Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 18

1881 November 11

Brief1 des Staatsministers a.D. Dr. Albert Schäffle an den Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck

Eigenhändige Ausfertigung

[Ein umfassender Gesetzentwurf zur sozialpolitischen Gestaltung mittels allgemeiner Hilfskassen ist fertiggestellt und wird übersandt]

Am Schlusse desjenigen Schreibens, in welchem ich mich beehrt habe, auf Eure Durchlaucht freundliche Anfrage betr. Mitwirkung zur Vorbereitung der sozialpolitischen Gesetzesentwürfe eine zusagende Antwort zu geben2, habe ich mir erlaubt, beizufügen, daß ich inzwischen bemüht sein werde, meine Gedanken nochmals im Zusammenhalt mit Euer Durchlaucht gefälligen Meinungsäußerungen in sachlicher und taktischer Hinsicht zu prüfen.

Nunmehr kann ich Euer Durchlaucht die Anzeige erstatten, daß ich dieser Aufgabe seitdem mich entledigt habe. Um in einer Sache von so großer Verantwortlichkeit, zunächst für mich selbst, eventuell vor Euer Durchlaucht die Präzisionsprobe bestehen zu können, hielt ich es für das beste, meine Gedanken in die Form eines Gesetzentwurfs zu fesseln. Dieser “Entwurf eines Normativgesetzes für Errichtung und Verwaltung von allgemeinen Hilfskassen”3 ist eben in etlichen 230 Artikeln fertig geworden und wird in 5─6 Tagen so mundiert sein, um sauber vorgelegt werden zu können. Persönlich könnte ich ihn samt den Motiven sofort vortragen. Für die Ausreifung zur Vorlage an den Reichstag würde ich nur die juristische Adjustierung und eine Anzahl amtlicher Probeerhebungen und hierfür kaum mehr als 4 Monate Zeit nötig haben.

Um die ganze Tragweite der Aktion sicher zu übersehen und ruhig verantworten zu können, habe ich die Invalidenversicherung jeder Art einschließlich der Altersversorgung und der Krankenversorgung ins Auge gefaßt und hierfür das vollständige Organisationsbild gewonnen. Ich meine, daß dasselbe nicht bloß alle bisher von rechts und links erhobenen Vorwürfe durch seine Positivität entwaffnen könnte, [ Druckseite 72 ] sondern auch Euer Durchlaucht staatsmännischen Gesichtspunkten nicht gar zu sehr zuwider sein möchte.4

Gleichwohl hätte ich von demselben kaum jetzt schon die Anzeige erstattet, wenn ich mich hierzu nicht durch die von den Neuwahlen geschaffene Lage5 verpflichtet erachten würde. Mich entmutigen diese Wahlen in der Sache zwar nicht; die größte Summe negativer Größen ergibt nichts Positives. Aber es will mich dünken, daß in allen Fällen ─ ob Sie Ihre Entwürfe unentwegt festhalten oder zurückstellen oder ganz fallen lassen ─ eine ganz präzise und positive Darlegung Ihrer sozial- und steuerpolitischen Absichten fast unerläßlich geworden ist im Interesse der Sache, im Interesse der Abwälzung jeder Verantwortlichkeit von Ihrem Namen, eine im Interesse des Erfolges, sei es ein Rückzug oder ein Angriff. Von Ihrer Hand gelegt wird das Samenkorn doch aufgehen für später dankbare Geschlechter.

Die durchaus konnexen finanzpolitischen Fragen habe ich mir aufgrund jüngsthin gemachter einläßlicher Studien (für meine “Grundsätze der Steuerpolitik”)6 ebenfalls ziemlich genau und ganz positiv zurechtgelegt.

Euer Durchlaucht überaus wohlwollendes Entgegenkommen deckt mich bei Ihnen wohl gegen den Vorwurf der Eitelkeit und Zudringlichkeit. Der Vorwurf, den ich nicht ertragen könnte, wäre der, in einem ernsten Augenblick meinen Ansichten gerade an der entscheidendsten Stelle nicht Ausdruck verliehen zu haben. Für den Entwurf stehe ich recht gerne öffentlich ein.

Registerinformationen

Personen

  • Rantzau, Kuno Graf zu (1843─1917) Legationsrat im Auswärtigen Amt, Schwiegersohn Bismarcks
  • 1BArchP 07.01 Nr. 527, fol. 16─17 Rs. »
  • 2Vgl. Nr. 13. »
  • 3BArchP 07.01 Nr. 527, fol. 33─202. »
  • 4Hinweise auf eine Lektüre dieses umfangreichen Gesetzentwurfs durch Bismarck enthält das Konvolut nicht. »
  • 5Anspielung auf die oppositionellen Reichstagswahlen, vgl. dazu Bd. 1 der I. Abteilung (1994) dieser Quellensammlung und die Einleitung dieses Bandes. »
  • 6Die Grundsätze der Steuerpolitik und die schwebenden Finanzfragen Deutschlands und Österreichs, Tübingen 1880. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 18, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0018

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