Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 102

1890 Januar 15

Brief1 des Geheimen Legationsrats im Auswärtigen Amt Dr. Paul Kayser2 an den Legationsrat Dr. Philipp Graf zu Eulenburg und Hertefeld3

Eigenhändige Ausfertigung

Kayser übermittelt eine sozialpolitische Denkschrift mit Vorschlägen zum Ausbau des Arbeiterschutzes und der Einrichtung von Arbeiterausschüssen; in den staatlichen Bergwerken sollen langjährige Arbeiter Beamtenstatus erhalten

Meiner Zusage4 entsprechend verfehle ich nicht, Ihnen beifolgend ein sozialpolitisches Programm zu übersenden. Es war nicht leicht, bei solcher Kürze die Frage zu erschöpfen, die wichtigsten Gesichtspunkte hervorzuheben, die Gründe und Gegengründe anzuführen und nichts zu übersehen. Ob es mir gelungen ist, muß ich dem Urteil des Lesers überlassen. Dabei muß ich doch noch einiges hervorheben. Sie finden gleich zu Anfang die Gründe gegen die Arbeiterschutzgesetzgebung, wie sie von dem Kanzler geltend gemacht zu werden pflegen. Ich habe sie vorangestellt, um zu zeigen, daß Vorsicht auf diesem Gebiet notwendig ist.

Eine wichtige Frage ist die internationale Regelung; sie finden sie auf S. 3, 5 und 6 erörtert; S. 6 enthält das würdige Programm für die Lösung dieser Angelegenheit. Auf S. 9 und 11 findet der akute Bergarbeiterstreik seine Erörterung; der von mir vorgeschlagene Ausweg ist so friedlich, daß ich ihn für sicher halte. Der Schluß auf S. 11 und 12 wird besonders ans Herz gelegt.

Meine Vorschläge sind so mäßig, daß ich glaube, unsere Industriellen würden gerne zustimmen.

Ich übersende dieses Schriftstück, indem ich mich Ihres Ehrenworts für versichert halte, daß mein Name als Verfasser ohne meine besondere Ermächtigung gegen jedermann verschwiegen bleibt.5

[ Druckseite 461 ]

Lesen Sie übrigens das Schlußwort von Treitschke Bd. IV, Über den Tod Friedr[ich] Wilhelms III. Die Analogie liegt auf der Hand. Es kommt eine Zeit, die neue Männer verlangt.6

[Anlage:]7

Die Frage von dem sogenannten8 Schutz der Arbeiter ist nicht bloß von dem Standpunkt der Menschenliebe zu beurteilen; sie hat eine gleich schwerwiegende wirtschaftliche und sittliche Bedeutung.

Würde ein Normalarbeitstag von 8 Stunden, ein Ausschluß jeder Frauenarbeit9, die weitgehende Beschränkung der Kinderarbeit (bis zu 14 Jahren) herbeigeführt werden, so ist in sittlicher Beziehung zu befürchten:

1. daß der erwachsene Arbeiter seine freie Zeit im Wirtshaus zubringt, daß er mehr10 als bisher an agitatorischen Versammlungen teilnimmt, mehr Geld ausgibt und, obwohl der Lohn derselbe bleiben wird wie für den bisherigen Arbeitstag, doch nicht zufrieden ist;

2. daß der Zuschuß, den mitarbeitende Ehefrauen und Kinder zu den Kosten des Haushalts beitragen, wegfällt, daß dieser Haushalt gezwungen wird, sich noch mehr [ Druckseite 462 ] als bisher einzuschränken und daß mit dem schwindenden materiellen Wohlbefinden auch das Familienleben einen Stoß erhält;

3. daß die heranwachsenden Kinder, insbesondere die halbwüchsigen Burschen und Mädchen, sich außerhalb des Hauses herumtreiben und sittlich verwahrlosen und verwildern.

Diese üblen Folgen werden weniger zu fürchten sein, wenn die Werke der Nächstenliebe in viel höherem Umfang gediehen sind. Bis dahin kann nur mit großer Vorsicht vorgegangen werden.

