Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 48

1884 [Juli 15]

Neues ABC-Buch für freisinnige Wähler. Ein Lexikon parlamentarischer Zeitund Streitfragen1

Druck, Teildruck

Ausführungen zu den Grundthemen Altersversorgung, Arbeiter, Freizügigkeit, Normalarbeitstag, Staatssozialismus

[...]

Altersversorgung der Arbeiter. Jeder Erwerbszweig muß den in seinen Diensten befindlichen Personen die Mittel darbieten, nicht bloß zur Kindererziehung, sondern [ Druckseite 202 ] auch zur Altersversorgung. Die Kindererziehung sorgt für die heranwachsenden Arbeitskräfte und die Altersversorgung für die ausgeschiedenen. Zur Altersversorgung gehört auch die Fürsorge für die Hinterbliebenen des Arbeiters. Einrichtungen für die Altersversorgung liegen auch im besonderen Interesse der Arbeitgeber, weil dieselben geeignet sind, die Arbeiter dauernd an das Unternehmen zu fesseln, und demselben einen guten, dauernden Stamm tüchtiger Arbeiter zu erhalten.2 Staat und Kommune sorgen als Arbeitgeber für ihre Arbeiter durch Gewährung von Pensionen. Für nicht etatmäßige Beamte, wie z. B. bei den Eisenbahnen, bestehen Kassen, welche teils auf Beiträge des Staats als Arbeitgeber, teils auf Beiträge der Arbeiter begründet sind.3 Die Fürsorge des Staates für die Regelung des Pensionswesens4 der Volksschullehrer (siehe „Lehrer“) läßt noch sehr viel zu wünschen übrig (siehe auch „Pensionswesen“). Soweit es sich um Arbeiter handelt, welche nicht im Dienst des Staats stehen, haben die Inhaber großer Privatunternehmungen vielfach ähnliche Anstalten getroffen.5 Solche von Unternehmern im Anschluß an ein einzelnes Unternehmen getroffenen Anstalten vermögen wohl eine gewisse Durchschnittsversorgung herbeizuführen, nicht aber den individuellen Ansprüchen auf Altersversorgung vollständig zu entsprechen. Auch die Arbeiter müssen sich bewußt bleiben, daß sie in guten Tagen für die Altersversorgung in irgendeiner Form etwas zurückzulegen haben. Für manchen kann die beste Altersversorgung die Ansammlung eines kleinen Kapitals sein, sei es eines Geldkapitals oder sei es eines kleinen Grundbesitzes nebst Wohngebäude. Wiederum für andere ist das Emporarbeiten zum selbständigen Unternehmer und der Gewinn, den ein viele Jahre hindurch gut geleitetes Unternehmen mit sich bringt, zugleich die beste Altersversorgung. Die bestehenden Lebensversicherungsgesellschaften bieten daneben Gelegenheit, sich für das Alter eine Rente oder ein Kapital anzusammeln. Vielfach macht man diesen Anstalten indessen den Vorwurf, daß sie zuwenig den Bedürfnissen der kleinen Leute in bezug auf Lebensversicherung entgegenkommen und den Zutritt an zu erschwerende Bedingungen knüpfen.6 Die Lebensversicherungen auf Gegenseitigkeit innerhalb der betreffenden Kreise selbst vermögen sich den besonderen Bedürfnissen am ehesten anzupassen. In England haben die auf Selbsthilfe beruhenden, von den Arbeitern eingerichteten [ Druckseite 203 ] und verwalteten Altersversorgungskassen einen großen Umfang erreicht.7 In Deutschland haben die Gewerkvereine (siehe „Gewerkvereine“) Invalidenpensionskassen errichtet.8 Aber im allgemeinen ist die Entwicklung dieser Art von Versicherungsgenossenschaften in Deutschland noch sehr zurückgeblieben. Nicht zum mindesten verschuldet dies die Lage der Gesetzgebung. Vereinigungen, welche Verpflichtungen auf eine sehr lange Reihe von Jahren hinaus zu übernehmen haben, können ohne die Rechte moralischer Personen9 kaum bestehen. Solche Rechte sind aber jetzt für Pensionskassen überaus schwer zu erlangen und hängt deren Gewährung nur von dem Gutdünken der Verwaltungsbehörde ab. Vereine für Krankenversicherungen dagegen können die Rechte moralischer Personen erlangen, wenn sie aufgrund des Gesetzes von 187610 (siehe „Krankenkassen“) gebildet werden und sich den Normativbestimmungen desselben und des neuen Krankenkassengesetzes von 188311 anschließen. Das Bestreben der liberalen Parteien ist daher längst auf den Erlaß eines Gesetzes gerichtet gewesen, welches in gleicher Weise freiwilligen Pensionskassen der Arbeiter, die sich an ein gewisses Normalstatut anschließen, die Rechte einer juristischen Person verleiht. In betreff der Krankenversicherung ist durch Gesetz von 1883 den Arbeitern und Gesellen vorgeschrieben worden, sich bestimmten obrigkeitlichen Kassen anzuschließen (Zwangskassen), wenn sie nicht nachweisen, daß sie zu einer freiwilligen Hilfskasse im Sinne des Gesetzes von 1876 gehören. Ein solcher Kassenzwang besteht in bezug auf Altersversorgung zur Zeit nur bei den Bergarbeitern in Preußen. Dieselben müssen zu den Knappschaftskassen gehören.

Die Freikonservativen (Antrag Stumm) hatten im Jahre 1878 und 1879 im Reichstag den Antrag eingebracht, diese auf Beiträge der Arbeitgeber und Arbeiter ohne Staatshilfe begründete Zwangskasseneinrichtung für Altersversorgung auf alle Fabrikarbeiter auszudehnen.12 Die konservativ-klerikale Mehrheit des Reichstags hatte sich bei den Kommissionsberatungen 1879 für den Antrag ausgesprochen. Im Plenum kam die Frage nicht mehr zur Verhandlung.

Die Fortschrittspartei hatte 1878 wie 1879 dem Antrag Stumm gegenüber den Antrag eingebracht, den Reichskanzler zu ersuchen, unverzüglich die durch die Resolution des Jahres 1876 geforderten Erhebungen über eine Krankheits-, Invaliditätsund Sterblichkeitsstatistik vornehmen zu lassen und nach deren Abschluß dem Reichstag einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die Bildung von Altersversorgungs- [ Druckseite 204 ] und Invalidenkassen aufgrund freiwilliger genossenschaftlicher Teilnahme für sämtliche Berufsklassen ermöglicht und fördert.13

Die Regierung verhielt sich 1878 und 1879 dem Antrag Stumm gegenüber durchaus kühl. In den Jahren 1880 und 1881 beschäftigte sie sich mit der Frage der Unfallversicherung, bei welcher es sich nur um Invalidität infolge besonderer Unglücksfälle, nicht um die Invalidität als Folge der allmählichen Zerstörung der Arbeitskraft durch Alter handelt. Erst bei der Eröffnungsrede der Reichstagssession 1881/82 (Kais[erliche] Botschaft vom 17. November 1881)14 wurde neben der Krankenversicherung und Unfallversicherung auch hervorgehoben, daß „auch diejenigen, welche durch Alter und Invalidität erwerbsunfähig werden, der Gesamtheit gegenüber einen begründeten Anspruch auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge haben, als ihnen bisher hat zuteil werden können“. Die Kais. Botschaft an den Reichstag vom 14. April 188315, welche die Herstellung des Etats pro 1884/85 verlangte, bemerkte, daß, wenn die Vorlage wegen der Unfallversicherung jetzt unerledigt bliebe, „auch die Hoffnung schwinden würde, daß in der nächsten Session weitere Vorlagen wegen der Altersund Invalidenversorgung zur Verabschiedung gebracht werden könnten, falls die Beratungen des Reichshaushaltsetats für 1884/85 die Zeit und Kraft des Reichstages noch während der Wintersession in Anspruch nehmen müßten“ (siehe „Botschaft“).

