II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 139

1884 Februar 10

Tagebucheintragung1 des Direktors im Reichsamt des Innern Robert Bosse

Niederschrift, Teildruck

[Hetzerei bei der Fertigstellung der dritten Unfallversicherungsvorlage]

Nachdem das Unfallversicherungsgesetz vielfach durch Boetticher verzögert ist, fängt nun das Feuer [an,] auf die Nägel zu brennen. Natürlich bekomme ich die Vorwürfe darüber, daß es noch nicht fertig ist. Boetticher war gestern rein wie toll darüber. Allein auf mich hat dies Toben keinen Eindruck gemacht. Was in des Menschen Kräften stand, haben wir getan. Den Bericht an den Kanzler über die vom Volkswirtschaftsrat vorgenommenen Änderungen der Grundzüge hat Boetticher drei Tage auf seinem Schreibtisch liegengelasssen, endlich ihn gezeichnet.2 Am 5. dieses Monats kam er von Friedrichsruh mit den Bemerkungen des Fürsten zurück. Sofort ist danach der bereits vorläufig formulierte Entwurf geändert.3 Gestern abend haben Gamp, Bödiker und ich ihn mit Geh.Ob.Reg.Rat Meyer4 vom Reichsjustizamt von 7 bis 2 Uhr nachts durchgenommen. Heute, obwohl Sonntag ist, soll er fertig werden, freilich ohne Motive; aber auch diese sind nahezu fertig. Wozu die übermäßige Hetzerei? Allerdings soll der Reichstag auf den 4. März berufen werden, also der Bundesrat hat nur wenig Zeit für den Entwurf. Aber unsere Schuld ist ja das allerdings nicht. Ich begreife wohl, daß Boetticher wünschte, weiter mit den Vorbereitungen zu sein. Ich will mich aber über nichts beklagen, auch nicht über die Sonntagsarbeit5 und Boettichers unfreundliches Wesen. Der Friede Gottes sei über uns, mit uns, in uns.

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Registerinformationen

Personen

  • Rantzau, Kuno Graf zu (1843─1917) Legationsrat im Auswärtigen Amt, Schwiegersohn Bismarcks
  • Wilhelm I. (1797─1888) Deutscher Kaiser und König von Preußen
  • 1GStA Dahlem Rep. 92 NL Bosse Nr. 7, fol. 39 Rs.─40 »
  • 2Vgl. Nr. 138. »
  • 3In dem Gesetzentwurf, mit dessen Anfertigung im November 1884 begonnen wurde (vgl. Nr. 132), wurde auf der Grundlage der “Grundzüge” bis zum 21.1.1884 von Gamp eine neue Fassung erstellt und von Bödiker überarbeitet, d. h. vorläufig fertiggestellt. Die Reinschrift wurde unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Volkswirtschaftsrats bzw. der Direktiven Bismarcks dann ─ wie dargestellt ─ zwischen dem 6.2. und 10.2. 1884 erneut von Gamp, Bödiker und nunmehr auch von Bosse überarbeitet und paraphiert, am 11.2.1884 zeichnete sie dann v. Boetticher ab. Diese durch Korrekturen fertiggestellte Reinschrift (BArchP 15.01 Nr. 388, fol. 142─223) diente einmal als Druckvorlage für den Bundesrat (BR-Drucks. Nr. 16 v. 13.2.1884) nebst Begründung zu Nr. 16 (ebd., 15.01 Nr. 389, fol. 75 [Gesetzestext: fol. 1─91, Begründung: 92─119]) und ist entsprechend ausgezeichnet und zum anderen als Vorlage für die dem Immediatbericht beigefügte Reinschrift (15.01 Nr. 389, fol. 2─73). »
  • 4Dr. Meyer, bis 1876 im Reichskanzleramt tätig, nahm dann auch an den Sitzungen der VII. Kommission teil. »
  • 5Der 10. Februar war der Sonntag Septuagesima. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 139, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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