Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 2. Band, 1. Teil

Nr. 16

1881 Oktober 26

Brief1 des Staatsministers a.D. Dr. Albert Schäffle an den Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck

Eigenhändige Ausfertigung

[Bismarcks Ansicht wird zugestimmt, Zusendung eines eigenen Zeitungsartikels zur politisch-theoretischen Begründung des Prinzips der Zwangskorporationen]

Euer Durchlaucht sehr verbindliche Zuschrift und Zusendung vom 22. d. [Monats] habe ich richtig erhalten.2 Wollen Sie auch für diesen Beweis freundlichen Wohlwollens meinen ergebensten Dank entgegennehmen.

In der angestrichenen Stelle des gütig übersendeten Zeitungsblattes3 erkenne ich mit aufrichtiger Bewunderung den Beweis Ihres so überlegenen staatsmännischen Scharfblicks auch in der sozialpolitischen Konzeption und freue ich mich von ganzem Herzen, mit Euer Durchlaucht von ganz anderem Ausgangspunkt aus im praktischen punctum saliens4 zusammengetroffen zu sein.

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Gerne hätte ich meinen jüngst übersendeten Artikeln zwei weitere Äußerungen beigefügt, in welchen ich bemüht war, unserer Nation den Wert und die Bedeutung Ihrer positiven sozialpolitischen Initiative von der Au[gsburger] A[llgemeinen] Z[ei]t[un]g aus, die für diese Dinge so wirksam ist, wohl verständlich zu machen. Den ersten gleich beim Erscheinen Ihrer Unfallversicherungsvorlage veröffentlichten Artikel5 habe ich aus Freundeshand leider nicht zurückerhalten; die zweite Äußerung vom 18. und 19. Mai habe ich mir inzwischen wieder verschafft und erlaube ich mir, dieselbst ganz ergebenst nachträglich zu überreichen. Euer Durchlaucht werden daraus entnehmen, daß meine Kritik auch da lediglich der Sache dienen soll.6

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Inzwischen werden Euer Durchlaucht meine am 22. d. [Monats] abgegangene, der Kürze wegen zur Post gegebene Antwort7 erhalten haben.

