II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 37

1882 Januar 10

Entwurf eines Unfallentschädigungsgesetzes1 der Reichstagsmitglieder Dr. Franz Armand Buhl2 und Genossen3

Druck, Teildruck

[Privatrechtliche Lösung mittels erweiterter Haftpflicht (Gefährdungshaftung dem Grunde nach bis zur Vorsatzgrenze, aber mit Haftungsbegrenzung der Höhe nach: Haftungsausschluß bei Vorsatz des (geschädigten) Arbeiters und Haftungserweiterung; Beibehaltung des Prinzips des vollen Schadenersatzes bei Vorsatz des Unternehmers), Zulassung von Privatversicherungsanstalten, Normativbestimmungen und Sicherheitsbestellung, d. h. in Aussicht gestellter Versicherungszwang]

Der Reichstag wolle beschließen4: dem nachfolgenden Gesetzentwurfe die verfassungsmäßige Zustimmung zu geben:

[ Druckseite 145 ]

Gesetz, betreffend die Entschädigung bei Unfällen und die Unfallversicherung der Arbeiter

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt:

I. Abschnitt: Allgemeine Grundsätze

§ 1

Wenn durch Unfall bei dem Betrieb einer der im folgenden Paragraphen genannten Unternehmungen ein darin beschäftigter Arbeiter oder Beamter getötet oder körperlich verletzt wird, so ahat hierfür der Unternehmer Entschädigung nach Maßgabe dieses Gesetzes zu gewährena.

Für die sich hieraus ergebende Verpflichtung hat der Unternehmer Sicherheit zu bestellen.

Die Sicherheitsbestellung erfolgt, vorbehaltlich der im dritten Abschnitt enthaltenen Bestimmungen, durch die von dem Unternehmer zu bewirkende Gesamtversicherung aller in seinem Unternehmen beschäftigten Arbeiter und Beamten.

§ 2

Die Unternehmungen, auf welche sich dieses Gesetz bezieht, sind:

1. Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüche, Gräbereien und Gruben, Hütten- und Walzwerke, Fabriken;

2. Werften, gewerbsmäßiger Baubetrieb in Bauhöfen und an Bauten;

3. gewerbsmäßige Herstellung von Farben, Chemikalien und Explosivstoffen;

4. gewerbsmäßige Beförderung von Personen oder Gütern zu Wasser oder zu Lande;

5. gewerbliche, forstwirtschaftliche und landwirtschaftliche Unternehmungen, soweit darin dauernd oder vorübergehend ein durch elementare Kräfte bewegtes Triebwerk oder ein Dampfkessel zur Verwendung kommt.

[ Druckseite 146 ]

Für solche Arten von Unternehmungen, deren Betrieb mit Unfallsgefahr für die darin beschäftigten Personen nicht verknüpft ist, kann durch Beschluß des Bundesrats die Verpflichtung zur Sicherheitsbestellung ausgeschlossen werden.

§ 3

Als Unternehmer gilt die Person oder die Vereinigung von Personen, für deren Rechnung das Geschäft betrieben wird.

Für Bauarbeiten gilt als Unternehmer derjenige, welcher die Ausführung der Bauarbeiten für eigene Rechnung bewerkstelligt. War ihm die Ausführung von einem anderen Unternehmer überlassen, so ist letzterer für die Erfüllung der dem Unternehmer durch dieses Gesetz auferlegten Verpflichtungen subsidiär verantwortlich.

II. Abschnitt: Von der Entschädigung

§ 4

Die Entschädigung in den Fällen des ersten Abschnittes erfolgt ausschließlich nach Maßgabe folgender Bestimmungen.

§ 5

Die Entschädigung soll im Falle der Verletzung bestehen:

1. in den Kosten des Heilverfahrens;

2. in einer dem Verletzten für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Rente.

Dieselbe ist nach Maßgabe desjenigen Arbeitsverdienstes zu bemessen, welchen Arbeiter derselben Art in demselben Betriebe oder in gleichartigen Betrieben nach den örtlichen Verhältnissen regelmäßig beziehen. Übersteigt dieser Arbeitsverdienst 2 000 M jährlich, so bleibt der Mehrbetrag außer Berechnung.