Der Etat pro 1884/85 ist demnach festgestellt worden, aber von irgendwelchen Vorarbeiten für eine Vorlage betreffend die Altersversorgung verlautet nichts. [...]

Gegen die Regelung der Altersversorgung durch Zwangsversicherungsanstalten des Staates und Staatsunterstützung spricht alles dasjenige in erhöhtem Maß, was gegen die Unfallversicherung auf dieser Grundlage spricht (siehe „Unfallversicherung“). Eine einseitige Unterstützung einzelner Klassen der Arbeiter vermehrt das Angebot der Arbeiter in diesen Klassen und drückt entsprechend die Löhne herab. Eine Unterstützung nur der Fabrikarbeiter durch den Staat würde auf eine Prämierung der Großindustrie von Staats wegen auf Kosten des Handwerks, der Kleinindustrie und der Landwirtschaft hinauskommen. Ein Industriezweig nutzt die Arbeitskraft rascher ab als der andere. Zwischen Fabrikindustrie, Landwirtschaft, Gesindedienst findet ein beständiger Wechsel statt. Pensionsberechtigungen, welche an gewisse Beschäftigungen anknüpfen, können nachteilig auf die Freizügigkeit und den natürlichen Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt einwirken. Die Knappschaftskassen, als auf Zwangsbeitritt begründete Versicherungsanstalten ohne Staatsunterstützung, aber mit Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeiter, sind ein sehr zweifelhaftes Vorbild. Sie besitzen aus alter Zeit überkommenes Vermögen (130 M. pro Kopf des Mitglieds); sie gewähren gleichwohl nur den ständigen Bergarbeitern eine Rente von durchschnittlich 200 M. Die Bergarbeiter bilden eine verhältnismäßig streng abgeschlossene Arbeiterklasse. Die oberschlesische Knappschaftskasse zählt über 40 000 Bergund Hüttenarbeiter zu Mitgliedern. Dieselbe steht einem von Jahr zu Jahr wachsenden Defizit gegenüber. 1879 betrug dasselbe schon 205 952 M.16 Die Verschiedenartigkeit [ Druckseite 205 ] der Zwecke, die Verbindung von Krankenunterstützung mit Altersversorgung und eine falsche Rechnungsgrundlage sind die Ursache. Man steht dort nunmehr vor der Alternative, entweder die Beiträge erheblich erhöhen oder die Leistungen, auf welche die Mitglieder ein Recht erworben haben, einschränken zu müssen. [...]

Arbeiter. Unter Arbeiter sind hier im wesentlichen nur die Hand- und Lohnarbeiter verstanden. Im allgemeinen Sinn des Wortes ist jeder ein Arbeiter, der einer nützlichen Tätigkeit in der Volkswirtschaft obliegt, mag diese Tätigkeit nun wesentlich körperlicher oder geistiger Art sein. Die Lage der Lohnarbeiter zu verbessern, ist von jeher Aufgabe der Liberalen gewesen. Sehr viel kann dafür durch Vereine geschehen. Es seien nur die durch Schulze-Delitzschs17 Wirken hervorgerufenen und geförderten Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften erwähnt, deren Zahl jetzt in die Tausende geht (siehe „Genossenschaften“), sodann die Volksbildungsvereine, die Handwerkervereine. Durchweg stehen überall an der Spitze dieser Vereine liberale Männer. Die Arbeiter von allen Schranken der Gesetzgebung zu befreien, welche der vorteilhaftesten Verwertung der Arbeitskraft, des einzigen Kapitals des Arbeiters entgegenstehen, ist von jeher das Bestreben der Liberalen in der Gesetzgebung gewesen. Gerade diese Freiheit des Arbeiters sucht die Reaktion jetzt wieder zu verkümmern. Man will die Freizügigkeit beschränken (siehe „Freizügigkeit“)18, die Gründung einer eigenen Häuslichkeit durch Eheschließung an einen obrigkeitlichen Konsens knüpfen (siehe „Eheschließung“); es wird sogar die Frage der Wiedereinführung der Prügelstrafe diskutiert, welche vor Menschenaltern über Leute aus geringeren Ständen verhängt wurde (siehe „Prügelstrafe“). Während die Arbeitgeber sich naturgemäß mit Leichtigkeit untereinander über Arbeitsordnung und Lohnzahlungen verständigen können, will man das gleiche Recht, die sogenannte Koalitionsfreiheit, den Arbeitern beschränken. Schon spricht man davon, die Niederlassungsfreiheit durch Einzugsgelder zu beschränken und damit Vermögenslosen es zu erschweren, dort Arbeit zu suchen, wo dieselbe ihnen am besten bezahlt wird (siehe „Freizügigkeit“). Arbeitsbücher wollen die Konservativen und die Zünftlerpartei auch für Arbeiter über 21 Jahre einführen.19 Arbeitsbücher haben selbst früher nur für wandernde Gesellen bestanden. Arbeitsbücher durch freie Vereinbarung zu schaffen, ist niemandem verwehrt; die Bestimmung aber, daß bei Strafe niemand Arbeit erhalten darf, der nicht im Besitz eines über alle früheren Arbeitsverhältnisse Auskunft gebenden Arbeitsbuches ist, erschwert es den Arbeitern unter vielen Verhältnissen, Arbeit zu bekommen und unterwirft die Arbeiter einer polizeilichen Kontrolle, welche für keine andere Bevölkerungsklasse, mit Ausnahme des Gesindes, besteht (siehe [ Druckseite 206 ] „Arbeitsbuch“). Weiterhin kommt es darauf an, nicht nur den Arbeitern die bestehende Freiheit zu erhalten, sondern auch durch die Gesetzgebung alles zu unterstützen, was die Seßhaftmachung der Arbeiter und die Erwerbung eines Kapitals für dieselben befördern kann. Dahin gehört unter anderem für ländliche Arbeiter erleichterte Parzellierung des Grundbesitzes (siehe „Domänenverkäufe“, „Familienfideikommisse“). Auf dieser Grundlage werden die Arbeiter sicherer als durch Polizeigesetze davon abgehalten werden, sich sozialistischen Bestrebungen anzuschließen (siehe „Sozialismus“). Ganz besonders sind die Arbeiter benachteiligt durch die neu eingeführten Zölle und Verbrauchssteuern.20 Dieselben treffen gerade Gegenstände des allgemeinen Verbrauchs wie Petroleum, Tabak, Reis, Kaffee, amerikanisches Schmalz und amerikanischen Speck, Eier; dazu kommen noch der Getreidezoll und andere Schutzzölle. Andererseits haben Lohnerhöhungen nur in sehr geringfügigem Umfang und meist nur gegen erhöhte Arbeitsleistung stattgefunden. Eine Ermäßigung direkter Steuern zum Ausgleich für die Mehrbelastung des Arbeiterstandes ist in Preußen nur durch Aufhebung der beiden untersten Klassensteuerstufen (Einkommen unter 900 M.) erfolgt. Die Steuer betrug bisher 3 bzw. 6 M. jährlich. Für 7 096 215 Köpfe mit einem Einkommen unter 420 M. wurde auch vorher eine Klassensteuer gar nicht gezahlt.21 Andererseits macht schon die Verteuerung des Petroleums durch den Petroleumzoll bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 75 Pfund pro Familie 3 M. aus. Bei einem Verbrauch von 20 Pfund Tabak pro Jahr beträgt die Belastung hier schon 6 M. Nimmt man an, daß eine Haushaltung von 5 Personen jährlich an Brot und Mehl 20 Ztr. verbraucht, so ergibt sich hierfür durch die Erhebung des Getreidezolls eine Verteuerung von jährlich 10 M. Der neue Zoll auf amerikanisches Schmalz und Speck ergibt bei 60 Pf[und] Jahresverbrauch eine Verteuerung von 3 M. Während die Schutzzölle den Arbeitern verhindern, daß die Nahrungsmittel von dorther geliefert werden, wo sie am billigsten sind, ist es den Arbeitgebern unverwehrt, die Arbeitskräfte im Interesse des billigen Arbeitslohnes auch aus dem Ausland zu beziehen.