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Registerinformationen

Personen

  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Lohmann, Theodor (1831─1905) Geheimer Oberregierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Rottenburg, Dr. Franz von (1845─1907) Geheimer Regierungsrat, Chef der Reichskanzlei
  • Schäffle, Dr. Albert (1831─1903) Nationalökonom, ehem. österr. Handelsminister
  • 1BArchP 07.01 Nr. 527, fol. 11─12 Rs. »
  • 2Ausfertigung (von der Hand Herbert Graf von Bismarcks) im Besitz von Prof. Dr. Ewald Beck, Wettenberg, Abdruck bei Albert Schäffle, Aus meinem Leben, Bd. 2, S. 154. »
  • 3Dabei handelte es sich um die Titelseite der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 18.10.1881 mit dem Zitat betr. korporative Genossenschaften aus Bismarcks Rede zur 1. Unfallversicherungsvorlage; vgl. dazu Bd. 2 der I. Abteilung dieser Quellensammlung, S. 587. »
  • 4Auf Aristoteles bzw. Theodorus Gaza zurückgehendes geflügeltes Wort. »
  • 5Dabei handelt es sich wohl um den Artikel vom 18.1.1881, abgedruckt bei Schäffle, Aus meinem Leben, S. 156 ff. Die 1798 in Tübingen gegründete “Allgemeine Zeitung” der J. G. Cotta’schen Buchhandlung erschien seit 1810 in Augsburg, da ihre freimütige Haltung auf Betreiben der kaiserlichen Gesandtschaft bzw. des Wiener Hofes zum Verbot in Württemberg geführt hatte; von daher hieß sie im Publikum bald “Augsburger Allgemeine”. In den sechziger Jahren wandte sie sich noch gegen eine Hegemonie Preußens, revidierte diese Haltung dann aber nach der Reichsgründung (vgl. Eduard Heyck, Die Allgemeine Zeitung 1798─1898, München 1898, und Liselotte Lohrer, Cotta. Geschichte eines Verlags 1659─1959, Stuttgart 1959, S. 76 ff, 120 f., 147). »
  • 6Diese Artikel, veröffentlicht unter dem Kürzel A. S. vom Neckar in der (Augsburger) Allgemeinen Zeitung Nr. 138 (v. 18.5.1881) hat Bismarck mit zahlreichen Randstrichen und einigen Randbemerkungen versehen; im nachstehenden ─ auszugsweisen ─ Abdruck haben wir diese durch entsprechende Unterstreichungen gekennzeichnet bzw. in [ ] eingefügt: Bürokratie und Korporation in der Zwangsversicherung. Die Kommission des deutschen Reichstages steht am Schluß der Beratungen über das Unfallversicherungsprojekt des Fürsten Bismarck. Durch die unerwartete Nachgiebigkeit des Reichskanzlers gegen die Wünsche der Kommissionsmehrheit beziehungsweise gegen die “Fraktionspolitik” der Reichstagsparteien ist das Zustandekommen einer ausschließend öffentlich rechtlich gestalteten Unfallzwangsversicherung möglich, ja sogar wahrscheinlich geworden. (...) Die kommissionellen Änderungen stellen zwar im ganzen eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung des Entwurfs der Reichsregierung dar, sie sind aber um des Zustandekommens der neuen Institution willen für die Reichsregierung dennoch vollständig annehmbar. Die Hauptänderung besteht im Ersatz der Reichsverwaltung durch die Landesverwaltungen. Der Partikularismus und “Fraktionsgeist” haben jedoch hiermit, wie uns scheint, einen ganz ungefährlichen Sieg davongetragen. Man bedenke von der einen Seite, daß schon der Bundesratsentwurf durch die Organe der Partikularstaaten den einzelnen Versicherungsfall behandeln und die Ausfuhrungsbehörden durch die Partikularregierungen bezeichnen lassen wollte, und man beachte von der anderen Seite, daß die Zwangsversicherung nach wie vor Reichsgebot bleibt, daß der Bundesrat die Hauptsachedie Nor- mierung der Gefahrenklassen [Randbemerkung Bismarcks: bei Umlage ex post u. corporativer Gegenseitigkeit normieren sie sich selbst] nach den verschiedenen Betriebsarten ─ auch jetzt noch in die Hand bekommen soll. Es ist dann durchaus nicht unverständlich, weshalb der Reichskanzler dem Partikularismus in diesem Fall ohne viel Rechthaberei nachgegeben hat. Der Gescheiteste gibt nach. Bismarck hat die Hauptsache, nämlich die ausschließend öffentliche Zwangsversicherung im ersten Anlauf durchgesetzt. (...) In einem zweiten Punkte hat, wie es scheint, der Reichskanzler der Kommissionsmehrheit sich bereits gefügt, nämlich in der finanziellen Beteiligung des Reiches. Ein essentiale war nun die materielle Beteiligung des Reiches von Anfang