Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 27

1881 Dezember 5

Erstfassung1 der zweiten Unfallversicherungsvorlage (sog. Urentwurf)

Metallographierte Ausfertigung mit Randbemerkungen Bismarcks

[14tägige Karenzzeit, Zwangsgenossenschaften nach Industriezweigen auf Bezirksebene nach näherer Bestimmung des Bundesrats, örtliche Genossenschaftsabteilungen als Versicherungsträger für Unfälle mit bis zu 13wöchiger Erwerbsunfähigkeit, Versicherungspflichtgrenze: 2000 M, Höchstjahresarbeitsverdienst: 1200 M, Reichszuschuß, Umlageverfahren]

Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt:

§ 1

Alle in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben, auf Werften, in Fabriken und Hüttenwerken beschäftigten Arbeiter, sowie diejenigen Betriebsbeamten, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt nicht über 2 0002 Mark beträgt, werden gegen die Folgen der beim Betriebe sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes versichert.

Dasselbe gilt von Arbeitern und Betriebsbeamten, welche von einem Gewerbetreibenden, dessen Gewerbebetrieb sich auf die Ausführung von Bauarbeiten erstreckt, in diesem Betriebe beschäftigt werden, sowie von sonstigen bei der Ausfuhrung von Bauten beschäftigten Arbeitern und Betriebsbeamten, soweit dieselben nicht, ohne im Dienste eines Gewerbetreibenden zu stehen, lediglich einzelne Reparaturarbeiten ausführen.

Den vorstehend aufgeführten gelten im Sinne dieses Gesetzes diejenigen Betriebe gleich, in welchen Dampfkessel oder durch elementare Kraft (Wind, Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft usw.) bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen, mit Ausnahme derjenigen Betriebe, für welche nur vorübergehend eine nicht zu der Betriebsanlage gehörende Kraftmaschine benutzt wird.

Auf Eisenbahn und Schiffahrtsbetriebe finden die Bestimmungen dieses Gesetzes nur dann Anwendung, wenn sie als integrierende Bestandteile eines der vorbezeichneten Betriebe lediglich für diesen bestimmt sind.

Für Fabriken, deren Betriebe mit Unfallgefahr für die darin beschäftigten Personen nicht verknüpft ist, kann durch Beschluß des Bundesrats die Versicherungspflicht ausgeschlossen werden.

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§ 2

Als Gehalt oder Lohn im Sinne dieses Gesetzes gelten auch Tantiemen und Naturalbezüge. Der Wert der letzteren ist nach Ortsdurchschnittspreisen in Ansatz zu bringen.

Als Jahresarbeitsverdienst gilt, soweit sich derselbe nicht aus mindestens wochenweise fixierten Beträgen zusammensetzt, das 300fache des durchschnittlichen täglichen Arbeitsverdienstes. Für Arbeiter in Betrieben, in welchen die übliche Betriebsweise für den das ganze Jahr regelmäßig beschäftigten Arbeiter eine höhere oder niedrigere Anzahl von Arbeitstagen ergibt, wird diese Zahl statt der Zahl 300 der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes zugrunde gelegt.

§ 3

Auf Beamte, welche in Betriebsverwaltungen des Reichs, eines Bundesstaats oder eines Kommunalverbandes mit festem Gehalt und Pensionsberechtigung angestellt sind, findet dieses Gesetz keine Anwendung.

§ 4

Gegenstand der Versicherung ist der Ersatz des Schadens, welcher durch eine Körperverletzung oder durch Tötung entsteht.

§ 5

Der Schadenersatz soll im Falle der Verletzung bestehen:

1. in den Kosten des Heilverfahrens;

2. in einer dem Verletzten von Beginn der zweiten Woche nach Eintritt des Unfalls an für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Rente.3

Dieselbe ist nach Maßgabe desjenigen Arbeitsverdienstes zu berechnen, welchen der Verletzte während des letzten Jahres seiner Beschäftigung in dem Betriebe, wo der Unfall sich ereignete, an Gehalt oder Lohn durchschnittlich für jeden Arbeitstag bezogen hat (§ 2), soweit derselbe 4 Mark nicht übersteigt.4

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War der Verletzte in dem Betriebe nicht ein volles Jahr, von dem Unfalle zurückgerechnet, beschäftigt, so ist der Betrag zugrundezulegen, welchen während dieses Zeitraumes Arbeiter derselben Art in demselben Betriebe oder in anderen Betrieben derselben Unfallversicherungsgenossenschaft (§ 7) durchschnittlich bezogen haben.

Die Rente beträgt:

a) im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit und für die Dauer derselben 66 2/3 Prozent des Arbeitsverdienstes;

b) im Falle der teilweisen Erwerbsunfähigkeit und für die Dauer derselben einen Bruchteil der Rente unter a), welche nach dem Maße der verbliebenen Erwerbsfähigkeit zu bemessen ist, jedoch nicht über 50 Prozent des Arbeitsverdienstes betragen darf.

§ 6

Im Falle der Tötung ist als Schadenersatz außerdem zu leisten:

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1. Als Ersatz der Beerdigungskosten mindestens 30 Mark, höchstens 90 Mark nach Festsetzung des Genossenschaftsstatuts.

2. In einer den Hinterbliebenen des Getöteten vom Todestage an zu gewährenden Rente, welche nach der Vorschrift des § 5 Nr. 2 Absatz 2 und 3 zu berechnen ist.

Dieselbe beträgt:

a) für die Witwe des Getöteten bis zu deren Tode oder Wiederverheiratung 20 Prozent, für jedes hinterbliebene vaterlose Kind bis zu dessen zurückgelegtem fünfzehnten Lebensjahr 10 Prozent des Arbeitsverdienstes, wenn das Kind auch mutterlos ist oder wird, 15 Prozent des Arbeitsverdienstes.

Die Renten der Witwen und der Kinder dürfen zusammen 50 Prozent des Arbeitsverdienstes nicht übersteigen, ergibt sich ein höherer Betrag, so werden die einzelnen Renten in gleichem Verhältnisse gekürzt.

