II. Abteilung, Band 1

Nr. 134

1890 Februar 2

Erlaß1 des Deutschen Kaisers und preußischen Königs Wilhelm II. an den Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck (Erstfassung)

Reinentwurf

Erstfassung des nunmehr zweigeteilten Erlasses (Teil für den Reichskanzler): Eine internationale Konferenz zu Arbeiterschutzfragen soll nach Berlin einberufen werden

Die auf die Fürsorge für die industrielle Arbeiterbevölkerung abzielenden Maßnahmen, welche ich nach meinen Ihnen bekannten Absichten zu fördern entschlossen bin, lassen sich mit Rücksicht auf den internationalen Wettbewerb der Arbeit aller Kulturvölker ohne Zusammenwirken mit den Regierungen anderer Industriestaaten praktisch nicht durchführen. Die von einer einzelnen Regierung zum Wohl der arbeitenden Klassen getroffenen Einrichtungen würden ihren Zweck verfehlen und auf das Erwerbsleben derselben schädigend einwirken können, wenn die heimischen Unternehmer im Gegensatz zu den ausländischen so belastet würden, daß unsere Industrie die Leistungsfähigkeit auf dem Weltmarkt verliert. Die internationale Interessengemeinschaft, welche sich in den Beziehungen der Arbeiter u. in dem Absatz der Arbeitserzeugnisse geltend macht, bedingt somit eine gemeinsame Verständigung der an dem Weltmarkt beteiligten Staaten über die für die Wohlfahrt der verschiedenen Arbeiterklassen geeigneten Maßregeln. Zu den erstrebenswerten, infolge des Wettbewerbs auf dem Weltmarkt bisher verhinderten Verbesserungen gehören Bestimmungen über die Dauer der täglichen Arbeit, die Höhe der Löhne und Einschränkung der Arbeit von Frauen und Kindern. Das Bedürfnis zu einer Regelung dieser Fragen ist in allen Staaten zutage getreten, so daß eine von mir ausgehende Anregung zu einer entsprechenden Vereinbarung der Regierungen Aussicht auf Erfolg bietet. Es ist daher mein Wunsch, daß Sie den Regierungen der Industriestaaten durch meine bei denselben beglaubigten Vertreter die Einladung zu einer Konferenz nach Berlin aussprechen lassen, um durch internationale Beratungen zu einer Verständigung über die vorerwähnten Punkte zu gelangen.

Ich beauftrage Sie, das Erforderliche zu veranlassen.

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Registerinformationen

Regionen

  • Sachsen, Königreich

Personen

  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833–1907) , Staatssekretär des Innern
  • Fabrice, Alfred Graf von (1818–1891) , sächsischer Außenminister
  • Hohenthal und Bergen, Dr. Wilhelm Graf von (1853–1909) , sächsischer Gesandter in Berlin

Sachindex

  • Bundesrat
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen – Sachsen
  • Reichsamt des Innern
  • Reichstagswahlen
  • Reichstagswahlen – 1890
  • 1Erstfassung des (geteilten) Erlasses von Paul Kayser: BArch R 43 Nr. 431, fol. 195─197. Kopfvermerk: cessat. Herbert Graf v. Bismarck hatte auf der Sitzung des preußischen Staatsministeriums vom 31.1.1890 (vgl. Nr. 127) die Ausarbeitung dieses Erlaßentwurfs übernommen. Der Entwurf stammt von Dr. Paul Kayser, der auch als Referent genannt wird. Herbert Graf v. Bismarck notierte am 2.2. in seinem Tagebuch: Ordre wegen internat(ionaler) Arbeiterschutzkonferenz in Berlin mit Papa verabredet (Bismarck-Archiv Friedrichsruh N 48). Bei dieser Besprechung wurde wohl beschlossen, diese Erstfassung zu kassieren und eine neue Fassung zu erstellen. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 134, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0134

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