an nicht, wenigstens nicht nach der Natur der zu schaffenden Institution selbst. Die betreffenden Industriekreise sollen durch den Versicherungszwang nicht Reichs- und Staatskostgänger werden, sie sollen vielmehr nur in die Lage kommen, für sich selbst eine durchgreifende Selbsthilfe einrichten und durchführen zu können; materiell kann und soll das Institut ein reines Selbsthilfeinstitut, wenn auch ein zwingendes, allgemeines unfreiwilliges Institut, werden und bleiben. Eine finanzielle Beteiligung der Reichskasse beziehungsweise der Staatskassen ist daher kein notwendiger und definitiver Bestandteil der Reichsversicherung. Höchstens für den Anfang, als eine Art Garantieverhältnis, wie es der Staat bei neuen Schritten in noch unbekanntes Terrain hinein oftmals eingegangen ist, war es erlaubt und ein zweckmäßiges Provisorium gerechtfertigt, und in dieser Hinsicht läßt sich ja wirklich nicht leugnen, daß die Übernahme eines Teiles der Prämie für Jahresverdienste unter 750 oder auch unter 600 Mark im Anfange sehr wohl angebracht wäre; denn der Lohn der gemeinen Arbeit folgt nicht plötzlich und allgemein einem neuen Zwangsbedarf der Arbeiterexistenz, und die Lohnkonjunktur ist leider noch immer keine so günstige, daß gerade in den ersten Jahren der Einführung eine leichte Steigerung des Lohnes um den Betrag des Arbeiterprämienanteils ganz unempfindlich wäre. Wenn diese Erwägung dem Gedanken finanzieller Beteiligung des Reiches zugrunde gelegen hätte, so wäre die Eliminiation desselben durch die Kommissionsmehrheit nicht gerade ein Beweis staatsmännischer Überlegenheit der Kommissions- über die Kanzlerpolitik, die doktrinäre Furcht vor der finanziellen Staatshilfe, welche in zahlreichen Präzedenzfällen den Besitzenden vor und nach der Ablösungsgesetzgebung in ausgiebigster Weise geleistet worden ist, wäre als eine schlechte Ratgeberin anzusehen. Allein einen Kardinal- punkt [Randbemerkung Bismarcks: Exportprämie, Armenpflege] stellt diese Streitfrage gleichwohl nicht dar. Gibt die radikale Beseitigung der finanziellen Reichs- und Staatshilfe Beruhigung und dient der Verzicht auf dieselbe dem Zustandekommen des Gesetzes, so konnte die Reichsregierung auch hier ohne großen Skrupel nachgeben. (...) Ist die vorgeschlagene Unfallversicherung eine rein staatliche Institution? Sicherlich nicht! Die Unfalls- und jede ihr prinzipiell ähnliche Personalzwangsversicherung ist eine zwangsverbindliche Zusammenfassung aller Angehörigen einer bestimmten Gruppe von Berufen für ein gemeinsames Privatinteresse unter öffentlichem Recht. Es ist eine Personalkorporation neuer Art, und zwar eine berufsständische, nicht eine kommunale Korporation. Auch wenn zunächst die Bürokratie des Staats sich der Geschäftsführung dieses Zwangsversicherungsverbandes ganz bemächtigt, ändert dies den Charakter desselben als einer neuartigen Korporation nicht. Diese neue berufsständische Personalkorporation ist jedoch keine Innung alten Stiles; denn sie ist keine Generalverkörperung der Angehörigen lokaler Professionszweigeschichten für eine Vielheit berufsständischer Interessen. Sie ist im Gegenteil eine Spezialverkörperung nur für einen besonderen Zweck, für eines unter vielen persönlichen Sicherheitsinteressen, eine Spezialverkörperung allerdings für den ganzen nationalen, bzw. den partikularstaatlichen Kreis von Versicherungsinteressenten. Durch die Spezialität des Zwecks einerseits, durch die nationale Universalität der Berufssolidarität andererseits unterscheidet sich dieser erste Ansatz neuständischer Berufskorporation himmelweit von der alten zwecklich allgemeinen, aber lokal und professionell beschränkten Zunft. Dieser Unterschied entspricht nun lediglich dem gewaltigen Umschwung von der älteren zur modernen Produktionsweise; in gewissen speziellen Interessen hat sich für alle Angehörigen bestimmter Produktionszweige und Produktionsgruppen der ganzen Nation eine Solidarität eingestellt, und diesem gewaltigen Unterschied muß, soweit er tatsächlich eingetreten ist, in der Architektur eines neukorporativen Rechts Rechnung getragen werden; die alte Zunftform faßt den neuen Inhalt nicht. Insofern halten wir die staatliche und wenn möglich