II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 186

1884 Juli 6

Unfallversicherungsgesetz1

Druck, Teildruck

[Zwangsversicherung mit Haftungsausschluß der Unternehmer bis zur Vorsatzgrenze, Ausdehnung auf enumerativ festgelegte Bau- und Explosivstoffbetriebe, Versicherungspflichtgrenze 2000 M, Mindestjahresarbeitsverdienst und unterproportionale Rentensteigerungsbeträge ab 1200 M Jahresarbeitsverdienst, Berufsgenossenschaften auf Bezirksebene als Versicherungsträger, Umlageverfahren mit obligatorischer Reichsgarantie, enumerativ festgelegte Aufgaben der Arbeitervertreter, Reichsversicherungsamt und ─ fakultative ─ Landesversicherungsämter]

I. Allgemeine Bestimmungen

§ 1

[1] Alle in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Steinbrüchen, Gräbereien (Gruben), auf Werften und Bauhöfen sowie in Fabriken und Hüttenwerken beschäftigten Arbeiter und Betriebsbeamten, letztere, sofern ihr Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt zweitausend Mark nicht übersteigt, werden gegen die Folgen der bei dem Betriebe sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes versichert.

[2] Dasselbe gilt von Arbeitern und Betriebsbeamten, welche von einem Ge- werbetreibenden, dessen Gewerbebetrieb sich auf die Ausführung von2 kMau- rer-, Zimmer-, Dachdecker-, Steinhauer- und Brunnenarbeiten erstreckt, in diesem Betriebe beschäftigt werdenk sowie von den im Schornsteinfegergewer- be beschäftigten Arbeitern.3

[3] Den in Absatz 1 aufgeführten gelten im Sinne dieses Gesetzes diejenigen Betriebe gleich, in welchen Dampfkessel oder durch elementare Kraft (Wind, Wasser, [ Druckseite 638 ] Dampf, Gas, heiße Luft usw.) bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen, mit Ausnahme kder land- und forstwirtschaftlichen nicht unter den Absatz 1 fallen- den Nebenbetriebe sowiek derjenigen Betriebe, für welche nur vorübergehend eine nicht zur Betriebsanlage gehörende Kraftmaschine benutzt wird.

[4] Im übrigen gelten als Fabriken im Sinne dieses Gesetzes insbesondere diejenigen Betriebe, in welchen die Bearbeitung oder Verarbeitung von Gegenständen gewerbsmäßig ausgeführt wird, und in welchen zu diesem Zweck mindestens zehn Arbeiter regelmäßig beschäftigt werden, sowie Betriebe, in welchen Explosivstof- fe oder explodierende Gegenstände gewerbsmäßig erzeugt werden.4

[5] Welche Betriebe außerdem als Fabriken im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, entscheidet das Reichsversicherungsamt (§§ 87 ff.)

[6] Auf gewerbliche Anlagen, Eisenbahn- und Schiffahrtsbetriebe, welche wesentliche Bestandteile eines der vorbezeichneten Betriebe sind, finden die Bestimmungen dieses Gesetzes ebenfalls Anwendung.

[7] Für solche unter die Vorschrift des § 1 fallende Betriebe, welche mit Unfallgefahr für die darin beschäftigten Personen nicht verknüpft sind, kann durch Beschluß des Bundesrats die Versicherungspflicht ausgeschlossen werden.

[8] k Arbeiter und Betriebsbeamte in anderen, nicht unter Absatz 2 fallen- den, auf die Ausführungen von Bauarbeiten sich erstreckenden Betrieben kön- nen durch Beschluß des Bundesrats für versicherungspflichtig erklärt werden.k

§ 2

[1] Durch statutarische Bestimmungen (§§ 16 ff.) kann die Versicherungspflicht auf Betriebsbeamte mit einem zweitausend Mark übersteigenden Jahresarbeitsverdienst erstreckt werden. kIn diesem Falle ist bei der Feststellung der Entschädi- gung der volle Jahresarbeitsverdienst zugrunde zu legen.k

[2] Durch Statut kann ferner bestimmt werden, daß und unter welchen Be- dingungen Unternehmer der nach § 1 versicherungspflichtigen Betriebe be- rechtigt sind, sich selbst oder andere nach § 1 nicht versicherungspflichtige Personen gegen die Folgen von Betriebsunfällen zu versichern.5

§ 3

[1] ─ [2] Unverändert.

[3] Bei kjugendlichen Arbeitern und solchenk Personen, welche wegen noch nicht beendigter Ausbildung keinen oder einen geringen Lohn beziehen, gilt als Jahresarbeitsverdienst das Dreihundertfache des von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörde für Erwachsene festgesetzten ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter (§ 8 des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, vom 15. Juni 1883).

