II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 44

1882 Februar 28

Grundzüge1 für die zweite Unfallversicherungsvorlage

Druck

[Zwangsgenossenschaften, Reichszuschuß, Versicherungspflichtgrenze 2000 (1500) M, Höchstjahresarbeitsverdienst 1200 M, Beitragsfreiheit für Arbeiter, 13wöchige Karenzzeit, Betriebsgenossenschaften nach Gefahrenklassen auf Bezirksebene, Gegenüberstellung von Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren, Unfallverhütung und deren Überwachung]

Grundzüge für die gesetzliche Regelung der Unfallversicherung der Arbeiter

I. Genossenschaftsprinzip.

Die Unfallversicherung der Arbeiter erfolgt in der Weise, daß jeder Unternehmer eines versicherungspflichtigen Betriebes einer der unter Berücksichtigung der Höhe der Unfallsgefahr zu bildenden Genossenschaften angehören muß, und diesen Genossenschaften die Verpflichtung auferlegt wird, die gesetzlichen Entschädigungen unter Beihilfe des Reichs zu leisten.

Die letztere bildet einerseits das Äquivalent für die aus der neuen Regelung sich ergebende Erleichterung sämtlicher Gemeinden in ihrer Armenlast und andererseits den Zuschuß, welchen das Reich im Hinblick auf den staatlichen Zweck der Unfallversicherung im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse so lange zu leisten hat, als nicht durch die Erfahrung erwiesen ist, daß die Industrie die alleinige Übernahme der erforderlichen Leistungen ohne Gefährdung ihrer Leistungsfähigkeit zu ertragen vermag.

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II. Versicherungspflicht

Zu versichern sind alle Arbeiter und Betriebsbeamte mit einem Jahresarbeitsverdienste von nicht über 2000 (1500?) Mark, welche beschäftigt werden2:

1. in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen, Gruben, auf Werften, in Fabriken und Hüttenwerken;

2. in Gewerbebetrieben, welche sich auf die Ausführung von Bauarbeiten erstrecken, sowie bei der Ausführung von Bauten, soweit die Beschäftigung nicht lediglich in der Ausführung einzelner Reparaturarbeiten besteht.

Den unter 1 und 2 aufgeführten gelten diejenigen Betriebe gleich, in welchen Dampfkessel oder durch elementare Kraft (Wind, Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft usw.) bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen, mit Ausnahme derjenigen Betriebe, für welche nur vorübergehend eine nicht zu der Betriebsanlage gehörige Kraftmaschine benutzt wird. (Anmerkung: Die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf diejenigen Arbeiter und Betriebsbeamten, welche in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben bei Lokomobilen oder durch mechanische Kraft bewegten Triebwerken beschäftigt werden, bleibt vorbehalten)

III. Hinsichtlich der Art und Höhe der den Versicherten zu gewährenden Leistungen

werden die Bestimmungen des vom Reichstag beratenen Gesetzentwurfs3 mit folgenden Abänderungen beibehalten:

1. Für die ersten 13 Wochen der durch Unfall herbeigeführten Erwerbsunfähigkeit wird aufgrund der Unfallversicherung keine Entschädigung geleistet. An die Stelle der letzteren tritt die Unterstützung aufgrund der Krankenversicherung, zu welcher die Arbeitgeber für die unfallversicherungspflichtigen Arbeiter 33 1/3 Prozent (ein Drittel) der Beiträge zu leisten haben (vgl. die Grundzüge für die gesetzliche Regelung der Krankenversicherung).4

2. Der Berechnung der Entschädigung wird nur derjenige Teil des Arbeitsverdienstes zugrunde gelegt, welcher 1200 Mark für das Jahr oder 4 Mark für den Arbeitstag nicht übersteigt.

Dagegen werden Beiträge zur Unfallversicherung von den Versicherten überhaupt nicht erhoben.

IV. Die Feststellung der Entschädigungen erfolgt durch die Organe der Genossenschaften.

Der Entschädigungsberechtigte kann gegen die Feststellung den Weg der Beschwerde an die staatliche Aufsichtsbehörde beschreiten. Gegen die Entscheidung der letzteren steht beiden Teilen der Rechtsweg offen.

