Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

Eine chronologische Auflistung der Quellen über alle Bände hinweg ist als PDF verfügbar.

Abteilung II, 1. Band

Nr. 45

1884 Juni 1

Brief1 des Geheimen Oberregierungsrats Theodor Lohmann an den Pastor Dr. Ernst Wyneken2

Eigenhändige Ausfertigung, Teildruck

Bericht über die Denkschrift der Inneren Mission

[...] Endlich muß ich nun auch wohl den Kommentar zu den voluminösen Anlagen geben. Was es mit dem gedruckten Opus auf sich hat, sagt Dir im wesentlichen die Überschrift. Die beigefügten metallographierten Schriftstücke sind die Zeugnisse von der Geschichte dieses Opus.3 Also Stoecker regte d[ie] Frage an, ob der Zent[ral]ausschuß, wenn er heutzutage überhaupt noch etwas zu bedeuten haben wolle, Stellung zur soz[ialen] Frage nehmen, überhaupt diese f[ür] d[ie] kirchl[ichen] Kreise aufs Tapet bringen müsse, und zw[ar] durch Thesen, welche er als Debatte- u[nd] Agitationsmaterial hinausgäbe.4 Nach einigen Pourparlers aufgefordert, Thesen zu entwerfen, lieferte er das naive Opus, welches Du unter den Anlagen findest. Die daran sich anschließenden Thesen v[on] mir sind das Ergebnis eines Versuchs, in die Stoeckerschen Thesen wenigstens einigen Zusammenhang hineinzubringen und das [ Druckseite 184 ] schließliche Agitationsprogramm mit dem vorhergehenden wenigstens einigermaßen in Beziehung zu setzen.5

Auch in dieser Fassung stießen die Thesen im Zentr[al]ausschuß auf lebhaften Widerspruch. Daß das Ganze im wesentlichen doch nur auf ein Agitationsprogramm hinauslief, stieß viele zurück. Andre unter Oldenbergs Führung vertraten den Standpunkt, daß die „Innere Mission“ in sozialer Beziehung neue Wege überhaupt nicht einzuschlagen, sondern nur ihre bisherige Tätigkeit zu verstärken habe. Der Versuch, diese verschiedenen Strömungen unter einen Hut zu bringen, stellt sich in den Oldenbergschen Thesen dar, welche nun aber wieder niemanden befriedigten und nach einer etwas matten Beratung nur zum Referat bzw. zur Amendierung für d[ie] folgende Sitzung übergeben wurden. Daraus ist nun das gedruckte Elaborat geworden, welches am vor[i]g[en] Dienstag in d[er] Sitzung des Zentr[al]aussch[usses] vorgelesen u[nd] besprochen wurde.6 Zu m[einer] Überraschung waren nun auf einmal alle darüber beruhigt, daß jetzt der richtige Weg gefunden sei und daß es nur noch einiger Modifikationen und Zusätze bedürfe, um d[as] Ding in die Welt gehen lassen zu können. Bei der allgem[einen] Zustimmung bekam auch ich natürlich von m[einer] Arbeit eine günstigere Meinung, als ich sie anfangs gehabt. Wenn ich es aber nun so gedruckt vor mir habe, will es mir doch bedenklich scheinen, ob man dies als eine Kundgebung des Zentr[al]aussch[usses] in die Welt schicken kann. Wie Du siehst, trägt es noch d[ie] Spuren seiner Entstehung aus Thesen; eine „Denkschrift“ ist es eigentlich nicht geworden, u[nd] eine bloße Reihe von „Thesen“ ist es nicht mehr geblieben. Thesenartig mußte ja allerdings eine derartige Kundgebung immer sein, da der Zentr[al]ausschuß kein Buch über d[ie] soz[iale] Frage herausgeben, ich ein solches auch nicht schreiben kann. Die Schlußberatung wird wahrscheinlich am Dienstag über 14 Tage (17. Juni) stattfinden, und ich würde Dir sehr dankbar sein, wenn Du mir bis dahin Deine kritischen Bemerkungen darüber zugehen lassen wolltest; oder womöglich noch einige Tage vorher. Um Dir das zu erleichtern, sende [ Druckseite 185 ] ich Dir 2 Exempl[are], ein korrigiertes u[nd] ein unkorrigiertes, und bitte, mir das erstere mit Deinen Randglossen wieder zuzusenden. [...]