Der insbesondere auf die Arbeiterverhältnisse bezügliche Teil des Programms der Fortschrittspartei von 1878 lautet wie folgt: „Gleichmäßigere Verteilung der Militärlast durch Abkürzung der Dienstzeit und volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht; Verteilung der Steuerlast nach Maßgabe der Steuerkraft, insbesondere keine Überbürdung der weniger bemittelten Volksklassen durch unverhältnismäßige Besteuerung allgemeiner Verbrauchsgegenstände; Aufrechterhaltung der Freizügigkeit, der Gewerbefreiheit, der Koalitionsfreiheit; weiterer Ausbau der wirtschaftlichen Gesetzgebung, insbesondere zum Schutz für Leben und Gesundheit der Arbeiter, der Frauen und der Kinder; Erweiterung der Haftpflicht; gewerbliche Schiedsgerichte; gesetzliche Anerkennung der auf Selbsthilfe begründeten Vereinigungen (Pensionskassen, Arbeitgeberverbände, Gewerkvereine, Einigungsämter); Förderung der allgemeinen und technischen Bildung der arbeitenden Klassen; allgemeiner obligatorischer und unentgeltlicher Schulunterricht; Gleichheit vor dem Gesetz ohne Ansehen des Standes und der Partei.“22

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Die zahlreiche Klasse von Arbeitern, welche sich der Sozialistenpartei zuzählt, empfindet das Sozialistengesetz als eine Beschränkung der politischen Rechte gegenüber anderen Parteien und anderen Klassen. Bei Erlaß des Sozialistengesetzes ist von der Regierung und den Konservativen wiederholt betont worden, daß es darauf ankomme, nunmehr auch positiv Maßregeln zur Hebung des Arbeiterstandes zu ergreifen. Was ist darauf erfolgt? 1879 der neue Zolltarif mit der Verteuerung der Lebensmittel, 1880 die Steigerung der Militärlast durch die Militärnovelle, 1882 die Vorlage des Tabaksmonopols. Im Jahre 1881 begann die sog. sozialpolitische Gesetzgebung. Dieselbe hat aber bis jetzt (Herbst 1883) nur das neue Krankenkassengesetz hervorgebracht (siehe „Krankenversicherungsgesetz“), während eine Vorlage über das Unfallversicherungsgesetz (siehe „Unfallversicherung“) noch schwebt. Wie die Regierung über Altersversorgung denkt, ist nicht einmal in nebelhaften Umrissen erkennbar. Das Krankenkassengesetz hat für städtische Arbeiter ganz allgemein den Kassenzwang eingeführt, der bisher nur durch besonderes Ortsstatut eingeführt werden konnte. Allerdings sollen auch nach Einführung des allgemeinen Versicherungszwangs diejenigen Arbeiter, welche nachweislich einer eingeschriebenen Hilfskasse oder einer sonstigen freien Kasse angehören, von dem Beitritt zur obrigkeitlichen Krankenkasse befreit bleiben; aber immerhin machen solche obrigkeitlichen Kassen durch ihre Privilegien den freien Kassen eine für deren Entwicklung sehr schädliche Konkurrenz. Der allgemeine Versicherungszwang führt zu einer Schablone, in welche nunmehr das ganze Krankenkassenwesen gepreßt werden soll. Die Konservativen wünschen den allgemeinen Versicherungszwang für ihre Arbeiter auch nicht; den gewerblichen Arbeitern dagegen suchen sie diese sogenannte Wohltat aufzudrängen. Das neue Krankenkassengesetz ist zugleich der Anfang zu einer allgemeinen bürokratischen Zwangsorganisation der Arbeiter.

In bezug auf die Unfallversicherung unterscheidet sich der Standpunkt der Liberalen (insbesondere der Fortschrittspartei) von denjenigen der Konservativen und der Regierung nicht in der Ablehnung eines Versicherungszwangs, sondern nur darin, daß die Fortschrittspartei die Kosten dieser Versicherung ausschließlich den Arbeitgebern auferlegen will, während die Konservativen direkt oder indirekt (durch Übertragung der Unfallversicherung auf die Krankenkassen) die Arbeiter und ein Teil der Konservativen mit der Regierung sogar den Staat zu diesen Kosten mit heranziehen will. Außerdem will die Fortschrittspartei freie Konkurrenz aller Art von Versicherungsanstalten, während die Regierung und die Konservativen die Unfallversicherung obrigkeitlich organisierten Anstalten übertragen wollen, neben denen höchstens noch Gegenseitigkeitsverbände zugelassen werden sollen. Ein vollständiger Gesetzentwurf zur Regelung des Unfallversicherungswesens wurde im Januar 1882 von den drei liberalen Parteien eingebracht (die Fortschrittspartei hatte bereits 1878 die Reform des Haftpflichtwesens durch Ausdehnung der Schadenersatzpflicht beantragt).23 [...]

Freizügigkeit. Freizügigkeit ist das Recht, dort zu arbeiten, wo man am besten bezahlt und behandelt wird. Die Freizügigkeit ist in Preußen schon durch das Gesetz von 1842 begründet und durch die Reichsgesetze von 1867 und 1870 eher eingeschränkt [ Druckseite 208 ] als erweitert worden.24 Schon nach dem Gesetz von 1842 konnte einem Neuanziehenden wegen der Befürchtung, daß er sich an dem Anzugsort nicht ernähren könne, die Ansiedelung nicht versagt werden, vorausgesetzt, daß er sich eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen zu verschaffen imstande war. Nach einjährigem Wohnsitz, bzw. Dienstboten, Gesellen und Arbeiter nach dreijährigem Aufenthalt, erwarben die Neuanziehenden Unterstützungswohnsitz, d. h. das Recht auf öffentliche Unterstützung im Verarmungsfall.25 Das Reichsgesetz von 1870 hat anstelle der ein- bzw. dreijährigen eine zweijährige Frist gesetzt. Durch zweijährigen Aufenthalt erwirbt man den Unterstützungswohnsitz, durch zweijährige Abwesenheit vom Ort der Heimat verliert man ihn. Wer in einer Ortsgemeinde keinen Unterstützungswohnsitz hat, wird als sogenannter Landarmer von dem Bezirk unterstützt. Eine Inanspruchnahme der öffentlichen Mildtätigkeit vor Ablauf von 2 Jahren kann die Ausweisung in die Heimatgemeinde zur Folge haben; doch müssen Gesellen, Gesinde und Gewerbsgehilfen im Fall der Erkrankung nötigenfalls 6 Wochen von der Aufenthaltsgemeinde verpflegt werden. Während die preußische Regierung vor einigen Jahren im Bundesrat beantragt hatte, die Frist für Erlangung des Unterstützungswohnsitzes von zwei Jahren auf ein Jahr herabzusetzen,26 hat 1881 (vor den Neuwahlen) Frhr. v. Varnbüler27 mit einer Anzahl von Konservativen und Zentrumsmitgliedern verlangt, daß der Unterstützungswohnsitz erst durch förmliche Aufnahme der Aufenthaltsgemeinde erworben werde.28 Andere Konservative brachten in der Richtung jenes preußischen Antrags im Bundesrat Gegenanträge ein auf Herabsetzung der Frist für Erlangung des Unterstützungswohnsitzes auf ein Jahr und Beginn der Rechnung dieser Frist mit dem 21. (statt dem 24. Lebensjahr).29 Sämtliche Anträge sind im Plenum des Reichstags nicht zur Entscheidung gekommen, auch später nicht wiederholt worden. Der Varnbülersche Antrag würde es ermöglichen, einen Unterstützungsbedürftigen nach vier oder fünf Jahren nach seinem Anzug auszuweisen. Die Ausweisung an den früheren Ort, welchen der Unterstützungsbedürftige aber vielleicht gerade deshalb verlassen hat, um seine Verhältnisse zu verbessern, wird für denselben in der Regel benachteiligend und am wenigsten geeignet sein, ihn vor dem vollständigen wirtschaftlichen Ruin zu bewahren. In industriellen Gegenden bildet man sich vielfach ein, daß man durch eine Verlängerung der Frist zur Erlangung des Unterstützungswohnsitzes deshalb einen Vorteil erreiche, weil in jenen Gegenden der Zuzug stärker ist als der Abzug, die Gemeinden durch Verlängerung der Frist also mehr in die Lage kommen, Unterstützungsbedürftige ausweisen zu [ Druckseite 209 ] können, als aus anderen Gemeinden Unterstützungsbedürftige zurückzuempfangen. Gerade die Statistik von Berlin beweist aber, daß 95 Prozent der Almosenempfänger länger als 5 Jahre, 98,60 Prozent länger als 2 Jahre in Berlin sich aufgehalten haben.30 Umgekehrt wäre auch eine Verkürzung der zweijährigen Frist ein Fehler. Eine Verkürzung der Frist läßt den Nachteil befürchten, daß Orte mit guten Armenanstalten nur deshalb aufgesucht werden, um dort Armenrecht zu erwerben. Innerhalb eines Jahres sind die Ortsbehörden nicht immer imstande, über die Erwerbsverhältnisse der Anziehenden Klarheit zu erlangen. Oft schieben einzelne Gemeinden gern anderen Gemeinden ihre Armen zu, indem sie dieselben noch bis zur Erlangung des Unterstützungswohnsitzes an anderen Orten notdürftig erhalten.

