Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

Eine chronologische Auflistung der Quellen über alle Bände hinweg ist als PDF verfügbar.

Abteilung II, 1. Band

Nr. 106

1890 Januar 20

Brief1 des Legationsrats Dr. Philipp Graf zu Eulenburg und Hertefeld an den Deutschen Kaiser und preußischen König Wilhelm II.

Abschrift

Graf zu Eulenburg und Hertefeld leitet Wilhelm II. die „Vorschläge“ Paul Kaysers vom 15.1.1890 und dessen Brief vom 19.1.1890 zu

Euerer Majestät übersende ich alleruntertänigst in der Anlage zwei Sachen, die ─ dessen bin ich gewiß ─ Euere Majestät sehr interessieren werden.2

Die Geschichte dazu ist kurz folgende: Geheimrat Kayser im Auswärtigen Amt war mein Lehrer. Er bereitete mich (damals ein bescheidener Dr. juris) zum juristischen Examen in Straßburg vor. Daß der jämmerliche kranke kleine Mann es bis zum Vortragenden Rat im Ausw[ärtigen Amt] gebracht hat, spricht für die eminente Leistungsfähigkeit und Begabung desselben. Man packt ihm dort auch jede schwierige Arbeit auf und hat ihm das schlimmste Dezernat, die Sozialisten- und Arbeiterfragen (in Verbindung mit den auswärtigen Beziehungen), übertragen, ein Dezernat, in dem er seit Jahren tätig ist.3

Als ich kürzlich in Berlin war,4 bat ich ihn, er möge mir, seinem Schüler, dem die gründliche Kenntnis der Arbeiterverhältnisse und Ansprüche mangele, als bewährter Lehrer einen kurzen Aufsatz machen, der mich doch aber gründlich orientieren könnte ─ einen langen Aufsatz könnte ich nicht lesen.

Diesen Aufsatz ergänzte er heute durch einen Brief. Ew. Majestät werden aus Ton und Sprache ersehen, daß er nicht für Ew. Majestät bestimmt ist, aber ich sende ihn dennoch mit dem Aufsatz.5 Es wird Ew. Majestät interessieren, durch diese beiden Schriftstücke die Ansichten des erfahrensten Mannes auf diesem Gebiet kennenzulernen, der zugleich der Dezernent des Kanzlers ist. Kaysers Stellung aber setze ich aufs Spiel, indem ich Ew. Majestät von dieser Korrespondenz Kenntnis gebe!! Ich bitte daher flehentlich, den Brief Kaysers und den meinigen unmittelbar zu vernichten oder mir zurückzusenden. Der Gedanke, dem kleinen Mann seine Stellung zu verderben, die alles für ihn bedeutet, erschüttert mich.

Wie ich aus Berlin höre, kommt morgen der Kanzler nach Berlin und will Donnerstag seine Rede halten.6 Ich habe den Eindruck, daß wir in einer Krise stehen. Wichtiger als je erscheint es mir, daß Euere Majestät dem alten Prinzip folgen, den Kanzler auch bei seinem Immediatvortrag reden zu lassen und zum Schluß zu erklären, Euere Majestät würden schriftlich antworten oder antworten lassen.

Die Bundesregierungen kennen Euerer Majestät Standpunkt in der Arbeiterfrage ...

[ Druckseite 471 ]

Ich habe die feste Überzeugung, daß in dieser ernsten sozialen Frage Euere Majestät den rechten Weg beschritten haben.

Registerinformationen

Regionen

  • Sachsen, Königreich

Personen

  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833–1907) , Staatssekretär des Innern
  • Fabrice, Alfred Graf von (1818–1891) , sächsischer Außenminister
  • Hofmann, Karl (1827–1910) , preußischer Handelsminister, Präsident des Reichskanzleramts bzw. Staatssekretär des Innern
  • Hohenthal und Bergen, Dr. Wilhelm Graf von (1853–1909) , sächsischer Gesandter in Berlin

Sachindex

  • Arbeiterschutz
  • Bundesrat
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen – Sachsen
  • Reichsamt des Innern
  • Reichstag
  • Sonntagsruhe
  • 1BLHA Potsdam Rep. 37 Liebenberg 576, fol. 50─51. »
  • 2Vgl. Nr. 102 u. Nr. 105. »
  • 3Dr. Paul Kayser war seit Frühjahr 1885 als Vortragender Rat in der III. Abteilung (Rechtsabteilung) des Auswärtigen Amts tätig. »
  • 4Vgl. Nr. 102 Anm. 4. »
  • 5Vgl. Nr. 105. »
  • 6Bismarck traf erst am 24.1.1890 in Berlin ein; eine Rede hielt er nicht. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 106, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0106

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