Der Anspruch der Witwe und der Kinder derselben ist ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach dem Unfalle geschlossen worden ist;

b) für Aszendenten des Verstorbenen, wenn dieser ihr einziger Ernährer war, für die Zeit bis zu ihrem Tode oder bis zum Wegfall der Bedürftigkeit 20 Prozent des Arbeitsverdienstes.

Wenn mehrere der unter b benannten Berechtigten vorhanden sind, so wird die Rente den Eltern vor den Großeltern, den männlichen Berechtigten vor den weiblichen gewährt.

Wenn die unter b bezeichneten mit den unter a bezeichneten Berechtigten konkurrieren, so haben die ersteren einen Anspruch nur, soweit für die letzteren der Höchstbetrag der Rente nicht in Anspruch genommen wird.

§ 7

Die Versicherung erfolgt durch die nach Maßgabe der §§ 9 ff. zu bildenden Unfallversicherungsgenossenschaften unter Beihilfe des Reichs in der Weise, daß die nach Maßgabe der §§ 5, 6 zu leistenden Entschädigungen zu zwei Dritteilen für Rechnung der Unfallversicherungsgenossenschaften, zu einem Dritteil für Rechnung des Reichs gewährt werden.

§ 8

Die auf gesetzlicher oder statutarischer Vorschrift beruhende Verpflichtung der eingeschriebenen Hilfskassen sowie sonstiger Kranken-, Sterbe, Invaliden- und anderen Unterstützungskassen, den durch Betriebsunfälle betroffenen Arbeitern und deren Hinterbliebenen Unterstützungen zu gewähren, wird insoweit aufgehoben, als die von den genannten Kassen zu leistenden Unterstützungen den Betrag der den Berechtigten aufgrund dieses Gesetzes zukommenden Entschädigungen nicht überschreiten, den bezeichneten Kassen soll es jedoch freistehen, im Wege statutarischer Festsetzung die Verbindlichkeit zu übernehmen, den durch Unfall Verletzten und deren Hinterbliebenen neben den nach Maßgabe dieses Gesetzes zu leistenden Entschädigungen Unterstützungen zu gewähren.

Die auf gesetzlicher Vorschrift beruhende Verpflichtung von Gemeinden oder Armenverbänden zur Unterstützung hilfsbedürftiger Personen wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Soweit aufgrund dieser Verpflichtung Unterstützungen für [ Druckseite 98 ] einen Zeitraum geleistet sind, für welchen dem Unterstützten aufgrund dieses Gesetzes ein Entschädigungsanspruch zusteht, geht der letztere bis zum Betrage der geleisteten Unterstützung5 auf die Gemeinden oder die Armenverbände über, von welchen die Unterstützung geleistet ist.

Das gleiche gilt von den Betriebsunternehmern und Kassen, welche die den bezeichneten Gemeinden und Armenverbänden obliegende Verpflichtung zur Unterstützung aufgrund gesetzlicher Vorschrift erfüllt haben.

§ 9

Jeder Unternehmer eines unter den § 1 fallenden Betriebes muß für denselben einer auf Maßgabe der folgenden Vorschriften gebildeten Unfallversicherungsgenossenschaft angehören.

Als Betriebsunternehmer gilt derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb erfolgt.

Für die in § 1 Absatz 2 bezeichneten Betriebe gilt als Betriebsunternehmer, soweit es sich um Arbeiter und Betriebsbeamte handelt, welche von einem Gewerbetreibenden beschäftigt werden, dieser, für sonstige bei der Ausführung eines Baues Beschäftigte, derjenige, welcher die Ausführung eines Baues im ganzen als Unternehmer übernommen hat, sofern ein solcher nicht vorhanden, der Bauherr. Über die Ausführung dieser Bestimmung können nähere Vorschriften durch Beschluß des Bundesrats erlassen werden.

§ 10

Die Einteilung der Betriebe nach Industriezweigen und Betriebsarten, welche der Bildung der Genossenschaften zugrunde zu legen ist, die Mindestzahl der beschäftigten Personen, welche die Voraussetzung der Bildung einer besonderen Genossenschaft für die Betriebe eines Industriezweiges oder einer Betriebsart bildet, und die Grundsätze, nach denen bei der Vereinigung der Betriebe mehrerer Industriezweige zu einer Genossenschaft zu verfahren ist, bestimmt der Bundesrat6.

§ 11

Die Genossenschaften sollen in der Regel für den Bezirk einer höheren Verwaltungsbehörde und für die einem Industriezweige oder einer Betriebsart angehörenden Betriebe gebildet werden.7 Werden in den einem Industriezweige oder einer Betriebsart angehörenden Betrieben des Bezirks die zur Bildung einer Genossenschaft erforderliche Mindestzahl versicherter Personen nicht beschäftigt, so sind diese Betriebe mit denjenigen eines oder mehrerer anderer Industriezweige zu einer Genossenschaft zu vereinigen.

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§ 12

Die Zentralbehörden der Bundesstaaten können bestimmen, daß die Unfallversicherungsgenossenschaften für andere Bezirke als diejenigen höherer Verwaltungsbehörden zu bilden sind.

Aufgrund gemeinsamer Bestimmung der Zentralbehörden können benachbarte örtliche Bezirke, welche verschiedenen Bundesstaaten angehören, zu einem gemeinsamen der Genossenschaftsbildung zugrundezulegenden Bezirke vereinigt werden.

§ 13

Für Bergwerke und für Betriebe, in welchen explosive Stoffe hergestellt werden, sind die Bezirke der Genossenschaften vom Bundesrat unabhängig von den Landesgrenzen festzustellen.

Durch Beschluß des Bundesrats können den vorerwähnten Betrieben andere Betriebe gleichgestellt werden, für welche die Gefahr von Massenverunglückungen oder andere Umstände eine von den Landesgrenzen unabhängige Bezirkseinteilung zweckmäßig erscheinen lassen.

§ 14

Für jede Unfallversicherungsgenossenschaft sind örtlich begrenzte Abteilungen zu bilden.

Jeder Betrieb muß einer Genossenschaftsabteilung angehören.

Die Betriebe sind, soweit die örtlichen Verhältnisse solches zulassen, auf die Abteilungen so zu verteilen, daß aallea 8 Abteilungen eine annähernd gleiche Anzahl versicherter Personen umfaßt.

