Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 112

1890 Januar [24]

Schreiben1 des Korrespondenten der Kölnischen Zeitung2 Dr. Franz Fischer an seinen Verleger Dr. Josef Neven DuMont3

Ausfertigung

Bericht über die Konflikte zwischen Wilhelm II. und Bismarck, die als vorübergehend eingeschätzt werden

Heute möchte ich ganz vertraulich, aber dringend raten, nichts von Rücktrittsgerüchten des Fürsten Bismarck in die Zeitung aufzunehmen, ehe Sie mir davon zur Kontrolle Kenntnis gegeben.

Zwischen Fürst und Kaiser bestehen allerdings einige Meinungsverschiedenheiten, die im wesentlichen wohl darauf zurückzuführen sind, daß B[ismarck] noch nicht ganz sich in die neue Zeit, in einen wirklich regierenden Kaiser gefügt hat. Bis jetzt aber habe ich die feste Überzeugung, daß diese Meinungsverschiedenheiten sehr bald und leicht sich ausgleichen werden. Sie erstrecken sich auf folgende Hauptpunkte: Der Kaiser ist dem Fürsten zu arbeiterfreundlich, er hat einen entsprechenden Absatz in der Thronrede nicht durchdrücken können; er will den Erlaß eines Arbeiterschutzgesetzes, der Fürst nicht; er will das Sozialistengesetz dauernd fertiggemacht haben, der Fürst will nicht auf Ausweisung verzichten; der Kaiser will Maybach4 beseitigt haben, der Fürst will ihn behalten, etc. etc.

Über all diese Fragen werden die nächsten Tage Aufklärung bringen. Aber es ist nicht zu hindern, daß von diesen Fragen etwas an die Börse gelangt, zumal Bleichröder5 sicher sofort vom Fürsten empfangen werden wird und dann leicht eine gehörige [ Druckseite 479 ] Baisse hervorrufen kann. Aber ich halte, wie gesagt, die Frage, ob der Kanzler ans Weggehen denkt, für unbedingt zu verneinen. Der Fürst hat noch dieser Tage seinem Sohn Herbert, der vom Kaiser hingesandt worden war, um die Gehaltserhöhung der Beamten durchzudrücken, ausdrücklich gesagt, er werde nicht im Unfrieden vom Kaiser scheiden; und der Kaiser seinerseits mag nicht den Fürsten missen, er weiß zudem, daß selbst der freiwillige Rücktritt des Fürsten ihn, den Kaiser, unpopulär machen würde. Er weiß zudem den Fürsten sehr gut zu nehmen, und so ist im Gegenteil alle Aussicht vorhanden, daß jetzt die Dinge weit besser in Zukunft sich gestalten werden. Das Schlimme ist, daß auch die preuß[ischen] Minister jetzt ganz ihre Selbständigkeit verloren haben; der Fürst war in der letzten Zeit so launenhaft und unbestimmt, daß die Minister aufs schlimmste daran waren. Doch ist jetzt zu hoffen, daß auch hierin Besserung eintritt. Heute im Kronrat soll versucht werden, nicht bloß Huyssen6, sondern auch Maybach zu stürzen; letzteres wird freilich seine großen Schwierigkeiten haben.

Dies alles aber nur zur ganz vertraulichen Kenntnisnahme. Auch nicht die geringste Andeutung darf davon in die Zeitung kommen.

Anbei einige Absätze Berlin und J[ustiz]m[inisterial]bl[att].

Registerinformationen

Regionen

  • Preußen

Orte

  • Berlin

Personen

  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833–1907) , Staatssekretär des Innern
  • Goßler, Dr. Gustav von (1838–1902) , preußischer Kultusminister
  • Herrfurth, Ernst Ludwig (1830–1900) , preußischer Innenminister
  • Homeyer, Gustav (1824–1894) , Unterstaatssekretär im preußischen Staatsministerium
  • Huyssen, Dr. August (1824–1903) , Oberberghauptmann, Direktor im Ministerium der öffentlichen Arbeiten
  • Lucius von Ballhausen, Freiherr Dr. Robert (1835–1914), preußischer Landwirtschaftsminister
  • Schelling, Dr. Hermann von (1824–1908) , preußischer Justizminister
  • Scholz, Dr. Adolf von (1833–1924) , Staatssekretär im Reichsschatzamt; später: preußischer Finanzminister
  • Verdy du Vernois, Justus von (1832–1910) , preußischer Kriegsminister

Sachindex

  • Beamte
  • Bergarbeiterstreik
  • Februarerlasse
  • Kronrat, preußischer
  • Reichsregierung
  • Staatsministerium, preußisches
  • Streik
  • 1M. DuMont Schauberg, Redaktionsarchiv, Köln.Das Schreiben ist irrtümlich auf den 25.1.1890 datiert. »
  • 2Die gemäßigt liberale „Kölnische Zeitung“ erschien dreimal täglich. »
  • 3Dr. Josef Neven DuMont (1857─1915), Verleger der „Kölnischen Zeitung“. »
  • 4Albert von Maybach (1822─1904), seit 1879 preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten. »
  • 5Gerson Bleichröder (1822─1893), Bankier in Berlin, Wirtschaftsberater Bismarcks. »
  • 6Dr. August Huyssen (1824─1903), Oberberghauptmann, seit 1884 Direktor der Bergabteilung im Ministerium der öffentlichen Arbeiten. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 112, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0112

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