II. Abteilung, Band 1

Nr. 59

1885 April 4

Eingabe1 des Pastors Friedrich von Bodelschwingh an den Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck

Ausfertigung

Von Bodelschwingh sieht sich zu Unrecht als Lieferant von Streikbrechern denunziert; er beschuldigt seinerseits streikende Arbeiter als Brandstifter von Gebäuden seiner Anstalt; eine Hebung des sittlichen Niveaus der Arbeiterschaft sei nur durch eigenen Hausbesitz zu erreichen; Gründung eines Vereins hierzu; Bitte um Geldunterstützung

Spät kommen wir, aber wir kommen doch noch;2 wenig bringen wir, aber wir bringen es von Herzen ─ dies kleine Zeichen der Liebe und Treue, das auch heute noch Ew. Durchlaucht von uns Armen und Kranken freundlich annehmen wollen. Drei epileptische Kranke haben es gezeichnet und gemalt, drei epileptische Buchbinderlehrlinge es miteinander eingerahmt. Es ist nämlich der Geburtstagsgruß3 der Kolonie der Epileptischen zu Bielefeld.

Daß derselbe so spät kommt, daran ist der Schreiber dieses Begleitschreibens schuld, der in den letzten Tagen nicht einmal Zeit fand, diese wenigen Zeilen zu schreiben. Bekanntlich haben wir hier Belagerungszustand,4 und ich soll durchaus [ Druckseite 260 ] Schuld daran sein, weil ich den Arbeitgebern von unsern Wilhelmsdorfer Kolonisten, die mit unsern epileptischen Kolonisten ein einziges Ganzes bilden, Hilfstruppen geschickt haben soll. Es ist natürlich kein wahres Wort daran, wie dies auch von der Leitung des sozialdemokratischen Fachvereins der hiesigen Metallarbeiter bezeugt wird, welche den ganzen Strike in Szene gesetzt haben. Allein, das nutzt alles nicht. Grade die Zutraulichkeit der gemäßigten Sozialdemokraten und Leiter des Strikes zu meiner Person, die vielfach zu mir kommen und meine Vermittlung bei den Arbeitgebern in Anspruch nehmen, macht die anarchistischen Hintermänner nur noch wütender und treibt sie zu neuen Lügen, nämlich daß ich die ersten Führer des Strikes bestochen habe, so daß auch diese wiederum behaupten, ihres Lebens nicht sicher zu sein, wenn sie mit gemäßigten und vernünftigen Vergleichsbestimmungen zufrieden sind. Die bisher verlachten Drohungen von Brandstiftungen haben ja einen furchtbaren Ernst dadurch bekommen, daß wirklich zwei verschiedene Gehöfte unserer Anstalten in einem Zwischenraum von zwei Tagen offenbar von ruchloser Hand angesteckt sind, zuerst das Hauptgebäude unserer epileptischen Ackerbauer und dann dasjenige unserer blödsinnigsten männlichen Epileptiker! Das Jammergeschrei dieser 50 armen Blöden, die in der Nacht aus tiefstem Schlaf aus den Betten gerissen werden mußten und unbekleidet in benachbarte Häuser getragen, war aber bei weitem nicht so schlimm anzuhören als die teuflischen Freudenbezeigungen halbwüchsiger Buben und Mädchen über diesen Bubenstreich.

Diese Blicke in die tiefe sittliche Verkommenheit haben mir den Mut zu diesen Zeilen und zu einer kühnlichen Bitte gegeben, mit der ich hiermit vor Ew. Durchlaucht trete. Seit meinem 18. Jahr bin ich durch Gottes Führung ganz besonders reichlich mit dem Arbeiterstand, und zwar gerade mit Fabrikarbeitern, die an irgendeine Maschine gehängt sind, in Berührung gekommen.5 Ich kenne die Leib und Seele ausdörrende Macht dieser Maschinensklaverei, die naturgemäß immer mehr zunimmt, nur zu genau und auch die Sünden, die an diesen armen Menschen seitens der Arbeitgeber ─ der Staat mit eingerechnet ─ begangen werden. Ich habe seit vielen Jahren meinen Beruf ja besonders darin ─ wenn ich so sagen soll: an den Sterbebet-

[ Druckseite 261 ]

ten dieser Erschlagenen unseres Volkes zu sitzen, u. darum ist meine Schuld auch größer als die anderer Leute, wenn ich halbschweigend diesem Jammer zusehe.