V. Die Auszahlung der Entschädigung erfolgt auf Anweisung der Genossenschaft durch die Postverwaltung (für diejenigen Staaten, welche nicht zum Gebiet [ Druckseite 168 ] der Reichspostverwaltung gehören, nach ihrer Wahl durch die Postverwaltung oder durch eine andere Staatsverwaltung).

Halbjährig erhält jede Genossenschaft die Berechnung der auf ihre Anweisung von der Postverwaltung verauslagten Beträge, von denen sie die Postverwaltung zwei Drittel zu erstatten hat. Das letzte Drittel wird vom Reich erstattet.

VI. Die Bildung der Genossenschaften erfolgt nach Maßgabe einer vom Bundesrat aufgrund der Ergebnisse der Unfallstatistik nach Industriezweigen und Betriebsarten vorzunehmenden Einteilung der Betriebe in Klassen mit gleicher Unfallsgefahr nach folgenden Grundsätzen:

1. Der Regel nach wird für jede Betriebsklasse eine den Bezirk der höheren Verwaltungsbehörde umfassende Genossenschaft gebildet.

2. Wenn die in einem Bezirke vorhandenen Betriebe einer Klasse nicht so viele Arbeiter beschäftigen, wie zur dauernden Leistungsfähigkeit einer Genossenschaft erforderlich sind, so werden von den nach dem Maße der Unfallsgefahr einander am nächsten stehenden Klassen so viele zu einer Genossenschaft vereinigt, wie zur Lebensfähigkeit der letzteren erforderlich sind.

3. Die Landesregierungen können bestimmen, daß die Genossenschaften für andere Bezirke als diejenigen der höheren Verwaltungsbehörden zu bilden sind.

Aufgrund gemeinsamer Bestimmung der Landesregierungen können benachbarte örtliche Bezirke, welche verschiedenen Bundesstaaten angehören, zu einem gemeinsamen, der Genossenschaftsbildung zugrunde zu legenden Bezirke vereinigt werden.

4. Für Betriebsklassen, für welche die Gefahr von Massenverunglückungen besteht oder welche bei großer Unfallsgefahr eine so geringe Zahl von Betrieben umfassen, daß eine Genossenschaftsbildung für die Bezirke der höheren Verwaltungsbehörden nicht möglich ist, kann der Bundesrat die Bezirke der zu bildenden Genossenschaften unabhängig von den Landesgrenzen feststellen.

VII. Die erste Bildung der Genossenschaften erfolgt nach folgenden Vorschriften:

1. Aufgrund eines Verzeichnisses der versicherungspflichtigen Betriebe hat die höhere Verwaltungsbehörde den Plan der für ihren Bezirk zu bildenden Genossenschaften festzustellen und bekanntzumachen.

2. Für jede Genossenschaft wird von der höheren Verwaltungsbehörde eine aus Delegierten der beteiligten Betriebsunternehmer bestehende konstituierende Generalversammlung berufen, welche unter Leitung eines Staatskommissarius in Gemäßheit der gesetzlichen Normativbestimmungen das Genossenschaftsstatut beschließt.

Dasselbe bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde.

3. Ist das Statut einer Genossenschaft binnen einer bestimmten Frist nicht zur Genehmigung vorgelegt, so wird von der höheren Verwaltungsbehörde ein solches erlassen, welches in Kraft bleibt, bis ein von der Generalversammlung beschlossenes Statut genehmigt ist.

VIII. Verwaltung der Genossenschaft

1. Die Genossenschaft wird durch eine Generalversammlung vertreten. Die Generalversammlung besteht aus Delegierten der Genossenschaftsmitglieder, welche

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nach Bezirksabteilungen, und sofern die Genossenschaft mehrere Betriebsklassen umfaßt, nach Betriebsklassen gewählt wird.

Unternehmern großer Betriebe, welche so viele Arbeiter beschäftigen, wie durchschnittlich einer Bezirksabteilung angehören, kann das Recht eingeräumt werden, je ein Mitglied der Generalversammlung zu ernennen.

