Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 145

1884 März 6

Endfassung1 der dritten Unfallversicherungsvorlage

Druck, Teildruck

[Zwangsversicherung mit Haftungsausschluß bis zur Vorsatzgrenze, Berufsgenossenschaften auf Reichsebene, 13wöchige Karenzzeit, Versicherungspflichtgrenze bei 2000 M, Höchstjahresarbeitsverdienst 1200 M, Umlageverfahren mit fakultativem Reservefonds, Reichsgarantie, Arbeiterausschüsse, Reichsversicherungsamt]

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt:

I. Allgemeine Bestimmungen

Umfang der Versicherung

§ 1

[1] Alle in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Steinbrüchen, Gräbereien (Gruben), auf Werften und Bauhöfen, sowie in Fabriken und Hüttenwerken beschäftigten Arbeiter und Betriebsbeamten, letztere sofern ihr Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt zweitausend Mark nicht übersteigt, werden gegen die

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Folgen der bei dem Betriebe sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes versichert.

[2] Den vorstehend aufgeführten gelten im Sinne dieses Gesetzes diejenigen Betriebe gleich, in welchen Dampfkessel oder durch elementare Kraft (Wind, Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft usw.) bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen, mit Ausnahme derjenigen Betriebe, für welche nur vorübergehend eine nicht zur Betriebsanlage gehörende Kraftmaschine benutzt wird.

[3] Im übrigen gelten als Fabriken im Sinne dieses Gesetzes insbesondere diejenigen Betriebe, in welchen die Bearbeitung oder Verarbeitung von Gegenständen gewerbsmäßig ausgeführt wird, und in welchen zu diesem Zwecke mindestens 10 Arbeiter regelmäßig beschäftigt werden.

[4] Welche Betriebe außerdem als Fabriken im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, entscheidet das Reichsversicherungsamt (§§ 87 ff.).

[5] Auf gewerbliche Anlagen, Eisenbahn- und Schiffahrtsbetriebe, welche wesentliche Bestandteile eines der vorbezeichneten Betriebe sind, finden die Bestimmungen dieses Gesetzes ebenfalls Anwendung.

[6] Für solche unter die Vorschrift des § 1 fallende Betriebe, welche mit Unfallgefahr für die darin beschäftigten Personen nicht verknüpft sind, kann durch Beschluß des Bundesrats die Versicherungspflicht ausgeschlossen werden.

§ 2

[1] Durch statutarische Bestimmung (§§ 16 ff.) kann die Versicherungspflicht auf Betriebsbeamte mit einem zweitausend Mark übersteigenden Jahresarbeitsverdienst erstreckt werden.

a[2] Unternehmer der nach § 1 versicherungspflichtigen Betriebe sind, sofern ihr Jahreseinkommen zweitausend Mark nicht übersteigt, berechtigt, sich nach 〉Maßgabe dieses Gesetzes auch für ihre Person zu versichern.a

Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes

§ 3

[1] Als Gehalt oder Lohn im Sinne dieses Gesetzes gelten auch Tantiemen und Naturalbezüge. Der Wert der letzteren ist nach Ortsdurchschnittspreisen in Ansatz zu bringen.

[2] Als Jahresarbeitsverdienst gilt, soweit sich derselbe nicht aus mindestens wochenweise fixierten Beträgen zusammensetzt, das Dreihundertfache des durchschnittlichen täglichen Arbeitsverdienstes. Für Arbeiter in Betrieben, in welchen die übliche Betriebsweise für den das ganze Jahr regelmäßig beschäftigten Arbeiter eine höhere oder niedrigere Zahl von Arbeitstagen ergibt, wird diese Zahl statt der Zahl dreihundert der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes zugrunde gelegt.

[3] Bei Personen, welche wegen noch nicht beendigter Ausbildung keinen oder einen geringen Lohn beziehen, gilt als Jahresarbeitsverdienst das Dreihundertfache des von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörde für Erwachsene festgesetzten ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter (§ 8 des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, vom 15. Juni 1883); ader hiernach in Ansatz zu bringende Jahresarbeitsverdienst darf jedoch den Betrag von dreihundert Mark nicht übersteigen.

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[4] Für die nach § 2 versicherten Betriebsunternehmer gilt als Jahreseinkommen der dreihundertfache Betrag des durchschnittlichen höchsten Tagelohns, welcher von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörde für in Betrieben derselben Art beschäftigte Arbeiter festgestellt worden ist. Der auf diese Weise zum Ansatz kommende Betrag des Jahreseinkommens versicherter Betriebsunternehmer gilt im Sinne dieses Gesetzes als Lohn.a

Reichs-, Staats- und Kommunalbeamte

§ 4

Auf Beamte, welche in Betriebsverwaltungen des Reichs, eines Bundesstaats oder eines Kommunalverbandes mit festem Gehalt und Pensionsberechtigung angestellt sind, findet dieses Gesetz keine Anwendung.

Gegenstand der Versicherung und Umfang der Entschädigung

§ 5

[1] Gegenstand der Versicherung ist der nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen zu bemessende Ersatz des Schadens, welcher durch Körperverletzung oder Tötung entsteht.

[2] Der Schadenersatz soll im Falle der Verletzung bestehen:

1. in den Kosten des Heilverfahrens, welche vom Beginn der vierzehnten Woche nach Eintritt des Unfalls an entstehen;

2. in einer dem Verletzten vom Beginn der vierzehnten Woche nach Eintritt des Unfalls an für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Rente.

[3] Die Rente ist nach Maßgabe desjenigen Arbeitsverdienstes zu berechnen, den der Verletzte während des letzten Jahres seiner Beschäftigung in dem Betriebe, in welchem der Unfall sich ereignete, an Gehalt oder Lohn durchschnittlich für den Arbeitstag bezogen hat (§ 3), wobei der vier Mark übersteigende Betrag nur mit einem Drittel zur Anrechnung kommt.

[4] War der Verletzte in dem Betriebe nicht ein volles Jahr, von dem Unfalle zurückgerechnet, beschäftigt, so ist der Betrag zugrunde zu legen, welchen während dieses Zeitraums Arbeiter derselben Art in demselben Betriebe oder in benachbarten gleichartigen Betrieben durchschnittlich bezogen haben.

[5] Erreicht dieser Arbeitsverdienst (Absatz 3 und 4) den von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörde für Erwachsene festgesetzten ortsüblichen Tagelohn gewöhnlicher Tagearbeiter (§ 8 des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, vom 15. Juni 1883) nicht, so ist der letztere der Berechnung zugrunde zu legen.

[6] Die Rente beträgt:

a) im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit für die Dauer derselben sechsundsechzig zwei Drittel Prozent des Arbeitsverdienstes;

b) im Falle teilweiser Erwerbsunfähigkeit für die Dauer derselben einen Bruchteil der Rente unter a, welcher nach dem Maße der verbliebenen Erwerbsfähigkeit zu bemessen ist, ajedoch nicht mehr als fünfzig Prozent des Arbeitsverdienstes betragen darf.a

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[7] Dem Verletzten steht ein Anspruch nicht zu, wenn er den Betriebsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat. aDie Ansprüche der Hinterbliebenen (§ 6) werden hierdurch nicht berührt. a

§ 6

[1] Im Falle der Tötung ist als Schadenersatz außerdem zu leisten:

1. als Ersatz der Beerdigungskosten das Zwanzigfache des nach § 5 Absatz 3 bis 5 für den Arbeitstag ermittelten Verdienstes,

2. eine den Hinterbliebenen des Getöteten vom Todestage an zu gewährende Rente, welche nach den Vorschriften des § 5 Absatz 3 bis 5 zu berechnen ist.

[2] Dieselbe beträgt:

a) für die Witwe des Getöteten bis zu deren Tode oder Wiederverheiratung zwanzig Prozent, für jedes hinterbliebene vaterlose Kind bis zu dessen zurückgelegtem fünfzehnten Lebensjahre azehna Prozent und, wenn das Kind auch mutterlos ist oder wird, afünfzehna Prozent des Arbeitsverdienstes.

Die Renten der Witwen und der Kinder dürfen zusammen afünfziga Prozent des Arbeitsverdienstes nicht übersteigen; ergibt sich ein höherer Betrag, so werden die einzelnen Renten in gleichem Verhältnisse gekürzt.

Im Falle der Wiederverheiratung erhält die Witwe den dreifachen Betrag ihrer Jahresrente als Abfindung.

Der Anspruch der Witwe aund ihrer Kindera ist ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach dem Unfalle geschlossen worden ist;

b) für Aszendenten des Verstorbenen, wenn dieser ihr einziger Ernährer war, für die Zeit bis zu ihrem Tode oder bis zum Wegfall der Bedürftigkeit zwanzig Prozent des Arbeitsverdienstes.