Für die derselben Genossenschaft angehörenden Betriebe eines Unternehmers kann mit Genehmigung der Landeszentralbehörde eine besondere Abteilung gebildet werden, wenn die Zahl der in denselben beschäftigten versicherten Personen die Durchschnittszahl der den sonstigen Abteilungen der Genossenschaft angehörenden versicherten Personen erreicht.

§ 15

Jeder Unternehmer (§ 9) eines unter den § 1 fallenden Betriebes hat denselben binnen einer von der höheren Verwaltungsbehörde zu bestimmenden und öffentlich bekannt zu machenden Frist unter Angabe des Gegenstandes und der Art desselben, sowie der Zahl der zur Zeit darin beschäftigten versicherten Personen bei der unteren Verwaltungsbehörde anzumelden.

§ 16

Die untere Verwaltungsbehörde hat ein Verzeichnis aufzustellen, in welches sämtliche in ihrem Bezirke belegenen Betriebe, geordnet nach der vom Bundesrat festgestellten Einteilung der Industriezweige und Betriebsarten, unter Angabe des Gegenstandes und der Art des Betriebes, sowie der Zahl der darin beschäftigten versicherten Personen aufzunehmen sind.

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§ 17

Für die nicht angemeldeten Betriebe hat die untere Verwaltungsbehörde die Angaben nach ihrer Kenntnis der Verhältnisse zu machen. Sie ist befugt, die Unternehmer nicht angemeldeter Betriebe zu einer Auskunft darüber innerhalb einer zu bestimmenden Frist durch Geldstrafe im Betrage bis zu 100 M anzuhalten.

Das Verzeichnis der Betriebe ist der höheren Verwaltungsbehörde einzureichen.

§ 18

Aufgrund der eingereichten Verzeichnisse hat die höhere Verwaltungsbehörde nach Maßgabe der vom Bundesrat festgestellten Einteilung der Betriebe den Plan der für den Bezirk zu bildenden Genossenschaften festzustellen und öffentlich bekanntzumachen.

§ 19

Für jede Genossenschaft wird von der höheren Verwaltungsbehörde eine konstituierende Generalversammlung berufen.

Dieselbe besteht aus Abgeordneten, welche von den der Genossenschaft zugewiesenen angemeldeten (§ 13) Betriebsunternehmern nach örtlichen, von der höheren Verwaltungsbehörde festzusetzenden Bezirken, und, sofern die Genossenschaft mehrere Industriezweige oder Betriebsarten umfaßt, nach diesen gewählt werden.

Die Ansetzung des Wahltermins, die Ladung der Wahlberechtigten zu demselben und die Leitung der Wahlhandlung erfolgt nach näherer Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde durch Beauftragte derselben.

§ 20

Die konstituierende Generalversammlung beschließt unter Leitung eines Beauftragten der höheren Verwaltungsbehörde über das Genossenschaftsstatut. Dasselbe muß Bestimmung treffen:

1. über Namen und Sitz der Genossenschaft,

2. über den Bezirk derselben sowie über die Industriezweige und Betriebsarten, für welche sie errichtet wird,

3. über die für die Genossenschaft zu bildenden Abteilungen (§ 14), ihren Sitz und ihre Bezeichnung,

4. über die Bildung des Genossenschaftsvorstandes und der Vorstände der Genossenschaftsabteilungen, über den Umfang ihrer Befugnisse und die Legitimation ihrer Mitglieder,

5. über die Zusammensetzung und Berufung der Generalversammlung der Genossenschaft und der Generalversammlungen der Abteilungen, sowie über die Art ihrer Beschlußfassung,

6. über das Stimmrecht der Mitglieder der Genossenschaft,

7. über die Aufstellung, Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung für die Genossenschaft und der Jahresrechnungen für die Genossenschaftsabteilungen.

8. über die Abänderung des Statuts.

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§ 21

Das Statut bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde.

Gegen die Versagung findet binnen einer Frist von vier Wochen die Beschwerde an die Zentralbehörde statt. Abänderungen des Statuts unterliegen denselben Bestimmungen.

§ 22

Die Genossenschaft kann unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden.

§ 23

Mitglied der Unfallgenossenschaft ist jeder Unternehmer eines im Bezirke derselben belegenen Betriebes derjenigen Industriezweige oder derjenigen Betriebsarten, für welche die Genossenschaft errichtet ist. Stimmberechtigt sind nur diejenigen Mitglieder der Genossenschaft, welche ihrer Anmeldepflicht (§ 52) genügt haben.

Sämtliche stimmberechtigte Mitglieder haben gleiches Stimmrecht, sofern das Statut nicht über eine Abstufung des Stimmrechts nach Maßgabe der Zahl der in den Betrieben der Mitglieder beschäftigten versicherten Personen Bestimmung getroffen hat.

§ 24

Die Genossenschaft muß einen von ihrer Generalversammlung gewählten Vorstand haben, durch welchen sie gerichtlich und außergerichtlich vertreten wird.

Dem Genossenschaftsvorstande liegt die gesamte Verwaltung der Genossenschaft ob, soweit nicht einzelne Angelegenheiten durch Gesetz oder Bestimmung des Statuts der Beschlußnahme der Generalversammlung vorbehalten oder den Organen der Abteilungen übertragen sind.

§ 25

Die Generalversammlung der Genossenschaft besteht aus Abgeordneten der Generalversammlungen der Abteilungen.

Die Zahl der von jeder Abteilung zu wählenden Abgeordneten bestimmt das Statut.

In der Generalversammlung haben alle Abgeordneten gleiches Stimmrecht.

Der Beschlußnahme der Generalversammlungen unterliegen außer den durch besondere Bestimmungen dieses Gesetzes derselben vorbehaltenen Angelegenheiten:

1. die Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung der Genossenschaft

2. Abänderungen des Statuts.

Welche Funktionen übrigens von der Generalversammlung wahrzunehmen sind, bestimmt das Statut.

