II. Abteilung, Band 1

Nr. 107

1890 Januar 20

Bericht1 des Gesandten Dr. Wilhelm Graf von Hohenthal und Bergen an den sächsischen Außenminister Alfred Graf von Fabrice

Ausfertigung

Sachsen kann sich bei der Ausarbeitung seines Arbeiterschutzantrags nicht auf Materialien aus dem Reichsamt des Innern stützen, die Karl Hofmann beseitigt hat; der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach will den sächsischen Antrag unterstützen

Eure Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an meinen Bericht Nr. 19 vom 15. d. M.2 ganz gehorsamst anzuzeigen, daß die in demselben erwähnte, von Herrn von Boetticher angeordnete Nachforschung nach Material, welches zum Zweck der Aufstellung von Arbeiterschutzgesetzentwürfen verwendet werden könnte, das eigentümliche Ergebnis zutage gefördert hat, daß dasselbe auf schriftliche Anordnung des vormaligen Staatssekretärs des Innern, Staatsministers Hofmann3, Ende der siebziger Jahre vollständig beseitigt bzw. vernichtet worden ist.4

Ist hiernach nicht darauf zu rechnen, daß der königlichen Staatsregierung irgendwelche Vorarbeiten amtlichen Ursprungs zur Verfügung gestellt werden können, so dürften doch vielleicht die bezüglichen Initiativanträge des Reichstags manche Anhaltspunkte bieten.5

Was insbesondere die Einschränkung der Sonntagsarbeit anlangt, so ist der in dem hohen Erlaß Nr. 40 vom 13. März 18886 erwähnte Entwurf, für dessen Annahme im Bundesrat die königliche Staatsregierung nach Inhalt meines gehorsamsten Berichts Nr. 382 vom 19. November desselben Jahrs7 im Bundesrat eingetreten ist (§[§] 161 und 570 der Protokolle von 1888), mehr oder weniger das Werk des [ Druckseite 472 ] Geheimen Oberregierungsrats Lohmann,8 welcher auch den Kommissionsberatungen des Reichstags beigewohnt hat (Reichstagsdrucksache Nr. 162 bzw. 188, II. Session 1887/88).

Indessen auch bezüglich der Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit hat der Reichstag Material gesammelt, welches nach Inhalt des hohen Erlasses Nr. 88 vom 5. Juli 18879 im großen und ganzen den Beifall der königlichen Staatsregierung gefunden hat, wenn auch ein Teil der bezüglichen Anträge gegen den Widerspruch des bei den Kommissionsberatungen anwesend gewesenen Geheimen Oberregierungsrats Lohmann zustande gekommen (Reichstagsdrucksache Nr. 102, I. Session 1887) und auch im Bundesrat, wie aus meinem gehorsamsten Bericht Nr. 350 vom 19. November 188810 zu entnehmen, bekämpft worden ist (§ 370 der Protokolle von 1887 bzw. § 567 der Protokolle von 1888).

Schließlich gestatte ich mir noch zu erwähnen, daß Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen-Weimar11 auf Anregung Seiner Majestät des Kaisers dem großherzoglichen Bevollmächtigten12 befohlen hat, die zu erwartenden königlich sächsischen Anträge zu unterstützen.

Registerinformationen

Personen

  • Heerwart, Dr. Adolf (1828–1899) , Bundesratsbevollmächtigter des Großherzogtums Sachsen-Weimar
  • Karl Alexander (1818–1901) , Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach
  • Lohmann, Theodor (1831–1905) , Geheimer Oberregierungsrat im Reichsamt des Innern

Sachindex

  • Frauenarbeit
  • Parteien
  • Parteien – Konservative
  • Parteien – Nationalliberale
  • Reichstagswahlen
  • Reichstagswahlen – 1890
  • 1Ausfertigung: SächsHStA Dresden Bestand 10717 Außenministerium Nr. 6184, n. fol.; Entwurf: SächsHStA Dresden Bestand 10719 Gesandtschaft Berlin Nr. 1163, n. fol. »
  • 2Vgl. Nr. 99. »
  • 3Karl Hofmann (1827─1910), 1879 bis 1880 preußischer Handelsminister und Präsident des Reichskanzleramts bzw. Staatssekretär des Innern. »
  • 4Gemeint sind wohl die Entwürfe für ein Fabrikgesetz bzw. einer Novelle zur Gewerbeordnung aus dem Jahr 1877, die in den Akten des Reichskanzleramts bzw. Reichsamts des Innern nicht überliefert sind; zu diesen Entwürfen und dem sich daraus ergebenden Konflikt zwischen Hofmann und Bismarck vgl. Nr. 107, Nr. 110, Nr. 114, Nr. 116, Nr. 118─120 u. Nr. 122─127 Bd. 3 der I. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 5Vgl. Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 6Ausfertigung: SächsHStA Dresden Bestand 10719 Gesandtschaft Berlin Nr. 1163, n. fol. »
  • 7Vgl. Nr. 175 Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 8Der entsprechende Kommissionsantrag konservativer und nationalliberaler Abgeordneter war tatsächlich heimlich von Lohmann ausgearbeitet worden; vgl. Nr. 167 Anm. 2 Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 9Vgl. Nr. 155 Bd. 3 der H. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 10Vgl. Nr. 174 Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 11Karl Alexander (1818─1901), seit 1853 Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Bruder der am 7.1.1890 verstorbenen Kaiserwitwe Augusta, der Großmutter Wilhelm II. »
  • 12Dr. Adolf Heerwart. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 107, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0107

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