Wenn mehrere der unter b benannten Berechtigten vorhanden sind, so wird die Rente den Eltern vor den Großeltern gewährt.

Wenn die unter b bezeichneten mit den unter a bezeichneten Berechtigten konkurrieren, so haben die ersteren einen Anspruch nur, soweit für die letzteren der Höchstbetrag der Rente nicht in Anspruch genommen wird.

Die Hinterbliebenen eines Ausländers, welche zur Zeit des Unfalls nicht im Inlande wohnten, haben keinen Anspruch auf die Rente.

§ 7

[1] Anstelle der im § 5 vorgeschriebenen Leistungen kann bis zum beendigten Heilverfahren freie Kur und Verpflegung in einem Krankenhause gewährt werden, und zwar:

1. für Verunglückte, welche verheiratet sind oder bei einem Mitgliede ihrer Familie wohnen, wenn die Art der Verletzung Anforderungen an die Behandlung oder Verpflegung stellt, denen in der Familie nicht genügt werden kann,

2. für sonstige Verunglückte in allen Fällen.

[2] Für die Zeit der Verpflegung des Verunglückten in dem Krankenhause steht den im § 6 Ziffer 2 bezeichneten Angehörigen desselben die daselbst angegebene Rente insoweit zu, als sie auf dieselbe im Falle des Todes des Verletzten einen Anspruch haben würden.

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Verhältnis zu Krankenkassen, Armenverbänden etc.

§ 8

[1] Die Verpflichtung der eingeschriebenen Hilfskassen, sowie der sonstigen Kranken-, Sterbe-, Invaliden- und anderen Unterstützungskassen, den von Betriebsunfällen betroffenen Arbeitern und Betriebsbeamten sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen Unterstützungen zu gewähren sowie die Verpflichtung von Gemeinden oder Armenverbänden zur Unterstützung hilfsbedürftiger Personen wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Soweit aufgrund solcher Verpflichtung Unterstützungen in Fällen gewährt sind, in welchen dem Unterstützten nach Maßgabe dieses Gesetzes ein Entschädigungsanspruch zusteht, geht der letztere bis zum Betrage der geleisteten Unterstützung auf die Kassen, die Gemeinden oder die Armenverbände über, von welchen die Ünterstützung gewährt worden ist.

[2] Das gleiche gilt von den Betriebsunternehmern und Kassen, welche die den bezeichneten Gemeinden und Armenverbänden obliegende Verpflichtung zur Unterstützung aufgrund gesetzlicher Vorschrift erfüllt haben.

Träger der Versicherung (Berufsgenossenschaften)

§ 9

[1] Die Versicherung erfolgt auf Gegenseitigkeit durch die Unternehmer der unter § 1 fallenden Betriebe, welche zu diesem Zweck in Berufsgenossenschaften vereinigt werden. Die Berufsgenossenschaften aerstrecken sich, soweit nichta für a einzelnea Bezirke abesondere Berufsgenossenschaften gebildet werden, über das ganze Reichsgebieta und umfassen innerhalb ades betreffenden Gebietesa alle Betriebe derjenigen Industriezweige, für welche sie errichtet sind.2

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[2] Als Unternehmer gilt derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb erfolgt.

[3] Betriebe, welche wesentliche Bestandteile verschiedenartiger Industriezweige umfassen, sind derjenigen Berufsgenossenschaft zuzuteilen, welcher der Hauptbetrieb angehört.

[4] Die Berufsgenossenschaften haben die Rechte juristischer Personen.

Aufbringung der Mittel

§ 10

[1] Die Mittel zur Deckung der von den Berufsgenossenschaften zu leistenden Entschädigungsbeträge und der Verwaltungskosten werden durch Beiträge aufgebracht, welche von den Mitgliedern nach Maßgabe der in ihren Betrieben von den Versicherten verdienten Löhne und Gehälter bzw. des Jahresarbeitsverdienstes a nocha nicht ausgebildeter Arbeiter a und des Jahreseinkommens versicherter Betriebsunternehmera (§ 3 Absatz 3 und 4), sowie der statutenmäßigen Gefahrentarife (§ 28) jährlich umgelegt werden.

[2] Löhne und Gehälter, welche während der Beitragsperiode durchschnittlich den Satz von vier Mark täglich übersteigen, kommen mit dem vier Mark übersteigenden Betrage nur zu einem Drittel in Anrechnung.

[3] Zu anderen Zwecken als zur Deckung der von der Genossenschaft zu leistenden Entschädigungsbeträge und der Verwaltungskosten, sowie zur Ansammlung des a statutenmäßigen a Reservefonds (§ 19) dürfen weder Beiträge von den Mitgliedern der Genossenschaft erhoben werden noch Verwendungen aus dem Vermögen der Genossenschaft erfolgen.

II. Bildung und Veränderung der Berufsgenossenschaften

Ermittlung der versicherungspflichtigen Betriebe

§ 11

[1] Jeder Unternehmer eines unter den § 1 fallenden Betriebes hat den letzteren binnen einer von dem Reichsversicherungsamt zu bestimmmenden und öffentlich bekanntzumachenden Frist unter Angabe des Gegenstandes und der Art desselben, sowie der Zahl der durchschnittlich darin beschäftigten versicherungspflichtigen Personen bei der unteren Verwaltungsbehörde anzumelden.

[2] Für die nicht angemeldeten Betriebe hat die untere Verwaltungsbehörde die Angaben nach ihrer Kenntnis der Verhältnisse zu ergänzen.

[3] Dieselbe ist befugt, die Unternehmer nicht angemeldeter Betriebe zu einer Auskunft darüber innerhalb einer zu bestimmenden Frist durch Geldstrafen im Betrage bis zu einhundert Mark anzuhalten.

[4] Die untere Verwaltungsbehörde hat ein nach den Gruppen, Klassen und Ordnungen der Reichsberufsstatistik geordnetes Verzeichnis sämtlicher Betriebe ihres [ Druckseite 515 ] Bezirks unter Angabe des Gegenstandes und der Art des Betriebes, sowie der Zahl der darin beschäftigten versicherungspflichtigen Personen aufzustellen. Das Verzeichnis ist der höheren Verwaltungsbehörde einzureichen und von dieser erforderlichenfalls hinsichtlich der Einreihung der Betriebe in die Gruppen, Klassen und Ordnungen der Reichs-Berufsstatistik zu berichtigen.

[5] Die höhere Verwaltungsbehörde hat ein gleiches Verzeichnis sämtlicher versicherungspflichtigen Betriebe ihres Bezirks dem Reichsversicherungsamt einzureichen.

Freiwillige Bildung der Berufsgenossenschaften

§ 12

Die Bildung der Berufsgenossenschaften erfolgt auf dem Wege der Vereinbarung der Betriebsunternehmer unter Zustimmung des Bundesrats. Die Zustimmung des Bundesrats kann versagt werden:

1. wenn die Anzahl der Betriebe, für welche die Berufsgenossenschaft gebildet werden soll, oder die Anzahl der in denselben beschäftigten Arbeiter zu gering ist, um die dauernde Leistungsfähigkeit der Berufsgenossenschaft in bezug auf die bei der Unfallversicherung ihr obliegenden Pflichten zu gewährleisten;

2. wenn Betriebe von der Aufnahme in die Berufsgenossenschaft ausgeschlossen werden sollen, welche wegen ihrer geringen Zahl oder wegen der geringen Zahl der in ihnen beschäftigten Arbeiter eine eigene leistungsfähige Berufsgenossenschaft zu bilden außerstande sind und auch einer anderen Berufsgenossenschaft zweckmäßig nicht zugeteilt werden können;

3. wenn eine Minderheit der Bildung der Berufsgenossenschaft widerspricht und für einzelne Industriezweige oder Bezirke eine besondere Berufsgenossenschaft zu bilden beantragt, welche als dauernd leistungsfähig zu erachten ist.

§ 13

[1] Die Beschlußfassung über die Bildung der Berufsgenossenschaften erfolgt durch die zu diesem Zweck zu einer Generalversammlung zu berufenden Betriebsunternehmer mit Stimmenmehrheit.

[2] Anträge auf Einberufung der Generalversammlung sind an das Reichsversicherungsamt zu richten; dasselbe hat, sofern es nicht den Fall des § 12 Ziffer 1 für vorliegend erachtet, den Anträgen stattzugeben, wenn dieselben innerhalb a dreia Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes und mindestens von dem zwanzigsten Teil der Unternehmer derjenigen Betriebe, für welche die Berufsgenossenschaft gebildet werden soll oder von solchen Unternehmern, welche mindestens den zehnten Teil der in diesen Betrieben vorhandenen versicherungspflichtigen Personen beschäftigen, gestellt werden.

