Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 187

1884 Juli 14

Tagebucheintragung1 des Direktors im Reichsamt des Innern Robert Bosse2

Niederschrift, Teildruck

[Freude über Belohnungen für die Mitwirkung Bosses und v. Boettichers am Zustandekommen des Unfallversicherungsgesetzes, Urlaubsreise in den Südharz]

Morgens 8 Uhr mit Alwine2, Elisabeth, Eva, Dodo, Anna und dem Dienstmädchen Pauline vom Friedrichsbahnhofe über Nordhausen nach Lauterberg3 abgereist. Zu meiner Freude hat der Fürst mir auf Boettichers Antrag für die Mitwirkung bei der sozialpolitischen Gesetzgebung eine Remuneration von 2000 Mark bewilligt, der erste persönliche Erfolg, der mir aus den Arbeiten am Unfallversicherungsgesetz zuteil wird. Ich bin sehr dankbar dafür. Auch daß der Kaiser dem Minister von Boetticher eine Domherrenstelle in Naumburg verliehen hat, ist mir eine umso größere Freude, als ich die Anregung dazu an Geheimrat Rottenburg gegeben habe, der sie an Bismarck weitergegeben hat.4 Durch meine Remuneration sind nun

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auch die Geldsorgen behoben.5 Ich hatte zwar noch 1000 Mark Spareinlage bei der Berliner Beamtenvereinigung, freue mich aber doch, daß ich sie nicht aufzunehmen brauche.

In Lauterberg hat uns der Oberkonsistorialrat Schmidt6 vom Ev. Oberkirchenrat, der mit seiner Familie schon längere Zeit dort ist, eine Wohnung von 6 Zimmern gemietet (bei Wilhelm Meyer, Hauptstraße 207). In den letzten Tagen war es in Berlin furchtbar heiß. Erst gestern Abend hat ein tüchtiges Gewitter Regen und erwünschte Abkühlung gebracht, so daß die Eisenbahnfahrt (3. Klasse) sehr schön war. Die Jungen sollen bis zum Schluß der Vorlesungen (2. August) in Berlin bleiben, dann nachkommen. Ich habe Urlaub bis 16. August.

In Roßla7 stiegen Herr und Frau Konsistorialrat Moser8 bei uns ein und begleiteten uns nach Nordhausen9, von wo sie nach einer halben Stunde zurückfuhren. Die Wohnung ist sehr geräumig und passend. Sie kostet 35 M. die Woche incl. Betten, für die Jungen noch ein Zimmer mit 2 Betten 5 M.

Lauterberg liegt entzückend und gefällt uns sehr.