Ew. Durchlaucht haben in den letzten Jahren bereits mit kräftiger Hand eingegriffen, diesen Jammer zu mildern, allein wie ich täglich sehe ─ zu meinem großen Kummer ─ werden diese so wichtigen u. so barmherzigen Errungenschaften nur von einem sehr kleinen Bruchteil der Arbeiter auch nur mit einer Spur von Dank begrüßt; die große Masse ist ganz unberührt geblieben, und unaufhaltsam rollt das Rad der zunehmenden Gott und Menschen fluchenden Verbitternis den Berg herunter, und die gemäßigten Sozialisten werden mehr und mehr von den Anarchisten terrorisiert. Auf direktem Weg diesen Versinkenden mit den Kräften beizukommen, die im Christenglauben liegen, ist selten möglich. Die Woche über mit Überbürdung der Kräfte an die Maschine gekettet, schlafen sie sonntags morgens, und der Nachmittag wird zwischen Schnapsbude und Tanzsaal geteilt. Die Kinder bekommen ihre Väter vielfach nur als Bestien zu sehen. Wahrlich, wenn ich dies kaltblütige Zertreten unseres Volkes [sehe], wie es namentlich die Aktiengesellschaften unseres fortschrittlichen Gründertums betreiben, so wundere ich mich, daß diese armen Menschen nicht noch viel schneller zu solchen blutigen Tigern und Hyänen herabsinken, wie wir denn auch hier schon eine ziemliche Zahl haben.

Es gibt in meinen Augen nur ein einziges sicheres Mittel, diesem Verderben zu steuern u. die stets wachsenden Fabrikarbeitermassen auch wiederum den Segnungen des Christentums auszusetzen: Man gewähre dem Fabrikarbeiter als Gegengift gegen die ausdörrende Macht der Maschine die Freude und den Segen des eigenen Herds, im eigenen Haus auf der eigenen Scholle. Dieser Gedanke ist ja nicht neu und am wenigsten von mir erfunden. Die königlichen Steinkohlengruben im Saarbrücker Revier haben seit 1873 durch Staatsprämien 1 466 Häuser geschaffen,6 deren Eigentümer Bergleute sind; u. was Mülhausen7 u. sogar Hamburg8 mit seinem teuren Grund u. Boden geleistet, ist ja bekannt. Es gilt nun, diesen wehrhaft, christlichen und barmherzigen Rachekrieg gegen die Umsturzsozialisten u. Anarchisten auf der ganzen Linie im ganzen deutschen Vaterland zu eröffnen. Der Umsturzpartei wird so der Boden unter den Füßen weggezogen.