§ 26

Jede Genossenschaftsabteilung muß einen von ihrer Generalversammlung gewählten Vorstand haben, welcher die Angelegenheiten der Abteilung wahrzuneh-

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men hat, soweit sie nicht durch Gesetz oder Bestimmung des Statuts der Beschlußnahme der Generalversammlung der Abteilung vorbehalten sind. Der Abteilungsvorstand ist zugleich Organ des Genossenschaftsvorstandes. Er vertritt die Genossenschaft gerichtlich und außergerichtlich bei allen Verhandlungen über Entschädigungsansprüche und sonstige Forderungen, deren Befriedigung ausschließlich durch Beiträge der Mitglieder der Abteilung erfolgt (§ 33).

§ 27

Die Generalversammlung der Abteilung besteht aus den stimmfähigen Mitgliedern der Genossenschaft (§ 23), welche der Abteilung angehören.

Durch das Genossenschaftsstatut kann bestimmt werden, daß die Generalversammlungen der Abteilungen oder einzelner derselben aus Abgeordneten zu bilden ist, welche von den stimmfähigen Mitgliedern der Abteilung aus ihrer Mitte gewählt werden. Über die Zahl der Abgeordneten und die Art der Wahl derselben muß in diesem Falle das Genossenschaftsstatut Bestimmung treffen.

Der Beschlußnahme der Generalversammlung der Abteilung unterliegen außer den durch besondere Bestimmungen dieses Gesetzes derselben vorbehaltenen Angelegenheiten:

1. Die Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung der Abteilung.

2. Anträge auf Abänderungen des Genossenschaftsstatuts, welche seitens der Abteilung bei der Generalversammlung der Genossenschaft gestellt werden sollen.

Welche Funktionen übrigens von der Generalversammlung der Abteilung wahrzunehmen sind, bestimmt das Statut.

§ 28

Für Genossenschaftsabteilungen, welche auf die Betriebe eines Unternehmens beschränkt sind, nimmt der letztere die Funktionen des Vorstandes und der Generalversammlung wahr.

§ 29

Die Wahlen zum Genossenschaftsvorstande werden von diesem, die aufgrund der §§ 25, 26, 27 vorzunehmenden Wahlen werden von den Abteilungsvorständen geleitet. Nur die erste Wahl der Generalversammlungen der Abteilungen, sowie der Genossenschafts- und Abteilungs-Vorstände, sowie spätere Wahlen, bei welchen ein zur Leitung zuständiger Vorstand nicht vorhanden ist, werden von einem Vertreter der Aufsichtsbehörde geleitet.

Über jeden Wahlakt ist ein Protokoll aufzunehmen.

Der Genossenschaftsvorstand und die Abteilungsvorstände haben über jede Änderung in ihrer Zusammensetzung der Aufsichtsbehörde binnen einer Woche Anzeige zu erstatten und zwar, sofern die Änderung auf einer Wahl beruht, unter Beifügung des Wahlprotokolls. Ist die Anzeige nicht erfolgt, so kann die Änderung dritten Personen nur dann entgegengesetzt werden, wenn bewiesen wird, daß sie letzteren bekannt war.

Zur Legitimation der Vorstände bei allen Rechtsgeschäften genügt die Bescheinigung der Aufsichtsbehörde, daß die darin bezeichneten Personen den Vorstand bilden.

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§ 30

Durch die Geschäfte, welche der Vorstand der Genossenschaft und die Vorstände der Genossenschaftsabteilungen innerhalb der Grenzen ihrer gesetzlichen und statutarischen Vollmacht im Namen der Genossenschaft abschließen, wird die letztere berechtigt und verpflichtet.

Die Mitglieder der Vorstände haften der Genossenschaft für getreue Geschäftsverwaltung wie Vormünder ihren Mündeln.

Mitglieder der Vorstände, welche absichtlich zum Nachteil der Genossenschaft handeln, unterliegen der Strafbestimmung des § 266 des Strafgesetzbuches.

§ 31

Wählbar zu Mitgliedern der Vorstände und der Generalversammlungen sind nur diejenigen Mitglieder der Genossenschaft, welche sich im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und nicht durch gerichtliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.

Die Ablehnung der Wahl ist nur aus denselben Gründen zulässig, aus welchen das Amt eines Vormundes abgelehnt werden kann.

Genossenschaftsmitglieder, welche eine Wahl widerrechtlich ablehnen, können auf Beschluß der Generalversammlung für die Dauer der Wahlperiode zu erhöhten Beiträgen bis zum doppelten Betrage herangezogen werden.

§ 32

Die Mitglieder der Vorstände und Generalversammlungen der Genossenschaft und ihrer Abteilungen verwalten ihr Amt als unentgeltliches Ehrenamt. Bare Auslagen werden ihnen ersetzt, soweit sie in Reisekosten bestehen, nach festen, von den Generalversammlungen periodisch zu bestimmenden Sätzen.

Für die Kassen- und Rechnungsführung wird eine für die Genossenschaft von deren Generalversammlung, für die Genossenschaftsabteilungen von der Generalversammlung der Abteilung zu bestimmende Vergütung gezahlt.

§ 33

Die Mittel zur Deckung der von der Genossenschaft zu leistenden Entschädigungsbeträge (§ 7) werden durch Beiträge der Genossenschaftsmitglieder in der Weise aufgebracht, daß die Entschädigungsbeträge, welche aufgrund des § 5 während der ersten 13 Wochen9 nach Eintritt des Unfalls zu leisten sind, ausschließlich durch Beiträge derjenigen Genossenschaftsabteilung10, innerhalb deren sich der Unfall ereignet hat, alle übrigen Entschädigungsbeträge durch Beiträge sämtlicher Genossenschaftsmitglieder gedeckt werden.

Im gleichen werden die Verwaltungskosten der Abteilungen durch Beiträge der Mitglieder der letzteren, alle übrigen Verwaltungskosten durch Beiträge sämtlicher Genossenschaftsmitglieder aufgebracht.

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§ 34

Die Beiträge werden auf die Mitglieder nach Maßgabe der in ihrem Betriebe von den Versicherten verdienten Löhne umgelegt.

Die letzteren kommen dabei nur soweit in Anrechnung, als sie während der Beitragsperiode durchschnittlich für den Arbeitstag den Betrag von 4 Mark nicht übersteigen.

