Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 118

1890 Januar 28

Schreiben1 des sächsischen Bundesratsbevollmächtigten Dr. Wilhelm Graf von Hohenthal und Bergen an den Staatssekretär des Innern Dr. Karl Heinrich von Boetticher

Ausfertigung

Das Reichsamt des Innern wird nun offiziell von der Absicht Sachsens unterrichtet, einen Entwurf für ein Arbeiterschutzgesetz in den Bundesrat einzubringen

Wie Eurer Exzellenz aus den Verhandlungen des Bundesrats und des Reichstags bekannt geworden sein dürfte, hat die königlich sächsische Regierung in bezug auf die von dem letzteren in der Session 1887/88 über die Arbeiterschutzgesetzgebung gefaßten Beschlüsse, namentlich insoweit dieselben eine Einschränkung der Frauenund der Sonntagsarbeit bezweckten, keine unbedingt ablehnende Haltung eingenommen. In diesem Sinn habe ich unter anderem in der Reichstagssitzung vom 8. Juni 1887 (Seite 790 ff. der stenographischen Berichte) und in der Sitzung des Bundesrats vom 19. November 1888 (§§ 567 und 570 der Protokolle) den Standpunkt meiner Regierung den erwähnten Bestrebungen gegenüber präzisiert.

Von weiterem Eingehen auf die Angelegenheit ist indes damals mit Rücksicht auf die vollständige Aussichtslosigkeit eines jeden Versuchs, auf dem Gebiet der Arbeiterschutzgesetzgebung liegende Abänderungsanträge mit Erfolg zu stellen, Abstand genommen worden.

Neuerdings scheinen jedoch auch andere deutsche Regierungen den bezüglichen Anträgen des Reichstags etwas mehr entgegenkommen zu wollen. Insonderheit glaubt die königlich sächsische Regierung aus der Thronrede, mit welcher der preußische Landtag am 15. laufenden Monats eröffnet worden ist,2 auf seiten der königlich preußischen Regierung eine der Vervollständigung der Gesetzgebung auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes günstigere Stimmung entnehmen zu können, eine [ Druckseite 491 ] Meinung, welche durch die Rede3, mit der Seine Majestät der Kaiser den Reichstag am 25. desselben Monats geschlossen hat, nur noch bestärkt worden ist.

Mit Rücksicht hierauf und da die königlich sächsische Regierung bei der Frage des Arbeiterschutzes in besonders hohem Grad interessiert ist, beabsichtigt sie, demnächst durch Einbringung von Gesetzentwürfen bei dem Bundesrat ihren obenerwähnten Standpunkt weiter zu verfolgen.

Indem ich Eurer Exzellenz, erhaltener Weisung gemäß, hiervon allenthalben schon jetzt in Kenntnis zu setzen4 mich beehre, gestatte ich mir, ganz ergebenst hinzuzufügen, daß es mir erwünscht erscheinen möchte, wenn auch dem Bundesrat eine dementsprechende Mitteilung gemacht werden könnte.5

Registerinformationen

Personen

  • Fabrice, Alfred Graf von (1818–1891) , sächsischer Außenminister
  • Held, Hermann Gustav (1830–1894) , Geheimer Justizrat im sächsischen Justizministerium, sächsischer Bundesratsbevollmächtigter

Sachindex

  • Arbeiterversicherung, siehe auch Krankenversicherung, Unfallversicherung, Altersversorgung
  • Handelsministerium, preußisches
  • Thronreden
  • Thronreden – 25.1.1890
  • 1BArch R 43 Nr. 431, fol. 47─48.Von Boetticher berichtet hierzu rückblickend: Am Dienstag, den 28. Januar erschien der königlich sächsische Gesandte Graf v. Hohenthal bei mir, um mich im Auftrag seiner Regierung zu ersuchen, dem Bundesrat in der nächsten Sitzung die Mitteilung zu machen, daß diese Regierung beabsichtigte, den Entwurf eines Arbeiterschutzgesetzes in den Bundesrat einzubringen. Ich bat um eine schriftliche Requisition, erhielt diese umgehend und trug den Inhalt an demselben Tag dem Reichskanzler mündlich vor. Der Fürst zeigte sich über die Absicht eines Vorgehens der sächsischen Regierung auf diesem Gebiet stark entrüstet. Er verwarf bei unserer Unterredung in den härtesten Worten die Idee des Arbeiterschutzes, welcher weiter nichts wie ein Arbeiterzwang sei, und beauftragte mich, ein Schreiben an die sächsische Regierung anzugeben, in welchem dieselbe aufgefordert werde, von ihrem Vorhaben abzustehen. Ich brachte ihm dies Schreiben am anderen Tag und fand ihn auch hier wieder sehr aufgeregt über die Pläne des Kaisers (Karl Heinrich von Boetticher, Zur Geschichte der Entlassung des Fürsten Bismarcks am 20. März 1890, BArch N 1025 [Boetticher] Nr. 49, n. fol.; Abdruck bei Georg von Eppstein [Hg.], Fürst Bismarcks Entlassung, Berlin 1920, S. 50). »
  • 2Vgl. Nr. 101. »
  • 3In dieser Rede hatte Wilhelm II. zur Arbeiterversicherung erklärt, daß auf diesem Gebiet noch vieles zu tun bleibe. Zum Arbeiterschutz äußerte sich der Kaiser in der Thronrede nicht (Sten.Ber. RT 7. LP V. Session 1889/1890, S. 1257─1258). Vgl. Nr. 114. »
  • 4Von Boetticher war durch Wilhelm II. bereits spätestens seit 15.1.1890 über die Absicht des sächsischen Arbeiterschutzantrags informiert (vgl. Nr. 100). »
  • 5Eine solche Mitteilung erfolgte nicht. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 118, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0118

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