2. Die Vertretung der Genossenschaft nach außen und die laufende Geschäftsführung wird von einem Vorstande wahrgenommen, welcher von der Generalversammlung gewählt wird.

3. Das Statut kann die Bildung von Abteilungsvorständen vorschreiben, welche gewisse im Statut zu bezeichnende Verwaltungsgeschäfte nach näherer Anweisung des Genossenschaftsvorstandes und in Vertretung desselben für ihre Bezirksabteilung oder für ihre Betriebsklasse wahrzunehmen haben.

4. Jede Genossenschaft muß einen Ausschuß für die Feststellung der Entschädigungsansprüche errichten, dessen Mitglieder zur Hälfte von der Generalversammlung, zur Hälfte von einer Delegiertenversammlung der Versicherten gewählt werden. Die letztere besteht, soweit die Versicherten Fabrikkrankenkassen angehören (vgl. die Grundzüge für die gesetzliche Regelung der Krankenversicherung), aus den Delegierten der Krankenkassenvorstände.

Sind für die Genossenschaft Abteilungen gebildet, so ist für jede Abteilung ein besonderer Ausschuß zu errichten.

5. Solange die Wahl der gesetzlichen Organe nicht zustande kommt oder solange diese Organe die Erfüllung ihrer gesetzlichen und statutarischen Verpflichtungen verweigern, hat die staatliche Aufsichtsbehörde die letzteren auf Kosten der Genossenschaft wahrzunehmen oder wahrnehmen zu lassen.

IX. Abänderungen in der Zusammensetzung bestehender Genossenschaften können von den Generalversammlungen der letzteren, von den einer bestimmten Bezirksabteilung und von den einer Betriebsklasse angehörenden Genossenschaftsmitgliedern beantragt werden.

Wird über einen Abänderungsantrag das Einverständnis aller Beteiligten erzielt, so ist demselben stattzugeben, wenn durch die Abänderung keine der beteiligten Genossenschaften in ihrer dauernden Leistungsfähigkeit gefährdet wird.

Wird ein solches Einverständnis nicht erzielt, so entscheidet die Aufsichtsbehörde über die Zulässigkeit der Abänderung.

X. Mitgliedschaft bei den Genossenschaften

Die Unternehmer der zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes bestehenden versicherungspflichtigen Betriebe werden Mitglieder der für ihre Betriebsklasse errichteten Genossenschaft, sobald die letztere ins Leben getreten ist. Die einzelnen Betriebe werden in die Genossenschaften folgendermaßen eingegliedert:

1. Jeder Betriebsunternehmer hat vor Eröffnung des von ihm beabsichtigten Betriebes der unteren Verwaltungsbehörde eine schriftliche Anzeige über die Art und den Umfang des Betriebes zu erstatten. In dieser Anzeige kann der Unternehmer die Genossenschaft bezeichnen, welcher sein Betrieb nach seiner Auffassung angehört.

Die untere Verwaltungsbehörde meldet aufgrund dieser Anzeige ─ in Ermangelung einer solchen nach ihrer Kenntnis der Verhältnisse ─ den Betrieb bei der vom [ Druckseite 170 ] Unternehmer bezeichneten eventuell bei der nach ihrem Urteil zuständigen Genossenschaft an.

2. Der Genossenschaftsvorstand gibt auf die Anmeldung eine schriftliche Erklärung ab, welche unter Bezeichnung des Betriebes die Mitgliedschaft anerkennt (Mitgliedsschein) oder ablehnt.

Die ablehnende Erklärung muß die Gründe der Ablehnung angeben.

Die Erklärung wird durch Vermittlung der unteren Verwaltungsbehörde dem Betriebsunternehmer zugestellt.

3. Gegen die Erklärung kann Beschwerde erhoben werden.

Die Beschwerde gegen die zulassende Erklärung kann nur darauf gegründet werden, daß der Betrieb einer anderen bestimmt zu bezeichnenden Genossenschaft angehöre oder daß der Betrieb überhaupt nicht versicherungspflichtig sei.

Über die Beschwerde entscheidet nach Anhörung der Vorstände der beteiligten Genossenschaften die höhere Verwaltungsbehörde.