§ 35

Zu anderen Zwecken als zur Deckung der von der Genossenschaft zu leistenden Entschädigungsbeträge und der Verwaltungskosten dürfen weder Beiträge von den Mitgliedern der Genossenschaft erhoben werden, noch Verwendungen aus dem Vermögen der Genossenschaft erfolgen.

§ 36

Die Einnahmen und Ausgaben der Genossenschaft und ihrer Abteilungen sind von allen den Zwecken der Genossenschaft fremden Vereinnahmungen und Verausgabungen gesondert festzustellen und zu verrechnen; ebenso sind Bestände gesondert zu verwahren.

Verfügbare Gelder dürfen, außer in öffentlichen Sparkassen nur ebenso, wie Gelder Bevormundeter, angelegt werden.

§ 37

Durch das Statut kann der Generalversammlung der Genossenschaft die Befugnis eingeräumt werden, Vorschriften über die von den Mitgliedern zur Verhütung von Unfällen in ihren Betrieben zu treffenden Einrichtungen zu erlassen und Verstöße gegen diese Vorschriften mit Geldstrafen oder Strafzuschlägen zu den Beiträgen zu bedrohen.

Die Vorschriften bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde.

Erstreckt sich der Bezirk der Genossenschaft über die Bezirke mehrerer höherer Verwaltungsbehörden, so ist jeder der letzteren eine Abschrift der genehmigten Vorschriften einzureichen.

[...]

§ 40

Solange die Wahl der gesetzlichen Organe einer Genossenschaft nicht zustande kommt, solange ferner diese Organe die Erfüllung ihrer gesetzlichen oder statutarischen Obliegenheiten verweigern, hat die Aufsichtsbehörde die letztere11 wahrzunehmen oder durch Beauftragte wahrnehmen zu lassen.

§ 41

Die Befugnisse und Obliegenheiten, welche nach diesem Gesetze von den höheren Verwaltungsbehörden wahrzunehmen sind, werden in den Fällen des § 12 von den durch die Zentralbehörden der Bundesstaaten zu bestimmenden Behörden, in

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den Fällen des § 13 von den durch den Reichskanzler zu bestimmenden Behörden wahrgenommen.

§ 42

Die Generalversammlung jeder nach Maßgabe der § 20 ff. gebildeten Genossenschaft kann beantragen:

1. daß die Genossenschaft mit einer anderen Genossenschaft vereinigt werde,

2. daß einzelne Abteilungen der Genossenschaft aus derselben ausscheiden und der gleichartigen Genossenschaft eines anderen Bezirks angeschlossen werden,

3. daß die der Genossenschaft angehörenden Betriebsunternehmer eines bestimmten Industriezweiges oder einer bestimmten Betriebsart aus der Genossenschaft ausscheiden und einer anderen Genossenschaft angeschlossen oder für dieselben eine besondere Genossenschaft errichtet werde. Die Anträge sind an die Aufsichtsbehörde der Genossenschaft zu richten, welche über dieselben die Entscheidung nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen herbeizuführen hat. [...]

§ 65

Wird ein unter den § 11 fallender Betrieb eingestellt, so hat der Betriebsunternehmer binnen vier Wochen dem Vorstande der Genossenschaftsabteilung davon Anzeige zu machen und für die Zeit vom Ablauf des letzten Rechnungshalbjahres die im § 60 Absatz 1 vorgeschriebene Nachweisung einzureichen und gleichzeitig 2 % des aus der Nachweisung sich ergebenden anrechnungsfähigen Betrages der Löhne und Gehälter als Kaution für den am Schlusse des laufenden Halbjahres fälligen Beitrags einzuzahlen.

Wird dieser Vorschrift nicht genügt, so hat der Vorstand den anrechnungsfähigen Betrag der Löhne und Gehälter seinerseits festzustellen und 2 % desselben von dem Betriebsunternehmer einzuziehen.

Von der als Kaution eingezahlten Summe wird demnächst der nach Maßgabe des nachgewiesenen oder festgestellten Lohn- und Gehaltsbetrages zu berechnende Beitrag bestritten. Der überschießende Betrag der Kaution wird dem Betriebsunternehmer zurückgezahlt, ein etwaiger Mehrbetrag des Beitrags von demselben eingezogen.

§ 66

Die Genossenschaften sind befugt, durch Beauftragte die Befolgung der aufgrund des § 37 erlassenen Vorschriften zu überwachen, von den Einrichtungen des Betriebes, so weit sie für die Zugehörigkeit zur Genossenschaft von Bedeutung sind, Kenntnis zu nehmen und behufs Prüfung der gemäß § 60 Absatz 1 eingereichten Nachweisungen, sowie behufs der nach § 60 Absatz 2 vorzunehmenden Festsetzungen die Geschäftsbücher und Listen einzusehen, aus welchen die verdienten Löhne und Gehälter ersichtlich sind.

Der Betriebsunternehmer ist verpflichtet, den als solchen legitimierten Beauftragten der beteiligten Genossenschaft auf Erfordern den Zutritt zu seiner Betriebsstätte während der Betriebszeit zu gestatten und die bezeichneten Bücher und Listen an Ort und Stelle zur Einsicht vorzulegen. Er ist hierzu auf Antrag der Beauftragten durch die untere Verwaltungsbehörde durch Geldstrafen im Betrage bis zu [ Druckseite 106 ] 500 M anzuhalten. Der Festsetzung einer Strafe muß deren schriftliche Androhung voraufgehen. Die Festsetzung der Strafe kann wiederholt werden.

Die Beauftragten der Genossenschaften haben über die Tatsachen, welche durch die Überwachung und Kontrolle zu ihrer Kenntnis gelangen, Verschwiegenheit zu beobachten. Sie sind hierauf auf Antrag des Vorstandes der Genossenschaft von der Aufsichtsbehörde zu beeidigen.

Die durch die Überwachung und Kontrolle entstehenden Kosten gelten als Verwaltungskosten der Genossenschaft. Soweit dieselben in baren Auslagen bestehen, können sie durch den Vorstand der Genossenschaft dem Betriebsunternehmer auferlegt werden, wenn derselbe durch Nichterfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen zu ihrer Aufwendung Anlaß gegeben hat. Gegen die Auferlegung der Kosten findet die Beschwerde statt; über dieselbe entscheidet die Aufsichtsbehörde.

