II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 170

1884 Mai 15

Brief1 des Generaldirektors Johann Friedrich Jencke2 an den Staatssekretär des Innern Karl Heinrich von Boetticher

Eigenhändige Ausfertigung mit Randbemerkungen Bödikers

[Bedenken zur Bildung von Berufsgenossenschaften bestehen, wenn Betriebseigentümer ihre Interessen nicht durch Bevollmächtigte ihrer Wahl in der Genossenschaft vertreten können.]

In meinen Kreisen sind betreffs der Fähigkeit, Mitglied der Berufsgenossenschaft zu werden, Zweifel nach der Richtung hin aufgetaucht, ob diese Mitgliedschaft nach den für öffentliche Ehrenämter bestehenden Analogien an die Per-

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son des Betriebsunternehmers selbst gebunden sei. Diese Zweifel erscheinen nicht ganz unberechtigt im Hinblick auf den Wortlaut einiger Bestimmungen des Gesetzentwurfs. [...] [hier werden die §§ 34, 14, 16, 24 ausgeführt bzw. erörtert]

Wenn nun auch in den Motiven S. 50 und 53 allgemein von “Bevollmächtigten” die Rede ist: So hat doch der Wortlaut der oben angegebenen §§ zu der Befürchtung Anlaß gegeben, daß aus ihnen die Konsequenz gezogen werden könnte, der Eigentümer eines in Privatbesitz befindlichen Werkes sei nicht berechtigt, sich in der Ausübung seiner Rechte in der Genossenschaft durch Bevollmächtigte seiner Wahl, also z. B. durch die Träger seiner Prokura oder sonstiger Beamten vertreten zu lassen.

Würde eine derartige “Beschränkung” ─ welche wohl nicht beabsichtigt sein kann ─ später aus dem Gesetz heraus interpretiert werden; so wären alle diejenigen Privatindustrielle, welche ihre Rechte in der Genossenschaft persönlich nicht ausüben können oder wollen, von der aktiven Beteiligung am genossenschaftlichen Leben ausgeschlossen resp[ektive] auf die Vertretung durch andere Genossen hingewiesen.

Die Zweifel wären behoben, wenn Berufsgenossen allgemein gestattet würde, sich durch “Bevollmächtigte” vertreten zu lassen.3

Registerinformationen

Personen

  • Lohren, Arnold (1836─1901) Rentier, ehem. Fabrikant, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Stumm, Karl Frhr. von (1836─1901) Industrieller, MdR (freikonservativ/ Deutsche Reichspartei
  • 1BArchP 15.01 Nr. 397, fol. 109─110 Rs., Kenntnisnahme: Gamp 20.5., Bödiker 20.5., Bosse (o.D.), Geschäftsvermerk von Bödiker: 15.5.84 Durch den Vorsitzenden der “Procura” von Krupp ─ einer aus 7 Personen bestehenden kollegialen Behörde, welcher auch der einzige Sohn Krupps angehört ─ Herrn Geh. Finanzrat Jencke gehorsamst in den Geschäftsgang gegeben: vgl. Nr. 175 zu § 14 Abs. 3 u. § 16 Abs. 3, Nr. 185, § 14 Abs. 3 u. § 16 Abs. 3. »
  • 2Johann Friedrich Jencke (1843─1910), seit 1879 Vorsitzender des Direktoriums der Fa. Alfred Krupp in Essen. »
  • 3Randbemerkung von Bödiker: Bei der Besprechung der Sache anerkannte Herr Jencke, daß diese allgemeine Fassung dazu führen könne, daß Advokaten und Winkelkonsulenten seitens einzelner Unternehmer bevollmächtigt würden, was unzuträglich und wohl nicht beabsichtigt sei. Jencke modifiziert den Ausdruck “Bevollmächtigte” daher in “bevollmächtigte Betriebsbeamte”. Referent versprach, die Sache zum Vortrag bringen zu wollen. Borsig, Stumm, die schlesischen Magnaten sind zum Teil in ähnlicher Lage wie der 70jährige Krupp; diesen Bedenken wurde im verabschiedeten Gesetz Rechnung getragen, vgl. Nr. 185. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 170, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0170

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