Wenn Fürst Bismarck im Reichstag gesagt hat, das jetzige Armengesetz gereiche den Landgemeinden zum Nachteil, indem die Armen, welche in gesunden Tagen in der Stadt arbeiten, im Alter von der ländlichen Heimatgemeinde verpflegt werden müßten, so ist dies tatsächlich unrichtig.31 Wie angeführt, hört die Verpflichtung, einen wegziehenden Arbeiter zu unterstützen, schon nach zwei Jahren auf. Ebenso falsch ist die Behauptung, daß den Landgemeinden für längst abwesende Personen große Krankenrechnungen könnten übersandt werden.

Es gibt konservative Grundbesitzer, welche alle auf dem Lande Geborenen an die Scholle fesseln möchten, um desto billigere Arbeitskräfte zu erhalten. Oft sind die Landgemeinden dadurch benachteiligt, daß der Gutsbezirk nicht mit der Landgemeinde zu demselben Armenbezirk gehört und daß sie Arbeiter, welche in gesunden Tagen auf dem Gut beschäftigt werden, aber nicht dort wohnen, im Krankheitsfall oder im Alter unterstützen müssen. Erschwert man den Abzug eines Überschusses von Arbeitskräften vom Land nach der Stadt, so bewirkt man die Vermehrung des ländlichen Proletariats in dem Maß, wie die Besitzlosigkeit auf dem Land zunimmt.

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Ein Jahrzehnt hindurch war es bis 1867 in Preußen in den Städten gestattet, von Neuanziehenden ein Einzugsgeld zu erheben.32 Die Entrichtung dieses Einzugsgelds führte erst recht zur Verarmung der Neuanziehenden in den Städten. Jeder Mensch hat den natürlichen Rechtsanspruch, dort Arbeit zu suchen, wo sie am besten bezahlt wird. Die Freizügigkeit führt zugleich zu einer Verteilung der Arbeitskräfte, welche sich den veränderlichen Verhältnissen des Arbeitsmarktes am nächsten anschließt. Freilich darf man nicht durch industrielle Schutzzölle gewisse Industriezweige in ihrer Ausdehnung künstlich steigern und damit dem platten Land die notwendigsten Arbeitskräfte entziehen.

Die Behauptung, daß die Armenlasten fortwährend gestiegen seien, ist in der Allgemeinheit nicht richtig. Allerdings verursacht die Armenpflege in den letzten Jahren aus allgemeinen Gründen mehr Kosten; auch sind alle Preise an sich gestiegen und werden die Armen humaner als in früheren Zeiten behandelt. Jedenfalls ist an erhöhter Armenlast die neue Gesetzgebung und insbesondere die Freizügigkeit nicht schuld. Im Gegenteil ermöglicht es die Freizügigkeit den Arbeitern, von dort, wo sie die gehoffte Arbeit nicht mehr finden, sich an Orte zu begeben, wo dies eher möglich ist. Eine strenge Armenpolizei ist durch die geltende Gesetzgebung ermöglicht. Dahin gehört die Verfolgung und Bestrafung der Landstreicher und die Ergreifung von Zwangsmitteln, um pflichtvergessene Männer zur Unterstützung ihrer Angehörigen zu zwingen. Auch in bezug auf Legitimation ist nach dem Gesetz von 1867, welches die Paßpflicht aufgehoben hat, jedermann verpflichtet, sich auf amtliches Erfordern über seine Person genügend auszuweisen.33 Ein Paßzwang hat auch vordem nur für Reisende in das Ausland bestanden. Seit jenem Gesetz von 1867 wird nur das Reisen an sich nicht mehr als ein Vorgang angesehen, welcher den Betreffenden verdächtig macht. Allerdings hat ein Paßzwang für Reisende im Inland zum Nachteil einzelner Klassen von Reisenden, so z. B. der Wanderbuchzwang für Handwerksgesellen, bestanden. Mit der Zunahme der wandernden Handwerker und sonstigen Arbeitsuchenden wurde die Aufrechthaltung dieser Bestimmung immer weniger möglich.34 Die betreffenden Klassen wurden durch die fortwährende polizeiliche Kontrolle dieser Reiselegitimation belästigt, ohne daß der Nutzen im einzelnen [ Druckseite 211 ] Fall im Verhältnis stand zu der daraus für die Arbeiter und die Behörden gleichmäßig erwachsenden Last. Siehe „Arbeitsbücher“.

Die Zunahme der Vagabunden auf dem platten Land ist die Folge einer großen, in den letzten Jahren stattgehabten Arbeitslosigkeit; und wird dieses Übel durch die Geneigtheit vieler Wohlhabenden, unterschiedslos Almosen zu verabreichen, sowie durch den Mangel ausreichender Polizeikräfte auf dem platten Land oft vermehrt. Nach dem Strafgesetzbuch wird mit Haft bestraft, wer als Landstreicher umherzieht oder bettelt; und kann derselbe nach verbüßter Haft zugleich von der Landespolizeibehörde bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus untergebracht werden.35 Der Mangel ausreichender Arbeitshäuser ist vielfach ein Grund davon, daß diese Bestimmung nicht überall entsprechend zur Ausführung gebracht werden kann. Erst in den letzten Jahren hat man der Vagabondage wirksam entgegengewirkt, indem man einerseits die Arbeitshäuser vermehrte zur zwangsweisen Unterbringung der dazu verurteilten Vagabunden, andererseits die Vereine gegen Hausbettelei ausbreitete und insbesondere in neuester Zeit sogenannte Arbeiterkolonien (nach dem Muster des Pastor Bodelschwingh36 in Wilhelmsdorf bei Bielefeld) gründete, d. h. Landstrecken zur Urbarmachung einrichtete, wobei jeder umherziehende Arbeiter Arbeit, Unterkunft und Lohn finden kann. Die Aufnahme in solche Kolonien ist eine durchaus freiwillige. In letzterer Zeit hat sich übrigens auch bei vermehrter Arbeitsgelegenheit in den Industrieplätzen die Vagabondage an sich vermindert. [...]