§ 67

Namen und Wohnsitz derjenigen Beauftragten der Genossenschaft, welche mit der Überwachung der Befolgung der aufgrund des § 37 erlassenen Vorschriften betraut sind, müssen den höheren Verwaltungsbehörden, auf deren Bezirke sich ihre Tätigkeit erstreckt, angezeigt werden.

Diese Beauftragten sind verpflichtet, den nach Maßgabe des § 139 b der Gewerbeordnung bestellten staatlichen Aufsichtsbeamten auf Erfordern über ihre Überwachungstätigkeit und deren Ergebnisse Mitteilung zu machen, und können dazu von der Aufsichtsbehörde der Genossenschaft durch Ordnungsstrafen angehalten werden.

§ 68

Rückständige Beiträge und Kautionsbeträge (§ 65) sowie die in den §§ 16, 38, 64 Absatz 4 bezeichneten Strafen und Kosten werden in derselben Weise beigetrieben, wie Gemeindeabgaben.

§ 69

Von jedem in einem versicherten Betriebe vorkommenden Unfall, durch welchen eine in demselben beschäftigte Person getötet wird oder eine Körperverletzung erleidet, [welche voraussichtlich eine Erwerbsunfähigkeit von mehr als einer Woche oder den Tod zur Folge haben wird]12, ist von dem Betriebsunternehmer bei der Polizeibehörde schriftliche Anzeige zu erstatten.

Dieselbe muß binnen zwei Tagen nach dem Tage erfolgen, an welchem der Verpflichtete von einer solchen Verletzung oder von dem eingetretenen Tode Kenntnis erlangt hat.

Für den Betriebsunternehmer kann derjenige, welcher zur Zeit des Unfalls den Betrieb oder den Betriebsteil, in welchem sich der Unfall ereignete, zu leiten hatte, die Anzeige erstatten; im Falle der Behinderung des Betriebsunternehmers ist er dazu verpflichtet.

Form und Inhalt der Anzeige werden vom Reichskanzler festgestellt. [...]

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§ 75

Dem Verletzten steht ein Anspruch in Gemäßheit dieses Gesetzes nicht zu, wenn er vorsätzlich die Verletzung sich zugefügt hat oder durch einen anderen hat zufügen lassen. Die Ansprüche der Hinterbliebenen werden hierdurch nicht berührt. [...]

§ 81

Tritt in den Verhältnissen, welche für die Feststellung der Entschädigung maßgebend waren, eine wesentliche Veränderung ein, so kann eine anderweitige Feststellung derselben auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen.

Ist der körperlich Verletzte, für welchen eine Entschädigung in Gemäßheit des § 5 festgestellt war, infolge der Verletzung gestorben, so muß der Antrag auf Gewährung einer Entschädigung für die Hinterbliebenen, falls deren Feststellung nicht von Amts wegen erfolgt ist, bei Vermeidung des Ausschlusses, vor Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Verletzten angemeldet werden. Im übrigen finden auf das Verfahren die Vorschriften des § 74 Abs. 2, §§ 76 bis 80 entsprechende Anwendung.

Eine Erhöhung der in § 5 bestimmten Rente kann nur für die Zeit nach Anmeldung des höheren Anspruchs gefordert werden.

Eine Minderung oder Aufhebung der Rente tritt von dem Tage ab in Wirksamkeit, an welchem der dieselbe aussprechende Bescheid (§ 77) den Entschädigungsberechtigten zugestellt ist. Die gegen diesen Bescheid eingelegte Berufung auf den Rechtsweg (§ 78) hat keine aufschiebende Wirkung.

§ 82

Die den Entschädigungsberechtigten aufgrund dieses Gesetzes zustehenden Forderungen können mit rechtlicher Wirkung weder verpfändet, noch auf Dritte übertragen, noch für andere, als die in § 749 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung bezeichneten Forderungen der Ehefrau und ehelichen Kinder und die des ersatzberechtigten Armenverbandes gepfändet werden.

§ 83

Die Kosten des Heilverfahrens (§ 5 Nr. 1) und die Kosten der Beerdigung (§ 6 Nr. 1) sind eine Woche nach ihrer endgültigen Feststellung zu zahlen.

Die Entschädigungsrenten der Verletzten sind bis zum Ablauf der dreizehnten Woche nach Eintritt des Unfalls in wöchentlichen Raten, von da an, gleich den Renten der Hinterbliebenen, in vierwöchentlichen Raten postnumerando zu zahlen.

§ 84

Verletzten, deren Entschädigungsanspruch nicht bestritten wird, ist, so lange die Höhe der Entschädigung noch nicht endgültig festgestellt ist, ein Vorschuß auf die letztere in wöchentlichen Raten postnumerando auszuzahlen. Die Höhe desselben, welche mindestens die Hälfte des durchschnittlichen Betrages der in den Betrieben der Genossenschaft üblichen Löhne betragen muß, ist durch Beschluß der Generalversammlung der Genossenschaft festzustellen. Der Beschluß bedarf der Genehmi-

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gung der Aufsichtsbehörde. Die gezahlten Vorschüsse werden bei Auszahlung derjenigen Raten der Entschädigungsrente, welche zur Zeit der endgültigen Feststellung der letzteren bereits fällig geworden sind, angerechnet.

§ 85

Die Auszahlung der aufgrund dieses Gesetzes zu leistenden Entschädigungen wird vorschußweise durch die Postverwaltungen und zwar in der Regel durch dasjenige Postamt, in dessen Bezirk der Entschädigungsberechtigte zur Zeit des Unfalls seinen Wohnsitz hatte, bewirkt.

Die Auszahlungen erfolgen, soweit es sich um die aufgrund des § 5 während der ersten dreizehn Wochen nach Eintritt des Unfalls zu leistenden Entschädigungen und die Vorschüsse darauf handelt, auf Anweisung des Vorstandes der Genossenschaftsabteilung, übrigens auf Anweisung des Vorstandes der Genossenschaft. Die Anweisungen sind nach Formularen, welche vom Reichskanzler festgestellt werden, auszustellen.

Jede Anweisung muß am Kopfe mit der Bezeichnung der Genossenschaft und, sofern sie von dem Vorstande einer Genossenschaftsabteilung ausgestellt wird, mit der Bezeichnung der letzteren versehen sein.

