Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 121

1890 Januar 30

Schreiben1 des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck an den sächsischen Gesandten Dr. Wilhelm Graf von Hohenthal und Bergen

Abschrift

Bismarck fordert die sächsische Regierung auf, ihren Arbeiterschutzantrag erst nach den Reichstagswahlen in den Bundesrat einzubringen

Euerer Hochgeboren beehre ich mich auf das an den Staatssekretär des Innern gerichtete und von demselben mir vorgelegte Schreiben vom 28. d. M.2 folgendes zu erwidern.

Wenn die königlich sächsische Regierung die Absicht verfolgt, bei dem Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes über sogenannten „Arbeiterschutz“ einzubringen, so ist es mir zweifelhaft, ob es sich empfiehlt, dieser Absicht schon vor den bevorstehenden Reichstagswahlen Folge zu geben. bIch möchte jedenfalls dann davon abraten, wenn die beabsichtigten Schutzmaßregeln darin bestehen sollten, daß die Freiheit der Arbeiter, ihre Arbeitskraft und die ihrer Angehörigen nach eigenem Ermessen herkömmlich zu verwerten, gesetzlich beschränkt werden soll. Ich entnehme meine Bedenken gegen jede Beschränkung der freien Verfügung des Arbeiters über seine und seiner Familie Arbeitskraft zunächst aus den Wirkungen, welche die bestehende Einschränkung des Arbeitsrechts der jugendlichen Arbeiter bei ihrer „Einführung“ erfahrungsmäßig gehabt hat. Dieselben bestanden in bitteren Klagen und waren weit entfernt von Dankbarkeit.3 Ich fürchte die gleiche Wirkung von neuen Beschränkungen der freien Verfügung des Arbeiters über die Arbeitskraft seiner Frau und Kinder und besorge, daß dieselbe sich in der Wahlbewegung fühlbar machen wird.b Eine Bestätigung für meine Annahme liegt in der notorischen Tatsache, daß unter den Forderungen, welche bei Gelegenheit der jüngsten Ausstandsbewegungen von den Arbeitern gestellt wurden, Wünsche auf Einschränkung der Sonntags- und der Frauen- oder Kinderarbeit niemals laut geworden sind. Es liegt die Befürchtung nahe, daß ein gesetzgeberisches Vorgehen auf diesem Gebiet im gegenwärtigen Augenblick die auf Ausnutzung der Arbeitskraft ihrer Familienglieder bpekuniärb angewiesenen Arbeiter mit Mißmut erfüllen und den Ausfall der Wahlen ungünstig beeinflussen wird.

[ Druckseite 497 ]

bIch würde deshalb dankbar sein, wenn die amtliche Stellung eines so einschneidenden Antrags bis zum Abschluß der Wahlen verlegt würde.b

Euere Hochgeboren ersuche ich ergebenst, diese Bedenken zur Kenntnis der königlich sächsischen Regierung bringen zu wollen.

Registerinformationen

Regionen

  • Bayern, Königreich

Orte

  • Berlin

Personen

  • Albert (1828–1902) , König von Sachsen
  • Crailsheim, Krafft Freiherr von (1841–1926) , bayerischer Außenminister
  • Douglas, Hugo Sholto Graf von (1837–1912) , Bergwerksbesitzer in Aschersleben, MdPrAbgH (freikonservativ)
  • Heyden, August von (1827–1897) , Lehrer an der Hochschule für die bildenden Künste in Berlin
  • Hinzpeter, Dr. Georg (1827–1907) , Philologe, Geheimer Regierungsrat in Bielefeld, Erzieher Wilhelm II.
  • Lerchenfeld-Koefering, Hugo Graf von und zu (1843–1925) , bayerischer Gesandter in Berlin, Bundesratsbevollmächtigter
  • Wilhelm H. (1859–1941) , Deutscher Kaiser und König von Preußen

Sachindex

  • Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (21.10.1878)
  • Reichsamt des Innern
  • Thronreden
  • Thronreden – 25.1.1890
  • 1Abschrift: SächsHStA Dresden Bestand 10736 Ministerium des Innern Nr. 6468, fol. 89─90; Erster Reinentwurf von der Hand Robert Bosses mit erheblichen Abänderungen Bismarcks: BArch R 43 Nr. 431, fol. 49─50; Zweiter Reinentwurf mit erheblichen Abänderungen Bismarcks: ebenda, fol. 51─53. Auf Bismarck zurückgehende Formulierungen sind mit b-bgekennzeichnet. »
  • 2Vgl. Nr. 118. »
  • 3Bismarck nimmt hier Bezug auf das Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 9.3.1839 (vgl. Anhang 1 Bd. 3 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). Vgl. hierzu die Reichstagsrede Bismarcks vom 9.1.1882, wo er ähnlich argumentierte (Nr. 6, S. 15, Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 121, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0121

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