nationale Personalversicherungskorporation mit speziellem Inhalt, aber universeller Verbindlichkeit für eine wahrhaft moderne, zeitgemäße, richtig konstruierte Institution, welche im besten Sinne des Worts nationalen, nicht lokalen Zuschnitt trägt und für die nicht mehr lokal, sondern national geschichteten Sphären der Großproduktion vollständig praktisch ist. Sie hindert die Masse fortbestehenden Kleinbetriebs von rein lokaler Bedeutung an einer für diesen Kleinbetrieb passenden engeren, aber inhaltlich vielleicht umfassenderen Organisation nicht entfernt. Diese neuständische Spezialkorporation von staatlich oder national universellem Umfang erscheint nun allerdings in der Gestalt sowohl des Kommissions- als des Bundesratsentwurfs als eine bürokratische Institution. Denn die Verwaltung soll in die Hände der Verwaltungsbeamten des Staats gelegt werden. Dennoch ist sie eine Spezialkorporation al- ler Angehörigen bestimmter Produktionsgruppen des ganzen Landes bzw. Reiches; für ihr und nur ihr spezielles Unfallsicherheitsinteresse, mit ihren und nur mit ihren Mitteln wird der gemeinsame Zweck des Zwangsverbandes durchgeführt. Wenigstens die Arbeitgeber sind als Organe des Prämienvorschusses und der Prämienabführung sogar schon als Verwaltungsorgane der neuen Korporation verwendet. Die übrige Verwaltung ist zwar in die Hände der Staatsbehörden gelegt, aber sie ist und bleibt doch Verwaltung eines besonderen Zwangsverbandes für ein Privatinteresse bestimmter Volksschichten. Jeden Augenblick und jedenfalls dann, wenn die Institution einmal fest eingewurzelt sein wird, kann die einseitig bürokratische Verwaltung stückweise abgestreift und in gegliederte Selbstverwaltung nationaler Berufskorporationen unter Oberaufsicht, Schutz und Garantie der Staaten oder des Reiches verwandelt werden. Diese Verwandlung wird auch nicht ausbleiben, und sie wird dem sozialen Frieden der Nation gewiß zum allergrößten Vorteil gereichen. Dann wird einerseits die Gefahr bürokratischer Hyperzentralisation von selbst hinfällig werden, und die korporativ-nationale Zusammenfassung gleichzeitiger gewerblicher Berufs- und Produktionsrisiken zur Solidarität nationaler Verbände wird ebenso segensreich als unaufhaltsam sich Bahn brechen. Worauf wir diese Hoffnung stützen ─ wird man fragen. Auf die Unausbleiblichkeit gewisser Nachteile der projektierten rein bürokratischen Organisation selbst ─ antworten wir mit einiger Ruhe und Sicherheit. Zwei dunkle Punkte hängen am Himmel der Hoffnungen, welche sich an die jetzt schwebenden Vorschläge heften, und wir haben auf diese Punkte sogleich bei der ersten Verlautbarung des Projekts hingewiesen. Den einen schwarzen Punkt bildet die überaus große Schwierigkeit der Aufgabe, welche der Entwurf dem Bundesrat stellt, indem er die Risiko- und Prämienklassifikation nach Betriebsarten lediglich dem Bundesrat anheimgibt. Dem Bundesrat wird ob dieser Auf- gabe bange werden. Denn eine Gottähnlichkeit an Voraussicht des Unwißbaren und schlechthin Unbekannten schreibt er sich selbst nicht zu. Nun ist es aber anerkanntermaßen ein Ding der Unmöglichkeit, die Risiken für jeden Betriebszweig sicher zu bestimmen und zu berechnen. Es kann gar nicht fehlen, daß die Reichsregierung für den Anfang mehr oder weniger zahlreiche, mehr oder weniger schwere Mißgriffe machen wird; jede Privatanstalt würde sie auch machen; die Erfahrung fehlt! Die Motive verhehlen dies gar nicht, und es ist daher periodische Revision der Tarife vorgesehen. Wie einfach und sicher wäre dagegen vom ersten Jahr an die Durchführung, sobald die verwandten, gleichartigen Betriebe in Berufsgruppen zu Zwangsversicherungsgenossenschaften zusammengefaßt würden, welche unter Ansammlung von Reservefonds und in Anlehnung an einen Reichsreservefonds für äußerste Fälle einfach den Versicherungsschaden für die in der Gruppe vorgefallenen Invalidierungen jährlich umlegen würden! Es bedürfte keiner Klassifikationstafeln. Die jetzt absolut mangelnde Erfahrung wäre für jede Gruppe bald und einfach gewonnen. Nach fünf Jahren hätte man zureichendes Material, die Gruppen nach besonderen Gefahrenklassen gesetzlich neu zusammenzufassen oder nach Risiken in sich