Nachdem ich mich seit Jahren mit diesem Gedanken herumgeschlagen, auch viele einsichtige und erfahrene Männer befragt habe ─ z. B. der ausgezeichnete Direktor der größten hiesigen Aktienspinnerei9 ist in allen Stücken auf meiner Seite ─, ist nun endlich vorgestern die Konstituierung unseres „Vereins zum Schutz des deutschen Fabrikarbeiterserfolgt, zunächst in großer Stille und im allerkleinsten Kreis.10 Und [ Druckseite 262 ] hier kommt nun meine Bitte: Wir wollten gern unseren tapferen Reichskanzler mit in unseren Liebesbund hineinziehen, ja, wir können denselben nicht entbehren, wenn unser großer u. kühner Schlachtplan siegreich durchgeführt werden soll. Ja, wir möchten nicht eher aus unserer Verborgenheit heraustreten, bis wir der Zusage von Ew. Durchlaucht gewiß sind, uns helfen zu wollen. Ich darf hierbei nicht verschweigen, daß ich bereits einen hohen Bundesgenossen geworben habe, unseren Kronprinzen, der sich mit so warmem Herzen der Nöte der untersten Volksschichten annimmt. Ich habe demselben bereits vor 2 Monaten mündlich und schriftlich unsere Sache ans Herz gelegt, und er hat mir aufs liebreichste seine Unterstützung zugesagt, auch die Einrichtung der Statuten unseres Vereins von mir gefordert.11 Mit der genauen Feststellung dieses Statutenentwurfs sind wir noch beschäftigt, u. meine heutige vorläufige Bitte geht nur dahin: Ew. Durchlaucht wolle uns nur einige Tage Frist geben, bis wir unsere Schlachtpläne näher dargelegt. Wir brauchen zur Ausführung desselben ja auch etwas Geld ─ nicht viel ─ aber doch etwas. Jedenfalls wird der noch verfügbare Teil des Nationalgeschenks12 völlig ausreichen, den guten Kampf auf der ganzen Linie in Gang zu bringen. Ich bin gewiß, daß ebenso wie die 100 000 [recte: 170 000] M., die der Kronprinz uns bis jetzt aus seiner Jubiläumsgabe für die Arbeiterkolonien gereicht,13 jetzt schon zu einem Kapital von mehr als einer Million angewachsen sind, so diese Million in gleicher Weise zugunsten der Fabrikarbeiter angelegt, in wenigen Jahren zu einem Kapitalwert von 10 u. 100 Millionen anschwellen wird, wenn Gott den gleichen Segen darauf legen will wie bei den Arbeiterkolonien. Ew. Durchlaucht sollen keine neue Last u. Arbeit in diesem Unternehmen, aber große nachhaltige Freude für den Lebensabend haben.

[ Druckseite 263 ]

Da es das erste Mal in meinem Leben ist, daß ich Ew. Durchlaucht belästige, so darf ich wohl auf Vergebung wegen dieses zu langen Briefs hoffen, der mir selbst ganz unvermutet so lang aus dem Herzen herausgequollen. Ich schließe mit den herzlichsten Segensgrüßen seitens meiner ganzen Gemeinde der Elenden.14

Registerinformationen

Regionen

  • Preußen

Orte

  • Eisenach
  • Hamburg
  • Mülhausen (Elsaß)
  • Saarbrücken

Personen

  • Bansi, Gottfried (1828–1910) , Likörfabrikbesitzer in Bielefeld
  • Bansi, Heinrich (1821–1908) , Likörfabrikbesitzer in Bielefeld
  • Bismarck, Johanna Fürstin von, geb. von , Puttkamer (1824–1894) , Ehefrau Otto von Bismarcks
  • Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898) , Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident, preußischer Handelsminister
  • Bodelschwingh, Ernst von (1794–1854) , preußischer Finanzminister, Innenmini- , ster
  • Bökenkamp, Heinrich , Kaufmann in Bielefeld
  • Bunnemann, Gerhard (1842–1925) , Oberbürgermeister von Bielefeld
  • Delius, Hermann (1819–1894) , Textilindustrieller in Bielefeld
  • Dietz, Heinrich (1839–1903) , Redakteur der „Neuen Westfälischen Volkszeitung“ in Bielefeld
  • Fliedner, Ernst (1849–1917) , ev. Pfarrer in Bielefeld
  • Friedrich Wilhelm (1831–1888) , preußischer Kronprinz; später als Friedrich III. deutscher Kaiser
  • Hinzpeter, Dr. Georg (1827–1907) , Philologe, Geheimer Regierungsrat in Bielefeld, Erzieher Wilhelm II.
  • Mann, Theophil (1831–1913) , Pianofabrikbesitzer in Bielefeld
  • Oldenberg, Friedrich Salomo (1829–1894) , Vereinsgeistlicher und geschäftsführender Sekretär des Zentralausschusses der Inneren Mission
  • Ratibor, Viktor Herzog von (1818–1893) , Fideikommißbesitzer in Schloß Rauden , (Kreis Rybnik), Präsident des preußischen Herrenhauses
  • Sartorius, Franz (1830–1914) , Spinnereidirektor in Bielefeld