In wirtschaftlicher Beziehung ist zu erwägen, daß durch eine zu weitgehende Arbeiterschutzgesetzgebung eine unverhältnismäßige Belastung der deutschen Industrie gegenüber der ausländischen herbeigeführt und die erstere in dem Wettbewerb im Weltverkehr beeinträchtigt wird. Schon jetzt ist die deutsche Industrie infolge der Arbeiterversicherungsgesetze mehr belastet als die ausländische. Wird auf dieser Bahn weiter fortgeschritten und kann Deutschland nicht mehr die Konkurrenz des Auslands ertragen, so tritt mit der Schädigung der Industrie auch eine Schädigung im Verdienst der Arbeiter ein.

Nichtsdestoweniger kann unter Einhaltung der gedachten Gesichtspunkte noch viel11 in Deutschland zum Schutz der Arbeiter geschehen, nämlich:

a) das Verbot der Sonntagsarbeit,12 soweit sie nicht wie z. B. bei Hüttenwerken oder im Fall unabänderlicher Reparaturen oder infolge eines besonders gearteten Industriezweigs unumgänglich notwendig ist. In diesem Verbot liegt auch ein gewisser Schutz gegen schädliche Überproduktion;

b) das unbedingte Verbot der Nachtarbeit13 und der Arbeit unter der Erde für Frauen und Kinder;14

c) ein Verbot der Frauenarbeit während der letzten drei Wochen der Schwangerschaft und den ersten drei Wochen nach der Entbindung;

d) eine Unterbrechung der Frauenarbeit während des Tages zur Besorgung häuslicher Geschäfte;15

e) das Verbot oder eine Beschränkung der Frauenarbeit in einzelnen besonders schädlichen Industriezweigen;16

f) die Einschränkung der Arbeit von Kindern bis zum 14. Jahr als Regel, jedoch unter Zulassung von Ausnahmen für die besonders gearteten Industriezweige mit [ Druckseite 463 ] Genehmigung des Bundesrats und unter Einhaltung der schon nach der Gewerbeordnung bestehenden Grenzen.

Eine größere Ausdehnung des Arbeitsschutzes wird nur möglich werden im Wege der internationalen Regelung. Die im Sommer 1888 [recte: Frühjahr 1889] von der Schweiz gegebene Anregung17 ist ohne Erfolg gewesen, hauptsächlich weil18 Deutschland sich ablehnend verhielt.19 Die Leitung in dieser Sache sollte auch nicht dem kleinen radikalen Freistaat überlassen bleiben. Ein ganz anderer Erfolg ist zu erwarten, wenn der deutsche Kaiser die Initiative ergreifen und die internationale Arbeiterschutzgesetzgebung unter seine Protektion nehme würde. (Kongreß)20

Zu der Herstellung des sozialen Friedens zwischen Arbeitgebern und Arbeitern würde es erheblich beitragen, wenn die sogenannten Fabrikordnungen (mit ihren vielen Disziplinarstrafen und Arbeitsreglements) nicht einseitig von den Arbeitgebern erlassen, sondern in Gemeinschaft mit Vertretern der Arbeiter (Arbeiterausschüssen) vereinbart würden. Um den sozialdemokratischen Einfluß von den letzteren fernzuhalten, dürfen diese Ausschüsse weder nach geographischen Bezirken noch nach Fachvereinen gewählt werden. Es muß genügen (wenigstens für den Anfang), wenn in jeder Fabrik, und zwar in solchen Betrieben, die mindestens 50 Arbeiter beschäftigen, aus deren Mitte ein Ausschuß gewählt und mit den staatlichen Fabrikinspektoren in Verbindung gesetzt wird. Aus diesen Ausschüssen können nachher für die Fachgenossenschaften eines Bezirks Oberausschüsse gebildet werden. Auch diese sind sofort mit den staatlichen Fabrikinspektoren in Beziehung zu bringen. Sie können zu Einigungsämtern bei Strikes ausgebildet werden. Immer aber ist dafür zu sorgen, daß diese Ausschüsse in Beziehung mit den staatlichen Behörden bleiben und daß neben ihnen in ebenso organisierten Verbänden oder mit ihnen die Arbeitgeber zusammenwirken. Der Grund, weswegen in England die Trade-Unions ihre Wirksamkeit einbüßen und in Deutschland die Fachvereine der Arbeiter zu sozialdemokratischen Genossenschaften ausarten, liegt darin, daß diese Verbände sich selbst überlassen bleiben und ohne Zusammenhang mit staatlichen Organen bestehen.21

