Chronologische Liste aller Quellen

Band- und Abteilungsübergreifende chronologische Liste aller Quellen. Aktuell enthalten: Band 1, Abteilung II. Sortiert nach Datum.

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Abteilung II, 1. Band

Nr. 96

1890 Januar 7

Schreiben1 des Wirklichen Geheimen Legationsrats im Auswärtigen Amt Friedrich von Holstein2 an den Staatssekretär des Innern Karl Heinrich von Boetticher

Eigenhändige Ausfertigung

Argumentationshilfe für den bevorstehenden Besuch von Boettichers bei Bismarck: Eine Rede Bismarcks im laufenden Wahlkampf könne diesem nur schaden; ein Entgegenkommen in der Arbeiterschutzfrage gäbe dem Reichskanzler Handlungsfreiheit

Ich würde dem Kanzler etwa folgendes sagen:

Eine Rede, wie die von Ew. D[ur]chl[aucht] beabsichtigte, wird in diesem Augenblick ein Wahlprogramm, und zwar Ihr persönliches, mit polemischer Tendenz gegen die bekannten Ansichten des Kaisers. Durch die Rede wird die Sprengung des Kartells und damit die Wahlniederlage wahrscheinlich. Die Welt wird letztere als persönliche Niederlage Euerer D[ur]chl[aucht], ja vielfach als einen Beweis a contrario3 für die Richtigkeit der Ansichten des Kaisers betrachten. Die Kartellelemente, Wähler wie Kandidaten, werden ─ mit Ausnahme der Gruppe Mirbach4 ─ mißvergnügt sein und Ew. D[ur]chl[aucht] für den Mißerfolg verantwortlich machen. Ew. Durchlaucht werden, zeitweilig wenigstens, so isoliert sein, wie Sie es seit 1866 nicht waren.5 Damit ist dem Kaiser überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, sich von Ew. D[ur]chl[aucht] zu trennen. Eine Auflösung mit Arbeiterschutzprogramm wäre geeignet, dem Kaiser zur Zeit eine große Popularität zu verschaffen ─ die Zustimmung der deutschen Fürsten für ein solches Programm steht außer Zweifel. Ohne die mäßigende Einwirkung Ew. Durchl[aucht] würde besagtes Programm möglicherweise Konzessionen enthalten, welche ihre ungünstige Rückwirkung, namentlich auf die landwirtschaftlichen Verhältnisse, bald fühlbar machen würden. Eure D[ur]chl[aucht] wären dann bloß noch leidender Teil, ohne die Möglichkeit einzugreifen. Deshalb wäre es für Ihre Mitinteressenten und für die ganze Nation eine glückliche Wendung, wenn Ew. D[ur]chl[aucht] einiges Entgegenkommen zeigten, sich wenigstens nicht direkt abweisend verhielten, und wenn Sie namentlich nicht die Verantwortung auf sich lüden, welche eine Wahlprogrammrede Ihnen notwendig aufladen muß.

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Registerinformationen

Regionen

  • Preußen
  • Sachsen, Königreich

Orte

  • Friedrichsruh (Kreis Herzogtum Lauenburg)

Personen

  • Fabrice, Alfred Graf von (1818–1891) , sächsischer Außenminister
  • Hohenthal und Bergen, Dr. Wilhelm Graf von (1853–1909) , sächsischer Gesandter in Berlin

Sachindex

  • Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (21.10.1878)
  • Landtag
  • Landtag – preußischer
  • Parteien
  • Parteien – Fortschritt, Freisinn
  • Parteien – Konservative
  • Parteien – Nationalliberale
  • Parteien – Sozialdemokraten
  • Parteien – Zentrum
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen
  • Regierung, siehe auch Bundesregierungen – Preußen
  • Reichsregierung
  • Reichstag
  • Thronreden
  • Thronreden – 15.1.1890
  • 1BArch N 1025 (Boetticher) Nr. 70, n. fol. »
  • 2Friedrich von Holstein (1837─1909), Wirklicher Geheimer Legationsrat, seit 1876 im Auswärtigen Amt tätig. »
  • 3Folgerung im Umkehrschluß. »
  • 4Julius Freiherr von Mirbach (1839─1921), Rittergutsbesitzer in Sorquitten (Kreis Sensburg), seit 1886 (wieder) MdR (konservativ). »
  • 5Gemeint ist, daß Bismarck seit 1866 mit parlamentarischer Unterstützung regierte. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 1. Band, Nr. 96, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Die Diskussion der Arbeiterfrage auf Regierungsseite und in der Öffentlichkeit, bearbeitet von Wolfgang Ayass, Florian Tennstedt und Heidi Winter. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.01.00.0096

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