenheit der Produktionsbedingungen nach den örtlichen Gebieten eine sehr verschiedene ist, kann unter Umständen35 die Übertragung eines Teils des Risikos auf die Abteilungen geboten oder doch rätlich erscheinen. Die Entscheidung hierüber soll die Berufsgenossenschaft mittels des Statuts vorbehaltlich der Genehmigung des Reichsversicherungsamts treffen können. Die Entscheidung dieser Genehmigung wird von der Leistungsfähigkeit der Abteilungen in bezug auf die ihnen daraus erwachsenden Lasten36 abhängen.

Durch die Übertragung eines Teils des Risikos auf die Abteilungen wird das Interesse derselben an einer sparsamen und gewissenhaften Verwaltung sowie an der Verhütung von Unfällen und demgemäß an der sorgsameren Beaufsichtigung [ Druckseite 472 ] der Betriebsanlagen zu diesem Zweck gefördert. Träger der Versicherung bleiben aber auch in diesen Fällen die Berufsgenossenschaften. Sie haften auch für die Quote, welche den einzelnen Abteilungen etwa auferlegt wird. Nichtsdestoweniger empfiehlt es sich, für diese Quote von vornherein eine bestimmte Grenze vorzusehen, um eine übermäßige Belastung der Abteilungen, deren Leistungsfähigkeit eine wesentlich beschränktere ist als die der Berufsgenossenschaften, schon durch das Gesetz zu verhindern. [...]

Zu Ziffer 16. Mit Rücksicht darauf, daß die37 Erfahrungen auf diesem Gebiete nicht ausreichen, um als Grundlage dauernder, unabänderlicher Einrichtungen dienen zu können, empfiehlt es sich nicht, die Beweglichkeit in der Abgrenzung der Berufsgenossenschaften zu beschränken. Im Gegenteil erfordert das Interesse der beteiligten Kreise, daß die durch die Erfahrungen sich als notwendig ergebenden Änderungen in dem Bestande der Berufsgenossenschaften in möglichst einfacher Weise bewirkt werden können. Aus diesem Grunde wird die Entscheidung hierüber ebenfalls in erster Reihe den Interessenten selbst zu überlassen und die behördliche Genehmigung bzw. Anordnung auf diejenigen Fälle zu beschränken sein, in denen entweder eine Verständigung derselben nicht erzielt wird oder Fürsorge dafür zu treffen ist, daß bei den beabsichtigten Veränderungen die Interessen der bei denselben Beteiligten angemessen gewahrt werden. Hierdurch ist ungleich die Möglichkeit geboten, Wünschen der Betriebsunternehmer, welche bei der ersten Bildung der Berufsgenossenschaften keine Berücksichtigung gefunden haben, soweit Rechnung zu tragen, wie die Grundbestimmungen über die Genossenschaftsbildung dies zulassen.38 Dementsprechend soll die Genehmigung neuer Berufsgenossenschaften dem Bundesrat, die Genehmigung der sonstigen Veränderungen dem Reichsversicherungsamt vorbehalten bleiben. Diese Genehmigung auch für den unter lit. a vorgesehenen Fall vorzuschreiben, empfiehlt sich schon deshalb, weil durch Bestandsveränderungen der bestehenden Genossenschaften eine erneute Prüfung des Statuts erforderlich werden wird. [...]

Zu Ziffer 19. Die Ansammlung eines Reservefonds wird sich empfehlen, um die bei den jährlichen Umlagen etwa eintretenden Ausfälle an Beiträgen decken zu können und im Interesse der Beteiligten die gleichmäßigere Verteilung der Lasten auf die einzelnen Jahre zu ermöglichen. Wenn gleichwohl davon abgesehen wird, die Ansammlung eines Reservefonds in bestimmter Höhe zwangsweise vorzuschreiben, so beruht dies auf der Erwägung, daß durch das Umlageverfahren die Aufbringung des zur Deckung der Unfallentschädigungen erforderlichen Jahresbedarfs unter allen Umständen sichergestellt ist, und daß die Frage nach der Höhe des anzusammelnden Reservefonds sich lediglich aus Gründen der Zweckmäßigkeit beantwortet, welche innerhalb der verschiedenen Berufsgenossenschaften verschieden sein können. Die Entscheidung kann daher unbedenklich dem Ermessen der Berufsgenossen überlassen bleiben, welche bei der Aufstellung des Statuts hierüber zu beschließen haben werden.

