II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 43

1882 Februar 27

Bericht1 des bayerischen Gesandten in Berlin Hugo Graf von und zu Lerchenfeld-Koefering an den bayerischen Staatsminister des königlichen Hauses und Außenminister Krafft Freiherr von Crailsheim

Entwurf, Teildruck

[Der Staatssekretär des Innern, Karl Heinrich von Boetticher, hat vorgeschlagen, die zweite Unfallversicherungsvorlage zunächst in Form von “Grundzügen” an den Volkswirtschaftsrat gelangen zu lassen]

[...] Wie ich E[uer] Exz[ellenz] bereits geh[orsamst] angezeigt habe, wird sodann auch der neue Entwurf für ein Unfallversicherungsgesetz an die Versammlung2 gelangen, jedoch vorausssichtlich nicht in extenso, sondern nur in Form von Grundzügen3, oder richtiger in Form von Fragen, welche über einzelne Grundzüge an die Versammlung zur Debatte u. Beantwortung gestellt werden. Dieser modus procedendi wurde von H[errn] v. Boetticher vorgeschlagen u. vom Reichskanzler u. dem Staatsministerium genehmigt.4 Nach Ansicht Herrn Boettichers empfiehlt es [sich] aus verschiedenen Gründen, einmal weil vermieden wird, daß die Diskussion sich zu sehr versplittert u. daß an vielen Teilen des Entwurfs Änderungen vorgenommen werden, die dann nur schwer mit dem Ganzen wieder in Einklang zu bringen sind u. ferner, weil diese Art der Vorlage der Regierung ihre schließliche Stellungnahme am besten wahre. “Legen wir den ganzen Entwurf vor”, sagte mir Herr von Boetticher, “so müssen wir ihn vertreten, während wenn wir nur fragen, so können wir die eigene Ansicht zweifelhaft lassen. Fördert die Diskussion über unsere Fragen neue brauchbare Gesichtspunkte zutage oder erscheint die Kritik zutreffend, so können wir das Ergebnis nach Ermessen bei einer nochmaligen Umarbeitung des Entwurfs verwerten.” In diesem speziellen Fall schien übrigens der gewählte Weg wohl auch deshalb geboten, weil das preußische Staatsministerium selbst noch nicht in der Lage war, zum Entwurf Stellung zu nehmen. Wie ich E. Exz. gleichfalls schon zu berichten die Ehre hatte5, ist nämlich das Lohmannsche Elaborat6 zwei Monate lang dem Reichskanzler vorgelegen, ohne daß derselbe es prüfen konnte, da sein sehr leidender Zustand ihm dies unmöglich machte.7 ─ Ge-

[ Druckseite 166 ]

stern kam nun der Entwurf an das Reichsamt des Innern8 zurück mit dem Auftrag, den Volkswirtschaftsrat in der angegebenen Weise9 darüber zu befragen. [...]

Registerinformationen

Personen

  • Bismarck, Wilhelm Graf von (1852─1901) Regierungsrat in der Reichskanzlei
  • Bosse, Robert (1832─1901) Direktor der II. Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten im Reichsamt des Innern
  • Magdeburg, Eduard (1844─1932) Geh. Regierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Rottenburg, Dr. Franz von (1845─1907) Geheimer Regierungsrat, Chef der Reichskanzlei
  • 1BayHStA Bayerische Gesandtschaft Berlin 1052, n. fol. »
  • 2Gemeint ist der preußische Volkswirtschaftsrat, der zum 28.2.1882 einberufen war. »
  • 3Vgl. zur Form der Grundzüge auch den Brief v. Heykings an Schäffle vom 3.3.1881: In dem gegenwärtigen Stadium der Unfertigkeit des Gesetzentwurfs und des Zweifels hinsichtlich der wichtigsten Punkte ist der gewählte Weg jedenfalls der einzige, um die Glieder des Volkswirtschaftsrats und die übrige “Öffentlichkeit” nicht über ein schlecht vorbereitetes Projekt zu Gericht sitzen zu lassen. (Albert Schäffle, Aus meinem Leben, Bd. 2, S. 179) »
  • 4Vgl. das Sitzungsprotokoll v. 22.2.1882 (GStA Dahlem Rep. 90a B III 2b Nr. 6, Bd. 94, fol. 60). »
  • 5Vgl. Nr. 38. »
  • 6Vgl. Nr. 27. »
  • 7Vgl. Nr. 47 Anm. 2; allerdings hatte Graf Lerchenfeld-Koefering am 15.1.1882 von einer ersten Durchsicht und Einwendungen Bismarcks berichtet (Nr. 38). »
  • 8Damit kann sowohl das “Lohmannsche Elaborat” (Nr. 27) wie auch der wohl auf Magdeburg zurückgehende Entwurf (Nr. 41) gemeint sein. Da Bismarck zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin amtierte, ist eine persönliche Übergabe (von Heyking?) an v. Boetticher und Bosse denkbar. »
  • 9Also entsprechend dem Entwurf vom 17.2.1882 (Nr. 41) mit den Abänderungen Bismarcks als Direktive? »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 43, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0043

Nachnutzung: Digitale Quellensammlung und Forschungsdaten stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC-BY 4.0) Lizenz. Weiterverwendung unter Namensnennung und Angabe des Permalinks.