Firmen

  • Ravensberger Spinnerei, Bielefeld

Sachindex

  • Aktien
  • Alkoholismus
  • Anarchisten
  • Arbeiterkolonien
  • Arbeiterkolonien – Wilhelmsdorf
  • Arbeitervereine, siehe auch Gewerkvereine
  • Bergarbeiter
  • Christentum
  • Fabrikarbeiter
  • Familie
  • Innere Mission, siehe auch Vereine und Verbände, Zentralausschuß
  • Kirche
  • Kirche – evangelische, siehe auch Innere Mission
  • Kohlen
  • Maschinen
  • Presse
  • Presse – Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung
  • Presse – Fliegende Blätter aus dem Rauhen Haus
  • Revolution
  • Sittlichkeit der Arbeiter
  • Sklaverei
  • Sozialismus, Sozialisten, siehe auch Parteien
  • Vereine und Verbände
  • Vereine und Verbände – Arbeiterheim, Bielefeld
  • Vereine und Verbände – Thüringer kirchliche Konferenz
  • Vereine und Verbände – Zentralausschuß für die Innere Mission
  • 1BArch R 43 Nr. 429, fol. 115─118. Von Bodelschwingh übersandte die hier abgedruckte Eingabe mit einem Begleitschreiben an Bismarcks Ehefrau Johanna (Ausfertigung von der Hand v. Bodelschwinghs: BArch R 43 Nr. 429, fol. 119─120 Rs.). »
  • 2In Anlehnung an das geflügelte Wort aus Friedrich Schillers Drama „Wallenstein“. »
  • 3Bismarck war am 1. April 70 Jahre alt geworden. »
  • 4Am 28.3.1885 hatte der Bielefelder Garnisonsälteste nach Streikunruhen auf Antrag des Mindener Regierungspräsidenten Adolf v. Pilgrim über Bielefeld und die Gemeinde Gadderbaum den Belagerungszustand nach § 2 des Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4.6.1851 (PrGS, S. 451) bzw. Artikel 68 der Reichsverfassung verhängt, durch den die gesamte vollziehende Gewalt auf die Militärbehörde überging.Mitte März hatte in der Bielefelder Nähmaschinenindustrie eine Streikbewegung begonnen, die nur in der Firma Koch & Co. nicht beigelegt werden konnte. Die Arbeiter forderten eine Arbeitszeitverkürzung von 10 {3/4} auf 10 Stunden, die Rücknahme der Aufforderung der Firmenleitung, kleine Werkzeuge wie Schraubenzieher selbst zu bezahlen und die Wiedereinstellung entlassener Streikaktivisten. Im Verlauf von Streikdemonstrationen wurden in der Bielefelder „Herberge zur Heimat“, in der auswärtige Arbeiter untergebracht waren, und in der Fabrikantenvilla die Fensterscheiben eingeworfen, worauf der Belagerungszustand verhängt wurde. „Der Sozialdemokrat“ schrieb dazu in seiner „Sozialpolitischen Rundschau“: In Bielefeld ist Ende voriger Woche der Staat wieder einmal gerettet worden, und zwar in großartigster Weise. Polizei und Militär allein taten es nicht, es wurde auch obendrein der Belagerungszustand proklamiert. Natürlich waren es die Arbeiter, vor denen der Staat „gerettet“ werden mußte, die Arbeiter, die ja eigentlich die besonderen Schützlinge dieses Staates sind. Aber Undank ist nun einmal der Welt Lohn, und ganz besonders scheint dies in bezug auf die Arbeiterklasse zuzutreffen. Man höre nur. Seit mehreren Wochen hatten in Bielefeld die Arbeiter mehrerer dortiger Nähmaschinenfabriken Lohnkonflikte durchzukämpfen, in