Diese Oberausschüsse (Arbeiterkammern) hätten wie die Handelskammern alljährlich Berichte an die Staatsregierung über die Arbeiterverhältnisse ihres Bezirks [ Druckseite 464 ] zu erstatten, auf deren Erfordern Gutachten abzugeben und namentlich bei Lohnfragen oder sonstigen Beschwerden Untersuchungen anzustellen.

Was insbesondere den Bergbau betrifft, so ist zwischen den staatlichen Bergwerken und Privatbergwerken zu unterscheiden.

I. Bei den staatlichen Bergwerksbetrieben muß der fiskalische Gesichtspunkt hoher Erträge ganz in den Hintergrund treten. Ihr erster Zweck muß der sein, den Staat ─ was namentlich für den Kriegsfall von Bedeutung ist ─ mit dem genügenden Kohlenvorrat zu versehen. Ihr anderer Zweck muß der sein, der Industrie den Überschuß abzugeben, wenn sie im Fall von Strikes Not leidet.

Es ist also die Frage, wie wird bei Staatsbergwerken der Strike vermieden?22 Das wird geschehen, wenn den staatlichen Bergarbeitern die Möglichkeit gegeben wird, Beamte zu werden. Den Arbeitern muß angeboten werden, nach einer bestimmten Dienstzeit (von 5 bis 10 Jahren) in die Kategorie von Beamten aufzurücken, so daß sie Pensionsberechtigung erhalten, nur im Disziplinarweg suspendiert und entlassen werden können. Beamte striken nicht, schon die Frauen werden es verhindern, wenn der Verlust der Pension zu befürchten ist, und solche Arbeiter werden imstande sein, ihre nicht beamteten Genossen von den Strikes zurückzuhalten.

Die staatlichen Bergwerke müssen Musteranstalten in jeder Hinsicht sein, insbesondere, soweit es sich um die Fürsorge der Arbeiter handelt.

II. Bei den Privatbergwerken sind die Arbeiterausschüsse besonders zu organisieren und in erster Instanz mit dem Revierbeamten, in zweiter Instanz mit dem Oberbergamt eng zu verknüpfen. Es wird dadurch verhütet werden, daß Beschwerden der Arbeiter jahrelang den Behörden verborgen bleiben, es wird dadurch auf eine Regelung der Lohnverhältnisse eingewirkt werden. Diese Ausschüsse werden bei ihren Genossen Ansehen erlangen, und mit ihnen kann im Fall eines Ausstands unter einer größeren Aussicht auf Erfolg verhandelt werden.

Neben diesen allgemeinen Grundzügen bleibt noch ein weites Feld für Spezialfragen vorbehalten. Zu den letzteren gehört z. B. auch die Begründung von Postsparkassen zur Beförderung des Spartriebs des kleinen Mannes in bequemer Weise, die Gründung von Kirchen und guten Schulen, von Kranken- und Waisenhäusern, Anstalten zur Pflege von Seele und Leib u. dgl. m. Es darf nicht vergessen werden, daß mit den Arbeiterversicherungsgesetzen nur das äußerst Notwendige erreicht werden kann.

