Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 179

1884 Mai 24

Bericht1 über die 23. Sitzung der VII. Kommission des Reichstags

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[Abschlußberatung der zweiten Lesung, insbesondere zu § 18 (Reservefonds durch sinkende Zuschläge zum Jahresbedarf: 26,796 Mio M), §§ 74 bis 91 unter Einführung der §§ 91 a ─ d zu fakultativen Landesversicherungsämtern, Protokollerklärung der Deutsch-Freisinnigen gegen den klerikal-konservativen Kompromiß]

In der Sitzung vom 24. wurde zunächst der vorbehaltene § 18 bezüglich des Reservefonds nach einem Antrage des Abgeordneten Dr. Buhl in folgender Fassung angenommen: “Die Berufsgenossenschaften haben einen Reservefonds anzusammeln. An Zuschlägen zur Bildung desselben sind bei der erstmaligen Umlegung der Entschädigungsbeträge dreihundert Prozent, bei der zweiten zweihundert, bei der dritten einhundertundfünfzig, bei der vierten einhundert, bei der fünften achtzig, bei der sechsten sechzig und von da an bis zur elften Umlegung jedesmal zehn Prozent weniger von dem jedesmaligen Jahresbedarf zu erheben. Die Zinsen des Reservefonds sind dem letzteren so lange zuzuschlagen, bis dieser den doppelten Jahresbedarf erreicht hat. Ist das letztere der Fall, so können die Zinsen insoweit, als der Bestand des Reservefonds den laufenden doppelten Jahresbedarf übersteigt, zur Deckung der Genossenschaftslasten verwendet werden. In dringenden Bedarfsfällen kann die Genossenschaft mit Genehmigung des Reichsversicherungsamtes schon vorher die Zinsen und erforderlichenfalls auch den Kapitalbestand des Reservefonds angreifen. Die Wiederergänzung erfolgt alsdann nach näherer Anordnung des Reichsversicherungsamtes.”2 Bei § 93 (Haftpflicht der Betriebsunternehmungen und Betriebsbeamten) beantragte Abg. Dr. Buhl den Ersatz der Aufwendungen im Falle der Fahrlässigkeit zu streichen und nur im Falle der Vorsätzlichkeit denselben zu gewähren; dieser Antrag wurde abgelehnt. Die §§ 74 bis 91 wurden mit den Abänderungsanträgen der konservativ-klerikalen Koalition angenommen. Als §§ 91 a ─ d wurden die v. Hertlingschen Anträge auf fakultative Errichtung von Landesversicherungsämtern eingeschaltet. Es wurden ferner von den Abg. v. Kulmiz und Genossen Anträge zugunsten der Knappschaftskassen gestellt, aber abgelehnt. Dieselben bezweckten die Heranziehung der genannten Kassen in den Rahmen des Gesetzes, um diese womöglich durch staatliche Hilfe in eine günstigere Lage zu versetzen als sie bekanntermaßen gegenwärtig sich befinden. Die Anträge werden voraussichtlich im Plenum wiederholt werden und haben alle Aussicht dort, mit Hilfe der klerikal-konservativen Koalition die Mehrheit zu gewinnen. Die übrigen Paragraphen wurden mit unwesentlichen Modifikationen angenommen und damit die zweite Lesung des Gesetzes zum Abschlusse gebracht. [...]

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Das Gesetz im ganzen wurde hierauf gegen die Stimmen der Deutsch-Freisinnigen Mitglieder angenommen und Freiherr v. Hertling mit der Abfassung des schriftlichen Berichts beauftragt. Die Mitglieder der Deutsch-Freisinnigen Partei motivierten ihren ablehnenden Standpunkt in der nachstehenden, dem Protokoll beigefügten Erklärung: “Die Mitglieder der Deutsch-Freisinnigen Partei in der VII. Kommission haben trotz schwerer Bedenken gegen die Vorlage sich bei der Beratung der Vorlage in erster Lesung nach Kräften beteiligt, dieselben waren nach der von ihnen erklärten Absicht gewillt, in der zweiten Lesung ebenso vorzugehen, und zwar um so mehr, als in erster Lesung die Diskussion und Beschlußfassung über verschiedene wichtige Punkte unter Zustimmung der Kommission in die zweite Lesung verschoben worden war, da jedoch die Mitglieder der freisinnigen Partei in der Kommission bei Beginn der zweiten Lesung durch Anträge, welche von den die Majorität der Kommission bildenden Mitgliedern verschiedener Parteien außerhalb der Kommission über die wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfs unter Zuziehung von Regierungsvertretern festgestellt worden waren, überrascht wurden und sich nach Eintritt in die Verhandlung über ihre eigenen Anträge überzeugen mußten, daß gegen die bisherige Übung und gegen die mit der Überweisung der Vorlage an die Kommission präsumtiv verbundenen Intentionen des Reichstags der Schwerpunkt für die zweite Lesung außerhalb der Kommissionsverhandlungen verlegt worden war, so haben die Mitglieder der freisinnigen Partei aus diesen formellen Gründen sich in der Diskussion auf eine Geltendmachung ihrer prinzipiellen Bedenken gegenüber den Majoritätsanträgen beschränkt und ebensowohl aus diesen wie aus materiellen Gründen gegen die von der Majorität unter sich vereinbarte Vorlage gestimmt.”3

Registerinformationen

Personen

  • Franckenstein, Georg Arbogast Freiherr von und zu (1825─1890) Jurist und Gutsbesitzer, MdR (Zentrum), Vizepräsident des Reichstags
  • Löwe, Ludwig (1837─1886) Fabrikbesitzer, MdR (Fortschritt)
  • Marschall von Bieberstein, Adolf Hermann Freiherr (1842─1912) Jurist, badischer Gesandter in Berlin
  • Turban, Ludwig Friedrich (1821─1898) badischer Ministerpräsident und Innenminister
  • 1ZfV, 8. Jg. 1884, S. 292, Sitzungsprotokoll: BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 362─364. »
  • 2In seinem ersten Antrag vom 22.5.1884 hatte Dr. Buhl gefordert, daß die Berufsgenossenschaften innerhalb der ersten zehn Jahre einen Reservefonds in der doppelten Höhe desjenigen Jahresbetrages, welchen sie an Beiträgen beim Eintritt des Beharrungszustandes aufzubringen haben (= 44,710 Mio M), ansammeln sollten (BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 350 Rs.) »
  • 3Eigenhändige Niederschrift mit Unterschrift von Ludwig Löwe: BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 368─368 Rs. Das SP vermerkt dazu: Frhr. v. Franckenstein und Frhr. v. Maltzahn heben hervor, daß gemeinsame Verständigungen über Anträge durchaus nichts Neues sind und erinnert an den Rickertschen Antrag im vorigen Jahre. Die Erklärung des Abg. Löwe wird von verschiedenen Seiten auf das Entschiedenste zurückgewiesen. Abg. Freiherr v. Hertling bringt folgende Gegenerklärung zu Protokoll. Anl. X (nicht überliefert). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 179, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0179

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