§ 86

Vierzehn Tage13 nach Ablauf eines Rechnungshalbjahres hat die Postverwaltung dem Vorstande jeder Genossenschaft eine Berechnung über die im Laufe desselben für die Genossenschaft geleisteten Vorschüsse zuzustellen. Die Berechnung ist getrennt für die auf Anweisung des Genossenschaftsvorstandes und für die auf Anweisung jedes Abteilungsvorstandes geleisteten Zahlungen auszustellen.

Der Vorstand der Genossenschaft hat zwei Dritteile der nach der Berechnung der Postverwaltung geleisteten Vorschüsse binnen dreizehn Wochen nach Empfang der Berechnung an die von der Postverwaltung zu bezeichnende Kasse einzuzahlen.

Das letzte Dritteil der geleisteten Vorschüsse wird der Postverwaltung vom Reiche erstattet.

Meinungsverschiedenheiten über die Berechnung der Vorschüsse werden in Ermangelung gütlicher Einigung von der Aufsichtsbehörde der Genossenschaft entschieden.

Die festgestellten Differenzen werden bei der nächsten Berechnung ausgeglichen.

§ 87

Beginn und Ende des Rechnungsjahres wird für alle Unfallversicherungsgenossenschaften übereinstimmend durch Beschluß des Bundesrats festgestellt.

§ 88

Für die erste Woche nach Eintritt des Unfalls hat der Betriebsunternehmer dem in seinem Betriebe verletzten Entschädigungsberechtigten einen Krankenlohn in

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Höhe des in § 84 bezeichneten Vorschusses zu zahlen, sofern der Verletzte nicht eine Unterstützung aus einer Krankenkasse bezieht, zu welcher der Betriebsunternehmer Zuschüsse im Mindestbetrage von 50 % der Arbeiterbeiträge leistet. Im letzteren Falle hat der Unternehmer als Krankenlohn nur denjenigen Betrag zu zahlen, um welchen der wöchentliche Betrag des Vorschusses die von der Krankenkasse wöchentlich zu gewährende Unterstützung übersteigt. [...]

§ 91

Die Betriebsunternehmer sind nicht befugt, die Anwendung der Bestimmungen dieses Gesetzes zu ihrem Vorteil durch Verträge (mittels Reglement oder besonderer Übereinkunft) im voraus14 auszuschließen oder zu beschränken. Vertragsbestimmungen, welche dieser Vorschrift zuwiderlaufen, haben keine rechtliche Wirkung.

§ 92

Die nach Maßgabe dieses Gesetzes versicherten Personen und deren Hinterbliebene können gegen den Betriebsunternehmer, in dessen Betrieb die ersteren beschäftigt waren, einen Anspruch auf Ersatz des infolge eines Unfalls erlittenen Schadens nur dann geltend machen, wenn derselbe den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. In diesem Falle beschränkt sich der Anspruch auf den Betrag, um welchen die den Berechtigten nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften gebührende Entschädigung die ihnen nach diesem Gesetze zustehende übersteigt.

§ 93

Der Betriebsunternehmer ist verpflichtet, alle Aufwendungen zu erstatten, welche das Reich und die Unfallversicherungsgenossenschaft infolge des Unfalls aufgrund dieses Gesetzes zu machen haben, wenn er, oder im Falle seiner Handlungsunfähigkeit sein gesetzlicher Vertreter, den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat.

In gleicher Weise haftet eine Aktiengesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft, wenn ein Mitglied ihres Vorstandes, sowie eine Handelsgesellschaft, eine Innung oder eingetragene Genossenschaft, wenn einer der Liquidatoren den Unfall vorsätzlich oder durch grobes Verschulden verursacht hat.

Als Ersatz für die Rente kann in den vorstehend bezeichneten Fällen deren Kapitalwert gefordert werden. [...]

§ 100

Die Rechte und Pflichten, welche von Unternehmern der unter den § 1 fallenden Betriebe oder von den in denselben beschäftigten Personen gegen die Folgen der in diesem Gesetze bezeichneten Unfälle mit Versicherungsanstalten abgeschlossen sind, gehen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (§ 99 Abs. 2) auf die Unfallversicherungsgenossenschaft, welcher der Betrieb angehört, über, wenn die Versicherer dieses bei dem Vorstande der Genossenschaft beantragen.