einigen Fabriken hatte man sich geeinigt, absolut hartnäckig verhielt sich den Arbeitern gegenüber die Firma F. W. Koch & Cie. Als alle Versuche, eine namhafte Anzahl der Streikenden durch die Hungerpeitsche zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zwingen, fehlschlugen, der Zuzug fremder Arbeiter auch zu wünschen übrigließ, da wandten sich die ehrenwerten Herren an den Vorstand der nahegelegenen „Arbeiterkolonie“ Wilhelmsdorf, Herrn Pastor Bodelschwingh. Und siehe da, der große Arbeiterfreund, der sich in allen konservativen Blättern als Wohltäter der arbeitenden Klassen ausposaunen läßt, hatte nichts Eiligeres zu tun, als soviel Arbeiter als nur möglich von Wilhelmsdorf nach Bielefeld zu entsenden ─ richtiger zu verschicken, wo sie in der dortigen Herberge zur Heimat untergebracht und den Herrn Koch behufs Unterdrückung ihrer Arbeiter zur Verfügung gestellt wurden. Das war den Arbeitern Bielefelds denn doch zu arg, und nun begannen die „Unruhen“. Den Anfang derselben kennt man aus unzähligen Beispielen. Die Arbeiter versuchen ihre eingefangenen Kameraden zu überreden, von dem selbstverräterischen Beginnen abzustehen, es fällt hier und da ein hartes Wort, und sofort ist die Polizei da, konstatiert „Bedrohung“ und nimmt Verhaftungen vor. So wird die Stimmung immer mehr gereizt, und bei der allgemeinen Sympathie der Gesamtarbeiterschaft Bielefelds war der Tumult, der „Aufruhr“ da, man wußte nicht wie (Der Sozialdemokrat Nr. 14 vom 2.4.1885). Vgl. hierzu Jürgen Scheffler, Die Wandererfürsorge zwischen konfessioneller, kommunaler und staatlicher Wohlfahrtspflege, in: Jochen-Christoph Kaiser/Martin Greschat (Hg.), Sozialer Protestantismus und Sozialstaat, Stuttgart/Berlin/Köln 1996, S. 104─107. »
  • 5Friedrich v. Bodelschwingh war von 1858 bis 1864 Pfarrer im Pariser Stadtteil La Villette, wo er deutsche Arbeitsemigranten betreute. »
  • 6Gemeint ist die Praxis der preußischen Bergverwaltung, Bergarbeitern zur Finanzierung von Eigenheimen billige Kredite zur Verfügung zu stellen. Nach Fertigstellung ihrer Häuser erhielten die Besitzer außerdem eine nicht zurückzuzahlende „Prämie“. »
  • 7Gemeint ist die Mülhausener Cité ouvrière. Eine 1853 gegründete Aktiengesellschaft Mülhausener Unternehmer baute in Mülhausen bis 1884 insgesamt 1 040 Häuser, die an Arbeiter verkauft wurden. »
  • 8Vgl. Fritz Schumacher, Hamburgs Wohnungspolitik von 1818 bis 1919, Hamburg 1919. »
  • 9Sowohl der Gründer und Besitzer der Ravensberger Spinnerei Hermann Delius wie auch deren Direktor Franz Sartorius waren Gründungsmitglieder des Vereins „Arbeiterheim“. Die 1855 bis 1857 erbaute Ravensberger Spinnerei war im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine der größten Flachsspinnereien Europas. »