XI. Versicherungsbeiträge

1. Die Mittel, deren die Genossenschaft zur Leistung der von ihr zu gewährenden Entschädigungen (vgl. V) sowie zur Bestreitung ihrer Verwaltungskosten bedarf, werden durch Beiträge der Mitglieder aufgebracht.

2. Die Beiträge werden halbjährlich nach dem Bedürfnis des abgelaufenen Rechnungshalbjahres auf die Mitglieder nach Maßgabe der in ihren Betrieben von den Versicherten verdienten Löhne und Gehälter umgelegt.

Die letzteren kommen dabei nur soweit in Anrechnung, als sie während der Beitragsperiode durchschnittlich für den Arbeitstag den Betrag von 4 Mark nicht übersteigen.

3. Jedes Mitglied der Genossenschaft hat binnen vier Wochen nach Ablauf des Rechnungshalbjahres dem Vorstande (Abteilungsvorstande) eine Nachweisung über die während dieses Zeitraums in seinem Betriebe beschäftigt gewesenen versicherten Personen und die von denselben verdienten Löhne und Gehälter, sowie eine Berechnung der bei Umlegung der Genossenschaftsbeiträge nach Nr. 2 Abs. 2 in Anrechnung zu bringenden Beträge der letzteren einzureichen. Leistet ein Mitglied dieser Verpflichtung nicht Genüge, so ist der in Anrechnung zu bringende Betrag der Löhne und Gehälter von dem Vorstande (Abteilungsvorstande) endgültig festzustellen.

4. Aufgrund des Gesamtbetrages der anrechnungsfähigen, in den Betrieben sämtlicher Genossenschaftsmitglieder verdienten Löhne und Gehälter werden die zur Deckung des Bedarfs erforderlichen Beiträge in Pfennigen von jeder Mark der anrechnungsfähigen Löhne und Gehälter vom Genossenschaftsvorstande festgesetzt.

Anmerkung: Für die Bemessung des durch Beiträge aufzubringenden “halbjährlichen Bedarfs” können zwei verschiedene Systeme in Frage kommen.

Entweder der Bedarf wird auf denjenigen Betrag beschränkt, welchen die Genossenschaft für das abgelaufene Halbjahr an fällig gewordenen und von der Postverwaltung ausgelegten Entschädigungsbeträgen zu erstatten hat, oder der Bedarf wird auf denjenigen Betrag bemessen, welcher erforderlich ist, um für die im abgelaufenen Halbjahre entstandenen Entschädigungsansprüche

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volle Deckung, d. h. diejenigen Summen zu beschaffen, welche erforderlich sind, um neben den einmaligen und vorübergehenden Leistungen auch die aufgrund der Entschädigungsansprüche zu leistenden fortlaufenden Renten bis zu ihrem Erlöschen zahlen zu können.5

Der Unterschied beider Systeme ist auf Seite 14 ff. des Berichts der XIII. Kommission des Reichstags über den Gesetzentwurf, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter (Drucks. Nr. 159) näher dargelegt.

Das erstere System hat den Vorzug, daß die Bemessung des Bedarfs sich ohne alle Schwierigkeit aus der Abrechnung der Postverwaltung unter Hinzurechnung der Verwaltungskosten ergeben würde6 und daß die volle, aus der Unfallversicherung sich ergebende Belastung erst nach Ablauf einer gewissen Reihe von Jahren eintreten würde. Dagegen hat es den Nachteil, daß nach7 Eintritt des Beharrungszustandes höhere Beiträge8 wie bei dem ersteren Systeme erforderlich werden, und daß die entstehenden Verpflichtungen nicht von den gegenwärtig vorhandenen Beteiligten, sondern von den mit diesen vielleicht nicht identischen künftigen Mitgliedern der Genossenschaft zu tragen sein würden9, sowie daß Abänderungen in der Zusammensetzung der Genossenschaften durch das Vorhandensein von Entschädigungsansprüchen, für welche keine Deckung vorhanden, erschwert werden würde.