Normalarbeitstag. In bezug auf die Arbeitszeit der Arbeiter unter 16 Jahren bestehen gesetzliche Bestimmungen (s. „Kinderarbeit“). Arbeiter von 12 bis 14 Jahren dürfen nicht über 6 Stunden, Arbeiter von 14 bis 16 Jahren nicht über 10 Stunden täglich in Fabriken beschäftigt werden.37 In bezug auf erwachsene Arbeiter besteht eine gesetzliche Bestimmung über die Dauer der Arbeitszeit in Fabriken in Deutschland nicht. Es ist gewiß wünschenswert, daß die Arbeitszeit eines jeden Menschen und insbesondere eines Fabrikarbeiters nicht über eine gewisse tägliche Durchschnittsdauer hinausgeht. Oft kann in einer verhältnismäßig kürzeren Zeit bei Anspannung aller Kräfte mehr geleistet werden als in einer längeren Arbeitszeit mit teilweise ermüdeten Kräften. Die ganze menschliche Entwicklung verlangt eine gewisse, von der Berufsarbeit freigelassene Zeit für geistige Fortbildung, Familienleben, geselligen Verkehr und Erneuerung der Kräfte durch den Schlaf. In einzelnen Arbeitszweigen haben an einzelnen Orten die Fabrikarbeiter sich bei günstiger Gelegenheit vielfach bemüht, durch Verhandlungen mit den Arbeitgebern die Arbeitszeit zu verkürzen. Im Falle solche Verhandlungen nicht von Erfolg begleitet waren, ist vielfach Arbeitseinstellung erfolgt. In manchen Fällen führte die Arbeitseinstellung das gewünschte Ergebnis einer Abkürzung der Arbeitszeit herbei; in anderen Fällen mußten die Arbeiter unter den früheren Bedingungen die Arbeit wieder aufnehmen. In England hat tatsächlich durch diese Anstrengungen der Arbeiter eine erhebliche Verkürzung der Arbeitszeit, teilweise bis auf 54 Stunden wöchentlich, stattgefunden. In Deutschland haben solche Bestrebungen gleichfalls Platz gegriffen, als in den [ Druckseite 212 ] Jahren nach 1871 die Nachfrage nach Arbeitern stärker war als das Angebot. Sooft sich dies wiederholt, sind die Arbeiter in der Lage zu wählen zwischen einem höheren Lohn bei derselben Arbeitszeit oder einer kürzeren Arbeitszeit bei demselben Lohn. Es ist aber ein Irrtum der Sozialisten zu glauben, daß dasjenige, was unter entsprechenden Konjunkturen im Wege der freien Vereinbarung oder der Koalition herbeigeführt werden kann, sich auch durch eine gesetzliche Dekretierung eines Normalarbeitstages bewirken lasse. Die Industrie ist stets nur in der Lage, für ein bestimmtes Arbeitsquantum einen bestimmten Lohn zahlen zu können. Verlangen die Arbeiter eine Verkürzung der Arbeitszeit, ohne daß die Verhältnisse den Arbeitgebern größere Ausgaben für die Arbeitsleistung ermöglichen, so zieht die Verkürzung der Arbeitszeit auch eine Verkürzung der Löhne nach sich. Diese wird noch durch die Rücksicht gesteigert, daß dort, wo nicht wechselnde Arbeitsschichten möglich sind, mit verkürzter Arbeitszeit sich auch die Zeit für Ausnutzung der Kapitalanlage verringert. Die Sozialisten gehen von der falschen Vorstellung aus, daß das mit der Verkürzung der Arbeitszeit verminderte Angebot von Arbeit von selbst eine Verkürzung der Löhne verhindern müsse. Diese Logik ist aber falsch, weil eine Verminderung der Unternehmungen eintritt, sobald die Ausgabe für Arbeitslohn dem Unternehmer nicht mehr eine hinreichende Entschädigung oder dem Kapital nicht mehr einen genügenden Zins übrigläßt. Eine Einschränkung der Unternehmung, d. h. des Angebots von Kapital, bewirkt alsdann wiederum eine Verminderung der Nachfrage nach Arbeitern, welche auf den Arbeitslohn verkürzend einwirkt. Die Gesetzgebung kann wohl unter Umständen das Maximum einer Arbeitszeit festsetzen, aber nicht an die Innehaltung eines Maximums von Arbeitszeit auch ein Minimum der Lohnzahlung knüpfen. Wenn die Gesetzgebung gewisse wirkliche Minimallöhne festsetzen wollte, so würde sie immerhin nicht die Arbeitgeber zwingen können, überhaupt für den bestimmten Lohn arbeiten zu lassen. Erhalten die Arbeiter, weil sie nicht zu einem geringeren Lohn beschäftigt werden dürfen, keine Arbeit, so bliebe für den Staat nichts übrig, als die Arbeiter selbst zu beschäftigen, d. h. selbst alleiniger Unternehmer zu werden. Dies führte alsdann zu dem sozialistischen Staat, der Unterdrückung der Privatunternehmungen und der Leitung der ganzen Volkswirtschaft durch staatliche Behörden, wobei die Arbeiter auf die staatlichen Behörden als die einzigen Arbeitgeber angewiesen sein würden. Darüber, daß ein solcher Zustand die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse und auch diejenigen der Arbeiter aufs äußerste verschlechtern müßte, siehe „Sozialismus“. Eine angemessene Normalarbeitszeit kann daher nur im Wege des Vertrags zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, und zwar für jeden einzelnen Arbeitszweig und Ort besonders gefunden werden. Es kommt dabei auch noch immer in Betracht, daß jedes Geschäft seine Ebbe- und Flutzeit hat. In der Weihnachtszeit müssen oft die Nächte daran gesetzt werden, um der Nachfrage der Kunden zu genügen, während in der sogenannten stillen Saison eine weit unter der normalen Arbeitszeit bleibende Arbeitstätigkeit ausreicht. Ähnlich geht es der Bergwerksindustrie beispielsweise mit der Kohlenproduktion, soweit dieselbe von Witterungsverhältnissen bedingt ist. Dasjenige, was an einem Ort ein angemessenes Maximum der Arbeitszeit darstellt, kann an einem anderen Ort schon eine viel zu hohe Arbeitsleistung verlangen. Je mehr man versucht, dieselbe Normalarbeitszeit allgemein durchzuführen, desto näher liegt die Gefahr für die Arbeiter, daß eine Arbeitszeit als Normalarbeitstag bestimmt wird, die weit über dem angemessenen Durchschnitt liegt. Gegen vorstehende Ausführungen in bezug auf die Unzweckmäßigkeit und Möglichkeit eines gesetzlich [ Druckseite 213 ] festgestellten Normalarbeitstages für Erwachsene kann nicht angeführt werden, daß unter beschränkten lokalen Verhältnissen, z. B. in einzelnen Teilen der Schweiz, ein solcher Normalarbeitstag gesetzlich bestimmt ist. Die gesetzliche Bestimmung kann sich in diesen Grenzen allerdings mit dem tatsächlich gegebenen Arbeitstag decken, so daß sie nicht nachteilig in die wirtschaftlichen Verhältnisse eingreift. In diesem Fall aber ist eine gesetzliche Bestimmung zugleich überflüssig. In Berlin hat Anfang der 50er Jahre der durch die Gewerbeordnung von 184938 eingeführte Gewerberat mehrfach einen bestimmten Normalarbeitstag vorgeschrieben.39 Diese Bestimmungen sind niemals zur Ausführung gekommen und in Vergessenheit geraten, ohne daß sie formell aufgehoben worden wären. Fürst Bismarck sprach sich am 9. Januar 1882 in Beantwortung der Interpellation der Zentrumspartei (Freiherr v. Hertling) gegen einen Normalarbeitstag aus.40 [...]

Staatssozialismus. Unter Staatssozialismus versteht man ein Regierungssystem, wobei die Verantwortlichkeit für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesamtheit und des einzelnen wesentlich auf den Staat und dessen Vertreter übertragen wird. In Konsequenz dieser Auffassung muß der Staat überall in das Wirtschaftsgetriebe durch beschränkende Maßnahmen eingreifen und einzelne Wirtschaftszweige zur unmittelbaren Leitung übernehmen. Die Anschauungen von den Segnungen des Tabaksmonopols, von der Regelung der Altersversorgung durch Mittel des Staats, von der alleinigen Berechtigung der Staatseisenbahnen, von der Übernahme des Versicherungswesens durch den Staat entsprechen dem Staatssozialismus. Der Staatssozialismus kann eine aristokratische und eine demokratische Richtung haben. Im ersteren Fall sind für die Richtung des Staatswesens nur wenige und die Interessen weniger maßgebend, im letzteren Fall entscheiden darüber allgemeine Wahlen. In beiden Fällen kann die wirtschaftliche, bürgerliche und politische Freiheit bei diesem System nicht bestehen. Auch bei der sozialdemokratischen Richtung ist die Beschränkung der Freiheitssphäre des einzelnen darum nicht weniger drückend, weil sie im Namen der Mehrheit auferlegt wird. Zudem steigert die Staatsmacht die Macht derjenigen Partei, welche sich gerade im Besitz der Staatsverwaltung befindet, derart, daß auch allgemeine Wahlen keine Bürgschaft dafür geben können, daß die Leitung des Staats wirklich nach dem Willen und Interesse der Mehrheit sich vollzieht.