[3] Erachtet das Reichsversicherungsamt die Voraussetzungen des § 12, Ziffer 1 für vorliegend, so ist von demselben die Entscheidung des Bundesrats einzuholen.

[4] Findet das Reichsversicherungsamt bei der Prüfung von Anträgen auf Einberufung der Generalversammlung, daß der unter § 12 Ziffer 2 vorgesehene Fall vorliegt, so hat dasselbe die Unternehmer der dabei in Betracht kommenden Betriebe [ Druckseite 516 ] zum Zweck der Beschlußfassung über die Abgrenzung der Berufsgenossenschaft zu der Generalversammlung mit einzuladen.

§ 14

[1] Aufgrund der unter § 11 erwähnten Verzeichnisse werden die Betriebsunternehmer von dem Reichsversicherungsamt unter Angabe der ihnen zustehenden Stimmenzahl zur Generalversammlung einzeln eingeladen.

[2] Jeder Unternehmer oder Vertreter eines Betriebes, in welchem nicht mehr als 20 versicherungspflichtige Personen beschäftigt werden, hat eine, darüber hinaus bis zu 200 für je 20 und von 200 an für je 100 mehr abeschäftigte Arbeitera eine weitere Stimme.

[3] Abwesende Betriebsunternehmer können sich durch stimmberechtigte Berufsgenossen vertreten lassen. Die Generalversammlung findet in Gegenwart eines Vertreters des Reichsversicherungsamts statt, welcher dieselbe zu eröffnen, die Wahl des aus einem Vorsitzenden, zwei Schriftführern und mindestens zwei Beisitzern bestehenden Vorstandes herbeizuführen und, bis dieselbe erfolgt ist, die Verhandlungen zu leiten hat.

[4] Die Generalversammlung hat unter der Leitung ihres Vorstandes außer über den auf Bildung der Berufsgenossenschaft gerichteten Antrag, welcher zu ihrer Einberufung Anlaß gegeben hat, auch über die aus ihrer Mitte dazu etwa gestellten Abänderungsanträge Beschluß zu fassen. Auf Verlangen des Vertreters des Reichsversicherungsamts, welcher jederzeit gehört werden muß, erfolgt die Abstimmung über die in bezug auf die Abgrenzung der Berufsgenossenschaft gestellten Anträge getrennt nach Industriezweigen oder Bezirken.

[5] Über die Verhandlungen der Generalversammlung ist ein Protokoll aufzunehmen, welches die gestellten Anträge sowie die gefaßten Beschlüsse ─ letztere unter Angabe des Stimmverhältnisses sowie der Art der Abstimmung ─ enthalten muß. Das Protokoll ist innerhalb acht Tagen nach der Generalversammlung durch den Vorstand dem Reichsversicherungsamt einzureichen und demnächst dem Bundesrat (§ 12) vorzulegen.

Bildung der Berufsgenossenschaften durch den Bundesrat

§ 15

[1] Für diejenigen Industriezweige, für welche innerhalb der im § 13 festgesetzten Frist genügend unterstützte Anträge auf Einberufung der Generalversammlung zur freiwilligen Bildung einer Berufsgenossenschaft nicht gestellt worden sind, werden die Berufsgenossenschaften durch den Bundesrat nach Anhörung von Vertretern der beteiligten Industriezweige gebildet. Dasselbe geschieht, wenn den gestellten Anträgen in Rücksicht auf § 12 Ziffer 1 nicht stattgegeben oder wenn den Beschlüssen, welche in einer nach § 14 berufenen Generalversammlung gefaßt sind, die Genehmigung versagt worden ist, sofern nicht der Bundesrat den Beteiligten eine weitere Frist für die Fassung anderweiter Beschlüsse gewährt.

[2] Die Beschlüsse des Bundesrats, durch welche Berufsgenossenschaften errichtet, sowie die beantragte Bildung freiwilliger Berufsgenossenschaften genehmigt werden, sind unter Bezeichnung der Bezirke und Industriezweige, für welche die [ Druckseite 517 ] einzelnen Berufsgenossenschaften gebildet sind, durch den Reichsanzeiger zu veröffentlichen.

Statut der Berufsgenossenschaften

§ 16

[1] Die Berufsgenossenschaften regeln ihre innere Verwaltung sowie ihre Geschäftsordnung durch ein von der Generalversammlung ihrer Mitglieder (Genossenschaftsversammlung) zu beschließendes Statut. Bis zum Zustandekommen eines gültigen Genossenschaftsstatuts (§ 20) finden die in § 14 enthaltenen Bestimmungen über die Einladung zu der Generalversammlung, die Ausübung des Stimmrechts der Genossenschaftsmitglieder und die Beteiligung eines Vertreters des Reichsversicherungsamts an den Verhandlungen auch auf die Genossenschaftsversammlungen Anwendung.

[2] Die Genossenschaftsversammlung wählt bei ihrem erstmaligen Zusammentreten einen aus einem Vorsitzenden, einem Schriftführer und mindestens drei Beisitzern bestehenden provisorischen Genossenschaftsvorstand, welcher bis zur a statutenmäßig erfolgtena Vorstandsa wahla die Genossenschaftsversammlungen leitet und die Geschäfte der Genossenschaft fuhrt.

[3] Die Mitglieder der Berufsgenossenschaften können sich in der Genossenschaftsversammlung durch andere stimmberechtigte Mitglieder vertreten lassen.

§ 17

Das Genossenschaftsstatut muß Bestimmung treffen:

1. über Namen und Sitz der Genossenschaft,

2. über die Bildung des Genossenschaftsvorstandes und über den Umfang seiner Befugnisse,

3. über die Berufung der Genossenschaftsversammlung sowie über die Art ihrer Beschlußfassung,

4. über das Stimmrecht der Mitglieder der Genossenschaft und die Prüfung ihrer Vollmachten,

5. über das von den Organen der Genossenschaft bei der Einschätzung der Betriebe in die Klassen des Gefahrentarifs zu beobachtende Verfahren (§ 28),

6. über das Verfahren bei Betriebsveränderungen (§§ 38, 39),

7. über die Folgen der Betriebseinstellungen, insbesondere über die Sicherstellung der Beiträge der Unternehmer, welche den Betrieb einstellen,

8. über die den a Mitgliedern der Arbeiterausschüssea zu gewährenden Vergütungssätze (§ 44 Absatz 4),

9. über die Aufstellung, Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung,

10. über die Ausübung der der Genossenschaft zustehenden Befugnisse zum Erlaß von Vorschriften behufs der Unfallverhütung und zur Überwachung der Betriebe (§§ 78 ff),

11. aüber die Anmeldung und das Ausscheiden der im § 2 bezeichneten Betriebsunternehmera,

12. über die Voraussetzungen einer Abänderung des Statuts.

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§ 18

[1] Das Statut kann die Zusammensetzung der Genossenschaftsversammlung aus Vertretern, die Einteilung der Berufsgenossenschaft in örtlich abgegrenzte Sektionen sowie die Einsetzung von Vertrauensmännern als örtliche Genossenschaftsorgane vorschreiben. Enthält dasselbe Vorschriften dieser Art, so ist darin zugleich über die Wahl der Vertreter, über Sitz und Bezirk der Sektionen, über die Bildung der Sektionsvorstände und über den Umfang ihrer Befugnisse sowie über die Abgrenzung der Bezirke der Vertrauensmänner, die Wahl der letzteren und ihrer Stellvertreter und den Umfang ihrer Befugnisse Bestimmung zu treffen.

[2] Die Abgrenzung der Bezirke der Vertrauensmänner sowie die Wahl der letzteren und ihrer Stellvertreter kann von der Genossenschaftsversammlung dem Genossenschaftsvorstande übertragen werden.

§ 19

aDurch das Statut kann diea Ansamma lung a eines Reservefonds abis zur Höhe desjenigen Jahresbetrages, welchen die Genossenschaft an Beiträgen beim Eintritt des Beharrungszustandes aufzubringen hat, angeordnet werden. Wird die Ansammlung eines Reservefonds beschlossen, so hat das Statut zugleich darüber Bestimmung zu treffen, unter welchen Voraussetzungen die Zinsena des Reservefonds afür diea Deckung der der Genossenschaft aobliegendena Lasten azua verwenden asinda und der Kapitalbestand des Reservefonds angegriffen werden darf.3 [...]

Auflösung von Berufsgenossenschaften [Reichsgarantie]

§ 33

Berufsgenossenschaften, welche zur Erfüllung der ihnen durch dieses Gesetz auferlegten Verpflichtungen leistungsunfähig werden, können auf Antrag des Reichsversicherungsamts von dem Bundesrat aufgelöst werden. Diejenigen Industriezweige, welche die aufgelöste Genossenschaft gebildet haben, sind anderen Berufsgenossenschaften nach deren Anhörung zuzuteilen. Mit der Auflösung der Genossenschaft gehen deren Rechtsansprüche und Verpflichtungen auf das Reich über. [...]