Bei Annahme des zweiten Systems würden diese Schwierigkeiten wegfallen. Dagegen würde die Ermittlung des Halbjahrsbedarfs zu einer schwierigen Aufgabe werden, zu deren Lösung die Genossenschaften nur durch die gesetzliche Bestimmung befähigt werden könnten, daß die Ermittlung der Deckungskapitalien für die einzelnen Renten (Invalidenrenten, Witwenrenten, Waisenrenten) nach einfach anzuwendenden, zu diesem Zwecke herzustellenden Tabellen zu erfolgen habe.

Ebenso müßten in diesem Falle Vorschriften über die Belegung der von den Genossenschaften anzusammelnden Reserven erlassen werden.

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XII. Besondere Befugnisse der Genossenschaften gegenüber ihren Mitgliedern

1. Durch das Statut kann der Generalversammlung oder dem Vorstande die Befugnis eingeräumt werden, Vorschriften über die von den Mitgliedern zur Verhütung von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen zu erlassen und Verstöße gegen diese Vorschriften mit Geldstrafen oder Strafzuschlägen zu den Beiträgen zu ahnden. Die Vorschriften bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde.

2. Gleicherweise kann der Generalversammlung oder dem Vorstande die Befugnis eingeräumt werden, zur Verhütung von Unfällen in den Betrieben der Genossenschaftsmitglieder Vorschriften über das Verhalten der darin beschäftigten Arbeiter zu erlassen und Verstöße gegen dieselben mit Geldstrafen zu bedrohen.

Die Vorschriften bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde und müssen, bevor sie zur Erwirkung derselben vorgelegt werden, einem von der Delegiertenversammlung der Arbeiter zu diesem Zwecke zu wählenden Ausschusse zur schriftlichen Erklärung mitgeteilt werden. Diese Erklärung ist der Aufsichtsbehörde mit vorzulegen.

Die verwirkten Geldstrafen fließen, nach Maßgabe der hierüber in dem Genossenschaftsstatut zu treffenden näheren Bestimmungen, in die Krankenkassen, welchen die Arbeiter des Betriebes, in welchem die Übertretung vorgekommen ist, angehören.

3. Die Genossenschaften sind befugt, durch Beauftragte die Befolgung der nach Maßgabe der Nr. 1 und 2 erlassenen Vorschriften zu überwachen, von den Einrichtungen der Betriebe, soweit sie für die Zugehörigkeit zur Genossenschaft von Bedeutung sind, Kenntnis zu nehmen und behufs Prüfung der nach XI Nr. 3 einzureichenden Nachweisungen die Geschäftsbücher und Listen einzusehen, aus welchen die verdienten Löhne und Gehälter ersichtlich sind.

Namen und Wohnsitz derjenigen Beauftragten, welche mit der Überwachung der Befolgung der nach Nr. 1 und 2 erlassenen Vorschriften betraut sind, müssen den höheren Verwaltungsbehörden, auf deren Bezirk sich ihre Tätigkeit erstreckt, angezeigt werden.

Die Beauftragten sind verpflichtet, den nach Maßgabe des § 139 b der Gewerbeordnung bestellten staatlichen Aufsichtsbeamten auf Erfordern über ihre Überwachungstätigkeit und deren Ergebnisse Mitteilung zu machen.

4. Rückständige Beiträge der Genossenschaftsmitglieder, sowie Kosten, welche dieselben der Genossenschaft zu erstatten haben, und Strafen, welche von den Genossenschaftsmitgliedern oder den in ihren Betrieben beschäftigten Versicherten verwirkt werden, sind in derselben Weise wie Gemeindeabgaben beizutreiben.

XIII. Das Unfallmeldewesen, die Untersuchung der Unfälle, die Mitwirkung der Polizeibehörden bei Ermittlung der für die Feststellung der Entschädigung in Betracht kommenden Tatsachen, die Verantwortlichkeit des Unternehmers bei Unfällen, welche er durch grobes Verschulden herbeigeführt hat, werden in analoger Weise geregelt, wie es in dem vom Reichstag beratenen Gesetzentwurfe vorgesehen war.