Den Gegensatz zum Staatssozialismus bildet diejenige Richtung, welche die persönliche Freiheit und die eigene Verantwortlichkeit des einzelnen voranstellt. Diese Triebkräfte sind es, welche beim einzelnen die natürliche Trägheit überwinden. Selbsterhaltungstrieb und Eigenliebe führen den Menschen aufwärts. Die Scheu vor Unfreiheit und Verarmung, die Hoffnung, vorwärtszukommen, etwas vor sich zu bringen, nicht bloß für sich, sondern auch für die Familie, das ist es, was den einzelnen [ Druckseite 214 ] nicht ruhen und rasten läßt, was die Körperkräfte anspannt, den Geist schärft, die Unternehmungslust wachruft, zu Verbesserungen und Fortschritten anspornt, welche der ganzen Gesellschaft zum Vorteil gereichen. Indem die Gegner des Staatssozialismus den Fortschritt in erster Linie abhängig erklären von dem Verhalten und den freien Bestrebungen des einzelnen und der Gesellschaft, verwerfen sie durchaus nicht die Einwirkung des Staats, sie weisen derselben nur ein eingeschränkteres Gebiet zu, verlangen in jedem einzelnen Fall den Beweis, daß die freien Bestrebungen nicht dasselbe Ziel sicherer und besser erreichen können und daß die Staatseinwirkung, welche nach der Natur des Staats zuletzt auf den Zwang der Polizei und des Steuerexekutors hinauskommen muß, nicht mehr schadet als nützt.

In letzterer Zeit haben die Ideen des Staatssozialismus in aristokratischer wie in demokratischer Richtung wieder mehr Eingang gefunden, weil unter der Nachwirkung der großen Krisis von 1873 die wirtschaftlichen Verhältnisse vielfach ungünstiger sich gestalteten und unter dem Eindruck dessen sich mancher ein beliebiges Rezept verschreiben läßt, was er im Zustand wirtschaftlicher Gesundung von sich weisen würde. Der Staatssozialismus ist geeignet, mit der Erweiterung der Macht des Staats auch die Machtstellung der zeitigen Gewalthaber zu steigern; und mag sich derselbe auch deshalb einer gewissen zunehmenden Beliebtheit bei gewissen Personen erfreuen.

Ein hervorragender Vertreter des Staatssozialismus in monarchischer oder aristokratischer Richtung ist Professor Wagner41 in Berlin (Mitglied des Abgeordnetenhauses). Es ist bezeichnend, daß diese Richtung überall mit Plänen der Verstaatlichung zur Hand ist, aber den Grundbesitz zu verstaatlichen nicht vorschlägt, obwohl große Güter verhältnismäßig leichter vom Staat bewirtschaftet bzw. verpachtet werden können, als sonst ein Gewerbebetrieb vom Staat geführt werden kann. [...]

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  • England
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  • Preußen
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Orte

  • Berlin
  • Bielefeld

Personen

  • Barth, Dr. Theodor Wilhelm (1849–1909) , Schriftsteller in Berlin
  • Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898) , Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident, preußischer Handelsminister
  • Bodelschwingh, Friedrich von (1831–1910) , ev. Pfarrer, Leiter der Rheinisch-Westfä- , lischen Anstalt für Epileptische in Gadderbaum (Landkreis Bielefeld)
  • Böhmert, Dr. Viktor (1829–1918) , Direktor des sächsischen Statistischen Büros und Professor am Polytechnikum in Dresden, Herausgeber des „Volks>wohls“
  • Günther, Dr. Sigmund (1848–1923) , Gymnasialprofessor in Ansbach, MdR (Fortschritt)
  • Hertling, Dr. Georg Freiherr von (1843–1919) , Philosophieprofessor in München, MdR (Zentrum)
  • Hirsch, Dr. Max (1832–1905) , Schriftsteller in Berlin, liberaler Gewerkschaftsführer, MdR (Fortschritt)
  • Schulze-Delitzsch, Dr. Hermann (1808–1883) , Kreisrichter a. D. in Potsdam, Begründer der deutschen Genossenschaftsbewegung, MdPrAbgH, MdR (Fortschritt)
  • Siemens, Dr. Werner (1816–1892) , Erfinder und Unternehmer in Berlin
  • Stolberg-Wernigerode, Udo Graf zu (18401910), Fideikommißbesitzer in Kreppelhof (Kreis Landeshut), MdR (konservativ)
  • Stumm, Karl Ferdinand (1836–1901) , Eisenhüttenwerkbesitzer in Neunkirchen/Saar (Kreis Ottweiler), MdPrHH, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Varnbüler von und zu Hemmingen, Karl , Gottlob Freiherr (1809–1889) Gutsbesitzer in Hemmingen, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Wagner, Dr. Adolph (1835–1917) , Professor für Staatswissenschaften in Berlin
  • Windthorst, Dr. Ludwig (1812–1891) , hannoverscher Staatsminister und Kronoberanwalt a. D., MdR, Zentrumsführer