IV. Arbeiterausschüsse und Schiedsgerichte

Arbeiterausschüsse

§ 41

[1] Zum Zweck der Wahl von Beisitzern zum Schiedsgericht (§ 46), ader Mitwirkung bei der Untersuchung von Unfällen (§ 54)a, der Begutachtung der zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Vorschriften (§§ 78,81) und der Teilnahme an der Wahl zweier nichtständiger Mitglieder des Reichsversicherungsamts (§ 87) wird für jede Genossenschaftssektion, und, sofern die Genossenschaft nicht in Sektionen geteilt ist, für die Genossenschaft aein Arbeiterausschuß errichtet.

[2] Der Bundesrat kann anordnen, daß statt eines Arbeiterausschusses deren mehrere nach Bezirken gebildet werden.a

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§ 42

[1] aDer Arbeiterausschuß besteht aus Vertreterna derjenigen Orts- und Betriebs- (Fabrik-)krankenkassen, sowie derjenigen Knappschaftskassen, welche im Bezirke des Ausschusses ihren Sitz haben und welchen mindestens zehn in den Betrieben der Genossenschaftsmitglieder beschäftigte versicherte Personen angehören.

[2] Die Wahl erfolgt durch adiea Vorstände der bezeichneten Kassen unter Ausschluß der adenselben angehörendena Vertreter der Arbeitgeber. Wählbar sind nur männliche, großjährige aVorstandsmitgliedera, welche in Betrieben der Genossenschaftsmitglieder und im Bezirke ades Ausschussesa beschäftigt sind, sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und nicht durch richterliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.

§ 43

aDer Arbeiterausschuß soll aus mindestens neun und höchstens einundzwanzig Mitgliedern bestehen. Innerhalb dieser Grenzen wird die Anzahl der Mitglieder und deren Verteilunga auf örtlich abzugrenzende Teile der Genossenschaft mittels eines Regulativs bestimmt, welches durch das Reichsversicherungsamt oder, sofern es sich um den aArbeiterausschuß einera Sektion handelt, welche über die Grenzen eines Landes nicht hinausgeht, durch die Landeszentralbehörde oder die von derselben zu bestimmende höhere Verwaltungsbehörde zu erlassen ist.

§ 44

[1] Die Wahl der aAusschußmitgliedera erfolgt nach näherer Bestimmung des Regulativs unter der Leitung eines aVertretersa derjenigen Behörde, von welcher das Regulativ erlassen worden ist.

[2] Für jedes aAusschußmitglieda sind ein erster und ein zweiter aStellvertretera zu wählen, welche adasselbea in Behinderungsfällen zu avertretena und im Falle des Ausscheidens für den Rest der Wahlperiode in der Reihenfolge ihrer Wahl als Mitglied einzutreten haben.

[3] Die Wahl erfolgt auf vier Jahre. Alle zwei Jahre scheidet die Hälfte der aAusschußmitgliedera und aStellvertretera aus. Die erstmalig Ausscheidenden werden durch das Los bestimmt, demnächst entscheidet das Dienstalter.

[4] Die aAusschußmitgliedera erhalten aus der Genossenschaftskasse auf Anweisung des Genossenschaftsvorstandes nach den durch das Genossenschaftsstatut zu bestimmenden Sätzen Ersatz für notwendige bare Auslagen und entgangenen Arbeitsverdienst. Gegen die Anweisung ist die Beschwerde an diejenige Behörde, welche das Regulativ erlassen hat (§ 43), zulässig. Dieselbe entscheidet endgültig.

Gruppen der Arbeiterausschüsse

§ 45

[1] a Durch das in § 43 bezeichnete Regulativ kann der Arbeiterausschuß nach örtlicher Begrenzung in Gruppen geteilt werden.

[2] Die Ausschüsse und deren Gruppen wählen einen Vorsitzenden aus der Mitte ihrer Mitglieder. Sie fassen ihre Beschlüsse nach Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende.

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[3] Die Ausschüsse oder, sofern dieselben in Gruppen geteilt sind, die Gruppena wählen aalljährlich aus ihrer Mittea zum Zwecke der Teilnahme an den Unfalluntersuchungen (§ 54) afür bestimmte Bezirke je einen Vertretera, dessen Name und Wohnort den beteiligten Ortspolizeibehörden mitzuteilen ist.

[4] aDie näheren Vorschriften über den Sitz und die Geschäftsführung der Ausschüsse und ihrer Gruppen werden im übrigen durch das Regulativ bestimmt, welches so lange in Kraft bleibt, bis Änderungen desselben bei der im § 43 bezeichneten Behörde beantragt und von derselben genehmigt worden sind.a

Schiedsgerichte

§ 46

[1] Für jeden Bezirk, afür welchen ein Arbeiterausschuß gebildet ist (§ 41)a, wird ein Schiedsgericht errichtet.

[2] Der Sitz des Schiedsgerichts wird von der Zentralbehörde des Bundesstaats, zu welchem der Bezirk desselben gehört oder, sofern der Bezirk über die Grenzen eines Bundesstaats hinausgeht, im Einvernehmen mit den beteiligten Zentralbehörden von dem Reichsversicherungsamt bestimmt. [...]

V. Feststellung und Auszahlung der Entschädigungen

Anzeige und Untersuchung der Unfälle

§ 51

[1] Von jedem in einem versicherten Betriebe vorkommenden Unfall, durch welchen eine in demselben beschäftigte Person getötet wird oder eine Körperverletzung erleidet, welche eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder den Tod zur Folge hat, ist von dem Betriebsunternehmer bei der Ortspolizeibehörde schriftliche Anzeige zu erstatten.

[2] Dieselbe muß binnen zwei Tagen nach dem Tage erfolgen, an welchem der Betriebsunternehmer von dem Unfall Kenntnis erlangt hat.

[3] Für den Betriebsunternehmer kann derjenige, welcher zur Zeit des Unfalls den Betrieb oder den Betriebsteil, in welchem sich der Unfall ereignete, zu leiten hatte, die Anzeige erstatten; im Falle der Abwesenheit oder Behinderung des Betriebsunternehmers ist er dazu verpflichtet.

[4] Das Formular für die Anzeige wird vom Reichsversicherungsamt festgestellt.

[5] Die Vorstände der unter Reichs- oder Staatsverwaltung stehenden Betriebe haben die in Absatz 1 vorgeschriebene Anzeige der vorgesetzten Dienstbehörde nach näherer Anweisung derselben zu erstatten.

§ 52

Die Ortspolizeibehörden, im Falle des § 51 Absatz 5 die Betriebsvorstände, haben über die zur Anzeige gelangenden Unfälle ein Unfallverzeichnis zu führen.

§ 53

Jeder zur Anzeige gelangte Unfall, durch welchen eine versicherte Person getötet ist oder eine Körperverletzung erlitten hat, die voraussichtlich den Tod oder ei-

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ne Erwerbsunfähigkeit von mehr als dreizehn Wochen zur Folge haben wird, ist von der Ortspolizeibehörde sobald wie möglich einer Untersuchung zu unterziehen, durch welche festzustellen sind:

1. die Veranlassung und Art des Unfalls,

2. die getöteten oder verletzten Personen,

3. die Art der vorgekommenen Verletzungen,

4. der Verbleib der verletzten Personen,

5. die Hinterbliebenen der durch den Unfall getöteten Personen, welche nach § 6 dieses Gesetzes einen Entschädigungsanspruch erheben können.

§ 54

[1] Vertreter der Genossenschaft, ader Vertreter des Arbeiterausschusses bzw. der Ausschußgruppe (§ 45 Absatz 3)a und der Betriebsunternehmer, letzterer entweder in Person oder durch einen Vertreter, können an den Untersuchungsverhandlungen teilnehmen. Zu diesem Zwecke ist dem Genossenschaftsvorstande, adem Vertreter des Arbeiterausschusses bzw. der Ausschußgruppea und dem Betriebsunternehmer von der Einleitung der Untersuchung rechtzeitig Kenntnis zu geben. Ist die Genossenschaft in Sektionen geteilt oder sind von der Genossenschaft Vertrauensmänner bestellt, so ist die Mitteilung von der Einleitung der Untersuchung an den Sektionsvorstand bzw. an den Vertrauensmann zu richten.

[2] Außerdem sind, soweit tunlich, die sonstigen Beteiligten und auf Antrag und Kosten der Genossenschaft Sachverständige zuzuziehen. [...]