Personen, welche wegen noch nicht beendeter Ausbildung keinen oder einen niedrigeren Arbeitsverdienst beziehen, sind dabei mit dem niedrigsten Betrage des Arbeitsverdienstes vollgelohnter Arbeiter derjenigen Beschäftigung, für welche die Ausbildung erfolgt, jedoch höchstens mit einem Jahresarbeitsverdienst von 600 M in Ansatz zu bringen.

Die Rente beträgt:

a) im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit und für die Dauer derselben 66 2/3 Prozent des Arbeitsverdienstes;

b) im Falle der teilweisen Erwerbsunfähigkeit und für die Dauer derselben einen Bruchteil der Rente unter a, welcher nach dem Maße der verbliebenen Erwerbsfähigkeit zu bemessen ist.

§ 6

Die Entschädigung soll für den Fall der Tötung bestehen:

1. im Ersatz der ortsüblichen Beerdigungskosten;

2. im Ersatz der auf das Heilverfahren aufgewendeten Kosten und in einer für die Zeit der Krankheit zu gewährenden, nach den Vorschriften des § 5 zu berechnenden Rente; [ Druckseite 147 ] 3. in einer den Hinterbliebenen des Getöteten vom Todestage an zu gewährenden Rente.

Dieselbe beträgt:

a) für die Witwe bis zu deren Tode oder Wiederverheiratung 20 Prozent, für jedes hinterbliebene vaterlose Kind bis zu dessen zurückgelegtem 15. Lebensjahre 10 Prozent des Arbeitsverdienstes, wenn das Kind auch mutterlos ist oder wird, 15 Prozent des Arbeitsverdienstes.

Die Renten der Witwe und der Kinder dürfen zusammen 50 Prozent des Arbeitsverdienstes nicht übersteigen; ergibt sich ein höherer Betrag, so werden die einzelnen Raten in gleichen Verhältnissen gekürzt.

Der Anspruch der Witwe ist ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach dem Unfall geschlossen worden ist;

b) für Aszendenten des Verstorbenen, wenn dieser ihr einziger Ernährer war, für die Zeit bis zu ihrem Tode oder bis zum Wegfall der Bedürftigkeit zusammen 20 Prozent des Arbeitsverdienstes. Wenn mehrere Berechtigte vorhanden sind, so wird die Rente den Eltern vor den Großeltern, den männlichen Berechtigten vor den weiblichen gewährt.

Wenn die unter b bezeichneten mit den unter a bezeichneten Berechtigten konkurrieren, so haben die ersteren einen Anspruch nur, soweit für die letzteren der unter a bezeichnete Höchstbetrag der Rente nicht in Anspruch genommen wird.

§ 7

Dem Verletzten und seinen Hinterbliebenen steht ein Anspruch in Gemäßheit dieses Gesetzes nicht zu, wenn der Verletzte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat.

§ 8

Ist der Unfall durch Vorsatz des Unternehmers oder im Falle seiner Handlungsunfähigkeit durch Vorsatz seines Vertreters oder dadurch herbeigeführt, daß eine für die Betriebsanlage gesetzlich vorgeschriebene, zur Sicherheit dienende Einrichtung unterlassen ist, so bleibt der Unternehmer nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften für den vollen Schaden verhaftet, auch soweit derselbe die nach Maßgabe dieses Gesetzes festgesetzte Entschädigung übersteigt.

In gleicher Weise haften Aktiengesellschaften, eingetragene Genossenschaften und Handelsgesellschaften, wenn der Unfall durch ein Mitglied ihres Vorstandes oder einen der Liquidatoren vorsätzlich oder durch die im Absatz 1 bezeichnete Unterlassung herbeigeführt ist.

Die Haftung eines Dritten, welcher den Unfall vorsätzlich oder durch Verschulden verursacht hat, bestimmt sich nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften.

III. Abschnitt: Von der Sicherheitsbestellung

§ 9

Die nach § 1 dem Unternehmer obliegende Versicherung ist wegen aller aus diesem Gesetze sich ergebenden Verpflichtungen bei einer zu diesem Zwecke im deut-

[ Druckseite 148 ]

schen Reiche zugelassenen Versicherungsanstalt (Genossenschaft oder sonstigen Versicherungsgesellschaft) zu bewirken.