§ 4

[Unverändert]

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§ 5

[1] ─ [5] Unverändert.

[6] Die Rente beträgt:

a. im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit für die Dauer derselben sechsundsechzig zwei Drittel Prozent des Arbeitsverdienstes;

b. im Falle teilweiser Erwerbsunfähigkeit für die Dauer derselben einen Bruchteil der Rente unter a, welcher nach dem Maße der verbliebenen Erwerbsfahigkeit zu bemessen ist.

[7] Dem Verletzten kund seinen Hinterbliebenenk steht ein Anspruch nicht zu, wenn er den Betriebsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat.

[8] kDie Berufsgenossenschaften (§ 9) sind befugt, der Krankenkasse, wel- cher der Verletzte angehört, gegen Erstattung der ihr dadurch erwachsenden Kosten die Fürsorge für den Verletzten über den Beginn der vierzehnten Woche hinaus bis zur Beendigung des Heilverfahrens zu übertragen. In diesem Falle gilt als Ersatz der im § 6 Absatz 1 Ziffer 1 des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Leistungen die Hälfte des in jenem Gesetze bestimmten Mindest- betrages des Krankengeldesk, sofern nicht höhere Aufwendungen nachgewie- sen werden.6 Streitigkeiten, welche aus Anlaß dieser Bestimmung zwischen den Berufsgenossenschaften und den Krankenkassen entstehen, werden nach Maß- gabe des § 58 Absatz 2 des Krankenversicherungsgesetzes entschieden.7

[9] Von Beginn der fünften Woche nach Eintritt des Unfalls bis zum Ablauf der dreizehnten Woche ist das Krankengeld, welches den durch einen Betriebs- unfall verletzten Personen aufgrund des Krankenversicherungsgesetzes ge- währt wird, auf mindestens zwei Drittel des bei der Berechnung desselben zu- grunde gelegten Arbeitslohnes zu bemessen. Die Differenz zwischen diesen zwei Dritteln und dem gesetzlich oder statutengemäß zu gewährenden niedrigeren Krankengelde ist der beteiligten Krankenkasse (Gemeindekrankenversiche- rung) von dem Unternehmer desjenigen Betriebes zu erstatten, in welchem der Unfall sich ereignet hat. Die zur Ausführung dieser Bestimmung erforderli- chen Vorschriften erläßt das Reichsversicherungsamt.8

[10] Den nach § 1 versicherten Personen, welche nicht nach den Bestimmun- gen des Krankenversicherungsgesetzes versichert sind, hat der Betriebsunter- nehmer die in den §§ 6 und 7 des Krankenversicherungsgesetzes vorgesehenen Unterstützungen einschließlich des aus dem vorhergehenden Absatze sich erge- benden Mehrbetrages für die ersten k dreizehnk Wochen aus eigenen Mitteln zu leisten.9

[11] Streitigkeiten, welche aus Anlaß der in den beiden vorhergehenden Ab- sätzen enthaltenen Bestimmungen unter den Beteiligten entstehen, werden

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nach Maßgabe des § 58 Absatz 1 des Krankenversicherungsgesetzes entschie- den, und zwar in den Fällen des letztvorhergehenden Absatzes von der für Ortskrankenkassen des Beschäftigungsortes zuständigen Aufsichtsbehörde.10

§ 6

Im Falle der Tötung ist als Schadenersatz außerdem zu leisten:

1) als Ersatz der Beerdigungskosten das Zwanzigfache des nach § 5 Absatz 3 bis 5 für den Arbeitstag ermittelten Verdienstes, jedoch mindestens dreißig Mark11 ,

2) eine den Hinterbliebenen des Getöteten vom Todestage an zu gewährende Rente, welche nach den Vorschriften des § 5 Absatz 3 bis 5 zu berechnen ist.

Dieselbe beträgt:

a. für die Witwe des Getöteten bis zu deren Tode oder Wiederverheiratung zwanzig Prozent, für jedes hinterbliebene vaterlose Kind bis zu dessen zurückgelegtem fünfzehnten Lebensjahre fünfzehn Prozent und, wenn das Kind auch mutterlos ist oder wird, zwanzig Prozent des Arbeitsverdienstes.12

Die Renten der Witwen und der Kinder dürfen zusammen sechzig13 Prozent des Arbeitsverdienstes nicht übersteigen; ergibt sich ein höherer Betrag, so werden die einzelnen Renten in gleichem Verhältnisse gekürzt.