Entscheidung der Vorstände

§ 57

[1] Die Feststellung der Entschädigungen für die durch Unfall verletzten Versicherten und für die Hinterbliebenen der durch Unfall getöteten Versicherten erfolgt

1. sofern die Genossenschaft in Sektionen eingeteilt ist, durch den Vorstand der Sektion, wenn es sich handelt

a) um den Ersatz der Kosten des Heilverfahrens,

b) um die für die Dauer einer voraussichtlich vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit zu gewährende Rente,

c) um den Ersatz der Beerdigungskosten,

2. in allen übrigen Fällen durch den Vorstand der Genossenschaft.

[2] Das Genossenschaftsstatut kann bestimmen, daß die Feststellung der Entschädigungen in den Fällen der Ziffer 1 und 2 durch einen Ausschuß des Sektionsvorstandes oder durch eine besondere Kommission oder durch örtliche Beauftragte (Vertrauensmänner) und in den Fällen der Ziffer 2 auch durch den Sektionsvorstand oder durch einen Ausschuß des Genossenschaftsvorstandes zu bewirken ist.

[3] Vor der Feststellung der Entschädigung ist dem Entschädigungsberechtigten durch Mitteilung der Unterlagen, aufgrund deren dieselbe zu bemessen ist, Gelegenheit zu geben, sich binnen einer Frist von einer Woche zu äußern.

§ 58

[1] Sind versicherte Personen infolge des Unfalls getötet, so haben die im § 57 bezeichneten Genossenschaftsorgane sofort nach Abschluß der Untersuchung

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(§§ 53 bis 56) oder, falls der Tod erst später eintritt, sobald sie von demselben Kenntnis erlangt haben, die Feststellung der Entschädigung vorzunehmen.

[2] Sind versicherte Personen infolge des Unfalls körperlich verletzt, so ist sobald als möglich die ihnen zu gewährende Entschädigung festzustellen.

[3] Für diejenigen verletzten Personen, für welche noch nach Ablauf von dreizehn Wochen eine weitere ärztliche Behandlung behufs Heilung der erlittenen Verletzungen notwendig ist, hat sich die Feststellung zunächst mindestens auf die bis zur Beendigung des Heilverfahrens zu leistenden Entschädigungen zu erstrecken. Die weitere Entschädigung ist, sofern deren Feststellung früher nicht möglich ist, nach Beendigung des Heilverfahrens unverzüglich zu bewirken.

§ 59

[1] Entschädigungsberechtigte, für welche die Entschädigung nicht von Amts wegen festgestellt ist, haben ihren Entschädigungsanspruch bei Vermeidung des Ausschlusses vor Ablauf eines Jahres nach dem Eintritt des Unfalls bei dem zuständigen Vorstande anzumelden.

[2] Wird der angemeldete Entschädigungsanspruch anerkannt, so ist die Höhe der Entschädigung sofort festzustellen; anderenfalls ist der Entschädigungsanspruch durch schriftlichen Bescheid abzulehnen.

[3] Ereignete sich der Unfall, infolgedessen der Entschädigungsanspruch erhoben wird, in einem Betriebe, für welchen ein Mitgliedschein von einer Genossenschaft nicht erteilt war, so hat die Anmeldung des Entschädigungsanspruchs bei der unteren Verwaltungsbehörde zu erfolgen, in deren Bezirk der Betrieb belegen ist. Dieselbe hat den Entschädigungsanspruch mittels Bescheides zurückzuweisen, wenn sie den Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet hat, für nicht unter den § 1 fallend erachtet; anderenfalls hat sie die Feststellung der Genossenschaft, welcher der Betrieb angehört, nach Maßgabe der §§ 34 bis 37 herbeizuführen, und, nachdem diese Feststellung erfolgt ist, den angemeldeten Entschädigungsanspruch dem zuständigen Vorstande zur weiteren Veranlassung zu überweisen, auch dem Entschädigungsberechtigten hiervon schriftlich Nachricht zu geben.

§ 60

Die Mitglieder der Genossenschaften sind verpflichtet, auf Erfordern der Behörden und Vorstände (Vertrauensmänner) (§ 57) binnen einer Woche diejenigen Lohn- und Gehaltsnachweisungen zu liefern, welche zur Feststellung der Entschädigung erforderlich sind.

§ 61

Über die Feststellung der Entschädigung hat der Vorstand (Ausschuß, Vertrauensmann), welcher dieselbe vorgenommen hat, dem Entschädigungsberechtigten einen schriftlichen Bescheid zu erteilen, aus welchem die Höhe der Entschädigung und die Art ihrer Berechnung zu ersehen ist. Bei Entschädigungen für erwerbsunfähig gewordene Verletzte ist namentlich anzugeben, in welchem Maße die Erwerbsunfähigkeit angenommen worden ist.

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Berufung gegen die Entscheidung der Behörden und Genossenschaftsorgane

§ 62

[1] Gegen den Bescheid der unteren Verwaltungsbehörde, durch welchen der Entschädigungsanspruch aus dem Grunde abgelehnt wird, weil der Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet hat, für nicht unter den § 1 fallend erachtet wird (§ 59 Absatz 3), steht dem Verletzten und seinen Hinterbliebenen die Beschwerde an das Reichsversicherungsamt zu. Dieselbe ist binnen vier Wochen nach der Zustellung des ablehnenden Bescheides bei der unteren Verwaltungsbehörde einzulegen.

[2] Gegen den Bescheid, durch welchen der Entschädigungsanspruch aus einem anderen als dem vorbezeichneten Grunde abgelehnt wird (§ 59 Absatz 2) sowie gegen den Bescheid, durch welchen die Entschädigung festgestellt wird (§ 61), findet die Berufung auf schiedsrichterliche Entscheidung statt.

[3] Die Berufung ist bei Vermeidung des Ausschlusses binnen vier Wochen nach der Zustellung des Bescheides bei dem Vorsitzenden desjenigen Schiedsgerichts (§ 47) zu erheben, in dessen Bezirk der Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet hat, belegen ist.

[4] Die Berufung hat keine aufschiebende Wirkung.

Entscheidung des Schiedsgerichts. Rekurs an das Reichsversicherungsamt

§ 63

[1] Die Entscheidung des Schiedsgerichts ist dem Berufenden und demjenigen Genossenschaftsorgane, welches den angefochtenen Bescheid erlassen hat, zuzustellen. Gegen die Entscheidung steht in den Fällen des § 57 Ziffer 2 dem Verletzten oder dessen Hinterbliebenen, sowie dem Genossenschaftsvorstande binnen einer Frist von vier Wochen nach der Zustellung der Entscheidung der Rekurs an das Reichsversicherungsamt zu. Derselbe hat keine aufschiebende Wirkung.

[2] Bildet in dem Falle des § 6 Ziffer 2 die Anerkennung oder Nichtanerkennung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Getöteten und dem die Entschädigung Beanspruchenden die Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs, so kann das Schiedsgericht den Beteiligten aufgeben, zuförderst die Feststellung des betreffenden Rechtsverhältnisses im ordentlichen Rechtswege herbeizuführen. In diesem Falle ist die Klage bei Vermeidung des Ausschlusses des Entschädigungsanspruchs binnen einer vom Schiedsgericht zu bestimmenden, mindestens auf vier Wochen zu bemessenden Frist nach der Zustellung des hierüber erteilten Bescheides des Schiedsgerichts zu erheben.

[3] Nach erfolgter rechtskräftiger Entscheidung des Gerichts hat das Schiedsgericht auf erneuten Antrag über den Entschädigungsanspruch zu entscheiden. [...]

Auszahlungen durch die Post

§ 69

[1] Die Auszahlung der aufgrund dieses Gesetzes zu leistenden Entschädigungen wird auf Anweisung des Genossenschaftsvorstandes vorschußweise durch die Post-

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verwaltungen, und zwar in der Regel durch dasjenige Postamt, in dessen Bezirk der Entschädigungsberechtigte zur Zeit des Unfalls seinen Wohnsitz hatte, bewirkt.

[2] Verlegt der Entschädigungsberechtigte seinen Wohnsitz, so hat er die Überweisung der Auszahlung der ihm zustehenen Entschädigung an das Postamt seines neuen Wohnorts bei dem Vorstande, von welchem die Zahlungsanweisung erlassen worden ist, zu beantragen.

Liquidationen der Post

§ 70

Binnen acht Wochen nach Ablauf jedes Rechnungsjahres haben die Zentralpostbehörden den einzelnen Genossenschaftsvorständen Nachweisungen der auf Anweisung der Vorstände geleisteten Zahlungen zuzustellen und gleichzeitig die Postkassen zu bezeichnen, an welche die zu erstattenden Beträge einzuzahlen sind.