Unter welchen Voraussetzungen zur Deckung der der Berufsgenossenschaft obliegenden Lasten die Renten des Reservefonds zu verwenden sind oder der Kapitalbestand [ Druckseite 473 ] des letzteren angegriffen werden darf, wird gleichfalls durch das Genossenschaftsstatut zu regeln sein.39 [...]

Zu Ziffer 37. Die Betrauung der Postverwaltungen mit der Auszahlung der Entschädigungen erleichtert den Entschädigungsberechtigten die Erhebung der ihnen zustehenden Beträge, sie gewährt überdies den Vorteil, daß dadurch die Genossenschafts- und Abteilungsorgane von einer komplizierten Kassenführung und der damit verbundenen Arbeit und Verantwortlichkeit entlastet werden.

Hier liegt zugleich die einzige Hilfe finanzieller Natur, welche den Berufsgenossenschaften zuteil wird, insofern die Postverwaltungen die laufenden Entschädigungen für ein Jahr verauslagen sollen.40 [...]

Zu Ziffer 46 und 47. Insoweit durch die hier vorgesehenen Bestimmungen die bisherige unmittelbare, persönliche und privatrechtliche Haftpflicht der Unternehmer unter normalen Verhältnissen beseitigt wird, ist auf die Bemerkungen zu Ziffer 1 hinzuweisen.

Während die Gesetzesvorlage vom Jahre 1882 die Betriebsunternehmer den Betriebsgenossenschaften etc. gegenüber (Ziffer 47) auch für diejenigen Unfälle haftbar erklärte, welche durch “grobes Verschulden” derselben verursacht worden, soll nach den jetzt vorgesehenen Bestimmungen diese Haftbarkeit nur dann eintreten, wenn der Unfall die Folge vorsätzlichen Zuwiderhandelns gegen die zur Unfallverhütung erlassenen Vorschriften ist. Für diese Einschränkung ist das Bestreben maßgebend gewesen, die Betriebsunternehmer, welche durch ihre Beiträge die ganze Versicherungslast tragen, wegen angeblichen groben Verschuldens zu überheben.41

Den Berufsgenossenschaften sind zu der hier fraglichen Beziehung die Krankenkassen und Gemeinden gleichgestellt.

In dem Gesetze wird zum Ausdruck zu bringen sein, daß als Betriebsunternehmer in gleicher Weise eine Aktiengesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft haftet, wenn ein Mitglied ihres Vorstandes, sowie eine Handelsgesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft, wenn einer der Liquidatoren den Unfall vorsätzlich42 oder durch vorsätzliches Zuwiderhandeln43 gegen die zur [ Druckseite 474 ] Verhütung von Unfällen erlassenen Vorschriften verursacht hat; daß ferner als Ersatz für die Rente in den vorstehend bezeichneten Fällen deren Kapitalwert gefordert werden kann, und daß der Anspruch binnen einer gewissen Frist vom Tage des Unfalls an gerechnet, verjährt.44 [...]

Zu Ziffer 52. Ähnlich, wie es bei dem Krankenversicherungsgesetze vom 15. Juni 1883 geschehen ist, wird auch hier derjenige Teil des Gesetzes, welcher sich auf die Bildung der Berufsgenossenschaften und der zur Durchführung des Gesetzes erforderlichen Organe bezieht, früher in Kraft treten müssen, als diejenigen Bestimmungen, welche die Versicherung selbst betreffen. Mit Rücksicht auf den Umfang der zu schaffenden Organisation läßt der zum Abschluß derselben erforderliche Zeitraum im voraus keinen bestimmen, es wird sich vielmehr empfehlen, das Inkrafttreten der auf die Unfallversicherung selbst bezüglichen Bestimmungen des Gesetzes einer mit Zustimmung des Bundesrats zu erlassenden Kaiserlichen Verordnung vorzubehalten.45

