Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 172

1884 Mai 17

Bericht1 über die 20. Sitzung der VII. Kommission des Reichstags

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[Beendigung der ersten Lesung, u. a. zur Haftpflichtbefreiung der Unternehmer]

In der Sonnabendsitzung beendete die Kommission die erste Lesung der Vorlage. Zunächst wurden die zurückgestellten §§ 84 und 89 weiter erörtert. § 84 legt den Vorständen der Genossenschaften und den Beauftragten derselben über die Tatsachen, welche durch die Überwachung und Kontrolle der Betriebe zu ihrer Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit auf. Auf Antrag des Abg. Eysoldt wurde hier die weitere Bestimmung hinzugefügt, daß sie sich der Nachahmung der hierbei zu ihrer Kenntnis kommenden Betriebseinrichtungen, soweit sie Betriebsgeheimnis sind, zu enthalten haben. In der Debatte wurde das Bedürfnis einer derartigen Ergänzung des Paragraphen allgemein anerkannt, nur war man zweifelhaft, ob sich für das Vorhandensein eines Betriebsgeheimnisses immer die erforderlichen objektiven Kriterien finden würden. Die Regierungsvertreter stimmten dem Antrage Eysoldt vorbehaltlich einer präziseren Fassung in der zweiten Lesung bei. In § 89 werden dem Reichsversicherungsamte gewisse Disziplinarbefugnisse gegenüber den Genossenschaftsvorständen usw. übertragen; darunter befindet sich auch die Befugnis, wegen Verletzung des Verbotes der Verschwiegenheit Ordnungsstrafen bis zu 1000 M zu verhängen. Auf Antrag des Abg. Gutfleisch wurde diese letztere Bestimmung gestrichen; statt derselben wurden bei den Strafbestimmungen folgende zwei neue Paragraphen eingefügt: “§ 103 a: Die Mitglieder der Vorstände, die gemäß § 82 von den Genossenschaften Beauftragten und die Sachverständigen (§ 83) werden, wenn sie unbefugte Betriebsgeheimnisse offenbaren, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, mit Geldstrafe bis zu 1500 M oder mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein. § 103 b: Die Mitglieder der Vorstände, die gemäß § 82 von den Genossenschaften Beauftragten und die Sachverständigen (§ 83) werden mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, bestraft, wenn sie absichtlich zum Nachteile der Betriebsunternehmer Betriebsgeheimnisse, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, offenbaren oder geheimgehaltene Betriebseinrichtungen oder Betriebsweisen, welche kraft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntnis gelangt sind, nachahmen. Tun sie dies, um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen, so kann neben der Gefängnisstrafe auf Geldstrafe bis zu 3000 M erkannt werden.” Auch hier wurde übrigens eine Revision der Fassung in der zweiten Lesung ausdrücklich vorbehalten. Vor dem Übergang zu den Schluß- und Strafbestimmungen beantragten die Abgeordneten v. Kulmiz und Müller, den Knappschaftsvereinen gegenüber dem Unfallversicherungsgesetze eine eximinierte Stellung zu geben. Die Regierungsvertreter wie die Vertreter sämtlicher

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Parteien äußerten den guten Willen, die Knappschaftsvereine nach Möglichkeit zu schonen; die Schwierigkeiten, in dem gegenwärtigen Stadium der Beratungen eine entsprechende Regelung der Sache zu finden, erwiesen sich jedoch so groß, daß die Antragsteller auf Ersuchen des Staatssekretärs v. Boetticher den Antrag zurückzogen und sich für die zweite Lesung weitere Schritte vorbehielten.

Eine lange Debatte verursachten noch die §§ 92 und 93, welche von der Haftpflicht der Betriebsunternehmer und Betriebsbeamten handeln. Nach § 93 haften diejenigen Betriebsunternehmer, Bevollmächtigten oder Repräsentanten, Betriebsoder Arbeiteraufseher, gegen welche durch strafrechtliches Urteil festgestellt worden ist, daß sie den Unfall vorsätzlich oder durch Fahrlässigkeit herbeigeführt haben, für alle Aufwendungen, welche infolge des Unfalls von den Genossenschaften oder Krankenkassen gemacht worden sind. Gegen die hier stipulierte Haftpflicht wegen Fahrlässigkeit sind aus industriellen Kreisen die stärksten Bedenken erhoben worden. Abg. Lohren beantragte, den ganzen bezüglichen Passus zu streichen; Abg. Buhl wollte eine Einschaltung, nach welcher die Haftpflicht nur im Falle des “groben Verschuldens” eintreten sollte. Hiergegen wurde seitens der Regierungsvertreter wie aus der Mitte der Kommission geltend gemacht, daß alsdann über die Frage des Verschuldens jedesmal zwei Prozesse, ein strafrechtlicher und ein zivilrechtlicher würden geführt werden müssen, daß im übrigen aber eine Fahrlässigkeit, wie sie im § 93 beschrieben, in den weitaus meisten Fällen den Tatbestand des groben Verschuldens unzweifelhaft enthalten werde. Beide Anträge wurden abgelehnt; dagegen kam ein Antrag Buhl, nach welchem der Anspruch in 18 Monaten vom Tage der Rechtskräftigwerdung des strafgerichtlichen Urteils an verjähren soll, zur Annahme. Zu § 97, nach welchem die Rechte und Pflichten aus früheren Versicherungsverträgen auf die Genossenschaften übergehen, wurde auf Befragen von den Regierungsvertretern erklärt, daß die Stipulationen dieser Verträge durch die Vorschriften des Unfallgesetzes keine Veränderung erleiden sollen. Die noch übrigen Paragraphen blieben unbeanstandet. Damit war die erste Lesung beendigt, die zweite wird am Mittwoch beginnen.

Registerinformationen

Personen

  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Buhl, Dr. Franz Armand (1837─1896) Gutsbesitzer, MdR (nationalliberal)
  • Lohren, Arnold (1836─1901) Rentier, ehem. Fabrikant, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • 1ZfV, 8. Jg. 1884, S. 278, SP: BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 286─289, Anträge: fol. 290─299. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 172, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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