Die Versicherung ist bei Beginn des Unternehmens beziehungsweise bei Einführung des Triebwerks oder Aufstellung des Dampfkessels nachzuweisen.

§ 10

Durch Reichsgesetz werden die Normativbestimmungen5 festgesetzt, unter denen eine Versicherungsanstalt mit der im § 1 bezeichneten Wirkung zuzulassen ist.

Bis zum Erlaß dieses Gesetzes entscheidet der Bundesrat über die Zulassung mit folgender Maßgabe.

Zuzulassen ist eine Versicherungsanstalt, welche

a) alle Unternehmen der Betriebskategorien beziehungsweise der Bezirke, für welche die Versicherungsanstalt errichtet ist, unter den in den Statuten vorgesehenen Bedingungen in Versicherung nimmt;

b) für jede festgestellte Rente das zur Deckung erforderliche Kapital bei der von dem Bundesrat hierfür bestimmten Stelle zu hinterlegen und bei eintretenden Veränderungen bis zur Sicherheitshöhe zu ergänzen sich verpflichtet; [ Druckseite 149 ] c) aden Nachweis fuhrt, daß die Anstalt für die ihr obliegenden Verpflichtungen in finanzieller Hinsicht Gewähr bietet, und der Aufsicht hierüber, nach den hierfür zu erlassenden Bestimmungen der Zentrallandesbehörde sich unterwirft.a

§ 11

Die Versicherung muß von dem Unternehmer auf eine bestimmte, je mit einem Kalenderjahr ablaufende Zeitdauer und unbedingt abgeschlossen werden.

Die Gesamtversicherung aller Entschädigungen, welche bei Erwerbsunfähigkeit von nicht länger als vier Wochen zu leisten sind, kann bei einer besonderen Versicherungsanstalt oder bei derselben Versicherungsanstalt unter besonderen Bedingungen erfolgen.

Die abgeschlossene Versicherung bleibt, solange das Unternehmen betrieben wird, innerhalb der bei Abschluß der Versicherung festgesetzten Zeitdauer zugunsten der Entschädigungsberechtigten in voller Wirksamkeit. Bei Nichterfüllung der Versicherungsbedingungen seitens des Unternehmers steht der Versicherungsanstalt nur das Recht zu, Erfüllung und Ersatz des durch Nichterfüllung entstandenen Schadens von dem Unternehmer zu fordern.

Verträge jeder Art, welche die abgeschlossene Versicherung einschränken oder aufheben, sind nichtig.

§ 12

Die Betriebsverwaltungen des Reichs, eines Bundesstaates oder eines Kommunalverbandes sind von der Versicherungspflicht befreit.

In gleicher Weise sind die nach § 3 nur subsidiär verpflichteten Unternehmer von Bauarbeiten von der Versicherungspflicht befreit.

Für die Fälle, in welchen der Unternehmer eine nach Maßgabe der §§ 1 und 9 genügende Versicherung nicht nehmen kann oder nicht nehmen will, ist vorschriftsmäßige Sicherheit zu bestellen und, daß dies geschehen, der unteren Verwaltungsbehörde des Bezirks, in welchem der Betrieb gelegen ist, nachzuweisen. Der Bundesrat erläßt die allgemeinen Bestimmungen über die Art und Höhe, in welcher diese Sicherheitsbestellung zu erfolgen hat.

§ 13

Der Unternehmer hat die erfolgte Sicherheitsbestellung beim Beginn des Unternehmens und im Falle der nach § 11 erfolgten Versicherung bei dem jedesmaligen Ablauf der Versicherungsfrist der unteren Verwaltungsbehörde des Bezirks, in welchem der Betrieb gelegen ist, nachzuweisen.

§ 14

Die zuständige Behörde ist befugt, den vorschriftsmäßigen Nachweis der Sicherstellung durch Geldstrafe bis zu 500 Mark zu erzwingen; die Festsetzung der Strafe erfolgt nach schriftlicher Androhung. Die Festsetzung der Strafe kann wiederholt werden.

