II. Abteilung, Band 1

Nr. 116

1890 Januar 27

Immediatbericht1 des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck an den Deutschen Kaiser und preußischen König Wilhelm II.

Ausfertigung mit Randbemerkungen Wilhelm II.

Rücktritt Bismarcks vom Amt des preußischen Handelsministers; Hans Freiherr von Berlepsch wird Nachfolger

Euerer Kaiserlichen und Königlichen Majestät berichte ich alleruntertänigst, daß das Staatsministerium das demselben am 24 d. M. in der Sitzung des Kronrats mitgeteilte Allerhöchste Programm für die Behandlung der Arbeiterfrage2 der Besprechung unterzogen hat.3 Das Programm ist jedem der Staatsminister in Abschrift mitgeteilt und wird der Euerer Majestät danach vorzulegende Entwurf eines Allerhöchsten Erlasses mit tunlichster Beschleunigung ausgearbeitet werden.

Euerer Majestät habe ich mir bereits mündlich vorzutragen erlaubt, daß die Aufgaben des Ministeriums für Handel und Gewerbe infolge der die Zeit bewegenden Fragen in dem Maß anwachsen, daß meine durch Alter und Krankheit verminderte Arbeitskraft die mit ihrer Lösung verbundenen Anstrengungen neben denen der übrigen mir obliegenden Ämter nicht mehr zu leisten vermag.4 Ich halte deshalb die Berufung eines besonderen Ministers für Handel und Gewerbe im Interesse des Allerhöchsten Dienstes für geboten.

Zu diesem Behuf bitte ich, im Einvernehmen mit dem Staatsministerium, Euerer Majestät als meinen Nachfolger im Ministerium für Handel und Gewerbe5 den Oberpräsidenten der Rheinprovinz Freiherrn von Berlepsch vorschlagen zu dürfen.6

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Derselbe hat als Regierungspräsident zu Düsseldorf Gelegenheit gehabt, nicht nur sich als ein in jeder Beziehung tüchtiger Verwaltungsbeamter zu bewähren, sondern speziell in diesem gewerbreichen Bezirk Einsicht und Geschick für die Behandlung derjenigen Fragen an den Tag zu legen, welche für einen Gewerbeminister im Vordergrund stehen. Schon durch seine Beförderung zum Oberpräsidenten haben Euere Majestät seine in dem Bergwerkstrike bewährte Befähigung anerkannt, und aus den von Euerer Majestät in der Sitzung des Kronrats über ihn getanen Äußerungen hat das Staatsministerium entnommen, daß er auch Allerhöchstdero persönliches Vertrauen gewonnen hat.7

Ein Gehalt für den Minister für Handel und Gewerbe ist im Staatshaushaltsetat nicht ausgeworfen, da dieses Ressort bisher von mir im Nebenamt verwaltet wurde.

Diesem Mangel wird durch einen dem Landtag vorzulegenden Nachtragsetat abzuhelfen sein und zweifelt das Staatsministerium nicht an der Bewilligung der zur Befriedigung des hervorgetretenen Bedürfnisses erforderlichen Mittel.8

Euere Majestät bitte ich daher im Einverständnis mit dem Staatsministerium, mich von dem Amt als Minister für Handel und Gewerbe in Gnaden entbinden und dasselbe dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Freiherrn von Berlepsch, übertragen zu wollen.9

Sobald Euere Majestät die Gnade gehabt haben, mich ─ vielleicht durch Randbemerkung ─ des Allerhöchsten Einverständnisses zu versichern, werde ich nicht ermangeln, die Erledigung dieser Angelegenheit auf dem geschäftsmäßigen Weg herbeizuführen und Allerhöchstdenselben die Entwürfe der dazu nötigen Ordres in Ehrfurcht vorzulegen.

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Registerinformationen

Personen

  • Maybach, Albert von (1822–1904) , preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten

Sachindex

  • Beamte
  • Bergarbeiterstreik
  • Landtag
  • Landtag – preußischer
  • Streik
  • 1Ausfertigung: GStA Berlin I. HA Rep. 90 Nr. 896, n. fol.; Entwurf von der Hand Gustav Homeyers mit Abänderungen Bismarcks: ebenda. Kopfvermerk Wilhelm II.: Einverstanden. »
  • 2Vgl. Nr. 102. »
  • 3Vgl. Nr. 115. »
  • 4Am 24.1.1890. »
  • 5Otto v. Bismarck war seit 1880 auch preußischer Handelsminister, hatte jedoch die laufenden Dienstgeschäfte weitgehend dem Unterstaatssekretär dieses Ressorts (bis 1886 Dr. Ernst v. Möller, dann Eduard Magdeburg) bzw. Karl Heinrich v. Boetticher als seinem Stellvertreter überlassen. »
  • 6Wilhelm II.: ja »
  • 7Wilhelm II: ja »
  • 8In den Staatsministerialprotokollen wurde die Behandlung dieser Frage nicht aufgezeichnet. »
  • 9Wilhelm H.: ja »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 116, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0116

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