Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 112

1883 September 28

Vermerk des Direktors im Reichsamt des Innern Robert Bosse für den Staatssekretär des Innern1 Karl Heinrich von Boetticher

Eigenhändige Ausfertigung

[Vorschläge, wie Bismarcks neuen Direktiven mit Berufsgenossenschaften, die nicht nur Grundlage der Unfallversicherung sein sollen, sondern weiteren politischen Zwecken dienen sollen, entsprochen werden könnte]

Durch die gestrige Besprechung des Herrn Reichskanzlers mit Lohmann2 hat die Lage der Unfallversicherungsgesetzgebung ein anderes Gesicht insofern bekommen, als die auf gesetzlichem Zwange beruhenden Berufsgenossenschaften nunmehr zweifellos die Grundlage der Organisation bilden müssen. Sie müssen unter allen Umständen gemacht werden. Die Unfallversicherung ist dabei sogar ein erst in zweiter Linie stehendes, verhältnismäßig weniger wichtiges Moment.

Aber wie?

Soweit es sich bei der Kürze der Zeit tun läßt, möchte ich zwei Möglichkeiten wenigstens einmal zur Erwägung stellen.

I.

Man legt zwei Entwürfe vor:

1. den Entwurf eines Gesetzes betr. die Organisation der gewerblichen Betriebe: Berufsgenossenschaften als Grundlage für die Gewerbekammern3 u. demnächst für alle Zweige der Arbeiterfürsorge;

[ Druckseite 376 ]

2. den Entwurf eines vorläufigen Unfallversicherungsgesetzes mit vorher bestimmter Geltungsdauer: Genossenschaftliche geographische] Verbände mit Umlageverfahren (oder auch ─ da es provisorisch ist ─ noch besser mit Deckungskapital), Zulassung v[on] bestehenden Gegenseitigkeitsunfallversicherungsgenossenschaften mit Deckungskapital, kurz, so einfach u. kulant wie möglich4, um nur vorläufig den Arbeitern die Unfallversicherung zu gewähren. Die definitive Regelung der Unfallvers[icherung] wird vorbehalten, bis der Entwurf unter 1 in Wirksamkeit getreten sein wird. Oder

II.

Vorlage eines neuen Unfallversicherungsgesetzes, nach Maßgabe der anliegenden, von Magdeburg vorgeschlagenen Organisation von gesetzlichen Berufskorporationen durch das ganze Reich.5

Für beide Fälle wäre es vielleicht erwünscht, die Karten über die Verteilung der Industrie6 dort zu haben. Ich versuche daher, sie mitzuschicken. Gelingt es nicht, so schicke ich sie auf Telegramm sofort ab n[ach] Friedrichsruh.

Beide Projekte sind noch nicht reiflich durchgedacht, aber vielleicht bieten sie hie und da einen Fingerzeig. Wenn nicht, so können sie ja unerwähnt bleiben.

Registerinformationen

Personen

  • Magdeburg, Eduard (1844─1932) Geh. Regierungsrat im Reichsamt des Innern
  • 1BA Koblenz NL Boetticher Nr. 57. »
  • 2Vgl. dazu Nr. 113 und 114. »
  • 3Gewerbekammern ─ Vertretungen der Gewerbetreibenden mit den gleichen Zwecken, Rechten und Befugnissen wie die Handelskammern ─ bestanden in Bayern, Sachsen und Württemberg, meist mit den Handelskammern verbunden. Preußen hatte keine Gewerbekammern, aber deren Einführung wurde ─ angeregt durch entsprechende Debatten bei der Beratung über das Innungsgesetz (1881) ─ vorbereitet. Dazu hatte am 27.4.1882 der als Hilfsarbeiter im preußischen Handelsministerium tätige konservativ gesonnene Karl Gamp eine Denkschrift angefertigt, die Bismarck mit sehr hohem Interesse gelesen (so ein Schreiben Wilhelm von Bismarcks an Gamp v. 4.5.1882, GStA Dahlem (M) Rep. 120 BB VIa 1 Nr. 1 Bd. 1, fol. 94─94 Rs.) und, wie seine Randbemerkungen zeigen, schon eine gewisse Anlehnung der Gewerbekammern an die Unfallverbände erwogen hatte (ebd., fol. 95─133, insbes. 115 u. 123 Rs.). Die entsprechenden Arbeiten waren im Spätsommer bis zur Gesetzesreife gediehen, ein entsprechendes Gesetz wurde aber nicht vorgelegt, vgl. dazu auch den Runderlaß des preuß. Handelsministers an die Oberpräsidenten vom 19.5.1883 und den Brief Graf Rantzaus an v. Rottenburg v. 22.10.1883 (abgedruckt: Heinrich von Poschinger, Aktenstücke zur Wirtschaftspolitik des Fürsten Bismarck, Bd. 2, Berlin 1891 [ND Frankfurt 1982], S. 136f. u. 140) ─ Gamp hatte schon aufgrund anderer Arbeiten die Aufmerksamkeit Bismarcks auf sich gezogen (vgl. dazu: Nr. 114 Anm. 10, und Heinrich v. Poschinger, Aktenstücke..., Bd. 2, S. 98). »
  • 4Diese hier von Bosse erwogenen Möglichkeiten Kapitaldeckungsverfahren und Substitutivprinzip lehnte Bismarck strikt ab. »
  • 5Vgl. Nr. 97. Bei dem konkreten Exemplar müßte es sich danach wohl um eine Abschrift oder den Entwurf der noch bei Bismarck befindlichen Ausfertigung gehandelt haben. »
  • 6Vgl. Nr. 103, 110, 117 Anm. 2. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 112, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0112

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