Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 33

1882 September 18

Entschließung1 der Delegiertenversammlung des Zentralverbands Deutscher Industrieller2

Druck

Eine Gesetzgebung zur Kranken- und Unfallversicherung wird prinzipiell begrüßt; Versicherungszwang ist unentbehrlich; die Arbeiter sollen zu den Beiträgen herangezogen werden

I. Die Delegierten des Zentralverbandes Deutscher Industrieller ─ die Vertreter des bedeutendsten Teils der deutschen Industrie ─ wissen sich und ihre Auftraggeber eins mit der in der Allerhöchsten Botschaft S[eine]r Majestät des Kaisers und Königs [ Druckseite 125 ] vom 17. November 1881 ausgesprochenen Überzeugung, „daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde“.3

II. Der Zentralverband hat wiederholt erklärt, die von Seiner Durchlaucht dem Fürsten Reichskanzler aus dieser Überzeugung vorgeschlagenen Maßregeln unterstützen und fördern zu wollen. Die Delegierten geben nunmehr ihrem dringenden Wunsch Ausdruck, daß insbesondere die Kranken- und Unfallversicherung der Arbeiter als Maßregel zur Besserung der Lage der Arbeiter bald in Wirksamkeit treten möchte.

III. Mit den Schwierigkeiten der vorliegenden Projekte vertraut, für deren Durchführung Lasten zu übernehmen die Industrie bereit ist, halten sich die Delegierten mit Rücksicht auf ihre Erfahrung im praktischen Leben und ihre Kenntnis der konkreten Verhältnisse für verpflichtet und berufen dahin zu wirken, daß diese Gesetzentwürfe mit den Bedingungen und Erfordernissen des praktischen Lebens in Einklang gebracht werden.

Demgemäß erklären die Delegierten:

A. Wir konstatieren mit Befriedigung die Erfüllung unseres unter Nr. 7 der Beschlüsse vom 26. September v. J. ausgesprochenen Wunsches, daß die Unfallversicherung nicht ohne Reorganisation des Hilfskassenwesens und Errichtung solcher Kassen, wo ein Bedürfnis vorhanden ist, eingeführt werden möge.4 Beide Gesetze müssen im Interesse der Durchführbarkeit der Unfallversicherung in organischen Zusammenhang gebracht werden.

B. Der staatliche Versicherungszwang ist zur Durchführung der Kranken- und Unfallversicherung der Arbeiter unentbehrlich.

C. Die für die Krankenversicherung vorgeschlagene Organisation ist, Abänderungen im einzelnen natürlich vorbehalten, geeignet, den in Betracht kommenden verschiedenartigen Verhältnissen gerecht zu werden.

D. Die Delegierten erachten zwar auch jetzt noch, daß die Unfallversicherung am besten durch eine Reichsanstalt, in der Art, wie früher geplant, ausgeführt werde, namentlich nachdem durch die vorbezeichnete organische Verbindung mit der Krankenversicherung die Menge der Unfälle mit vorübergehenden Folgen, d. h. c[irca] 90─95 %, und damit, wenn auch nicht die Größe der finanziellen Last, so doch das Übermaß des Verwaltungsdetails den Krankenkassen überwiesen ist; im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes erheben sie jedoch gegen die korporative Organisation keinen Widerspruch.

E. Die Delegierten halten unter besonderer Bezugnahme auf die vorjährigen Dresdener Beschlüsse für geboten, daß bei Feststellung der Leistungen der Unfallversicherung die Leistungsfähigkeit der zu Verpflichtenden sorgfältig berücksichtigt werde und daß hinsichtlich der Beiträge nicht Faktoren, die bisher zur Hilfeleistung verpflichtet waren, auf Kosten der anderen entlastet werden.

Ausdrücklich wird die Forderung erneuert, daß die Arbeiter auch zu den Kosten der Unfallversicherung beitragen müssen, da sie bei der Verwaltung mitwirken müssen [ Druckseite 126 ] und das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für ihre Zukunft unter keinen Umständen geschwächt werden darf.

