II. Abteilung, Band 1

Nr. 64

1885 Juni 30

Augsburger Postzeitung1 Nr. 145 Fürst Bismarck und die Socialreform

Druck

Die Bismarcksche Sozialgesetzgebung dient der Eindämmung des „Judenliberalismus“; Angriffe auf Bismarck wegen dessen Haltung zum Verbot der Sonntagsarbeit

Schon bei dem ersten Verlauten von Velleitäten des deutschen Reichskanzlers für Sozialreform sprachen wir die Überzeugung aus, daß es sich dabei nicht sowohl um wirkliche Reformen, als vielmehr im Gegenteil um die Schlußsteinlegung und Sicherung des jetzigen kapitalistischen Systems handle. Wir verdanken nämlich die logische und konsequente Durchführung dieses Systems und dessen Einführung in die Praxis hauptsächlich den Juden; sind sie es doch auch, welche fast ausschließlich die Früchte desselben ernten und genießen. Nun ist es aber eine konstante Rasseneigentümlichkeit der Juden, daß sie nicht imstande sind, geniale, weitgehende, auf lange Zeit hinaus berechnete Spekulationen zu konzipieren und durchzuführen. Ihre Unternehmungen sind durchweg kurzlebig und auf eine rasche, möglichst gründliche Ausbeutung des Gegners berechnet. „Nach uns die Sündflut“ heißt es bei jedem solchen Beutezug.

Dieser Leichtsinn, der den Trägern des kapitalistischen Systems eigentümlich ist, und der sie veranlaßte, den christlichen Heloten jede Härte anzutun, mußte einem [ Druckseite 270 ] Staatsmann von dem eminenten Scharfblick des Reichskanzlers bedenklich erscheinen; die Besorgnis lag nahe, daß der vom Judenliberalismus allzu straff gespannte Bogen brechen könne und daß somit eines Tages das ganze mit soviel Blut und Eisen zusammengekittete politische Gebäude aus dem Leim gehen könne. Fürst Bismarck wollte die ärgsten Härten des Systems mildern. Der Arbeiter mochte immerhin ein „weißer Sklave“ sein, verdammt zu soundso vielen langdauernden Arbeitstagen bei Hungerlöhnen, die aber auch nur durch Beihilfe von Weib und Kind erzielt werden können ─ aber er wollte das aufregende Schauspiel verhindern, daß dieser Arbeiter, nachdem er ein karges, jammervolles Leben hindurch für die Kapitalvermehrung des Unternehmers gearbeitet, „auf dem Kehrichthaufen verende“. Deshalb die Krankheits- und Altersversicherung.

Selbstverständlich kann niemand diese Befestigung des Systems eine Reform nennen, und wie wenig die letztere in der Absicht des Fürsten Bismarck liegt, zeigt er durch sein Verhalten zur Sonntagsruhe. Er leugnet das anerschaffene, untrennbare Menschenrecht der Sonntagsruhe und stellt es zur freien Wahl der Arbeiter, ob sie die Ruhe begehren wollen oder nicht.

In dieser Fragestellung ist schon die Entscheidung gegeben. Wer nur das Abc der Nationalökonomie kennt, der weiß, daß die Phrase von der „Freiheit der Arbeit“ ein fauler Schwindel ist zugunsten des Kapitalbesitzes und zum Schaden der Arbeit.

Die Frage in betreff der Sonntagsruhe steht volkswirtschaftlich einfach so: Es bleibt sich für die Lohnbemessung des Arbeiters vollständig gleich, ob der Arbeiter 6 oder 7 Tage wöchentlich arbeitet, täglich 10 oder ─ wie es ehedem in Brünn geschah ─ 18 ja 20 Stunden. Der Arbeiter erhält immer genau denjenigen Lohn, für welchen sich dem Unternehmer der billigste, also der am meisten bedrängte Arbeiter anbietet. Ob er von diesem Lohn leben kann, ist völlig irrelevant, denn wenn ein Arbeiter verelendet oder 100 oder 1 000 oder eine ganze Arbeitergeneration, so ist doch immer noch genug Konkurrenz derjenigen da, welche ihre Arbeit anbieten, um den Lohn auf das Minimum zu stellen. Wollte man behaupten, der Lohn richte sich nach dem Arbeitsquantum, also es sei von Einfluß, ob der Arbeiter am Sonntag arbeite oder ruhe, so würde man ja behaupten, daß der Lohn ein Produktionsanteil sei ─ eine Behauptung, welche dem bestehenden System entschieden widerspricht, und gegen welche sich, als vor 2 Jahren die Haider Beschlüsse2 und die bekannte Broschüre des P. Weiß O[rdo Fratrum] P[raedicatorum]3 bekannt wurde, auch die katholischen Blätter Deutschlands zum größten Teil sehr entschieden erklärten.