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Registerinformationen

Personen

  • Ackermann, Karl G. (1820─1901) Geh. Hofrat, Finanzprokurator, MdR (konservativ)
  • Behrendt, Dr. Ludwig (1834─1893) Chefredakteur des “Berliner Tageblatts”
  • Friedrich Wilhelm (Friedrich III.) (1831-1881) Kronprinz (Deutscher Kaiser und König von Preußen)
  • Hertling, Prof. Dr. Georg Freiherr von (1843─1919) Philosoph, MdR (Zentrum)
  • Mosse, Rudolph (1843─1920) Verleger des “Berliner Tageblatts”
  • Servaes, August (1832─1923) Industrieller, MdR (nationalliberal/Liberale Vereinigung)
  • Stumm, Karl Frhr. von (1836─1901) Industrieller, MdR (freikonservativ/ Deutsche Reichspartei
  • 1BArchP 15.01 Nr. 382, fol. 124─156 Rs., ein weiteres Exemplar ebd., fol. 24─56 sowie 90 Lo 1 Nr. 16, fol. 3─35 Rs. Der undatierte Entwurf Lohmanns (vermutlich Ende November angefertigt, vgl. Nr. 22 Anm. 1) befindet sich in: 15.01 Nr. 382, fol. 2─22, versehen mit Randvermerk: In 18 Exemplaren metallographisch vervielfältigt, Geh. Kanzlei 5.12.81. »
  • 2Bismarck: 1500? »
  • 3Hiermit erfüllte L. eine Auflage des Reichstags und Bismarcks, vgl. Nr. 17. »
  • 4Die konkrete Entstehung dieses sog. Höchstjahresarbeitsverdienstes ist nicht mehr genau festzustellen. In der ersten Unfallversicherungsvorlage (§ 8) sollte die Unfallrente noch nach Maßgabe des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes des letzten Beschäftigungsjahres berechnet werden. Die XIII. Reichstagskommission hatte dann auf Antrag Karl Stumms eine “Deckelung” eingeführt: “Übersteigt der jährliche Arbeitsverdienst die Summe von 2000 Mark, so bleibt der Mehrbetrag außer Berechnung”. (Sten.Ber.RT, 4. LP, IV. Sess. 1881, Bd. 4, Aktenstück Nr. 159, S. 853, § 8); hieran hatte dann der Reichstag in zweiter und dritter Lesung festgehalten (Sten.Ber.RT, ebd., Aktenstück Nr. 260, S. 1158, § 9). Dieser Höchstjahresarbeitsverdienst entsprach der Versicherungspflichtgrenze. In dem von Frhr. v. Hertling erstatteten Kommissionsbericht vom 21.5. 1881 hieß es dazu: Von mehreren Mitgliedern, welche sich dabei auf verschiedentlich eingegangene Petitionen beziehen konnten, wurde bemerkt, daß das Prinzip des Entwurf, wonach im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit die Rente 66 2/3 des Arbeitsverdienstes zu betragen habe, möglicherweise zu einer übergroßen Belastung der Industrie fuhren könne, namentlich in Betreff des durch keinerlei Zoll geschützten Kohlenbergbaues (...) Von zwei Seiten (von Karl G. Ackermann und August Servaes) wurde beantragt, diese Grenze auf die Summe von 1200 M zu fixieren, von einer dritten, statt dessen 2000 M festzusetzen. Die Majorität der Kommission (14:10 Stimmen) schloß sich nach längerer Diskussion und nach einer zustimmenden Äußerung des Herrn Regierungskommissars dem letzteren Vorschlage an. (Sten.Ber.RT, ebd., Aktenstück Nr. 159, S. 837) In der Protokollniederschrift v. 3.5.1881 ist dazu notiert: Abg. Servaes tritt für seinen Antrag ein und für die Grenze bis 1200 M. GehRat Lohmann: Bestreitet die Ausführungen des Vorredners, die Industrie stände nicht auf so schwachen Füßen. Ferner wendet er sich gegen die Anträge Stumms (diese richteten sich u. a. auch darauf, bei Selbstverschulden des getöteten Arbeiters die Rente auf die Hälfte zu mindern), deren Fassung er für bedenklich halte (BArchP 01.01 Nr. 3078, fol. 205 Rs.). Aus den Akten ergibt sich nun nicht, warum Theodor Lohmann nun hier auf diese Regelung eines Höchstjahresarbeitsverdienstes zurückgriff und zwar in der Höhe von 1200 M, die für Arbeiter mit einem Arbeitslohn von 2000 M im Rentenfall von vornherein zu einer Rente führen mußte, die um 40 v.H. niedriger war als nach der ersten Unfallversicherungsvorlage. In einer eigenhändigen Aufzeichnung Lohmanns, die Kritikpunkte zur zweiten Unfallversicherungsvorlage vom 8.3.1882 enthält, äußert er sich generell kritisch zum Höchstjahresarbeitsverdienst, von ihm Maximallohn genannt, um dann aber unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung des (von ihm persönlich abgelehnten!) Reichszuschusses ─ in Höhe von einem Drittel des jeweiligen Rentenbetrages, vgl. § 7 in diesem Urentwurf vom 5.12.1881 und § 7 in der zweiten Unfallversicherungsvorlage vom 8.5.1882) ─ einen über 1200 M liegenden Höchstjahresarbeitsverdienst eher negativ zu bewerten: Je niedriger der Maximallohnsatz gegriffen wird, desto ungleichmäßiger wird die Wirkung des Reichszuschusses werden; auf der anderen Seite wird es um so schwerer werden, die Gewährung des Reichszuschusses für alle Arbeiter zu rechtfertigen, je höher jene Grenze hinaufgeschoben wird, und es scheint zweifelhaft, ob unter diesem Gesichtspunkte die Maximallohngrenze mit 1 200 Mark nicht schon zu hoch gegriffen ist (undatierte Aufzeichnung, von Lohmann nachträglich ─ wohl irrtümlich ─ mit der Aufschrift Zu dem im November (1881) S(einer) Durchlaucht vorgelegten Gesetzentwurf versehen, BArchP 90 Lo 2 Nr. 16, fol. 239─245). In seiner generellen Argumentation gegen den Höchstjahresarbeitsverdienst greift Lohmann auf Gedanken zurück, die er bereits zur Kritik von Bismarcks Vorstellungen über eine Versicherungspflichtgrenze in Höhe von 1000 bzw. 1500 M geäußert hatte (vgl. Nr. 17 Anm. 9 und 14). ─ Vgl. auch § 34. »
  • 5B: ? Der ganze Satz am Rande angestrichen. »
  • 6Am Kopf dieser Seite, auf der auch die §§ 11 u. 12 aufgeführt sind: B: Gefahrenklassen ─ “Gefahrenklassen” als Begriff, anhand dessen die “Gleichartigkeit” der Betriebe bestimmt und damit die Zugehörigkeit zu den einzelnen Berufsgenossenschaften festgestellt werden kann (womit gleichzeitig deren konstitutiver Faktor vorgegeben ist!), werden hier erstmals von B. genannt, vgl. aber auch Nr. 14 Anm. 95 und Nr. 38 Anm. 3. »
  • 7Im “Bezirk einer höheren Verwaltungsbehörde” ─ in Preußen also der Regierungsbezirk ─ ─ als Ausgangspunkt zur Bildung von Berufsgenossenschaften liegt eine Abweichung von Bismarcks Direktive vom 7.11.1881 (Nr. 17). »
  • 8B.: die »
  • 9von B. unterstrichen »
  • 10B.: zu eng? bei 13 W(ochen)? »
  • 11B.: auf Kosten der G(enossenschaft) »
  • 12Der Halbsatz ist nachträglich mit Bleistiftstrichen eingeklammert, am Rande ?; beides erfolgte vermutlich von Bismarck, ist aber nicht eindeutig zuzuordnen. »
  • 13B.: schnell »
  • 14“im voraus” von B. eingeklammert und durchgestrichen. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 27, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0027

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