Sachindex

  • Almosen
  • Altersversorgung, siehe auch Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung
  • Arbeiterkolonien
  • Arbeiterkolonien – Wilhelmsdorf
  • Arbeiterschutz
  • Arbeiterversicherung, siehe auch Krankenversicherung, Unfallversicherung, Altersversorgung
  • Arbeitgeber
  • Arbeitsbuch
  • Arbeitshaus
  • Arbeitslosigkeit, siehe auch Arbeitslosenversicherung
  • Arbeitsordnung, siehe auch Fabrikordnung
  • Arbeitsvertrag
  • Arbeitszeit
  • Armenlasten
  • Armenpflege
  • Beamte
  • Beiträge zur Arbeiterversicherung
  • Bergarbeiter
  • Bundesrat
  • Dienstboten
  • Einigungsämter
  • Eisenbahn
  • Etat, Reichsetat
  • Fabrik
  • Fabrikarbeiter
  • Familie
  • Frauenarbeit
  • Freihandel
  • Freizügigkeit
  • Gefahrenschutz
  • Gemeinden, Kommunen
  • Genossenschaften, siehe auch Berufsgenossenschaften
  • Gesetz, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung (17.7.1878)
  • Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter (15.6.1883)
  • Gesetz, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadensersatz für die bei dem Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken etc. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen (Haftpflichtgesetz) (7.6.1871)
  • Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (21.10.1878)
  • Gesetz über das Paßwesen (12.10.1867)
  • Gesetz über den Unterstützungswohnsitz (6.6.1870)
  • Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen (7.4.1876)
  • Gesetz über die Freizügigkeit (1.11.1867)
  • Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund (21.6.1869)
  • Strafgesetzbuch (25.5.1870)
  • Allgemeine Gewerbeordnung (17.1.1845)
  • Gesetz, betreffend die Aufhebung der Einzugsgelder und gleichartigen Kommunalabgaben (2.3.1867)
  • Gesetz, betreffend die Pensionierung der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen (6.7.1885)
  • Gesetz über die Aufnahme neu anziehender Personen (31.12.1842)
  • Verordnung, betr. die Errichtung von Gewerberäten und verschiedene Abänderungen der allgemeinen Gewerbeordnung (9.2.1849)
  • Gewerbefreiheit
  • Gewerkvereine
  • Haftpflicht
  • Handwerk, Handwerker
  • Heirat, Ehe
  • Hilfskassen
  • Kinderarbeit
  • Knappschaften
  • Koalitionsfreiheit
  • Kohlen
  • Krankenversicherung, siehe auch Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter
  • Landarbeiter
  • Landwirtschaft
  • Lebensversicherungen
  • Lehrer
  • Lohn
  • Normalarbeitstag
  • Ortsstatut
  • Parteien
  • Parteien – Deutsche Reichspartei
  • Parteien – Konservative
  • Parteien – Sozialdemokraten
  • Parteien – Zentrum
  • Paß
  • Polizei
  • Presse
  • Presse – Die Nation
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen – Preußen
  • Reichskanzler
  • Reichsregierung
  • Reichstag
  • Schiedsgerichte
  • Selbsthilfe
  • Soldaten
  • Soziale Frage
  • Sozialismus, Sozialisten, siehe auch Parteien
  • Sozialreform
  • Sparen
  • Staatssozialismus
  • Staatszuschuß
  • Stadt, Großstadt
  • Steuern
  • Streik
  • Tabakmonopol
  • Thronreden
  • Thronreden – 17.11.1881 (Kaiserliche Sozialbotschaft)
  • Thronreden – 14.4.1883
  • Unfallversicherung, siehe auch Gesetze, Unfallversicherungsgesetz
  • Unterstützungswohnsitz
  • Vagabunden
  • Versicherungswesen, privates
  • Versicherungszwang
  • Waisen
  • Wanderbuch
  • Witwen
  • Zinsen
  • Zölle
  • 1Dritter vollständig umgearbeiteter und erweiterter Jahrgang (Dritte durch Nachtrag vom 15. Juli 1884 vermehrte Auflage), Berlin 1884, S. 8─16, S. 42─45, S. 112─115, S. 243─245, S. 308─309. Von den zahlreichen Stichworten auch zu den sozialpolitischen Gesetzen drucken wir nachfolgend nur die allgemeineren Gehalts ab.Verfasser war Eugen Richter, der dazu in seinen Lebenserinnerungen bemerkt: Für die Landtagswahlen von 1879 hatte ich zum ersten Mal unter dem Titel „Der liberale Urwähler oder was man zum Wählen wissen muß“ ein politisches Handbuch, nach dem ABC geordnet, in Stärke von fünf Druckbogen erscheinen lassen. Nunmehr verfaßte ich, allerdings ohne Nennung des Autors, für die Reichstagswahlen ein „ABC-Buch für freisinnige Wähler“ (1. und 2. Auflage, Berlin 1881), welches später durch einen Nachtrag über alle Vorkommnisse bis Juli 1881 ergänzt wurde und in der Stärke von 18 Druckbogen erschien (Im Alten Reichstag, Berlin 1894, S. 229). Erst in der 1892 erschienenen Fassung „Politisches ABC-Buch. Ein Lexikon parlamentarischer Zeit- und Streitfragen“ wurde Eugen Richter als Verfasser genannt. »
  • 2Vgl. hierzu z. B. die Ausführungen von Dr. Werner Siemens über die Pensionskasse seiner Werke (vgl. Nr. 15 Bd. 6 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 3Vgl. dazu die Darstellung von Wilhelm Endemann, Das Recht der Eisenbahnen, Leipzig 1886, S. 207 ff., und die umfangreiche sog. Elberfelder (Text-)Sammlung: (Rudolf Witte), Die Rechts- und Dienst-Verhältnisse der Beamten und Arbeiter im Bereiche der preußischen Staats-Eisenbahn-Verwaltung, Elberfeld 1881─1914, insbesondere Bd. 2 a (1885). »
  • 4Die gesetzliche Regelung der Versorgung der Volksschullehrer mit Pensionen war (wie auch die ihres Diensteinkommens) schwierig, da die Gemeinden schulunterhaltungspflichtig waren und kleinere Gemeinden dadurch zuweilen zu großen Belastungen ausgesetzt gewesen wären. In Preußen wurden durch das Pensionsgesetz vom 6.7.1885 (PrGS, S. 298) nach mindestens zehn Dienstjahren Pensionen gezahlt, die bis zu einem Betrag von 600 M. aus der Staatskasse gezahlt wurden, den darüber hinausgehenden Betrag zahlten die Gemeinden. In anderen Bundesstaaten oblag die Ruhegehaltszahlung völlig dem Staat bzw. besonderen Trägern (Schulgemeinden). »
  • 5Vgl. dazu Nr. 60 und Anhang A Bd. 6 der I. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 6Dieses war weniger der Fall bei den staatlich geförderten wie der Sächsischen Altersrentenbank und bei der Kaiser-Wilhelms-Spende (vgl. hierzu Bd. 6 der I. und Bd. 6 der II. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 7Die Alterskassen spielten im Rahmen der englischen Arbeiterhilfskassen (friendly societies) keine erhebliche Rolle; da diese Kassen jedoch oft Krankengeld in verminderter Höhe auf lange Zeit weiterzahlten, fungierten sie teilweise faktisch als Altersversorgungskassen, vgl. dazu James C. Riley, Sick not Dead. The Health of British Workingmen during the Mortality Decline, Baltimore/London 1997; vgl. auch Hans von Nostitz, Das Aufsteigen des Arbeiterstandes in England, Jena 1900, S. 310 ff. (322). »
  • 8Vgl. dazu die Einleitung zu Bd. 6 der I. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 9Älterer Begriff für: juristische Personen; vgl. dazu auch Nr. 44 Anm. 9 Bd. 2, 1. Teil, der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 10Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen vom 7.4.1876 (RGBl, S. 125; Abdruck: Nr. 164 Bd. 5 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 11Die sogenannten landesrechtlichen Hilfskassen waren danach als sog. Ersatzkassen zugelassen, vgl. Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, vom 15.6.1883 (RGBl, S. 73) sowie Bd. 5 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 12Anträge vom 11.9.1878 und 12.2.1879 (vgl. Nr. 46 Anm. 1 und Nr. 51 Bd. 6 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 13Gemeint ist der Antrag des Abgeordneten Dr. Sigmund Günther vom 26.2.1879 (vgl. Nr. 51 Anm. 1 Bd. 6 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 14Vgl. Nr. 9. »
  • 15Vgl. Nr. 36. »
  • 16Zum 31.12.1879 betrug die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben 220 363,30 M. Insgesamt hatte sich die Vermögenslage der Knappschaftsvereine im Vergleich zum Vorjahr verbessert, der Oberschlesische Knappschaftsverein erlitt jedoch Vermögensverluste, und zwar in Höhe von 4,28 Prozent (vgl. Statistik der Knappschaftsvereine im Preussischen Staate im Jahre 1879, in: Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinen-Wesen im Preussischen Staate, Bd. 28, 1880, K. 50─51 u. K. 98). »
