Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 123

1890 Januar 31

Erlaß1 des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck an den preußischen Gesandten in Dresden Karl Graf von Dönhoff2

Abschrift

Bismarck wünscht Hintergrundinformationen zum geplanten sächsischen Arbeiterschutzantrag

Die königl[ich] sächsische Regierung hat durch ihren hiesigen Gesandten die Absicht kundgegeben, bei dem Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes über sog. Arbeiterschutz, insbesondere über die Einschränkung der Frauen- und Sonntagsarbeit einzubringen.3

Ew. [Hochgeboren] ersuche ich erg[ebenst], umgehend zu berichten, wodurch die dortige Regierung zu einer, in unsere wirtschaftlichen Verhältnisse so tief eingreifenden bu. mit der bisherigen Haltung des Bundesrats widersprechenden Anregungb veranlaßt worden ist. In Sachsen besteht die obligatorische Sonntagsheiligung; wieweit die Frauenarbeit dort gesetzlich beschränkt, ist mir nicht bekannt. Die Vermutung liegt nahe, daß der Wunsch der sächsischen Regierung nach einer Arbeiterschutzgesetzgebung für das ganze Reich durch die ungünstigen Erfahrungen hervorgerufen worden ist, welche sie mit dem Verbot der Sonntagsarbeit gemacht hat, bindem sie ihre Industrie, soweit sie früher an Sonntagsarbeit gewöhnt war, durch das Verbot derselben benachteiligt hat.

Soweit meine durch die von Reichs wegen angestellten Enquetenb 4 bestätigten Erfahrungen reichen, hat eine Beschränkung der freien Verfügung des Arbeiters über seine und der Seinigen Arbeitskraft niemals eine dankbare Aufnahme in den arbeitenden Klassen erfahren; bdie vorbereitenden Erwägungen darüber haben niemals zur Lösung der Frage geführt, aus welchen Mitteln den bisher an Sonntagsverdienst gewöhnten Arbeitern die 14 % Verlust am Jahreslohn ersetzt werden sollen, welche das Äquivalent der Sonntagsarbeit bilden.b Es ist wahrscheinlich, daß diese Schwierigkeit sich auch in Sachsen geltend gemacht haben wird und daß man dieselbe dadurch zu paralysieren wünscht, daß gleiche Einschränkungen des Arbeitsrechts wie dort für das ganze Reich gesetzlich eingeführt werden. bIn den bisherigen Strikes hat die Sonntags- und Frauenarbeit nie eine Rolle gespielt; nur mehr Lohn- und weniger Arbeitszeit für Männer waren die Forderungen. Die Anregung der Frage während der Wahlen wird uns keine Freunde, nur Gegner bringen.b

[ Druckseite 501 ]

Ich lege um so mehr Wert darauf, einen Einblick in den kausalen Zusammenhang dieser Angelegenheit zu gewinnen, als der König von Sachsen S[eine] M[ajestät] den Kaiser bin der Richtung des sächsischen Antrags zu beeinflussen bestrebt istb.5

Registerinformationen

Personen

  • Albert (1828–1902) , König von Sachsen
  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833–1907) , Staatssekretär des Innern
  • Marschall von Bieberstein, Adolf Freiherr (1842–1912) , Landgerichtsrat in Mannheim, MdR (konservativ); später: badischer Gesandter in Berlin
  • Turban, Dr. Ludwig (1821–1898) , badischer Ministerpräsident, Außenminister, Innenminister
  • Wilhelm H. (1859–1941) , Deutscher Kaiser und König von Preußen

Sachindex

  • Februarerlasse
  • Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (21.10.1878)
  • Kinderarbeit
  • Kronrat, preußischer
  • Staatsministerium, preußisches
  • 1Abschrift: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin, R 2475, n. fol.; Reinentwurf mit erheblichen Abänderungen Bismarcks: BArch Berlin R 43 Nr. 431, fol. 55─56; auf Bismarck zurückgehende Formulierungen sind mit b-b gekennzeichnet. »
  • 2Karl Graf von Dönhoff (1833─1906), Wirklicher Geheimer Legationsrat, seit 1879 preußischer Gesandter in Dresden. »
  • 3Vgl. Nr. 111 und Nr. 118. »
  • 4Gemeint ist die 1885 durchgeführte Enquete zur Sonntagsarbeit; vgl. Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 5Zur Antwort v. Dönhoffs vgl. Nr. 128. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 123, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0123

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