Kein geringer Wert ist endlich darauf zu legen, daß die oberen Gesellschaftsschichten durch ihr gesittetes und geordnetes Verhalten beispielgebend auf die Arbeiterklassen wirken. Der aufreizende Stoff, welcher in den revolutionären Arbeiterzeitungen (Sozialdemokrat23, Freiheit24, Revolte25, Arbeiterstimme26) enthalten ist, lehnt stets an Vorkommnisse aus dem Tun und Treiben der oberen Klassen an. Die [ Druckseite 465 ] gefährlichsten Agitationen werden unmöglich werden, wenn ihnen der Anlaß genommen wird, und Mißgunst und Neid werden sich vermindern, wenn Wohlleben und Luxus der Reichen und Mächtigen in angemessenen Grenzen bleiben.

Registerinformationen

Regionen

  • England
  • Sachsen, Königreich
  • Schweiz

Personen

  • Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898) , Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident, preußischer Handelsminister
  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833–1907) , Staatssekretär des Innern
  • Eulenburg und Hertefeld, Dr. Philipp Graf zu (1847–1921), , preußischer Gesandter in Oldenburg, Braunschweig, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe
  • Fischer, Dr. Franz (1847–1904) , Rechtsanwalt, Korrespondent der „Kölnischen Zeitung“ in Berlin
  • Friedrich I. (1826–1907) , Großherzog von Baden
  • Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) , König von Preußen
  • Holstein, Friedrich von (1837–1909) , Wirklicher Geheimer Legationsrat im Auswärtigen Amt
  • Marschall von Bieberstein, Adolf Freiherr (1842–1912) , Landgerichtsrat in Mannheim, MdR (konservativ); später: badischer Gesandter in Berlin
  • Most, Johann (1846–1906) , Buchbinder, Redakteur, MdR (Sozialdemokrat)
  • Wilhelm H. (1859–1941) , Deutscher Kaiser und König von Preußen
  • Zitzewitz, Cölestin von (1847–1892) , Major, Flügeladjutant Wilhelm II.