  • 10Dies waren Hermann Delius, Franz Sartorius, der Pianofabrikbesitzer Theophil Mann, der Kaufmann Heinrich Bökenkamp, die Likörfabrikbesitzer Heinrich und Gottfried Bansi, der Redakteur der „Neuen Westfälischen Volkszeitung“ Heinrich Dietz, der Pfarrer beim Verein für Innere Mission in Minden-Ravensberg Ernst Fliedner und Friedrich v. Bodelschwingh. Den endgültigen Aufruf vom 28.4.1885 unterzeichneten dann zusätzlich u. a. noch der Bielefelder Oberbürgermeister Gerhard Bunnemann und der Geheime Regierungsrat Dr. Georg Hinzpeter. »
  • 11Am 9.2.1885 hatte v. Bodelschwingh dem Kronprinzen in einem Schreiben u. a. vorgeschlagen: An die Stelle der bloß kirchlichen Arbeit, der sich die Massen grundsätzlich entziehen, muß die christlich-soziale Arbeit treten (...). Gelingt es, daß in dreißig bis vierzig Jahren jeder fleißige Fabrikarbeiter vor seiner eigenen Hütte, unter seinem eigenen Apfelbaum, umgeben von seiner Familie sein Abendbrot essen kann, dann ist die Sozialdemokratie tot, und der Thron der Hohenzollern ist auf Jahrhunderte gesichert. Und es kann gelingen, wenn Gott Gnade gibt und Eure Kaiserliche Hoheit uns kräftig helfen wollen. Eure Kaiserliche Hoheit können dadurch unzählige glückliche Menschen schaffen und selbst der allerglücklichste sein (Alfred Adam [Hg.], Friedrich von Bodelschwingh. Briefwechsel. Bd. 1, Bielefeld 1975, S. 158).Friedrich v. Bodelschwingh war Sohn des preußischen Finanz- bzw. Innenministers Ernst v. Bodelschwingh und während dessen Ministerzeit (1842─1848) als Schulkind bzw. Jugendlicher mit Kronprinz Friedrich Wilhelm befreundet. »
  • 12Gemeint ist die Geldsammlung („Bismarckspende“), zu der ein unter Führung des Präsidenten des preußischen Herrenhauses Herzog von Ratibor stehendes Komitee anläßlich des 70. Geburtstags Bismarcks aufgerufen hatte. Die Sammlung erbrachte 2 379 144 Mark, die Bismarck größtenteils zum Rückkauf des Guts Schönhausen II verwendete, das seine Eltern in den dreißiger Jahren verkauft hatten. »
  • 13Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte am 13.12.1882 das Protektorat über die neugegründete Arbeiterkolonie Wilhelmsdorf übernommen; am 19.4.1883 spendete er 170 000 Mark aus einer Schenkung anläßlich seiner Silbernen Hochzeit für die Arbeiterkolonien, vgl. Nr. 37. »
  • 14Am 16.4.1885 übersandte der provisorische Vorstand eines „Vereins zur Hebung der sozialen Lage des deutschen Fabrikarbeiter“ dann eine Denkschrift und einen Statutenentwurf an den Reichskanzler, beides ließ v. Bodelschwingh wiederum durch Johanna v. Bismarck übermitteln (BArch R 43 Nr. 429, fol. 121─127 Rs.). Am 1.5. übersandte v. Bodelschwingh schließlich einen gedruckten Aufruf vom 28.4. und die endgültigen Statuten des nunmehr „Arbeiterheim“ genannten Vereins an Bismarck (fol. 129─134 Rs.). Ein weiteres Schreiben v. Bodelschwinghs vom 13.5. (fol. 127─138 Rs.) überschnitt sich mit dem unter Nr. 62 abgedruckten ablehnenden Bescheid an v. Bodelschwingh. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 59, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0059

Nachnutzung: Digitale Quellensammlung und Forschungsdaten stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC-BY 4.0) Lizenz. Weiterverwendung unter Namensnennung und Angabe des Permalinks.