II. Abteilung, Band 1

Nr. 71

1887 Februar 19

Plakataufruf1 des Dortmunder Gewerberats Bernhard Osthues2

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Zur Sicherung des äußeren und inneren Friedens und zur Weiterführung der Arbeitergesetzgebung empfiehlt Osthues die Wahl des nationalliberalen Reichstagskandidaten Eduard Kleine

Offenes Schreiben des königl[ichen] Gewerberats Osthues an die Fabrikarbeiter des Wahlkreises Dortmund

Meine Dienstanweisung3 verpflichtet mich, dahin zu wirken, daß euch die Wohltaten der zu eurem Schutz und zu eurer Sicherheit erlassenen Gesetze zuteil werden.

Nicht aus der Ausübung dieser meiner Pflicht nehme ich mir das Recht, heute kurz vor dem für unser Vaterland so wichtigen Wahltag,4 mich an euch zu wenden. Ich nehme das Recht dazu aus der Bereitwilligkeit, mit der ich mich jedem von euch über meine dienstliche Verpflichtung hinaus an Werktagen und Sonntagen zur Verfügung gestellt habe.

Hunderte von euch haben mich in den mannigfachsten Angelegenheiten um meinen Rat angegangen, Hunderte sind mit einem „Schöndank“ von mir geschieden.

Hunderten von euch habe ich durch ernste Arbeit zu dem verholfen, was meiner Überzeugung nach aufgrund des Gesetzes ihr Recht war.

Haben so viele von mir Rat erbeten, nun so hört auch einmal meinen ungebetenen Rat, der ebenso unabhängig ist, ebenso aus dem wärmsten Interesse für euer Wohl entspringt als der, den ich seit 10 Jahren jedem von euch, der mich darum anging, erteilte.

Sechzehn Friedensjahre haben es möglich gemacht, ungestört an der inneren Entwicklung unseres Vaterlands zu arbeiten. Blickt zurück auf diesen Zeitraum und vergegenwärtigt euch, wie viele Gesetze seitdem lediglich durch die Fürsorge der großen Männer, die die Geschicke unseres Vaterlandes leiten, zu eurem Wohl geschaffen sind. Die allerhöchste Botschaft S[eine]r Maj[estät], unseres allergnädigsten Kaisers, hat die soziale Gesetzgebung als die letzte Aufgabe seines Lebens bezeichnet.5

Im Widerspruch gegen die Parteien,6 die sich vorzugsweise als eure Freunde bezeichnen, sind durch die unermüdliche Arbeit unseres Reichskanzlers, des Fürsten Bismarck, die Absichten jener allerhöchsten Botschaft zum Teil erreicht.

Seine Majestät unser allergnädigster Kaiser und sein erster Ratgeber, der Fürst Bismarck, sie haben euch durch die Tat bewiesen, daß sie die besten Anwälte eurer Sache, daß sie eure wahren Freunde sind.

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Eine weitere für euch segensreiche Entwicklung der sozialen Gesetzgebung kann nur stattfinden, wenn wir Frieden behalten nach außen und Frieden im Innern.

Die Vorlagen, deren Ablehnung die Auflösung des Reichstags herbeiführten, waren bestimmt, den äußeren Frieden zu sichern.7

Wenn die Männer, die von ganz Europa als die Meister ihrer Kunst bewundert werden, beteuerten: die Forderungen sind nach unserer Überzeugung zur Sicherung unserer Wehrfähigkeit unerläßlich, dann durfte man erwarten, daß sie bewilligt würden ohne Umschweife wie ein Gesetz, das die Herstellung eines Deichs bezweckt, der das Land gegen den unberechenbaren Einbruch zerstörender Meeresfluten sicherstellen soll.

Die äußere Sicherheit unseres Vaterlands gilt als bedroht, aber sie ist mehr als je gefährdet gerade dadurch, daß unsere Feinde sehen, wie man bei uns dem Rat bewährter Führer mißtraut.

Unseren Gegnern zu zeigen, daß sie sich in diesem wichtigen Punkt schwer getäuscht haben, dazu werdet ihr am 21. Februar an die Wahlurne gerufen.

Ihr werdet gerufen, um selbst zu bekennen, daß ihr Frieden wollt, daß euch kein Opfer zu groß erscheint, diesen Frieden zu sichern und daß ihr heute noch mit demselben Vertrauen zu euren Führern aufschaut wie in der glorreichen Zeit vor 16 Jahren.