Unter Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde kann der Betrieb nach schriftlich erfolgter Androhung wegen versäumten oder ungenügenden Nachweises untersagt werden.

[ Druckseite 150 ]

Die Art, in welcher der Nachweis zu fuhren und bei jedesmaliger Veränderung zu ergänzen ist, wird durch Reichsgesetz und bis zum Erlaß dieses Gesetzes durch eine vom Kaiser unter Zustimmung des Bundesrats zu erlassende Verordnung bestimmt.

IV. Abschnitt: Über die Anzeige der Unfälle und die Untersuchung des Tatbestandes

[...]

V. Abschnitt: Über Feststellung der Entschädigung und Geltendmachung der Rechte

§ 20

Nach erfolgter Feststellung des Tatbestandes hat der Unfallkommissar zunächst den nach Maßgabe dieses Gesetzes zu gewährenden Schadenersatz zu ermitteln und die Einigung der Beteiligten hierüber zu versuchen.

Über das Ergebnis dieser Verhandlung hat der Unfallkommissar ein besonderes von den Beteiligten zu unterzeichnendes Protokoll aufzunehmen und im Fall der Einigung jedem der Beteiligten eine von ihm zu beglaubigende Abschrift zu erteilen.

Aufgrund des Protokolls über die erfolgte Einigung kann die Zwangsvollstreckung wie aus einem rechtskräftigen Urteil nachgesucht werden. Die Vollstreckungsklausel ist auf Antrag von dem Amtsgericht zu erteilen, in dessen Bezirk der Unfall sich ereignet hat. Die Vorschriften im § 705 der Zivilprozeßordnung finden entsprechende Anwendung.

§ 21

Das Verfahren vor dem Unfallkommissar sowie die hierüber aufgenommenen Urkunden sind gebühren- und stempelfrei.

§ 22

Findet eine Einigung nicht statt, so überreicht der Unfallkommissar die geführten Verhandlungen an das Amtsgericht, welches nach Anhörung der Beteiligten durch einstweilige Verfügung anordnet, ob und in welcher Höhe Entschädigung an den Verletzten oder an die Hinterbliebenen des Getöteten zu leisten sei.

Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Unfall sich ereignet hat. Die Verfügung ist sofort vollstreckbar und kann nur durch Klageerhebung bei dem nach der Zivilprozeßordnung zuständigen Gericht angefochten werden. Die Anfechtung hebt die Vollstreckbarkeit nicht auf. [...]

§ 25

Die nach Maßgabe dieses Gesetzes zu entschädigenden Personen oder deren Hinterbliebene sind aufgrund der in ihrem Interesse bewirkten Versicherung oder Sicherstellung zur Klage und Zahlungsannahme kraft eigenen Rechts befugt.

[ Druckseite 151 ]

VI. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen [...]

§ 27

Der Verpflichtete kann jederzeit die Aufhebung oder Minderung der Rente fordern, wenn diejenigen Voraussetzungen oder Verhältnisse, welche die Zubilligung der Rente und deren Höhe bedingt hatten, inzwischen weggefallen sind oder sich wesentlich geändert haben.

Ebenso kann von seiten des Berechtigten, sofern sein Anspruch auf Schadenersatz innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemacht worden ist, jederzeit die Erhöhung oder Wiedergewährung der Rente gefordert werden, wenn die Voraussetzungen oder Verhältnisse, welche für Aufhebung, Minderung oder Feststellung der Rente maßgebend waren, weggefallen sind oder sich wesentlich geändert haben. [...]

§ 29

Die Unternehmer und die Versicherungsanstalten sind nicht befugt, die in diesem Gesetze enthaltenen Bestimmungen zu ihrem Vorteile im voraus auszuschließen oder zu beschränken.

Vertragsbestimmungen sowie jede andere Übereinkunft, welche dieser Vorschrift zuwiderlaufen, haben keine rechtliche Wirksamkeit.

§ 30

Die Forderungen auf Schadenersatz verjähren in zwei Jahren vom Tage des Unfalls gerechnet.

Gegen denjenigen, welchen der Getötete Unterhalt zu gewähren hatte, beginnt die Verjährungsfrist mit dem Todestage des letzteren.