Registerinformationen

Personen

  • Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898) , Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident, preußischer Handelsminister
  • Maltzahn-Gültz, Helmut Freiherr von (1840–1923) , Rittergutsbesitzer in Gültz (Kreis Demmin), MdR (konservativ)
  • Meyeren, Wilhelm von (1835–1909) , Oberverwaltungsgerichtsrat in Berlin, , Vizepräsident des Zentralausschusses der Inneren Mission
  • Oldenberg, Friedrich Salomo (1829–1894) , Vereinsgeistlicher und geschäftsführender Sekretär des Zentralausschusses der Inneren Mission
  • Rottenburg, Dr. Franz von (1845–1907) , Chef der Reichskanzlei
  • Ruperti, Justus (1833–1899) , Kirchenrat in Eutin
  • Schäffle, Dr. Albert (1831–1903) , Nationalökonom, österreichischer Handelsminister a. D.
  • Schönberg, Dr. Gustav (1838–1908) , Professor für Nationalökonomie in Tübingen
  • Stein, Dr. Lorenz von (1815–1890) , Professor für politische Ökonomie in Wien
  • Stumm, Karl Ferdinand (1836–1901) , Eisenhüttenwerkbesitzer in Neunkirchen/Saar (Kreis Ottweiler), MdPrHH, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Wichmann, Rudolf (1826–1900) , Rittergutsbesitzer in Nahmgeist (Kreis Preußisch Holland)

Sachindex

  • Arbeiterschutz
  • Arbeitervereine, siehe auch Gewerkvereine
  • Christentum
  • Parteien
  • Parteien – Sozialdemokraten
  • Soziale Frage
  • 1BArch N 2179 (Lohmann) Nr. 2, fol. 185─188 Rs. Theodor Lohmann datiert seinen Brief mit 1. Juli 1884, der in dem Schreiben genannte Termin der Schlußberatung (17.6.), die schließlich am 24.6.1884 stattfand, deutet jedoch darauf hin, daß es sich um einen Schreibfehler handelt und Lohmann den Brief wohl am 1.6.1884 geschrieben hat. »
  • 2Dr. Ernst Wyneken (1840─1905), seit 1883 Pastor in Edesheim/Leinetal. »
  • 3Nicht überliefert. »
  • 4Vgl. Nr. 42. »
  • 5Die Thesen Stoeckers und Lohmanns wurden in der Zentralausschußsitzung vom 18.3.1884 beraten, hierzu wurden Abschriften der Thesen an die Sitzungsmitglieder verteilt (Sitzungsprotokoll, Archiv des Diakonischen Werkes der EKD, ADW CA 94 [1884─ 1888], n. fol.). Den Versuch, die entsprechenden Gedanken von Oldenberg und Lohmann inhaltlich zu bestimmen, hat Renate Zitt unternommen (Zwischen Innerer Mission und staatlicher Sozialpolitik. Der protestantische Sozialreformer Theodor Lohmann [1831─ 1905], Heidelberg 1997, S. 261 ff.). »
  • 6Hier ist vermutlich das an die Mitglieder des Zentralausschusses versandte Manuskript der Denkschrift gemeint, das in der Sitzung vom Dienstag, den 27.5.1884, beraten wurde (vgl. Nr. 46 Anm. 1).Theodor Lohmann trug persönlich für die ─ seiner Ansicht nach ─ politisch wirkungsvolle Versendung der Denkschrift Sorge. Dabei differenzierte er zwischen der offiziellen Versendung, u. a. an Bismarck, v. Boetticher, Rottenburg, alle Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten, an die Konsistorien etc. einerseits und einer eher privaten mit persönlicher Empfehlung von ihm, u. a. an die Professoren Albert Schäffle, Lorenz v. Stein, Gustav Schönberg, an den Reichstagsabgeordneten Helmut Freiherr v. Maltzahn-Gültz, den Bergwerksbesitzer Karl Ferdinand Stumm, den Kirchenrat Justus Ruperti, den Rittergutsbesitzer Rudolf Wichmann u. a. (vgl. Archiv des Diakonischen Werkes der EKD, ADW CA D 3). Vgl. zu den Auflagen und zur Verbreitung der Denkschrift, die allerdings nicht die erhofften Auswirkungen auf „kirchliche“ Stellungnahmen oder gar die Regierungspolitik hatte: Renate Zitt, Zwischen Innerer Mission und staatlicher Sozialpolitik, S. 310 ff. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 45, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0045

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