Umlage- und Erhebungsverfahren

§ 71

[1] Die von den Zentralpostverwaltungen zur Erstattung liquidierten Beträge sind von den Genossenschaftsvorständen gleichzeitig mit den Verwaltungskosten unter Berücksichtigung der aufgrund der §§ 29 und 30 etwa vorliegenden Verpflichtungen oder Berechtigungen nach dem festgestellten Verteilungsmaßstab auf die Genossenschaftsmitglieder umzulegen und von denselben einzuziehen.

[2] Zu diesem Zweck hat jedes Mitglied der Genossenschaft binnen vier Wochen nach Ablauf des Rechnungsjahres dem Genossenschaftsvorstande eine Nachweisung einzureichen, welche enthält:

1. die während des abgelaufenen Rechnungsjahres im Betriebe beschäftigten versicherten Personen und die von denselben verdienten Löhne und Gehälter,

2. eine Berechnung der bei der Umlegung der Beiträge in Anrechnung zu bringenden Beträge der Löhne und Gehälter,

3. die Gefahrenklasse, in welche der Betrieb eingeschätzt worden ist (§ 28).

[3] Für Genossenschaftsmitglieder, welche mit der rechtzeitigen Einsendung der Nachweisung im Rückstande sind, erfolgt die Feststellung der letzteren durch den Genossenschafts- bzw. Sektionsvorstand auf Vorschlag des etwa bestellten Vertrauensmannes. [...]

VI. Unfallverhütung. Überwachung der Betriebe durch die Genossenschaften

Unfallverhütungsvorschriften

§ 78

[1] Die Genossenschaften sind befugt, für den Umfang des Genossenschaftsbezirkes oder für bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten oder bestimmt abzugrenzende Bezirke Vorschriften zu erlassen:

1. über die von den Mitgliedern zur Verhütung von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen unter Bedrohung der Zuwiderhandelnden mit der Einschätzung ihrer Betriebe in eine höhere Gefahrenklasse oder, falls sich die letzteren [ Druckseite 525 ] bereits in der höchsten Gefahrenklasse befinden, mit Zuschlägen bis zum doppelten Betrage ihrer Beiträge.

Für die Herstellung der vorgeschriebenen Einrichtungen ist den Mitgliedern eine angemessene Frist zu bewilligen;

2. über das in den Betrieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu beobachtende Verhalten unter Bedrohung der Zuwiderhandelnden mit Geldstrafen bis zu sechs Mark.

[2] Diese Vorschriften bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts.

§ 79

[1] aVor der Einholung der Genehmigung (§ 78) sind die Vorschriften durch Vermittlung der unteren Verwaltungsbehörden den beteiligten Arbeiterausschüssen (§ 41) oder, sofern diese in Gruppen eingeteilt sind (§ 45), den Gruppen zur gutachtlichen Erklärung mitzuteilen.

[2] Die untere Verwaltungsbehörde beruft den Ausschuß bzw. die Gruppe zu einer Beratung über die Vorschriften, leitet die Verhandlungen und stellt die den Erschienenen gemäß § 44 Absatz 4 zustehende Vergütung fest. Das über die Verhandlung aufzunehmende Protokoll ist binnen sechs Wochen nach erfolgter Mitteilung an den Vorstand der Genossenschaft einzusenden.

[3] Die Protokolle sind, sofern sie rechtzeitig eingehen, dem Antrage auf Genehmigung der Vorschriften beizufügen.a

[4] Die genehmigten Vorschriften sind den höheren Verwaltungsbehörden, auf deren Bezirke dieselben sich erstrecken, durch den Genossenschaftsvorstand mitzuteilen.

§ 80

[1] Die im § 78 Ziffer 1 vorgesehene höhere Einschätzung des Betriebes sowie die Festsetzung von Zuschlägen erfolgt durch den Vorstand der Genossenschaft, die Festsetzung der in § 78 Ziffer 2 vorgesehenen Geldstrafen durch den Vorstand der Betriebs- (Fabrik-)krankenkasse oder, wenn eine solche für den Betrieb nicht errichtet ist, durch die Ortspolizeibehörde. In beiden Fällen findet binnen zwei Wochen nach der Zustellung der bezüglichen Verfügung die Beschwerde statt. Über dieselbe entscheidet im ersten Falle das Reichsversicherungsamt, im zweiten Falle die der Ortspolizeibehörde unmittelbar vorgesetzte Aufsichtsbehörde.

[2] Die Geldstrafen (§ 78 Ziffer 2) fließen in die Krankenkasse, welcher der zu ihrer Zahlung Verpflichtete zur Zeit der Zuwiderhandlung angehört.

§ 81

Die von den Landesbehörden für bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Anordnungen sollen, sofern nicht Gefahr im Verzuge ist, den beteiligten Genossenschaften aund im Falle des § 78 Ziffer 2 auch den beteiligten Arbeiterausschüssen (Gruppen)a zur Begutachtung nach Maßgabe des § 79 vorher mitgeteilt werden.

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Überwachung der Betriebe

§ 82

[1] Die Genossenschaften sind befugt durch Beauftragte die Befolgung der zur Verhütung von Unfällen erlassenen Vorschriften zu überwachen, von den Einrichtungen der Betriebe, soweit sie für die Zugehörigkeit zur Genossenschaft oder für die Einschätzung in den Gefahrentarif von Bedeutung sind, Kenntnis zu nehmen und behufs Prüfung der von den Betriebsunternehmern aufgrund gesetzlicher oder statutarischer Bestimmungen eingereichten Arbeiter- und Lohnnachweisungen diejenigen Geschäftsbücher und Listen einzusehen, aus welchen die Zahl der beschäftigten Arbeiter und Beamten und die Beträge der verdienten Löhne und Gehälter ersichtlich werden.

[2] Die einer Genossenschaft angehörenden Betriebsunternehmer sind verpflichtet, den als solchen legitimierten Beauftragten der beteiligten Genossenschaft auf Erfordern den Zutritt zu ihren Betriebsstätten während der Betriebszeit zu gestatten und die bezeichneten Bücher und Listen an Ort und Stelle zur Einsicht vorzulegen. Sie können hierzu, vorbehaltlich der Bestimmungen des § 83, auf Antrag der Beauftragten von der unteren Verwaltungsbehörde durch Geldstrafen im Betrage bis zu dreihundert Mark angehalten werden.

§ 83

Befürchtet der Betriebsunternehmer die Verletzung eines Fabrikgeheimnisses oder die Schädigung seiner Geschäftsinteressen infolge der Besichtigung des Betriebs durch den Beauftragten der Genossenschaft, so kann derselbe die Besichtigung durch andere aVertreter der Genossenschafta beanspruchen. In diesem Falle hat er dem Genossenschaftsvorstande, sobald er den Namen des Beauftragten erfährt, eine entsprechende Mitteilung zu machen und einige geeignete Personen zu bezeichnen, welche auf seine Kosten die erforderliche Einsicht in den Betrieb zu nehmen und dem Vorstande die für die Zwecke der Genossenschaft notwendige Auskunft über die Betriebseinrichtungen zu geben bereit sind. In Ermangelung einer Verständigung zwischen dem Betriebsunternehmer und dem Vorstande entscheidet auf Anrufen des letzteren das Reichsversicherungsamt.

§ 84

Die Beauftragten sowie die Mitglieder der Vorstände der Genossenschaften ha-

ben über die Tatsachen, welche durch die Überwachung und Kontrolle der Betriebe zu ihrer Kenntnis agelangena, Verschwiegenheit zu beobachten. Die Beauftragten der Genossenschaften sind hierauf von der unteren Verwaltungsbehörde ihres Wohnorts zu beeidigen.

§ 85

[1] Namen und Wohnsitz der Beauftragten sind von dem Genossenschaftsvorstande den höheren Verwaltungsbehörden, auf deren Bezirke sich ihre Tätigkeit erstreckt, anzuzeigen.

[2] Die Beauftragten sind verpflichtet, den nach Maßgabe des § 139 b der Gewerbeordnung bestellten staatlichen Aufsichtsbeamten auf Erfordern über ihre Überwachungstätigkeit und deren Ergebnisse Mitteilung zu machen, und können [ Druckseite 527 ] dazu von dem Reichsversicherungsamt durch Geldstrafen bis zu einhundert Mark angehalten werden.

§ 86

Die durch die Überwachung und Kontrolle der Betriebe entstehenden Kosten gehören zu den Verwaltungskosten der Genossenschaft. Soweit dieselben in baren Auslagen bestehen, können sie durch den Vorstand der Genossenschaft dem Betriebsunternehmer auferlegt werden, wenn derselbe durch Nichterfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen zu ihrer Anwendung Anlaß gegeben hat. Gegen die Auferlegung der Kosten findet binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses die Beschwerde an das Reichsversicherungsamt statt. Die Beitreibung derselben erfolgt in derselben Weise wie die der Gemeindeabgaben.