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Registerinformationen

Personen

  • Beutner, George F. (1829─1893) Geschäftsführer des Zentralverbands deutscher Industrieller
  • Bismarck, Wilhelm Graf von (1852─1901) Regierungsrat in der Reichskanzlei
  • 1BArchP 15.01 Nr. 382, fol. 177─179 Rs. (Druckfahne), eigenhändiger Entwurf Theodor Lohmanns auf der Grundlage des Entwurfs vom 17.2.1882 (Nr. 41) unter nahezu wörtlicher Übernahme der Bismarckschen Abänderungen/Direktiven unter I., IV., VI. u. IX, mit Abschnittsüberschriften von Bosse: ebd., fol. 164─176; zur Form der Grundzüge vgl. Nr. 43. Auf diese “Grundzüge” dürfte sich folgende Stelle eines Briefes des Grafen Wilhelm v. Bismarck (aus Varzin) an v. Rottenburg (nach Berlin) vom 23.3.1882 beziehen: Vielen Dank für die beiden eingegangenen Briefe. Den Unfall hat uns Boetticher schon geschickt. Sie bekommen ihn deshalb zurück. (BArchP 07.01 Nr. 2306, fol. 5). Im übrigen geht daraus hervor, daß B. zu dieser Zeit immer noch leidend war und ihm verschiedene andere Ressortangelegenheiten ziemlich wurscht waren. »
  • 2Diese Versicherungspflichtgrenze entspricht der im sog. Urentwurf der zweiten Unfallversicherungsvorlage vom 5.12.1881 und Bismarcks Marginalbemerkung dazu (Nr. 27). »
  • 3Gemeint ist die erste Unfallversicherungsvorlage vom 8.3.1881 (Sten.Ber.RT, 4. LP, IV. Sess. 1881, Bd. 3, Aktenstück Nr. 41). »
  • 4BArchP 15.01 Nr. 797, fol. 216─221; diese wurden am 28.2.1882 erstellt (gedruckt: 2.3.1882). »
  • 5Anläßlich der Durchsicht der “Zusammenstellung der Beschlüsse des Volkswirtschaftsrates” ─ also nach dem 27.3.1884 ─ (vgl. Nr. 47), hat Bismarck in den dort erneut (zum Vergleich) abgedruckten “Grundzügen” die hier eingerückt abgedruckten Absätze durchgestrichen. In dieser Zusammenstellung hat B. auch die nachfolgenden Unterstreichungen vorgenommen. »
  • 6Auf dem Abdruck ist der vorstehende Halbsatz am Rande angestrichen. »
  • 7Auf dem Abdruck von B. doppelt unterstrichen. »
  • 8Auf dem Abdruck von B. unterstrichen. »
  • 9Auf dem Abdruck dieser “Grundzüge” auf der “Zusammenstellung der Beschlüsse des Volkswirtschaftsrats” (Nr. 47) bemerkte Bismarck hier: Die Gesamtleistung wird dieselbe bleiben, die später leichter zu tragen. Der Wechsel der Individuen ist irrelevant, findet in allen staatlichen Verhältnissen statt. Die Corporation, moral(ische) Person, ist permanent wie der Staat; vgl. dazu auch die von G. F. Beutner überlieferte Äußerung Bismarcks, daß die korporativen Verbände nicht sterben (vgl. Nr. 26 Anm. 4). “Moralische Person” ist der im preuß. Allg. Landrecht von 1794 (z. B. I, 14 § 174; I, 23 § 3; II, 18 § 115) und in der preuß. Allg. Gerichtsordnung von 1793 (1795) gebrauchte Terminus für juristische Personen; “moralisch” wird dabei ─ entsprechend einem Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts ─ für das Transzendente, d. h. alles, was über das Natürliche hinausgeht, verwendet. In seinem Erlaß vom 27.3.1882 entwickelte B. (oder sein Sohn Wilhelm?) dann diesen Gedanken weiter (vgl. Nr. 48); zum Verhältnis der Gegenwart zur Zukunft vgl. auch die offziöse Stellungnahme in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung v. 9.4.1884 (Nr. 159) u. Bismarck Rede vom 15.3.1884 (Nr. 148). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 44, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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