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Registerinformationen

Personen

  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Rottenburg, Dr. Franz von (1845─1907) Geheimer Regierungsrat, Chef der Reichskanzlei
  • 115.01 Nr. 386, fol. 211─229 Rs. [Druckexemplar mit Marginalien Bismarcks u. Bosses], BArchP 07.01 Nr. 509, fol. 217─235 [Druckexemplar mit gleichem Text, die Marginalien Bismarcks hat v. Rottenburg hier übertragen]. Die erste Fassung der Grundzüge wurde von Gamp und Bödiker gemeinsam erarbeitet (vgl. dazu Nr. 132 Anm. 2) und war am 16.12.1883 fertiggestellt. Das Konzept dazu ist nicht überliefert. Danach wurde die Reinschrift (BArchP 15.01 Nr. 386, fol. 158─201 Rs.) von Bosse z.T. erheblich abgeändert bzw. neu konzipiert (hier ─ soweit wesentlich ─ gekennzeichnet durch a-a). Von dieser abgeänderten Reinschrift wurde noch eine am 20.12.1884 von Bosse paraphierte Reinschrift gefertigt, die Bödiker und Boetticher geringfügig überarbeiteten und die dann von Boetticher am 28.12.1883 paraphiert bzw. genehmigt wurde (BArchP 15.01 Nr. 387, fol. 3─44). Dazu wurde noch ─ ebenfalls von Gamp, Bödiker und Bosse ─ eine Begründung erstellt (BArchP 15.01 Nr. 387, fol. 45─96). Diese Reinschrift und die Begründung, die Boetticher am 29.12.1883 abzeichnete, wurden Druckvorlage und sind entsprechend mit Satzvorschriften ausgezeichnet. Am 1.1.1884 vermerkte Bosse in seinem Tagebuch: Wie gnädig hat der Herr bis hierher geholfen! Über Bitten und Bestehen! Wie beschämt müssen wir dastehen! Auch amtlich hat sich das Gewölk wieder mehr verzogen. Die Grundzüge der Unfallversicherung sind fertig. (BArchP Rep. 92 NL Bosse Nr. 7, fol. 39) Aufgrund der Monita Bismarcks, die dieser schriftlich in den Randbemerkungen und mündlich gegenüber seinem Kanzleichef v. Rottenburg (vgl. Nr. 134) machte, wurde dann im Reichsamt des Innern eine neue Fassung der “Grundzüge” hergestellt (15.01 Nr. 386, fol. 237─254), die am 4.1.1884 gedruckt war und an die Bundesregierungen versandt wurde (fol. 234). Das Korrekturexemplar für die neue Fassung ist nicht überliefert. Die Endfassung der Grundzüge mit Begründung wurde mehrfach veröffentlicht, in Broschürenform im Carl Heymanns Verlag Berlin. »
  • 2Von der Begründung werden im wesentlichen nur die von Bismarck mit Randbemerkungen versehenen Abschnitte abgedruckt. »
  • 3B.: Welche nach Maßgabe dieses Gesetzes versichert sind und für ihre Hinterbliebenen eintritt »
  • 4B.: warum? »
  • 5B.: muß es in dem K (ranken) hause sein? Eine weitere Bemerkung ist mehrfach so stark durchgestrichen, daß sie nicht mehr zu lesen ist. »
  • 6B.: cf. Marginal unter Nummer 19 (blau angestrichen) »
  • 7B.: kann versagt werden »
  • 8B.: Nach Anhörung des R(eichs)vers(icherungs)amtes »
  • 9B.: Bundesrates (“Reichsversicherungsamts” gestrichen) »
  • 10B.: Es wird in einem einzuschaltenden § auszusprechen sein, daß bei Unzulänglichkeit (Concurs) einer Genossenschaft (so unwahrscheinlich der Fall ist) die Gesamtheit aller Genossenschaften, resp. das Reich (meo voto besser) die Garantie deckt. »
  • 11B.: 3? 14 T(age)? »
  • 12B.: Sehr unbestimmt? Durch wen? Was ist wesentlich? (ganzer Satz von B. gestrichen) »
  • 13B.: Unter ihnen der Vors(itzende)? Oder wird der gewählt? »
  • 14B.: Wie entsteht der? »
  • 15B.: ihrer »
  • 16B.: 1000? »
  • 17B.: Haftpflicht? Oder was besteht resp. bestehen wird? Der Fall gehört vor den Strafrichter und hat wohl auch ohne dieses oder das Haftpflichtgesetz die Wirkung zur Schadlosklage zu berechtigen. Eventuell: Nur geltend machen, wenn vorsätzliche Herbeiführung pp. durch gerichtliches Urteil feststeht. »
  • 18B.: was besteht? u. wann? überflüssig? Die ganze Ziffer Nr. 46 ist durchgestrichen »
  • 19B.: cf. Margin(alie) ad 46, die Ziffer Nr. 47 ist durchgestrichen »
  • 20B.: gehört in Strafrecht »
  • 21B.: und aus der ungünstigen Wirkung derselben auf die Beziehungen zwischen Arbeitern und Arb(eit)gebern »
  • 22B.: Wird auch diesmal dem R(eichs)tage zu überlassen, nicht vorweg vorzulegen sein “Beschränkung” und “von 450 Mark” unterstrichen »