VII. Das Reichsversicherungsamt

Organisation

§ 87

[1] Die Genossenschaften unterliegen in bezug auf die Befolgung dieses Gesetzes der Beaufsichtigung des Reichsversicherungsamts.

[2] Das Reichsversicherungsamt hat seinen Sitz in Berlin. Es besteht aus mindestens drei ständigen Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden und aus acht nichtständigen Mitgliedern.

[3] Der Vorsitzende und die übrigen ständigen Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Von den nichtständigen Mitgliedern werden vier vom Bundesrat aus seiner Mitte, und je zwei mittels schriftlicher Abstimmung von den Genossenschaftsvorständen aund den Arbeiterausschüssena aus ihrer Mitte unter der Leitung des Reichsversicherungsamts gewählt. Die Wahl erfolgt nach relativer Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Die Amtsdauer der nichtständigen Mitglieder währt vier Jahre. Das Stimmenverhältnis der einzelnen aGenossenschaftsvorstände und Arbeiterausschüssea bei der Wahl der nichtständigen Mitglieder bestimmt der Bundesrat unter Berücksichtigung der Zahl der versicherten Personen.

[4] Für jedes durch die Genossenschaftsvorstände abzw. die Arbeiterausschüssea gewählte Mitglied sind ein erster und ein zweiter Stellvertreter zu wählen, welche dasselbe in Behinderungsfällen zu vertreten haben. Scheidet ein solches Mitglied während der Wahlperiode aus, so haben für den Rest derselben die Stellvertreter in der Reihenfolge ihrer Wahl als Mitglied einzutreten.

[5] Die übrigen Beamten des Reichsversicherungsamts werden vom Reichskanzler ernannt.

Zuständigkeit

§ 88

[1] Die Aufsicht des Reichsversicherungsamts über den Geschäftsbetrieb der Genossenschaften hat sich auf die Beobachtung der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften zu erstrecken. Alle Entscheidungen desselben sind endgültig, soweit in diesem Gesetze nicht ein anderes bestimmt ist.

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[2] Das Reichsversicherungsamt ist befugt, jederzeit eine Prüfung der Geschäftsführung der Genossenschaften vorzunehmen.

[3] Die Vorstandsmitglieder, Vertrauensmänner und Beamten der Genossenschaften sind auf Erfordern des Reichsversicherungsamts zur Vorlegung ihrer Bücher, Belege und ihrer auf den Inhalt der Bücher bezüglichen Korrespondenzen sowie der auf die Festsetzung der Entschädigungen und Jahresbeiträge bezüglichen Schriftstücke an die Beauftragten des Reichsversicherungsamts oder an das letztere selbst verpflichtet. Dieselben können hierzu durch Geldstrafen bis zu eintausend Mark angehalten werden.

§ 89

Das Reichsversicherungsamt entscheidet, unbeschadet der Rechte Dritter, über Streitigkeiten, welche sich auf die Rechte und Pflichten der Inhaber der Genossenschaftsämter, auf die Auslegung der Statuten und die Gültigkeit der vollzogenen Wahlen beziehen. Dasselbe kann die Inhaber der Genossenschaftsämter zur Befolgung der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften durch Geldstrafen bis zu eintausend Mark anhalten aund gegen die Beauftragten sowie die Mitglieder der Vorstände, welche das Gebot der Verschwiegenheit verletzen (§ 84) Ordnungsstrafen bis zu gleicher Höhe verhängen.a

Geschäftsgang

§ 90

[1] Die Beschlußfassung des Reichsversicherungsamts ist durch die Anwesenheit von mindestens fünf Mitgliedern (einschließlich des Vorsitzenden), unter denen sich je ein Vertreter der Genossenschaftsvorstände und der aArbeiterausschüssea befinden müssen, bedingt, wenn es sich handelt

a) um die Vorbereitung der Beschlußfassung des Bundesrats bei der Bestimmung, welche Betriebe mit einer Unfallgefahr nicht verbunden und deshalb nicht versicherungspflichtig sind (§ 1), bei der Genehmigung von Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (§ 31), bei der Auflösung einer leistungsunfähigen Genossenschaft (§ 33), bei der aErrichtung von Arbeiterausschüssena (§ 41),

b) um die Entscheidung vermögensrechtlicher Streitigkeiten bei Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (§ 32),

c) um die Entscheidung auf Rekurse gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte (§ 63),

d) um die Genehmigung von Vorschriften zur Verhütung von Unfällen (§ 78),

e) um die Entscheidung auf Beschwerden gegen Strafverfügungen der Genossenschaftsvorstände (§ 103).

[2] Solange die Wahl der Vertreter der Genossenschaftsvorstände und der Arbeiteraausschüssea nicht zustande gekommen ist, genügt die Anwesenheit von fünf anderen Mitgliedern (einschließlich des Vorsitzenden).

[3] Im übrigen werden die Formen des Verfahrens und der Geschäftsgang des Reichsversicherungsamts durch Kaiserliche Verordnung unter Zustimmung des Bundesrats geregelt.

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Kosten

§ 91

[1] Die Kosten des Reichsversicherungsamts und seiner Verwaltung trägt das Reich.

[2] Die nichtständigen Mitglieder erhalten für die Teilnahme an den Arbeiten und Sitzungen des Reichsversicherungsamts eine nach aihrema Jahresbetrage festzusetzende Vergütung und diejenigen, welche außerhalb Berlins wohnen, außerdem Ersatz der Kosten der Hin- und Rückreise nach den für die vortragenden Räte der obersten Reichsbehörden geltenden Sätzen (Verordnung vom 21. Juni 1875, Reichsgesetzblatt Seite 249). Die Bestimmungen im § 16 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, vom 31. März 1873 (Reichsgesetzblatt Seite 61) finden auf sie keine Anwendung.

VIII. Schluß- und Strafbestimmungen

Haftpflicht der Betriebsunternehmer und Betriebsbeamten

§ 92

[1] Die nach Maßgabe dieses Gesetzes versicherten Personen und deren Hinterbliebene können einen Anspruch auf Ersatz des infolge eines Unfalls erlittenen Schadens nur gegen diejenigen Betriebsunternehmer, Bevollmächtigten oder Repräsentanten, Betriebs- oder Arbeiteraufseher geltend machen, gegen welche durch strafgerichtliches Urteil festgestellt worden ist, daß sie den Unfall vorsätzlich herbeigeführt haben.

[2] In diesem Falle beschränkt sich der Anspruch auf den Betrag, um welchen die den Berechtigten nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften gebührende Entschädigung diejenige übersteigt, auf welche sie nach diesem Gesetze Anspruch haben.

§ 93

[1] Diejenigen Betriebsunternehmer, Bevollmächtigten oder Repräsentanten, Betriebs- oder Arbeiteraufseher, gegen welche durch strafgerichtliches Urteil festgestellt worden ist, daß sie den Unfall vorsätzlich oder durch Fahrlässigkeit mit Außerachtlassung derjenigen Aufmerksamkeit, zu der sie vermöge ihres Amts, Berufs oder Gewerbes besonders verpflichtet sind, herbeigeführt haben, haften für alle Aufwendungen, welche infolge des Unfalls aufgrund dieses Gesetzes oder des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, vom 15. Juni 1883 (Reichsgesetzblatt Seite 73) von den Genossenschaften oder Krankenkassen gemacht worden sind.

[2] In gleicher Weise haftet als Betriebsunternehmer eine Aktiengesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft für die durch ein Mitglied ihres Vorstandes, sowie eine Handelsgesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft für die durch einen der Liquidatoren herbeigeführten Unfälle.

[3] Als Ersatz für die Rente kann in diesen Fällen deren Kapitalwert gefordert werden.

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§ 94

Die in den §§ 92, 93 bezeichneten Ansprüche können, auch ohne daß die daselbst vorgesehene Feststellung durch strafgerichtliches Urteil stattgefunden hat, geltend gemacht werden, falls diese Feststellung wegen des Todes oder der Abwesenheit des Betreffenden oder aus einem anderen in der Person desselben liegenden Grunde nicht erfolgen kann.

Haftung Dritter

§ 95

Die Haftung Dritter, in den §§ 92 und 93 nicht bezeichneter Personen, welche den Unfall vorsätzlich herbeigeführt oder durch Verschulden verursacht haben, bestimmt sich nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften. Jedoch geht die Forderung der Entschädigungsberechtigten an den Dritten auf die Genossenschaft insoweit über, als die Verpflichtung der letzteren zur Entschädigung durch dieses Gesetz begründet ist.