F. Peinlich überrascht hat der in den Gesetzentwürfen wahrnehmbare Zug des Mißtrauens gegen die Arbeitgeber. Derselbe ist als ungerechtfertigt und schädlich für den sozialen Frieden auszumerzen, und Stellung und Autorität des Arbeitgebers sind, seinen Interessen und seiner Bildung entsprechend, zu Nutz und Frommen beider Teile ebenso zu wahren wie die Interessen der Arbeiter.

IV. Die Delegierten beauftragen das Präsidium5 und die ihm beigegebene Kommission6 im Sinne der vorstehenden Resolution und der demgemäß modifizierten Beschlüsse vom 26. September v. J. für die Gestaltung der Kranken- und Unfallversicherung, insbesondere bei den gesetzgebenden Faktoren weiter zu wirken.

Die Delegierten erblicken hierin die Erfüllung einer den Industriellen im Interesse der Sache obliegenden Pflicht und weisen daher diejenigen Bestrebungen mit Entschiedenheit zurück, welche darauf gerichtet sind, die Tätigkeit des Zentralverbandes und seiner Mitglieder als im Gegensatz zu den wohlwollenden Absichten Sr. Majestät des Kaisers und des Fürsten Reichskanzler stehend und als arbeiterfeindlich darzustellen.

[ Druckseite 127 ]

Registerinformationen

Orte

  • Dresden
  • Kopenhagen
  • Wyden (Schweiz)

Personen

  • Beutner, Georg Ferdinand (1829–1893) , Regierungsrat a. D., Geschäftsführer des Zentralverbands Deutscher Industrieller
  • Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898) , Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident, preußischer Handelsminister
  • Haßler, Theodor (1828–1901) , Textilindustrieller in Augsburg, Präsidiumsmitglied des Zentralverbands Deutscher Industrieller
  • Richter, Karl (1829–1893) , Hüttendirektor in Berlin, Vorsitzender des Zentralverbands Deutscher Industrieller, Vorsitzender des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Russell, Emil (1835–1907) , Bankier in Berlin, Präsidiumsmitglied des Zentralverbands Deutscher Industrieller
  • Schück, Richard (1819 – um 1902) , Eisenbahn- und Verbandsdirektor in Berlin, Präsidiumsmitglied des Zentralverbands Deutscher Industrieller
  • Wilhelm I. (1797–1888) , Deutscher Kaiser und König von Preußen

Sachindex

  • Frieden, innerer, sozialer
  • Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (21.10.1878)
  • Hilfskassen
  • Parteien
  • Parteien – Sozialdemokraten
  • Sozialismus, Sozialisten, siehe auch Parteien
  • Sozialreform
  • Versicherungswesen, privates
  • 1Verhandlungen, Mittheilungen und Berichte des Centralverbandes Deutscher Industrieller, Nr. 17, Berlin 1882, S. 29─31. Die Entschließung war von Henry Axel Bueck eingebracht und von den Delegierten einstimmig beschlossen worden. »
  • 2Die Delegiertenversammlung tagte in Nürnberg unter Vorsitz von Theodor Haßler, der den Vorsitzenden des Zentralverbands Karl Richter vertrat. »
  • 3Vgl. Nr. 9. »
  • 4Gemeint ist ein entsprechender Beschluß der Dresdener Delegiertenversammlung des Zentralverbands vom 26.9.1881 (Verhandlungen, Mittheilungen und Berichte des Centralverbandes Deutscher Industrieller, Nr. 15, Berlin 1881, S. 25 f.). »
  • 5Diesem gehörten neben Karl Richter (Präsident) und Theodor Haßler (1. Vizepräsident) der Bürgermeister a. D. Emil Russell (2. Vizepräsident), der Regierungsrat a. D. und Vorsitzende des Vereins für deutsche Volkswirtschaft Richard Schück und der Geschäftsführer Georg Ferdinand Beutner an. »
  • 6Diese Kommission war am 20.5.1882 vom Ausschuß des Zentralverbands zur Beratung der Gesetzentwürfe zur Unfall- und Krankenversicherung eingesetzt worden. Zu den Mitgliedern und zur Tätigkeit der Kommission vgl. H.A. Bueck, Der Centralverband Deutscher Industrieller 1876─1901. Zweiter Band, Berlin 1905, S. 193 ff. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 33, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0033

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