Sachindex

  • Agitation
  • Arbeiterschutz
  • Arbeiterschutz – internationaler
  • Arbeitervereine, siehe auch Gewerkvereine
  • Arbeiterversicherung, siehe auch Krankenversicherung, Unfallversicherung, Altersversorgung
  • Arbeitervertretung, Ältestenkollegien
  • Arbeitgeber
  • Beamte
  • Bergarbeiter
  • Bergarbeiterstreik
  • Bundesrat
  • Einigungsämter
  • Fabrik
  • Fabrikarbeiter
  • Fabrikinspektoren
  • Fabrikordnungen
  • Familie
  • Frauenarbeit
  • Frieden, innerer, sozialer
  • Gastwirtschaften
  • Genossenschaften, siehe auch Berufsgenossenschaften
  • Gesetz, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung (17.7.1878)
  • Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund (21.6.1869)
  • Handelskammern
  • Jugendliche Arbeiter
  • Kinderarbeit
  • Kohlen
  • Kronrat, preußischer
  • Lohn
  • Luxus
  • Mutterschutz
  • Nachtarbeit
  • Normalarbeitstag
  • Parteien
  • Parteien – Sozialdemokraten
  • Presse
  • Presse – Die Arbeiterstimme
  • Presse – Freiheit (London)
  • Presse – La Révolte (Paris)
  • Presse – Der Sozialdemokrat
  • Reichskanzlei
  • Sonntagsruhe
  • Sparkassen
  • Streik
  • Trade-Unions
  • 1BLHA Potsdam Rep. 37 Liebenberg 576, fol. 23. »
  • 2Dr. Paul Kayser (1845─1898), Jurist, ab 1879 Hilfsarbeiter im Reichsjustizamt, im Sommer 1884 vertretungsweise in der Reichskanzlei beschäftigt, nach Gründung des Reichsversicherungsamts am 14.7.1884 dessen ständiges Mitglied, Kayser schied jedoch schon am 23.4.1885 wieder aus und war seitdem (Versetzung bereits am 2.3.) Vortragender Rat in der neugegründeten III. Abteilung (Rechtsabteilung) des Auswärtigen Amts, seit 1888 Geheimer Legationsrat. »
  • 3Dr. Philipp Graf zu Eulenburg und Hertefeld war seit 1888 preußischer Gesandter in Oldenburg, Braunschweig, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe, seit 1886 mit Wilhelm II. befreundet. »
  • 4Graf zu Eulenburg und Hertefeld hielt sich vom 11. bis 14.1.1890 in Berlin auf und unternahm am 13.1. einen zweistündigen Spaziergang mit Wilhelm II. im Tiergarten, unmittelbar danach ging er zu seinem ehemaligen Repetitor Dr. Kayser im Auswärtigen Amt und bat ihn, ihm ein sozialpolitisches Exposé zu schicken (vgl. John C. G. Röhl [Hg.], Philipp Eulenburgs politische Korrespondenz. Band I:. Von der Reichsgründung bis zum Neuen Kurs 1866─1891, Boppard am Rhein 1976, S. 406 Anm. 3 und S. 407 Anm. 2). »
  • 5Am 19.12.1891 schrieb Paul Kayser an seinen Onkel, den Bonner Professor der Rechte Julius Baron: Ich kann ganz offen sagen, daß ich niemals Berichte an den Kaiser erstattet habe. Als der Fürst jede Anregung des Kaisers zum Arbeiterschutz schroff ablehnte und man fürchtete, daß der erstere auf den Rat anderer Dinge verlangen würde, die den Fürsten zum Abgang nötigen würden, veranlaßte mich Holstein, ein Programm zu entwerfen, welches beide Teile versöhnen könnte. Das tat ich kurz an einem Abend. Auf weitere Veranlassung schickte ich das eine Exemplar (abgeschrieben) an Eulenburg zu dessen Instruktion und gab das andere an Holstein zu der seinigen. Ohne mein Vorwissen spielte es Holstein durch Marschall damals dem Großherzog von Baden in die Hände, ohne mein Vorwissen schickte es Eulenburg als die Ansicht seines früheren Lehrers dem Kaiser ein. Erst nach dem Abgang Bismarcks erhielt ich die geheimen Akten des Staatsministeriums zu Gesicht und sah zu meinem Erstaunen, daß mein Programm wörtlich vom Kaiser in seinen Erlaß an das Staatsministerium aufgenommen war (BArch N 1298 [Goldschmidt] Nr. 7, n. fol.). »
  • 6Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Vierter Theil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III., Leipzig 1889, S. 728. Der Schlußsatz lautete: „Eine neue Zeit war gekommen, sie forderte neue Männer.“ »
