II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 163

1884 April 30

Bericht1 über die zehnte Sitzung der VII. Kommission des Reichstags

Druck, Teildruck

[Beratung über die §§ 12─19 der dritten Unfallversicherungsvorlage, insbesondere über das Verhältnis der Höhe des Reservefonds zum Deckungskapital]

Am 30. v. M. wurden die Beratungen bei § 12 der Vorlage fortgesetzt. Die Beratung litt augenscheinlich unter dem Umstande, daß nach den letzten Abstimmungen über Umlageverfahren und Organisation, worauf seither aller Aufmerksamkeit gerichtet war, nunmehr eine gewisse Abspannung eingetreten ist und keine Partei weitere Anträge vorbereitet hat, ein großer Teil der Kommissionsmitglieder wohl

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auch jetzt das Zustandeskommen des Gesetzes infolge des Verhaltens des Zentrums für unmöglich hält. Die §§ 12, 13 und 14, die freiwillige Bildung der Berufsgenossenschaften betreffend, wurden ohne erhebliche Debatte genehmigt; desgleichen die §§ 15 und 16, Bildung der Berufsgenossenschaften durch den Bundesrat und Statut derselben; die gestellten unerheblichen Anträge zu § 17 (Inhalt des Statuts) wurden teils abgelehnt, teils vor der Abstimmung zurückgezogen, die §§ 17 und 18 hierauf unverändert angenommen. § 19 gestattet, durch das Statut die Ansammlung eines Reservefonds bis zur Höhe desjenigen Jahresbetrages anzuordnen, welchen die Genossenschaft an Beiträgen beim Eintritt des Beharrungszustandes aufzubringen hat. Hierzu beantragten die Abgg. Lohren und v. Hertling, die Ansammlung dieses Reservefonds zur Pflicht zu machen. Abg. Buhl stellte zu letzterem Antrage den Unterantrag, den Reservefonds auf 2 1/2 durchschnittliche Jahreserfordernisse zu erhöhen. Abg. Lohren bekämpfte letzteren Antrag lebhaft. Man sehe bei dieser Gelegenheit wieder, wie es der nationalliberalen Partei angelegen sei, der Vorlage Schwierigkeiten zu bereiten; es solle eben auf dem Wege der zwangsweisen Bildung eines unmäßig großen Reservefonds das abgelehnte Deckungsverfahren wieder statt des Umlageverfahrens eingeschmuggelt werden, wodurch dann das Gesetz entweder zu Fall komme, oder die Nationalliberalen sich die Möglichkeit bereiteten, demnächst bei der durch hohe Beiträge überlasteten Industrie die Regierungen und die Konservativen wegen der Fertigung eines so schlechten Gesetzes anzuklagen. Abg. Oechelhäuser nahm die nationalliberale Partei gegen den Vorwurf, der Unfallgesetzgebung Hindernisse zu bereiten, in Schutz. Der Antrag Buhl wurde hierauf mit 11 (Zentrum und einige Freikonservative) gegen 11 Stimmen (Nationalliberale, Freisinnige und zwei Konservative) abgelehnt. Ebenso ward abgelehnt der Antrag Buhl, den Genossenschaften jederzeit den Übergang vom Umlageverfahren zum Deckungsverfahren zu gestatten, dagegen der Antrag Lohren ─ v. Hertling angenommen, nachdem die Regierung die Erklärung abgegeben hatte, daß der Bundesrat zwar keinen Zwang zur Bildung des Reservefonds wünsche, sich indes einem bezüglichen Beschluß des Reichstags wohl nicht widersetzen werde. [...]

Registerinformationen

Personen

  • Buhl, Dr. Franz Armand (1837─1896) Gutsbesitzer, MdR (nationalliberal)
  • Lohren, Arnold (1836─1901) Rentier, ehem. Fabrikant, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • 1ZfV, 8. Jg. 1884, S. 240, Sitzungsprotokoll: BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 178─180 Rs., Anträge: fol. 181─185. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 163, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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