Wenn wir alle dafür eintreten müssen, daß der äußere Frieden uns gesichert bleibt, so habt ihr Arbeiter ganz besonders darauf zu halten, daß auch der Friede im Innern uns erhalten werde. Jeder Konflikt im Innern wird den Ausbau der sozialen Gesetzgebung, die nach dem Willen unseres allergnädigsten Kaisers zu eurem Wohl rastlos gefördert werden soll, ins Stocken bringen. Was anders haben uns die Konfliktjahre bis zum Jahre 1866 gebracht als den Streit, der vor allem an der Stelle geführt wurde, wo Einigkeit zur Beratung fördersamer Gesetze hätte herrschen sollen.

Ein neuer Konflikt aus gleichem oder ähnlichem Anlaß würde ebenso enden wie der vorige. Sowohl eine Niederlage vor dem Feind, vor der uns der gnädige Gott behüten möge, als die Trompetenstöße, die uns den Sieg verkünden, würden die Opposition wie damals hinwegfegen. Der dauernde Schaden wäre damit leider nicht beseitigt, und den dauernden Nachteil eines vielleicht jahrelang sich hinschleppenden inneren Konflikts werdet gerade ihr Arbeiter zunächst zu tragen haben.

Die Verhandlung eurer Angelegenheiten steht nach dem deutlich ausgesprochenen Willen unseres allergnädigsten Kaisers gerade jetzt zur Tagesordnung, sorgt ihr nun dafür, daß die Beratung der Arbeitergesetze nicht durch unfruchtbare Streitigkeit gestört werde.

Dann dürft ihr bestimmt auf eine fortschreitende Besserung eurer Lage hoffen, die nur im Frieden, nicht aber durch gewaltsame Maßregeln möglich ist.

Hunderten von euch habe ich von dieser Stelle, an der ich jetzt an euch schreibe, Rat gegeben, und ich weiß, daß der Rat oft geholfen hat. Wem von den Hunderten diese Zeilen zu Gesicht kommen, den bitte ich in seinem, in eurem und im Interesse des gesamten Vaterlands, daß er mit allen Kräften für die Wahl eines Mannes eintritt, der den Frieden will. Ein solcher ist Herr Stadtrat Kleine!8

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Registerinformationen

Regionen

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  • Sachsen, Königreich
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Personen

  • Brentano, Dr. Lujo (1844–1931) , Professor für Nationalökonomie in Straßburg
  • Carlyle, Thomas (1795–1881) , englischer Schriftsteller
  • Kleine, Eduard (1837–1914) , Bergbauindustrieller, Stadtrat in Dortmund, MdR (nationalliberal)
  • Post, Dr. Julius (1846–1910) , Professor für Gewerbliche Gesundheitslehre an der Technischen Hochschule in Hannover

Sachindex

  • Arbeitgeber
  • Fabrik
  • Frieden, innerer, sozialer
  • Kultusminister, preußischer
  • Nationalökonomie
  • Presse
  • Presse – National-Zeitung
  • Reichstag
  • Soldaten
  • Soziale Frage
  • Wohlfahrtseinrichtungen, betriebliche
  • 1GStA Berlin I. HA Rep. 120 BB VII 4 Nr. 7 Bd. 3, n. fol. »
  • 2Bernhard Osthues (1835─1894), Bergassessor, seit 1876 Fabrikinspektor für die Provinz Westfalen, zur Biographie vgl. Nr. 183 Bd. 3 der I. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 3Vgl. Nr. 182 Bd. 3 der I. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 4Gemeint ist die Wahl zum siebten Reichstag, deren erster Wahlgang für den 21.2.1887 angesetzt war. »
  • 5Vgl. Nr. 9. »
  • 6Handschriftliche Anmerkung in der Quelle: Gegen (Julius) Lenzmann, welcher in Dortmund Kandidat der Septennatsgegner war, gerichtet. »
  • 7Der Reichstag hatte am 14.1.1887 mit 183 gegen 154 Stimmen einem dreijährigen Militärbudget zugestimmt, womit die von Bismarck erstrebte Bewilligung des Militärbudgets für sieben Jahre („Septennat“) zurückgewiesen wurde. Unmittelbar nach der Abstimmung verlas Bismarck einen kaiserlichen Befehl zur Auflösung des Reichstags. »
  • 8Eduard Kleine (1837─1914), Bergbauindustrieller, seit 1875 Stadtverordneter, seit 1877 unbesoldeter Stadtrat in Dortmund, ab Februar 1887 MdR (nationalliberal). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 71, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0071

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