Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 134

1884 Januar 3

Schreiben1 des Geheimen Regierungsrates Dr. Franz von Rottenburg an den Staatssekretär des Innern Karl Heinrich von Boetticher mit Direktiven des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck

Eigenhändige Ausfertigung

[Die Bemerkungen Bismarcks zu den Grundzügen werden v. Boetticher in Form eines Promemorias mitgeteilt]

Der Herr Reichskanzler hat zu den “Grundzügen für den Entwurf eines Unfallversicherungsgesetzes” sowie zu der “Begründung” dieses Entwurfs verschiedene Bemerkungen gemacht. Die ersteren habe ich in einem kurzen Promemoria zusammengefaßt; die letzteren sind von Seiner Durchlaucht in margine des ihm übersandten Exemplars der “Begründung”2 ausführlich verzeichnet.

Eurer Exzellenz erlaube ich mir im Auftrage des Herrn Reichskanzlers diese Bemerkungen anbei gehorsamst zu überreichen.

Seine Durchlaucht ist ganz damit einverstanden, daß die Grundzüge, sobald ihre Mitteilung an die Regierungen3 erfolgt ist, in die Presse gebracht und dafür gesorgt werde, daß sie baldmöglichst in den der Regierungspolitik günstigen Blättern einer Besprechung unterzogen werden.

[Anlage]

Bemerkungen Seiner Durchlaucht zu den “Grundzügen für den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter.”

Zu

I. Allgemeine Bestimmungen

Ziffer 1. Für die Bestimmung des Absatzes 2 wird sich folgende Fassung empfehlen:

“Betriebsbeamte mit einem 2000 Mark übersteigenden Arbeitsverdienst können aufgrund statutarischer Bestimmung (Ziffer 12) gegen Unfälle versichert werden. Für Arbeiter und Betriebsbeamte, welche nach Maßgabe dieses Gesetzes versichert sind, und für ihre Hinterbliebenen tritt das Haftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871 außer Kraft.

Ziffer 3. Nach Absatz 5 sollen diejenigen Personen, die wegen noch nicht beendigter Ausbildung keinen oder einen geringen Lohn beziehen, für erlittene Unfälle höchstens 450 Mark betragen [sic!]. Ich würde die Bestimmung dieser Maximalgrenze nicht vorweg nehmen, sondern es dem Reichstage überlassen, ob und welchen Höchstbetrag er fixieren will.

[ Druckseite 476 ]

Ziffer 5. Hier wird die Bestimmung einzuschalten sein, daß bei Unzulänglichkeit (Konkurs) einer Genossenschaft ─ ein Fall, der freilich sehr unwahrscheinlich ist ─ die Gesamtheit aller Genossenschaften, oder ─ was noch besser wäre ─ das Reich die Garantie zu decken habe.

II. Bildung der Genossenschaften.

Ziffer 8. Absatz 2 wird dahin abzuändern sein:

“Die Zustimmung des Bundesrats kann versagt werden: usw.

Ziffer 16. Es wird sich empfehlen, sub d den dritten Satz zu ändern wie folgt:

“Der Beschluß der letzteren ist dem Bundesrat vorzulegen, welcher nach Anhörung des Reichsversicherungsamtes darüber entscheidet usw.”

Ziffer 17 und 18. Es ist mir fraglich, ob es nicht richtiger ist, die Genehmigungsbefugnis, auf die Ziffer 17 Absatz 5 sich bezieht, anstatt dem Reichsversicherungsamt, dem Bundesrat sowie die Genehmigungsbefugnis, von der Ziffer 18 Absatz 1 handelt, anstatt dem Reichsversicherungsamt allein, diesem und dem Bundesrat zusammen zu übertragen.

Ziffer 19. Für die Bestimmung im Absatz 1, daß den Berufsgenossenschaften die Ansammlung eines Reservefonds gestattet werde, liegt m[eines] Erachtens kein Anlaß vor.

IV. Arbeiterausschüsse und Schiedsgerichte.

Ziffer 23. Im Absatz 1 würde ich nach dem Wort “Vorschriften” den Relativsatz: “welche die Arbeiter binden sollen” streichen.