  • 23B.: zu befriedigenden Ergebnissen »
  • 24B.: oder verwandte Interessen und Vorbedingungen des Betriebes haben »
  • 25B.: principiis obsta! wozu Reserve, das Reich ist B(ürge) cf. Nr. 19 in margine, “allenfalls unter Hinzurechnung eines ... Betrages” eingeklammert »
  • 26B.: nahezu (Der Fall kann doch eintreten), “geradezu” gestrichen »
  • 27B.: Die Reichsgarantie für die Zahlungsfähigkeit des ganzen Instituts und seiner Teile wird irgendwo im Gesetz doch auszusprechen sein. »
  • 28B.: kaum möglich »
  • 29B.: fällt besser aus, der ganze Satz bzw. Absatz durchgestrichen »
  • 30B.: wichtiges, “billiges” durchgestrichen »
  • 31B.: diese eventuelle Richtigstellung des ersten Gusses muß für die ersten Jahre durch nichts erschwert werden. “Probieren” muß das “Studierte” berichtigen. Der Gedanke wäre vielleicht etwas mehr auszuspinnen und zu begründen. Die 2. Hälfte dieses Satzes ist unterstrichen, “Vereinigung” doppelt unterstrichen. »
  • 32B.: und bei geogr(aphischen) Entfernungen nicht selten unentbehrlich-sein notwendig sein »
  • 33B.: und niemals absolut sein werden, “noch nicht abgeschlossen sind” unterstrichen. »
  • 34B.: cf. Marginal in fine ─ vgl. Anm. 45. »
  • 35B.: wird, “kann unter Umständen” gestrichen. »
  • 36B.: und von der Verschiedenheit der Gefahr »
  • 37B.: bisherigen »
  • 38B.: (nicht binden), “wie ... zulassen” gestrichen »
  • 39B.: in der Unbestimmtheit liegt etwas Abschreckendes. Besser bleibt die Frage vom Reservefonds unberührt. Es entsteht sonst faux frais. Die beiden vorstehenden Absätze der Erläuterung zu Ziffer 19 sind gestrichen. »
  • 40B.: Die Frage der finanz(iellen) Reichshilfe wird erst praktisch, wenn die Belastung nach mehr als zwei Jahrzehnten sich dem vollen möglichen Umfange nähert, dann wird es Zeit sein, zu prüfen, ob Subvention nötig, um Industrie exportfähig zu erhalten (der Gedanke wird hier oder an andrer Stelle einzuschalten sein, mutatis mut(andis) ─ in Fassung). Der Satz ist gestrichen. »
  • 41B.: zwischen vorsätzlichem Zuwiderhandeln gegen (Unterlassung, Befolgung von) Vorschriften, und “vorsätzliche(r) Herbeiführung” eines Unfalls (Text § 46) ist eine weite Kluft. Ich möchte das, weil neue Prozeßquelle, eliminieren. »
  • 42B.: 1. ist Verbrechen, im Text hat B. vor “vorsätzlich” ein 1. gesetzt. »
  • 43B.: 2. ev(entuell) culpa, nicht einmal immer lata, im Text hat B. vor “vorsätzliches” ein 2. gesetzt.Bismarck führt hier den in der vorigen Randbemerkung geäußerten kritischen Gedanken gegenüber der Vorlage fort und spielt darauf an, daß im ausgebildeten römischen wie auch im preußischen Recht verschiedene Grade des Verschuldens des Handelnden bzw. Schädigers unterschieden wurden: dolus (Vorsatz) und culpa (Fahrlässigkeit, Versehen). Dabei wurde die culpa wieder differenziert zwischen culpa lata (“breite”, grobe Schuld bzw. grobe Fahrlässigkeit) und culpa levis (leichte Fahrlässigkeit).Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften war also nach Bismarcks Auffassung in den konkreten Verhältnissen eines Industriebetriebes mitunter auch als leichtes Versehen aufzufassen, d. h. als ein Fehler, der dem Handelnden kaum als schuldhaft zugerechnet werden könne, infolgedessen eher nachgesehen werden sollte. »
  • 44B.: Inclus(ive) oder excl(usive) Unterlassung. Die Grenze ist oft nicht zu ziehen. Die Vorschriften ad faciendum verschwimmen. Handeln und Unterlassen. Der ganze Abschnitt ist gestrichen. »
  • 45B.: Der Grundsatz, daß die ex cathedra für den Anfang festzustellenden Bestimmungen durch die Erfahrungen jedes, namentlich der ersten 2 u. 3 Jahre corrigiert werden müssen, und daß diese Correctur eine leichte sein muß, weil wir nun terra incognita an der Hand der Theorie allein betreten, wird an beliebiger Stelle der Motive (Eingang) mehr auszuführen sein. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 133, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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