  • 7Graf zu Eulenburg und Hertefeld übersandte die „Denkschrift“ Kaysers am 20.1.1890 an Wilhelm II. (vgl. Nr. 106); diese Ausfertigung von der Hand Dr. Paul Kaysers ist überliefert: GStA Berlin I. HA Rep. 89 Nr. 29960/1, fol. 22─27 Rs.Der Kaiser ließ durch den Flügeladjutanten Major Cölestin v. Zitzewitz von der Denkschrift eine Abschrift anfertigen, die nun erstmals mit der Überschrift „Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Arbeiter“ versehen war. Unterzeichnet mit Wilhelm I(mperator) R(ex) und am Kopf in lateinischen Buchstaben mit Berlin 22/I 90 datiert brachte Wilhelm II. die „Vorschläge“ ohne jede Bearbeitung als vorgeblich eigene „Ausarbeitung“ am 24.1.1890 zur Kronratssitzung mit und ließ sie dort von Karl Heinrich v. Boetticher verlesen (vgl. Nr. 113). Die von Otto v. Bismarck anschließend mit Randbemerkungen versehenen „Vorschläge“ wurden dann zu den Akten der Reichskanzlei genommen (Abschrift von der Hand des Flügeladjutanten Cölestin v. Zitzewitz mit Unterschrift und Datumseintrag Wilhelm II., mit Randbemerkungen Bismarcks: BArch R 43 Nr. 432, fol. 59─64). Die preußischen Minister erhielten Abschriften (vgl. Nr. 115). »
  • 8„sogenannten“ von Bismarck unterstrichen. (Die Randbemerkungen Bismarcks sind der Akte BArch R 43 Nr. 432, fol. 59─64 entnommen). »
  • 9„Ausschluß jeder Frauenarbeit“ von Bismarck unterstrichen. »
  • 10Bismarck: ? »
  • 11„viel“ von Bismarck unterstrichen. Zusätzlich Anstreichung am Rand. »
  • 12Bismarck: wer deckt den Ausfall an Sonntagslohn? »
  • 13Bismarck: Mit leichter Nachtarbeit über der Erde verdien(en) Mädchen von 18 bis 30 Jahr(en) 300 M. im J(ahr). Wer ersetzt das? »
  • 14Das Verbot der Nachtarbeit von Kindern und Jugendlichen war bereits Bestandteil der Gewerbeordnung (§ 136), allerdings galt das Verbot nur in Fabriken. Seit der Novelle zur Gewerbeordnung vom 17.7.1878 war gemäß § 154 Gewerbeordnung auch die Untertagearbeit von Frauen untersagt. Ebenfalls durch diese Novelle der Gewerbeordnung war gemäß § 139 a der Gewerbeordnung der Bundesrat ermächtigt, die Nachtarbeit von Fabrikarbeiterinnen in bestimmten Produktionszweigen zu untersagen.Paul Kaysers partielle Unkenntnis der geltenden Arbeiterschutzregelungen überrascht, denn Kayser war Autor eines Kommentars zur Gewerbeordnung: Paul Kayser, Gewerbeordnung für das Deutsche Reich in der durch die Bekanntmachung vom 1. Juli 1883 veröffentlichten Fassung, Berlin 1884, 2. Auflage Berlin 1888. »
  • 15Bismarck: Was heißt „Frauen“? auch Mädchen? »
  • 16Eine solche Beschränkung war seit 1878 gemäß § 139 a der Gewerbeordnung möglich. »
  • 17Vgl. Nr. 185─186 u. Nr. 188─190 Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 18Bismarck: ? »
  • 19Bismarck: Auch sonst war sie es. Mit Schreiben vom 15.3.1889 hatte der Schweizer Bundesrat ein internationales Übereinkommen, betreffend die Arbeit in den Fabriken, vorgeschlagen und für September 1889 zu einer Konferenz der europäischen Industriestaaten nach Bern eingeladen (vgl. Documents Diplomatiques Suisses. Diplomatische Dokumente der Schweiz. Documenti Diplomatici Svizzeri. 1848─1945. Band 3 [1873─1889], Bern 1986, S. 871─873; vgl. Heinrich Braun, Die Rundschreiben des schweizerischen Bundesrats betr. den internationalen Arbeiterschutz, in: Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 2 [1889], S. 497─505). Zur ablehnenden Haltung Deutschlands vgl. Nr. 185─186 und Nr. 188─189 Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. Die von der Schweizer Bundesregierung geplante Arbeiterschutzkonferenz wurde von dieser zunächst verschoben und erst endgültig abgesagt, nachdem Wilhelm II. am 4.2.1890 seinerseits die schließlich vom 15. bis 29.3.1890 in Berlin durchgeführte internationale Arbeiterschutzkonferenz angekündigt hatte. »
  • 20Bismarck: Diplomat(isch)? Oder technisch? »
  • 21Bismarck: wird doch sein »
  • 22Bismarck: schwer! »
  • 23„Der Sozialdemokrat. Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge“ erschien seit 1879 in Zürich bzw. seit 1888 in London. »
  • 24Die „Freiheit“ erschien seit 1879. Herausgeber war der 1878 zunächst nach London, dann 1882 nach New York emigrierte deutsche Anarchist (und ehemalige sozialdemokratische MdR) Johann Most, der 1880 aus der sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen worden war. »
  • 25„La révolte, organ communiste anarchiste“ erschien seit 1879 in Paris. »
  • 26„Die Arbeiterstimme“ war das offizielle Organ der Schweizer Sozialdemokratie und erschien seit 1881 in Bern. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 102, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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