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Registerinformationen

Personen

  • Meyer, Wilhelm Hausbesitzer in Lauterberg
  • Moser, August (1816─ um 1888) Konsistorialrat und Superintendent in Roßla
  • Schmidt, Albrecht (1829─1911) Jurist, Oberkonsistorialrat, Vizepräsident des Evang. Oberkirchenrats
  • 1GStA Dahlem Rep. 92 NL Bosse Nr. 7, fol. 45─46. »
  • 2Robert Bosse war von 1861─1868 Direktor der Gräflichen Rentkammer und weltliches Mitglied (Konsistorialassessor) des Gräflichen Konsistoriums in Roßla. Die Dienste in der kleinen Grafschaft zwischen Kyffhäuser und Harz waren relativ attraktiv, da der 1826 kinderlos verstorbene Graf Wilhelm von Stolberg-Roßla die Wilhelmsstiftung (Kapitalwert um 1900: 1 Mio. M.) für Kirchen, Schulen und Bedienstete der Grafschaft errichtet hatte; von daher gehörten im 19. u. 20. Jahrhundert auch mehrere bedeutende Theologen dem Konsistorium an. »
  • 2Alwine Bosse, geb. Lindenbein (1835─1909), Ehefrau Robert Bosses. »
  • 3Lauterberg am Harz war nach Errichtung einer bewährt befundenen Kaltwasser-Heilanstalt zu einem viel besuchten Kurort geworden, auch Theodor Lohmann weilte hier des öfteren. »
  • 4Die protestantischen Domkapitel trugen keinen geistlichen Charakter, wegen der reichen Präbende ─ in Naumburg 30 000 M jährlich ─, welche die weltlichen Domherren bezogen, waren sie für diese eine nicht unerhebliche Einnahmequelle; vgl. hierzu auch BA Koblenz NL Boetticher Nr. 38. Am 7.8.1884 kommentierte der “Sozialdemokrat” (Nr. 32) denn auch kritisch: Unsere Leser wissen, wie und in welcher Gestalt das Unfallversicherungsgesetz zustande gekommen ist: In allen wesentlichen Punkten haben die Interessen der Unternehmer, d. h. der Ausbeuter, über die der Arbeiter, der Ausgebeuteten, gesiegt. Nicht die Wünsche der Arbeiter fanden Berücksichtigung, sondern die der Fabrikanten; der “Zentralverein der Industriellen”, die arbeiterfeindlichste Unternehmerorganisation in ganz Deutschland diktierte seine Bedingungen, und vor ihm kapitulierten bereitwilligst Regierung und Reichstagsmajorität. ─ Dafür nun, daß das Unfallversicherungsgesetz in der kapitalistenfreundlichsten und arbeiterfeindlichsten Gestalt zur Annahme gebracht, hat der Minister von Boetticher vom alten Wilhelm eine Domherrenstelle erhalten, eine jener Stellen, die ihrem Inhaber ein festes Einkommen, das sich nach Zehntausenden bemißt, für absolutes Nichtstun garantieren ─ eine Sinekure in des Wortes faulenzerischster Bedeutung. »
  • 5In seinen Erinnerungen schreibt Robert Bosse dazu: Herr von Boetticher wurde zum Domherrn von Naumburg ernannt, eine Sinekure, die dem verdienten Staatsmann allseitig gegönnt wurde. Für den Winter planten wir die Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Transportgewerbe und auf die Land- und Forstwirtschaft. Meine Abteilung hatte Mut und ich wieder mehr Zutrauen zu mir selbst gewonnen. Ich erhielt auch eine willkommene außerordentliche Remuneration und konnte im Juli mit den Meinigen sehr vergnügt nach Lauterberg in den südlichen Harz reisen. Dort ging es uns sehr gut. Erfrischt und ermutigt kehrte ich im August in meine amtliche Tätigkeit zurück (Zehn Jahre im Reichsamt des Innern, GStA Dahlem, Rep. 92 NL Bosse Nr. 16, S. 24). »
  • 6Albrecht Schmidt (1829─1911), seit 1878 weltlicher Vizepräsident des Evangelischen Oberkirchenrats in Berlin, zuvor als Kommissar in Kurhessen tätig, hatte er maßgeblichen Anteil an der Einführung des preußischen Kirchenregiments in der neuen Provinz, das zur sog. hessischen Renitenz führte. »
  • 7Roßla am Harz, Hauptort der Grafschaft Stolberg-Roßla. In der zu Preußen gehörenden Mediatherrschaft Roßla bestand ─ wie auch in Wernigerode, Stolberg u. Neustadt am Harz ─ gemäß der den Standesherren in der Deutschen Bundesakte (1815) zugestandenen Kirchen- und Schulregiments ein Gräfliches Konsistorium mit Superindentur, dem Bosse als Kammerdirektor angehört hatte. »
  • 8August Moser (1816─ um 1888) war seit 1851 in Roßla tätig und hatte vor allem den Bau der 1873 geweihten neuen Kirche betrieben. »
  • 9Nordhausen war Umsteigestation von der Halle-Kasseler zur Nordhausen-Northeimer Eisenbahn. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 187, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0187

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