Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 161

1884 April 28

Bericht1 über die achte Sitzung der VII. Kommission des Reichstags

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[Fortführung der Beratung über § 10 der dritten Unfallversicherungsvorlage]

Die Reichstagskommission zur Vorberatung der Unfallversicherungsgesetzvorlage führte die Diskussion über den § 10 am 28. v. M. zu Ende. Von den Abgg. Lohren und v. Hertling ward folgender Vermittlungsantrag eingebracht:

“Im § 10 Abs. 3 das Wort “statutenmäßig” zu streichen und den § 19 wie folgt zu fassen: “Durch das Statut muß die Ansammlung eines Reservefonds bis zur Höhe desjenigen Jahresbetrages, welchen die Genossenschaft an Beiträgen beim Eintritt des Beharrungszustandes aufzubringen hat, angeordnet werden. Die Ansammlung hat innerhalb der ersten zehn Jahre durch prozentual abnehmende Zuschläge zu den nach § 10 aufzubringenden jährlichen Beiträgen zu geschehen. Zugleich hat das Statut etc.”

Der Zweck dieses Antrages war, die Bedenken gegen das Umlageverfahren, welche bei dem Fortgange der Verhandlungen immer mehr und mehr zutage traten, zu mildern. Gegen das Umlageverfahren wurde von den Abgg. Buhl, Oechelhäuser, v. Schirmeister, Eysoldt, Hermes [recte: Dr. Hirsch?] und Schrader eine Anzahl neuer gewichtiger Bedenken vorgetragen und die schon in früheren Sitzungen [ Druckseite 565 ] erörterten näher begründet. In der vorhergehenden Sitzung hatte der Staatssekretär v. Boetticher gegenüber dem Abg. Oechelhäuser ausgeführt, daß bei der jetzigen Vorlage überhaupt nicht mehr von versicherungstechnischen Grundsätzen die Rede sein könne, daß sie gar keine Versicherung im gewöhnlichen Sinne mehr sei und daß sie infolge davon auch gar nicht die Arbeit und die Kosten verursachen würde, welche den Unfallversicherungsgesellschaften erwachsen. Darum bezeichnete er den Antrag der Abgg. Buhl und Oechelhäuser als unannehmbar, welcher die Berechnung der Deckungskapitalien nach versicherungstechnischen Grundsätzen forderte. Darauf wurde entgegnet, daß allerdings die Fürsorge, welche das Gesetz für die Arbeiter üben wolle, fälschlich als eine Versicherung bezeichnet werde, daß nicht eigentlicher Schadenersatz, sondern eine Unterstützung gewährt werde; für eine solche fehle es an festen Prinzipien, und das gerade begründe eine nicht geringe Gefahr unvorsichtiger Handhabung des Gesetzes. Über das Wort “versicherungstechnisch” brauche man nicht zu streiten; in jedem Falle könne doch der Bundesrat nicht nach willkürlichem Ermessen, sondern nach festen mehr oder weniger zuverlässigen Prinzipien seine Feststellung machen. Übrigens erklärten die Antragsteller, daß sie das Wort, das sie für überflüssig hielten, eben weil sich dies von selbst verstehe, zu streichen bereit seien.

Weiter wurde darauf hingewiesen, daß die Kosten, welche die Versicherung nach Maßgabe des Gesetzes verursache, ganz erhebliche sein würden. Sowohl das Reichsversicherungsamt als auch die Post würden sehr große und letztere jedes Jahr wachsende Kosten haben: ebenso werde auch die Geschäftsbesorgung der Berufsgenossenschaften selbst eine sehr komplizierte und teure sein. Sodann wurde ausgeführt, daß das Umlageverfahren lediglich dadurch möglich sei, daß die Reichsgarantie dahinterstehe, daß aber das Eintreten dieser Reichsgarantie ganz und gar vom Ermessen des Bundesrats abhänge, da das Gesetz keine feste Norm darüber gebe, wann Genossenschaften als leistungsunfähig anzusehen seien, daß es ferner eine sehr große Härte für die anderen Berufsgenossenschaften sei, wenn ihnen leistungsfähige Genossen anderer Berufsgenossenschaften zugewiesen würden. Endlich wurde darauf hingewiesen, daß bei dem Umlageverfahren ausscheidende Betriebsgenossen die auf ihren Anteil fallenden Verpflichtungen aus der Zeit ihrer Mitgliedschaft nicht zu erfüllen brauchten, sondern daß diese von den übrigen Genossen einfach zu übernehmen seien. Das könne, wenn man berücksichtige, daß bei dem schnellen Wechsel in der Industrie ein solches Aufhören von Betrieben ein keineswegs seltenes sei, die verbleibenden Berufsgenossenschaften schwer belasten. Die Richtigkeit der Annahme, daß ausscheidende Berufsgenossen keinerlei Verbindlichkeiten für die in früherer Zeit entstandenen Schäden hätten, wurde von Herrn Staatssekretär v. Boetticher ausdrücklich anerkannt.2

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Registerinformationen

Personen

  • Fritzen, Alois (1840─1916) Landesrat, MdR (Zentrum)
  • Gutfleisch, Dr. Egidi (1844─1914) Rechtsanwalt, MdR (Liberale Vereinigung)
  • Hertling, Prof. Dr. Georg Freiherr von (1843─1919) Philosoph, MdR (Zentrum)
  • Hirsch, Dr. Max (1832─1905) Jurist und Gewerkvereinsführer, MdR (Fortschritt)
  • Lohren, Arnold (1836─1901) Rentier, ehem. Fabrikant, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Schirmeister, Heinrich von (1817─1892) Landrat a.D., MdR (Liberale Vereinigung)
  • 1ZfV, 8. Jg. 1884, S. 239, Sitzungsprotokoll: BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 153─159, Anträge: fol 160─172. »
  • 2Das Sitzungsprotokoll verzeichnet dazu folgende Äußerung v. Boettichers: Nach dem Plane des Gesetzes seien nicht die einzelnen Betriebsunternehmer belastet, sondern die Berufsgenossenschaft, und bei der Bildung dieser Genossenschaften müsse so verfahren werden, daß durch dies Ausscheiden eines einzelnen Genossenschafters die übrigen Genossenschaftsmitglieder nicht allzusehr belastet würden. Der Industrie dürfe nicht von Anfang an eine zu große Last aufgeladen werden und deshalb sei das Umlageverfahren vorzuziehen. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 161, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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