  • 17Dr. Hermann Schulze-Delitzsch war der Gründer der deutschen Genossenschaftsbewegung und als solcher Initiator der entsprechenden preußischen, dann reichsweiten Gesetzgebung. »
  • 18Vgl. S. 207 ff. »
  • 19Nach der Gewerbeordnungsnovelle vom 17.7.1878 (RGBl, S. 199) durften Personen unter 21 Jahren nur als Arbeiter beschäftigt werden, wenn sie ein Arbeitsbuch besaßen (§ 107). Die konservativen Parteien beabsichtigten die Ausdehnung der obligatorischen Arbeitsbücher auf Arbeiter über 21 Jahre. Ein entsprechender, in Absprache mit den Zentrumsmitgliedern gestellter Antrag wurde anläßlich der zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betr. die Abänderung der Gewerbeordnung am 14.4.1883 abgelehnt (Sten. Ber. RT 5. LP II. Session 1882/1883, fol. 1936 ff.). »
  • 20Gemeint sind die indirekten, nachfolgend genannten Steuern, die im wesentlichen nach der konservativen Wende der Bismarckschen Politik 1878 eingeführt wurden. »
  • 21Dieses erfolgte durch Gesetzgebung 1873 (PrGS, S. 213, Klassensteuerstufe von 430 M.) und 1883 (PrGS, S. 37, Klassensteuerstufe von 900 M. und weniger Einkommen). »
  • 22Vgl. den Abdruck des Programms in: Felix Salomon, Die Deutschen Parteiprogramme, 2. Aufl., Leipzig und Berlin 1912, S. 28─30. »
  • 23Entwurf eines Unfallentschädigungsgesetzes vom 10.1.1882 (vgl. Nr. 37 Bd. 2, 1. Teil, der II. Abteilung dieser Quellensammlung); einen Antrag auf Abänderung des sog. Haftpflichtgesetzes vom 7.6.1871 hatte der Abgeordnete Dr. Max Hirsch bereits am 12.2.1878 gestellt (Sten.Ber. RT 3. LP II. Session 1878, Drucksache Nr. 28). »
  • 24Gesetz über die Freizügigkeit vom 1.11.1867 (BGBl, S. 55; vgl. Nr. 8 Bd. 7 der I. Abteilung dieser Quellensammlung) und Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6.7.1870 (BGBl, S. 360; vgl. Nr. 78 ebenda). »
  • 25(Preußisches) Gesetz über die Aufnahme neu anziehender Personen vom 31.12.1842 (PrGS, S. 5; vgl. Anhang Nr. 2 Bd. 7 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 26Vgl. den im April 1877 vorgelegten Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung und Ergänzung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 (Nr. 130 Bd. 7 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 27Karl Gottlob Freiherr Varnbüler von und zu Hemmingen (1809─1889), Gutsbesitzer in Hemmingen, seit 1868 (mit Unterbrechung) MdR (Deutsche Reichspartei). »
  • 28Antrag vom 10.5.1881 (Teilabdruck: Nr. 154 Bd. 7 der I. Abteilung dieser Quellensammlung). »
  • 29Ein entsprechender Antrag wurde von dem Abgeordneten Udo Graf zu Stolberg-Wernigerode am 17.5.1881 gestellt (Sten.Ber. RT 4. LP IV. Session 1881, Drucksache Nr. 137). »
  • 30Die entsprechenden Angaben beruhen auf einer statistischen Sonderzählung, die Viktor Böhmert im Auftrag des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit vornahm; vgl. den in etwas anderen Klassifizierungen vorgenommenen Abdruck in: Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. Statistik des Jahres 1883, Berlin 1885, S. 218 f. »
  • 31Bismarck hatte in seiner Rede zum Zolltarif am 21.5.1879 ausgeführt: Das Freizügigkeitsgesetz hat zur Folge, daß die schwersten Teile der Armenpflege wesentlich auf die landwirtschaftlichen Gemeinden abgelastet werden. Auf dem Lande wachsen die Arbeiter auf, werden in ihrer Kindheit erzogen, mit erheblichen Kosten in der Schule unterrichtet ─ ihre Mütter, wenn sie Witwen sind, unterhalten ─, und von dem Augenblick an, wo sie zum Militärdienst ausgehoben werden, gehen sie in die großen Städte, da gefällt es ihnen besser, und die Landgemeinde hört meist erst dann wieder von ihnen, wenn bei irgendeinem Unglücksfall oder bei einer bösen Krankheit eine Charitérechnung von 100 oder 200 Talern mit dem Mann wieder ankommt, dann kommt er wieder, er muß auf dem Lande verpflegt werden nach Maßgabe des Unterstützungswohnsitzes, und sobald er gesund ist, geht er und sucht in derselben Stadt sein Brot, immer mit der sicheren Assekuranz, daß die Angehörigkeitsgemeinde ihn im Alter pflegen muß (Sten.Ber. RT 4. LP II. Session 1879, S. 1378). Vgl. zu Bismarcks Einstellung, die auf die Schaffung eines gewöhnlichen Aufenthalts als Anknüpfungspunkt der Armenunterstützungspflicht hinauslief: Nr. 129, Nr. 156 u. Nr. 157 Bd. 7 der I. Abteilung dieser Quellensammlung und die Ausführungen über Armenlasten in der Kaiserlichen Botschaft vom 17.11.1881 (Nr. 9 dieses Bandes), die Bismarck maßgeblich mitformulierte. »
  • 32Das von Zuziehenden zu einer Gemeinde erhobene Einzugs- bzw. Anzugsgeld wurde in Preußen durch das Gesetz, betreffend die Aufhebung der Einzugsgelder und gleichartigen Kommunalabgaben, vom 2.3.1867 (PrGS, S. 361) aufgehoben. »
  • 33Vgl. das Bundesgesetz über das Paßwesen vom 12.10.1867 (BGBl, S. 33), bis dahin bildeten das allgemeine Paß-Edikt vom 22.6.1817 (PrGS, S. 152) und die zu seiner Ausführung erlassene General-Instruktion des Polizeiministeriums vom 17.7.1817 die Grundlage des preußischen Paßwesens. »
  • 34Handwerksgesellen hatten als Reiselegitimation in der Regel statt Reisepässen sog. Wanderpässe oder Wanderbücher, in denen Arbeitssuche als Reisezweck angegeben war. In Preußen waren „zur Verhütung mittelloser und arbeitsscheuer Gewerbsgehilfen des In- und Auslandes“ am 24.3.1833 und 21.3.1835 detaillierte Polizeiregulative ergangen, die bis 1867 teils verschärft, teils abgemildert wurden; nach dem Paßgesetz vom 12.10.1867 wurden sie durch Runderlaß des Ministers des Innern vom 30.12.1867 aufgehoben, da die veränderten Umstände eine Unterscheidung zwischen reisenden Gewerbegehilfen und sonstigen reisenden Personen entbehrlich und unzweckmäßig erscheinen lassen (vgl. Ludwig von Rönne, Das Staats-Recht der preußischen Monarchie, 2. Abteilung, 3. Aufl., Berlin 1872, S. 124 ff., hier S. 129). Die Regulative von 1833 und 1835 sind abgedruckt bei: Ludwig von Rönne/Heinrich Simon, Das Polizeiwesen des Preußischen Staats, Breslau 1840. »
  • 35Gemäß § 361 und 362 RStGB. »
  • 36Friedrich von Bodelschwingh (1831─1910), evangelischer Pfarrer, seit 1872 Leiter der „Rheinisch-westfälischen Anstalt für Epileptiker“ in Gadderbaum (Landkreis Bielefeld); 1882 Gründer der „Arbeiterkolonie Wilhelmsdorf“ bei Eckardtsheim (Kreis Wiedenbrück), einer Anstalt für wohnungslose Männer, vgl. auch Nr. 37 Anm. 19. »
  • 37Gemäß § 135 der Gewerbeordnung. »
  • 38Verordnung, betr. die Errichtung von Gewerberäten und verschiedene Abänderungen der allgemeinen Gewerbeordnung, vom 9.2.1849 (PrGS, S. 93). »
  • 39Vgl. die Bekanntmachung des Berliner Magistrats vom 20.9.1854 (Abdruck der entsprechenden Regelungen bei: R. Schüler, Die Preußische Handwerks-Gesetzgebung, Berlin 1861, S. 151 f.). Die festgelegten Arbeitszeiten der im einzelnen aufgeführten Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge bewegten sich im wesentlichen im Sommer von 6 oder 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends und im Winter von 5, 6, 7 oder 8 Uhr morgens bis 7 oder 8 Uhr abends; außerdem wurden Pausen bzw. Vesperzeiten geregelt. Die Differenzierung erfolgte nach den Gewerben, z. B. Schmiede, Lohgerber, Messerschmiede, Großböttcher, Bürstenmacher usw. Einen einheitlichen Normalarbeitstag legte der Gewerberat danach nicht fest. »
  • 40Vgl. Nr. 6 Bd. 3 der II. Abteilung dieser Quellensammlung. »
  • 41Dr. Adolph Wagner war seit 1882 MdPrAbgH (konservativ). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 48, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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