Verbot vertragsmäßiger Beschränkungen

§ 96

Den Berufsgenossenschaften, sowie den Betriebsunternehmern ist untersagt, die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes zum Nachteil der Versicherten durch Verträge (mittels Reglements oder besonderer Übereinkunft) auszuschließen oder zu beschränken. Vertragsbestimmungen, welche diesem Verbote zuwiderlaufen, haben keine rechtliche Wirkung.

Ältere Versicherungsverträge

§ 97

Die Rechte und Pflichten aus Versicherungsverträgen, welche von Unternehmern der unter § 1 fallenden Betriebe oder von den in denselben beschäftigten versicherten Personen gegen die Folgen der in diesem Gesetze bezeichneten Unfälle mit Versicherungsanstalten abgeschlossen sind, gehen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes auf die Berufsgenossenschaft, welcher der Betrieb angehört, über, wenn die Versicherungsnehmer dieses bei dem Vorstande der Genossenschaft beantragen. Die der Genossenschaft hieraus erwachsenden Zahlungsverbindlichkeiten werden durch Umlage auf die Mitglieder derselben (§§ 10, 28) gedeckt.

[...] Die abschließenden neun Paragraphen behandeln Rechtshilfe, Gebühren- und Stempelfreiheit, Strafen, Verwaltungsexekution und das Inkrafttreten.

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Registerinformationen

Personen

  • Adelmann von Adelmannsfelden, Heinrich Graf (1848─1920) Gutsbesitzer, MdR (Zentrum)
  • Bamberger, Ludwig (1823─1899) Politiker und Schriftsteller, MdR (nationalliberal/Liberale Vereinigung)
  • Barth, Dr. Theodor Wilhelm (1849─1909) Schriftsteller, MdR (Liberale Vereinigung)
  • Bödiker, Tonio (1843─1907) Geh. Regierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Bosse, Robert (1832─1901) Direktor der II. Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten im Reichsamt des Innern
  • Eberty, Eduard Gustav (1840─1894) Stadtsyndikus in Berlin, MdR (Liberale Vereinigung)
  • Franckenstein, Georg Arbogast Freiherr von und zu (1825─1890) Jurist und Gutsbesitzer, MdR (Zentrum), Vizepräsident des Reichstags
  • Fritzen, Alois (1840─1916) Landesrat, MdR (Zentrum)
  • Gagern, Friedrich Balduin Frhr. von (1842-1910) Kammerherr, Gutsbesitzer, MdR (Zentrum)
  • Galen, Dr. Ferdinand Graf von (1831─1906) Rittergutsbesitzer, MdR (Zentrum)
  • Geiger, Josef (1833─1912) Landgerichtsrat, MdR (Zentrum)
  • Gutfleisch, Dr. Egidi (1844─1914) Rechtsanwalt, MdR (Liberale Vereinigung)
  • Hertling, Prof. Dr. Georg Freiherr von (1843─1919) Philosoph, MdR (Zentrum)
  • Horn, Albert (1840─um 1923) Syndikus, MdR (Zentrum)
  • Marschall von Bieberstein, Adolf Hermann Freiherr (1842─1912) Jurist, badischer Gesandter in Berlin
  • Moufang, Dr. Christoph (1817─1890) Domkapitular in Mainz, MdR (Zentrum)
  • Rantzau, Kuno Graf zu (1843─1917) Legationsrat im Auswärtigen Amt, Schwiegersohn Bismarcks
  • Schenk von Stauffenberg, Dr. Franz (1834─1901) Gutsbesitzer, MdR (Liberale Vereinigung/Deutsche Freisinnige Partei)
  • Schirmeister, Heinrich von (1817─1892) Landrat a.D., MdR (Liberale Vereinigung)
  • Schrader, Karl (1834─1913) Eisenbahndirektor, MdR (Liberale Vereinigung)
  • Stötzel, Gerhard (1835─1905) Metallarbeiter, Redakteur, MdR (Zentrum)
  • Turban, Ludwig Friedrich (1821─1898) badischer Ministerpräsident und Innenminister
  • Wendt-Papenhausen, Karl Freiherr von (1832─1903) Rittergutsbesitzer, MdR (Zentrum)
  • Wilhelm I. (1797─1888) Deutscher Kaiser und König von Preußen
  • Windthorst, Dr. Ludwig (1812─1891) Jurist und Politiker, MdR (Bundesstaatl.konst. Vereinigung/Zentrum
  • 1Sten.Ber.RT, 5. LP, IV. Sess. 1884, Bd. 3, S. 51─65, Aktenstück Nr. 4; die durch a-a gekennzeichneten Sätze bzw. Satzteile wurden im Verlauf der parlamentarischen Verabschiedung abgeändert; zu vgl. mit Nr. 185. Die Vorlage für die RT-Drucksache (Aktenstück) Nr. 4 wurde bis zum 3.3.1884 nach Maßgabe der Änderungen des Bundesrates - als Druckvorlage ─ von einem Kanzleischreiber vorbereitet und von Bödiker noch einmal geringfügig abgeändert, Gamp seinerseits überarbeitete die Begründung (BArchP 15.01 Nr. 389, fol. 99 [143─162, Begründung: 163─194 Rs.]). Die dem Bundesrat vorgelegte Begründung (BR-Drucksache zu Nr. 16) wurde dann von Gamp und Bödiker für den Druck (teilweise erheblich) überarbeitet (BArchP 15.01 Nr. 389, fol. 99─106 Rs. [nur teilweise foliert]). »
  • 2In der Regierungsvorlage für den Bundesrat lautete § 9 Abs. 1 S. 2: Jede Berufsgenossenschaft erstreckt sich in der Regel über das ganze Reichsgebiet und umfaßt alle Betriebe derjenigen Industriezweige, für welche dieselbe errichtet ist (§ 9, BR-Drucks. Nr. 16, Sess. 1883/84 v. 13.2.1884). Bayern und Württemberg hatten diese reichsweite Ausdehnung kritisiert, der Antrag des Unterausschusses hatte sich dieses zu eigen gemacht und in der Beschlußvorlage für die Plenarsitzung (BR-Drucks. Nr. 23 v. 27.2.1884 = BArchP 07.01 Nr. 510, fol. 85 Rs.) beantragt: Die Berufsgenossenschaften erstrecken sich über das ganze Reichsgebiet oder Teile desselben und umfassen innerhalb des betreffenden Ge- biets alle Betriebe derjenigen Industriezweige, für welche sie errichtet sind. Im Hinblick auf diesen Antrag erbat von Boetticher mit einem (von Bosse geschriebenen) Schreiben am 28.2.1884 von Bismarck eine Instruktion, denn er hielt die beantragte Korrektur deshalb für bedenklich, weil sie den Grundgedanken des Gesetzes, Berufsgenossenschaften in der Regel über das ganze Reich auszubilden, verdunkelt, er möchte glauben, daß es geraten ist, im Plenum auf die Wiederherstellung der Vorlage hinzuwirken. (BArchP 07.01 Nr. 510, fol. 108─108 Rs.) Laut Randvermerk Graf Rantzaus war Bismarck mit dieser Auffassung einverstanden, verfügte aber: doch n(ich)t gerade Kabinettsfrage; die Möglichkeit der rechtzeitigen Einbringung n(ich)t beeinträchtigen, Antragsteller dar(auf) aufmerksam machen, daß Anträge, w(elc)h(e) Minorität im B(undes)R(at), im R(eichs)T(ag) eingebracht werden könnten. (Vgl. dazu auch den Bericht Frhr. Marschall von Biebersteins an Ludwig Turban vom 2.3.1884, Abdruck: Großherzog Friedrich I. von Baden, 2. Bd., S. 238 f.) Die Regierungsvorlage wurde dementsprechend, wie beantragt, abgeändert, in die Druckvorlage für die daraus hervorgegangene dritte Unfallversicherungsvorlage für den Reichstag hat dann Bödiker ─ soweit ersichtlich ohne besondere Legitimation - redigierend eingegriffen und handschriftlich korrigiert: soweit nicht, für einzelne Bezirke besondere Berufsgenossenschaften gebildet werden. Die hier angelegte “Entreichlichung” der Versicherungsträger (vgl. dazu aber Bismarcks 1881 geäußerte Hoffnung auf naturnotwendige Übergänge zu größeren Anstalten: Bd. 1 der I. Abt. dieser Quellensammlung [1993], S. 611 f.) wurde dann durch den Abänderungstrag Freiherr v. Hertlings bzw. den Reichstag vollendet (vgl. Nr. 162). »
  • 3Je nach Ausgestaltung war der Reservefonds die entscheidende finanzielle Größe für die Differenz zwischen Umlage- und Anlageverfahren bzw. die Belastung der Industrie (vgl. Nr. 147 u. 163 und die Einleitung). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 145, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0145

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