II. Abteilung, Band 1

Nr. 103

1890 Januar 15

Brief1 des Wirklichen Geheimen Legationsrats im Auswärtigen Amt Friedrich von Holstein an den Legationsrat Dr. Philipp Graf zu Eulenburg und Hertefeld

Eigenhändige Ausfertigung, Teildruck

2

Von Holstein kennt die sozialpolitischen „Vorschläge“ Paul Kaysers und ist über den geplanten sächsischen Arbeiterschutzantrag informiert

Das P[ro]m[emoria] von Fischer3 ist praktisch und ehrlich, das von Kayser4 ist diplomatischer und gewandter. Kayser fängt damit an zu sagen, daß eigentlich nichts mehr für die Arbeiter geschehen könne, nachher weist er nach, daß eine Menge geschehen kann und geschehen sollte.

Beide, Fischer und Kayser ─ das ist [nun wohl] der Hauptpunkt ─, sind der Ansicht, daß sich noch vielerlei für die Arbeiter tun läßt und daß man die Frage nicht mit einem kurzen „Nein“ zur Ruhe bringen kann. Beide sind auch der Ansicht, daß die Arbeiterschutzfrage (Frauen-, Kinder-, Sonntagsarbeit) alsbald erwogen werden muß.

In letzterer Hinsicht kann ich Ihnen ─ ganz geheim ─ mitteilen, daß demnächst Sachsen im Bundesrat diese Frage anregen wird.5 Der Kaiser hat an Boetticher befohlen, daß die preußische Stimme dafür abgegeben werde. Boetticher sagt: „Wie finden Sie meine Lage? Der Kanzler sagt ablehnen, der Kaiser sagt annehmen.“ [...]

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Registerinformationen

Regionen

  • Preußen

Personen

  • Albert (1828–1902) , König von Sachsen
  • Crailsheim, Krafft Freiherr von (1841–1926) , bayerischer Außenminister
  • Friedrich I. (1826–1907) , Großherzog von Baden
  • Lerchenfeld-Koefering, Hugo Graf von und zu (1843–1925) , bayerischer Gesandter in Berlin, Bundesratsbevollmächtigter

Sachindex

  • Altersversorgung, siehe auch Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung
  • Bundesregierungen
  • Kohlen
  • Reichstag
  • Streik
  • 1BLHA Potsdam Rep. 37 Liebenberg 576, fol. 34─35. »
  • 2Vollständiger Abdruck bei John C. G. Röhl (Hg.), Philipp Eulenburgs politische Korrespondenz. Band I:. Von der Reichsgründung bis zum Neuen Kurs 1866─1891, Boppard am Rhein 1976, S. 411 f. »
  • 3Dr. Franz Fischer (1847─1904), Rechtsanwalt, Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ in Berlin.Fischer war von v. Holstein beauftragt worden, eine sozialpolitische Denkschrift für Graf zu Eulenburg und Hertefeld auszuarbeiten. Fischer analysierte ausführlich die Ursachen des Bergarbeiterstreiks, seine daraus abgeleiteten Vorschläge bezogen sich hauptsächlich auf sozialpolitische Verbesserungen im Bergbau, aber auch auf Erlaß eines allgemeinen Arbeiterschutzgesetzes. Die auf den 15.1.1890 datierte Denkschrift Fischers ist abgedruckt bei: John C. G. Röhl (Hg.), Philipp Eulenburgs politische Korrespondenz. Band I: Von der Reichsgründung bis zum Neuen Kurs 1866─1891, Boppard am Rhein 1976, S. 408─411. »
  • 4Vgl. Nr. 102. »
  • 5Von Holstein war bereits am Morgen des 12.1.1890 von Marschall v. Bieberstein über die Absicht eines sächsischen Arbeiterschutzantrags informiert worden (vgl. den Abdruck der Tagebucheintragung Marschalls bei: Walther Peter Fuchs, Großherzog Friedrich von Baden und die Reichspolitik 1871─1907. 2. Band: 1879─1890, Stuttgart 1975, S. 692). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 103, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0103

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