Das Recht zur Anfechtung der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts (§ 22) verjährt in zwei Jahren vom Tage der Zustellung an gerechnet.

Die Verjährung läuft auch gegen Minderjährige und diesen gleichgestellte Personen, mit Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.6

[ Druckseite 152 ]

Registerinformationen

Personen

  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Crailsheim, Krafft Frhr. von (1841─1926) bayer. Außenminister
  • Friedrich Wilhelm (Friedrich III.) (1831-1881) Kronprinz (Deutscher Kaiser und König von Preußen)
  • Heyking, Edmund Freiherr von (1850─1915) Legationsrat im Auswärtigen Amt
  • Lerchenfeld-Koefering, Hugo Graf von und zu (1843─1925) bayer. Gesandter in Berlin
  • Lohmann, Theodor (1831─1905) Geheimer Oberregierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Schäffle, Dr. Albert (1831─1903) Nationalökonom, ehem. österr. Handelsminister
  • 1Sten.Ber.RT, 5. LP, I. Sess. 1881/82, Bd. 2, Nr. 66. Ein Exemplar ist auch enthalten in den Akten der Reichskanzlei (BArchP 07.01 Nr. 508) und von Bismarck mit Vortragsvermerk für v. Rottenburg sowie Erledigungsvermerk versehen, die Unterstreichungen in diesem Exemplar sind hier durch a-a gekennzeichnet. »
  • 2Dr. Franz Armand Buhl (1837─1896), Gutsbesitzer, seit 1871 MdR (nationalliberal). »
  • 3Mitunterzeichner des Antrags waren: Artur Eysoldt, Dr. Albert Hänel, Dr. Max Hirsch, Moritz Klotz, Ludwig Löwe (jew. Fortschritt), Eduard Eberty, Dr. Egidi Gutfleisch, Dr. Eduard Lasker, Heinrich Rickert, Karl Schrader (jew. Liberale Vereinigung), Wilhelm Oechelhäuser und Dr. Julius Petersen (jew. nationalliberal). Der Kronprinz Friedrich Wilhelm trug dazu in sein Tagebuch ein: Heute ist seitens der drei liberalen Fraktionen ein gemeinsam ausgearbeiteter Gesetzentwurf betreffend die Entschädigung bei Unfällen und die Unfallversicherung der Arbeiter beim Reichstage eingebracht worden. Weitere Ausdehnungen der Haftpflicht auf eine Reihe von Arbeiterkategorien, für welche dieselbe bisher nicht in Geltung war, fernere Anwendung dieser Haftpflicht auch auf solche Unglücksfälle, bei welchen ein gewisser Grad der Verschuldung des Arbeiters nicht ausgeschlossen ist. Beseitigung der Karenzzeit, zwangsweise Sicherstellung der Zahlung im Wege der Versicherung oder in einer anderen Sicherheitsstellung, welche einer Hinterlegung (im juristischen Sinne des Worts) gleichkommt. Es ist Vorsorge getroffen, daß der Arbeiter sofort in den Genuß der Entschädigung treten kann, ohne erst durch langwierige Prozesse dieselben erstreiten zu müssen, indem eine Art ‘sofort vollstreckbaren Interimisticum’ geschaffen würde. (GStA Dahlem (M) HA Rep. 52 F 1 Nr. 7v). »
  • 4Am 12.1.1882 berichtete der Staatssekretär des Innern Karl-Heinrich von Boetticher an Bismarck aus dem Reichstag, daß auf Anbringen der Liberalen, welchen der Präsident nachgeben zu müssen glaubt, übermorgen der von denselben eingebrachte Unfallversicherungsgesetzentwurf auf die Tagesordnung gesetzt werden würde (Bismarck-Archiv Friedrichsruh B18, n.fol.). »