Ist aber der Lohn kein Produktionsanteil, so ist er nichts anders als das Ergebnis des zwischen dem „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ abgeschlossenen „freien“ Vertrags. Was das aber für eine Vertragsfreiheit ist, wenn der Kapitalist mit dem unter Präjudiz des Hungertodes paktierenden Arbeiter verhandelt, das liegt auf flacher Hand.

Die Fragestellung des Fürsten Bismarck, ob der Arbeiter am Sonntag ruhen und hungern oder arbeiten und essen wolle, ist also unlogisch und aus einer den tatsächlichen Verhältnissen und den herrschenden Versionen nicht entsprechenden Auffassung hervorgegangen.

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Registerinformationen

Orte

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Personen

  • Blome, Gustav Graf von (1829–1906) , österreichischer Diplomat a. D.
  • Haffner, Paul Leopold (1829–1899) , Domkapitular in Mainz
  • Knab, Franz Josef (1846–1899) , Geistlicher Rat in Wien
  • Loë, Felix Freiherr von (1825–1896) , Gutsbesitzer in Terporten (Kreis Cleve)
  • Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, Karl Fürst , zu (1834–1921) , Standesherr in Haid (Böhmen), Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Kommissar der Katholikentage
  • Schindler, Dr. Franz von (1847–1922) , Professor für Moraltheologie am Priesterseminar in Leitmeritz
  • Segur-Cabanac, Arthur Graf von (1805–1885) , österreichischer General a. D., Besitzer der Herrschaft St. Peter in der Au
  • Steinle, Dr. Alfons Maria von (1850–1912) , Rechtsanwalt in Frankfurt/M.
  • Wambolt von Umstadt, Franz Freiherr von , (1829–1908), Kammerherr auf Schloß Hopfenbach (Krain, Österreich)
  • Weiß, Dr. Albert Maria (1844–1925) , Ordenspriester in Graz

Sachindex

  • Aktien
  • Altersversorgung, siehe auch Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung
  • Arbeiterschutz
  • Arbeiterschutz – internationaler
  • Arbeitsvertrag
  • Arbeitszeit
  • Armenpflege
  • Berufsgenossenschaften
  • Genossenschaften, siehe auch Berufsgenossenschaften
  • Haider Thesen
  • Handel, siehe auch Freihandel
  • Hunger
  • Kirche
  • Kirche – katholische
  • Korporationen
  • Krankenversicherung, siehe auch Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter
  • Lohn
  • Nationalökonomie
  • Presse
  • Presse – Germania
  • Sklaverei
  • Sonntagsruhe
  • Vereine und Verbände
  • Vereine und Verbände – Freie Vereinigung katholischer Sozialpolitiker
  • Versicherungszwang
  • Wucher
  • 1Die zentrumsnahe „Augsburger Postzeitung“ erschien sechsmal wöchentlich. Verantwortlicher Redakteur der 1686 gegründeten Zeitung war Alfons Planer. »
  • 2Vgl. Nr. 38. »
  • 3Dr. Albert Maria Weiß (1844─1925), Dominikaner, Priester und Schriftsteller in Wien. Bei der erwähnten Broschüre handelt es sich um folgende Schrift: Albert Maria Weiß, Die Gesetze für Berechnung von Kapitalzins und Arbeitslohn, Freiburg i. Br. 1883. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 64, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0064

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