selbst abzustufen. (...) Es handelt sich aber nicht bloß darum. Die Hauptsache ist, ein positives Interesse an der Herstellung größter Betriebssicherheit zu schaffen. Dieses Interesse entsteht und wirkt wiederum nur dann, wenn die Unternehmung (Unternehmer und Arbeiterschaft) für jeden bei ihr sich ereignenden Unfall einen besonderen Schadensanteil eine bestimmte Zeitlang zu tragen hat; ferner dann, wenn Gauverbände einander und ihre An- gehörigen in eigenem Interesse kontrollieren und bei den Zentralstellen höhere Tarifierung bestimmter erwiesen gefährlicher Betriebsweisen und Unternehmungen beantragen können. Eine gewisse Dezentralisierung durch Individualisierung eines Teils des Schadens auf bestimmte Zeit, teils für die Betriebe der Unfallsereignung, teils für engere Verbände (Kreis-, Landes- etc. Verbände) ist nötig. Außerdem wird das Interesse an der po- sitiven Betriebssicherheit sehr beschränkt sein und das kommunistische Hineinhausen auf die Landesversicherung zum Nachteil der Sicherheit des Lebens ziemlich begünstigt bleiben. Was die Haftpflicht und die Unfallsprivatversicherung aus persönlicher Interessierung der Pflichtigen leisten, muß durch individuelle Schadensbelastung von beschränkter Ausdehnung und Dauer ebenfalls und wo möglich besser erreicht werden. Noch weiteres kommt zu beachten. Auch die Heilung des körperlichen Schadens erscheint nicht gehörig gestützt. Es handelt sich nicht bloß darum, Unfälle zu verhüten, sondern, soweit sie unvermeidlich sind, solche möglichst zu heilen, die eingetretene Erwerbsunfähigkeit wieder aufzuheben. Das Interesse hierfür kommt wieder nur dann zu voller Geltung, wenn den engeren Verbänden die Kosten der ersten etwa vierwöchigen Heilpflege (wie die Beerdigungskosten) auferlegt werden, und, wenn überdies die Angehörigen des Geschäftes, in welchen sich Unfälle ereignen, eine gewisse Zeitlang eine besondere Schadensprämie in irgendeiner Form zu bezahlen haben. Damit wird den Invaliden am ehesten zu ihrer Gesundheit verholfen, nicht bloß der Versicherungsschaden vermindert. Der lokalen Krankenversicherung und der besten medizinisch-chirurgischen Pflege der Invaliden wäre ein weiterer höchst wohltätiger Anstoß gegeben. Engere Verbände innerhalb des weiteren Verbandes wären unter derselben Voraussetzung auch höchst wirksame, weil interessierte, Kontroll- und Begutachtungsorgane gegen Simulanten und Selbstverstümmler, gegen Leichtsinn der Arbeiter und der Betriebs- leiter. Gegen flaue Versicherungspensionäre wäre eine sehr wirksame Kontrolle geschaffen; wenn die Invaliden später wieder mehr oder weniger arbeitsfähig werden, wären die engeren Verbände ebenso fähig wie interessiert, zweckmäßige Anträge bezüglich der Reassumption des Entschädigungsprozesses an die Zentralstellen zu stellen, die Nebenbeschäftigung der Halbinvaliden ohne Härte auszuführen. Auch den Witwen könnten sie Nebenarbeit, den Waisen erziehliche Unterkunft verschaffen. In allen diesen Funktionen wird die dezentralisierte, korporative Mitverwaltung und Spe- zialverpflichtung dem wahren Individualismus dienen, dem Kommunismus aber wehren. Man wird solidarische Interessen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern schaffen, dem ganzen Stand einen Anfang neuen, gesunden, praktischen, positiven Korporationsgefühles allmählich wieder einhauchen. Für jede weitere Ausdehnung der Personalversicherung und für andere wirtschaftspolitische Aufgaben wäre dieses neue Korporationsgefühl verwertbar, und mehr als bürokratische Staatsbevaterung würde es den sozialen Frieden von innen heraus befestigen. (...) Die Ausbildung der korporativen Selbstverwaltung wäre wohl die größte Erleichterung der Staats- und Reichsverwaltung selbst, wie sie im Interesse aller und jedes einzelnen Versicherten liegt. (...) »
  • 7Vgl. den Abdruck bei Schäffle, Aus meinem Leben, Bd. 2, S. 153; eigenhändige Ausfertigung: BArchP 07.01 Nr. 527, fol. 8─9 Rs.; die vorangegangene Korrespondenz dürfte demnach durch diplomatische Kuriere vermittelt worden sein. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 16, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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