  • 5Vgl. dazu die Kritik Theodor Lohmanns im Reichstag: Abgesehen davon, glaube ich hier aber erinnern zu müssen an eine Tatsache, die ich auch in der vorigen Session bei Gelegenheit der Diskussion über die Zulassung von Privatgesellschaften hier hervorgehoben habe, nämlich die Tatsache, daß wohl schwerlich Versicherungsanstalten, wie sie heutzutage bestehen, sich darauf einlassen würden, ihren Betrieb fortzusetzen unter denjenigen Voraussetzungen, die wenigstens nach dem Vortrag des Herrn Vorredners in die Normativbestimmungen aufzunehmen sein würden. Ich bemerke in dieser Beziehung, daß die Magdeburger Versicherungsaktiengesellschaft, welche sich mit der Unfallversicherung und verschiedenen anderen Versicherungszweigen beschäftigt, in einem gewissen Stadium der Verhandlungen über den vorjährigen Gesetzentwurf eine Eingabe hierher hat gelangen lassen, wodurch sie dem Entwurf begegnen wollte, daß sich die Versicherungsgesellschaften solche Normativbestimmungen nicht würden gefallen lassen. Aus dieser Eingabe geht aber auch hervor, was die Gesellschaften unter solchen Normativbestimmungen verstehen, und was sie als unerträglich ihrerseits betrachten. Es heißt nämlich in dieser Eingabe: Sollte jedoch dieser Antrag nicht die Zustimmung des Reichstags finden, ─ daß nämlich nur eine weitere Ausbildung des Haftpflichtgesetzes stattfinde ─, so müssen wir denjenigen Herren vollständig beistimmen, welche die Ansicht ausgesprochen haben, daß ohne Errichtung von Reichs- oder Staatsanstalten der Versicherungszwang nicht durchführbar sei; denn es ist zweifellos richtig, daß man die betreffenden Unternehmer nicht zwingen kann, bei Privatanstalten zu versichern, wenn man nicht gleichzeitig den letzteren die Versicherungsbedingungen, Prämientarife, Schadenregulierungsverfahren usw. bis aufs speziellste vorschreiben wollte, und hierzu würden sich die Privatgesellschaften natürlich nicht verstehen können. Meine Herren, ich weiß nicht, mit welcher Aussicht auf Erfolg die Normativbestimmungen, die übrigens bis jetzt noch nicht formuliert sind, in das Gesetz aufgenommen werden sollen, ob von dem Gesetz ein Erfolg zu erwarten ist, wenn die berufenen Vertreter der Versicherungsanstalten erklären: mit solchen Normativbestimmungen, wie sie hier für nötig gehalten werden, können wir nicht marschieren. (Sten.Ber.RT, 5. LP, I. Sess. 1881/82, S. 729 f.) »
  • 6Der Kronprinz Friedrich Wilhelm notierte in seinem Tagebuch am 18.1.1882: Heute ward der liberale Gesetzentwurfsvorschlag über das “Haftpflichtgesetz” im Reichstage an eine Kommission verwiesen. Die Hauptsache bleibt aber trotzdem bestehen, daß jener liberale Antrag die Überzeugung erweckte, hiermit sei eine Grundlage gegeben, auf welcher sich mit Erfolg weiterbauen läßt. Klar und deutlich wollen die echten Liberalen in Form des Gesetzes die Sicherstellung des Arbeiters gegen Gefahren für Leben und Gesundheit beim Arbeitsbetriebe durch zweckentsprechende Ausbildung der Haftpflicht und seine Verbindung mit dem Versicherungswesen erreichen, und zwar unter Ausschluß der Staatsunterstützung bei Abwälzung eines Teils der Haftpflicht auf die Arbeiter selbst. Es soll vor allem der Weg gezeigt werden, auf welchem Regierung und Volksvertretung eine Verständigung finden können, da sich erwies, daß erstere auf dem von ihr vorgeschlagenen Wege eine solche nicht zu erreichen vermag. Scheinbar bietet Bismarck mehr, in Wirklichkeit aber sind seine Wege nicht durchführbar, ebenso wie die der Sozialdemokratie, während obiger Antrag der Gerechtigkeit entspricht, so engbegrenzt auch seine Ziele erscheinen mögen (GStA Dahlem (M) HA Rep. 52 F 1 Nr. 7 v). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 37, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0037

Nachnutzung: Digitale Quellensammlung und Forschungsdaten stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC-BY 4.0) Lizenz. Weiterverwendung unter Namensnennung und Angabe des Permalinks.