Ziffer 26. Im Absatz 4 ist vielleicht anstatt “Abteilungen” besser zu setzen: “Sektionen”.

Ziffer 31. Im Absatz 2 wird die Frist für die Berufung gegen Bescheide, durch welche Entschädigungsansprüche abgelehnt oder festgestellt werden, auf vier Wochen normiert. Ich stelle anheim, ob diese Frist nicht auf drei Wochen oder 14 Tage abzukürzen sein wird.

Ziffer 33. Der Satz, daß, wenn in den Verhältnissen, welche für die Feststellung der Entschädigung maßgebend waren, eine wesentliche Veränderung eintritt, auf Antrag oder von Amts wegen eine anderweitige Feststellung erfolgen könne, ist meines Erachtens zu unbestimmt. Es läßt sich aus demselben nicht ersehen, was als eine “wesentliche Veränderung” gilt, und wer “die anderweitige Feststellung” vorzunehmen hat.

Ziffer 40. Im Absatz 2 werden hinter “und sind” die Worte: “sofern sie nicht aus dem Reservefonds Deckung finden” zu streichen sein.

VII. Das Versicherungsamt.

Ziffer 44. Im Absatz 2 wird die Zahl der ständigen Mitglieder des Reichsversicherungsamtes einschließlich des Vorsitzenden auf “mindestens drei” festgestellt. Es ist mir fraglich, ob es sich nicht empfiehlt, statt “drei” “fünf” zu setzen.

Aus Ziffer 44 ist nicht ersichtlich, wie der Vorsitzende des Reichsversicherungsamtes entsteht, ob derselbe vom Bundesrat ernannt oder von den Mitgliedern des Amtes erwählt wird.

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Ziffer 45. Im Absatz 1 ist es vielleicht besser statt “der Bücher” und “der auf den Inhalt der Bücher bezüglichen Korrespondenzen” zu setzen: “ihrer Bücher” und “ihrer auf den Inhalt der Bücher bezüglichen Korrespondenzen”.

Im Absatz 2 wird das Zuwiderhandeln gegen das in Ziffer 43 ausgesprochene Gebot der Verschwiegenheit mit Ordnungsstrafen bis zu 500 Mark bedroht. Es ist mir fraglich, ob nicht ein Strafmaximum von 1000 Mark vorzuziehen sein wird.

VII. Schluß- und Strafbestimmungen.

Ziffer 46. Nach der Fassung des Absatzes 1 könnte man glauben, daß durch denselben eine besondere Haftpflicht eingeführt werden solle. Meines Dafürhaltens ist die Bestimmung überflüssig, da, wenn der in derselben vorgesehene Fall eintritt, eine Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung und ─ auch ohne die Ziffer 46 oder das Haftpflichtgesetz ─ für eine Zivilklage auf Schadloshaltung gegeben ist. Eventuell möchte ich vorschlagen, hinter “geltend machen” die Worte: “wenn derselbe den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat” zu streichen und dafür zu setzen: “wenn vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls durch gerichtliches Urteil festgestellt ist”.

Auch Ziffer 47 ist meines Erachtens überflüssig und würde ich dieselbe streichen.

Ziffer 51 bedroht die Betriebsunternehmer mit Geldstrafen, ohne deren Höhe zu normieren. Die Worte “sofern nicht der Tatbestand des Betruges vorliegt” werden wegzulassen sein. Sobald ein Betrug vorliegt, kommt selbstverständlich das Strafrecht zur Anwendung.

Registerinformationen

Personen

  • Bödiker, Tonio (1843─1907) Geh. Regierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • 1BArchP 15.01 Nr. 386, fol. 206─210 Rs., Abschrift: 07.01 Nr. 509, fol. 236─239. »
  • 2Vgl. Nr. 133. »
  • 3Sammlung der Voten der preußischen Minister und der einzelnen Staatsregierungen bzw. von deren Gesandten: BArchP 15.01 Nr. 401. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 134, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0134

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