Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

Eine chronologische Auflistung der Quellen über alle Bände hinweg ist als PDF verfügbar.

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 162

1884 April 29

Bericht1 über die neunte Sitzung der VII. Kommission des Reichstags

Druck, Teildruck

[Abstimmung über die §§ 9 und 10, Beratung über die §§ 11 und 12 der dritten Unfallversicherungsvorlage]

Am 29. v. M. wurde über die §§ 9 und 10 zur Abstimmung geschritten. Es waren von den 28 Mitgliedern 26 anwesend; das Ergebnis der Abstimmung ist folgendes: 1. Die Spezialanträge Gutfleisch bezüglich der Unternehmer von Bauarbeiten, und v. Schirmeister für Zulässigkeit von Prämien für Rettung Verunglückter oder für Abwendung von Unglücksfällen, wurden mit großer Mehrheit angenommen. 2. Die Anträge zugunsten der Privatversicherung wurden sämtlich abgelehnt und zwar der Prinzipalantrag Dr. Hirsch, wonach die Versicherung bei einer zu diesem Zwecke im Deutschen Reiche zugelassenen Versicherungsanstalt (Genossenschaft oder sonstigen Versicherungsgesellschaft) zu bewirken ist, mit allen gegen die Stimmen der Deutschfreisinnigen (auch sämtliche Nationalliberale stimmten dagegen, obgleich der Antrag Hirsch durchaus der Fassung des Antrages Buhl und Genossen von 1882 entspricht); der Eventualantrag Dr. Gutfleisch und der Antrag Dr. Buhl, wonach die Versicherung bei einer privaten Versicherungsanstalt von der Verpflichtung, einer Zwangsgenossenschaft anzugehören, überhaupt oder unter gewissen Bedingungen befreit, mit 14 gegen 12 Stimmen (Deutschfreisinnige und Nationalliberale). 3. Von den Anträgen bezüglich des Kapitaldeckungsverfahrens wurde der Antrag Oechelhäuser und Dr. Buhl, wonach die Renten für die Invaliden und die Hinterbliebenen von dem Rechnungsjahre ab, in welchem der Unfall sich ereignet, mit ihrem Deckungskapital in Ansatz zu bringen sind, mit 14 gegen 12 Stimmen abgelehnt, der Antrag Fritzen, wonach die Rückversicherung der Berufsgenossenschaften bei Versicherungsgesellschaften, welche sich verpflichten, die Deckungskapitalien nach den Vorschriften in § 40 des Krankenversicherungsgesetzes sicherzustellen, mit allen gegen die Stimmen der Konservativen und der Deutschen Reichspartei angenommen. Letzteres ist die einzige erreichte Konzession zugunsten der Privatversicherung und des Deckungsverfahrens. 4. Der Antrag v. Hertling für ausschließliche Zwangsgenossenschaften wurde mit 14 gegen 12 Stimmen (Deutschfreisinnige und Nationalliberale) angenommen. 5. Zwei Anträge Lohren und v. Hertling, wodurch die Ansammlung des Reservefonds obligatorisch gemacht wird, fanden mit großer Mehrheit Annahme. Mit diesen Abänderungen wurden hierauf die §§ 9 und 10 der Vorlage von der konservativ-ultramontanen Majorität gegen die Liberalen aller Fraktionen angenommen; demgemäß haben die §§ 9 und 10 jetzt folgenden Wortlaut: [...] Vgl. den Abdruck unter Nr. 173 .

Nach diesen Abstimmungen wurde noch in eine Beratung der §§ 11 und 12 eingetreten, welche sich dadurch zu einer Art Generaldebatte über die Bildung der Berufsgenossenschaften gestaltete, daß die Vertreter der verbündeten Regierungen [ Druckseite 567 ] von mehreren Seiten ersucht wurden, nähere Aufklärung über die Grundsätze zu geben, welche nach deren Ansicht bei der Bildung der Berufsgenossenschaften zu befolgen seien. Aber eine solche Aufklärung wurde nicht gegeben, vielmehr wiederholentlich ausgesprochen, daß man zunächst die Vorschläge der Industrie selbst erwarten wolle, und daß dann der Bundesrat nach Lage der Sache zu entscheiden haben werde. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, daß also gar nicht abzusehen sei, wie das Gesetz ausgeführt werden solle, und daß namentlich für die Industrie es fast unmöglich sei, Vorschläge zu machen, wenn nicht einigermaßen ersichtlich wäre, von welchen Prinzipien der Bundesrat bei seiner Entscheidung ausgehen werde. Auch über die Konsequenzen des angenommenen Antrags v. Hertling wurde diskutiert; der Antragsteller selbst suchte die Änderungen, welche derselbe hervorrufen werde, als möglichst harmlos hinzustellen, aber er mußte doch einräumen, daß er dem Reichsversicherungsamte eine weit geringere Bedeutung beilegen und einen Teil der Kontrollbefugnisse desselben auf die Landeszentralbehörden übertragen wolle.2 Die Gestaltung der beabsichtigten Einrichtungen ist nach den Beschlüssen noch äußerst dunkel.

Registerinformationen

Personen

  • Oechelhäuser, Wilhelm (1820─1902) Industrieller, MdR (nationaliberal)
  • 1ZfV, 8. Jg. 1884, S. 239f., Sitzungsprotokoll: BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 174─177. »
  • 2Nach dem Sitzungsprotokoll bemerkte Frhr. v. Hertling: Durch Annahme seines Antrags sei durchaus nicht das Kriterium für die Leistungsfähigkeit der Berufsgenossenschaft hinweggeräumt; er habe nur mehr Spielraum für die Bildungen gewünscht; er wundere sich über die geringe Rücksicht, welche der Vorredner (Oechelhäuser) auf die Wünsche der Industrie nehme. Man könne mit 2500 Arbeitern schon leistungsfähige Genossenschaften bilden. Bei einzelnen Gruppen, z. B. in Württemberg könne man Genossenschaften bilden, bei anderen nicht, wünscht möglichste Berücksichtigung der einzelnen Verhältnisse in der Industrie. Er halte den Württ. Antrag (vgl. Nr. 145 Anm. 2, S. 513), auf den er sich zurückgezogen habe, nur insoweit akzeptabel, als er die Bildung solcher Genossenschaften nicht fördere, welche in Württemberg allein nicht lebensfähig seien. Vorzüglich hätte er Verteilung der Kompetenzen des Reichsversicherungsamtes auf Bundesrat, Kanzler und Landesversicherungsämter gewünscht, was ihm jetzt eher aussichtslos erschiene. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 162, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0162

Nachnutzung: Digitale Quellensammlung und Forschungsdaten stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC-BY 4.0) Lizenz. Weiterverwendung unter Namensnennung und Angabe des Permalinks.