Im Falle der Wiederverheiratung erhält die Witwe den dreifachen Betrag ihrer Jahresrente als Abfindung.

Der Anspruch der Witwe ist ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach dem Unfalle geschlossen worden ist;

b. für Aszendenten des Verstorbenen, wenn dieser ihr einziger Ernährer war, für die Zeit bis zu ihrem Tode oder bis zum Wegfall der Bedürftigkeit zwanzig Prozent des Arbeitsverdienstes.

Wenn mehrere der unter b benannten Berechtigten vorhanden sind, so wird die Rente den Eltern vor den Großeltern gewährt.

Wenn die unter b bezeichneten mit den unter a bezeichneten Berechtigten konkurrieren, so haben die ersteren einen Anspruch nur, soweit für die letzteren der Höchstbetrag der Rente nicht in Anspruch genommen wird.

Die Hinterbliebenen eines Ausländers, welche zur Zeit des Unfalls nicht im Inlande wohnten, haben keinen Anspruch auf die Rente.

§ 7

[1] Anstelle der im § 5 vorgeschriebenen Leistungen kann bis zum beendigten Heilverfahren freie Kur und Verpflegung in einem Krankenhause gewährt werden, und zwar:

1. für Verunglückte, welche verheiratet sind oder bei einem Mitgliede ihrer Familie wohnen, kmit ihrer Zustimmung oder unabhängig von derselbenk , wenn [ Druckseite 641 ] die Art der Verletzung Anforderungen an die Behandlung oder Verpflegung stellt, denen in der Familie nicht genügt werden kann.

2. für sonstige Verunglückte in allen Fällen.

[2] Für die Zeit der Verpflegung des Verunglückten in dem Krankenhause steht den im § 6 Ziffer 2 bezeichneten Angehörigen desselben die daselbst angegebene Rente insoweit zu, als sie auf dieselbe im Falle des Todes des Verletzten einen Anspruch haben würden.

§ 8

[Unverändert]

§ 9

[1] Die Versicherung erfolgt auf Gegenseitigkeit durch die Unternehmer der unter § 1 fallenden Betriebe, welche zu diesem Zweck in Berufsgenossenschaften vereinigt werden. Die Berufsgenossenschaften ksind für bestimmte Bezirke zu bil- denk 14 und umfassen innerhalb kderselbenk alle Betriebe derjenigen Industriezweige, für welche sie errichtet sind.

[2] Als Unternehmer gilt derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb erfolgt.

[3] Betriebe, welche wesentliche Bestandteile verschiedenartiger Industriezweige umfassen, sind derjenigen Berufsgenossenschaft zuzuteilen, welcher der Hauptbetrieb angehört.

[4] Die Berufsgenossenschaften können unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden.

[5] Für die Verbindlichkeiten der Berufsgenossenschaft haftet den Gläubi- gern derselben nur das Genossenschaftsvermögen.15

§ 10

[1] Die Mittel zur Deckung der von den Berufsgenossenschaften zu leistenden Entschädigungsbeträge und der Verwaltungskosten werden durch Beiträge aufgebracht, welche von den Mitgliedern nach Maßgabe der in ihren Betrieben von den Versicherten verdienten Löhne und Gehälter bzw. des Jahresarbeitsverdienstes kju- gendlicher undk nicht ausgebildeter Arbeiter (§ 3 Absatz 3), sowie der statutenmäßigen Gefahrentarife (§ 28) jährlich umgelegt werden.

[2] Löhne und Gehälter, welche während der Beitragsperiode durchschnittlich den Satz von vier Mark täglich übersteigen, kommen mit dem vier Mark übersteigenden Betrage nur zu einem Drittel in Anrechnung.

[3] Zu anderen Zwecken als zur Deckung der von der Genossenschaft zu leistenden Entschädigungsbeträge und der Verwaltungskosten, zur Gewährung von Prämien für Rettung Verunglückter und für Abwendung von Unglücksfällen16 , sowie zur Ansammlung des Reservefonds (§ 18) dürfen weder Beiträge von den Mitgliedern der Genossenschaft erhoben werden noch Verwendungen aus dem Vermögen der Genossenschaft erfolgen.

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[4] kBehufs Beschaffung der zur Bestreitung der Verwaltungskosten erfor- derlichen Mittel können die Berufsgenossenschaften von den Mitgliedern für das erste Jahr einen Beitrag im voraus erheben. Falls das Statut hierüber nichts anderes bestimmt, erfolgt die Aufbringung dieser Mittel nach Maßgabe der Zahl der von den Mitgliedern in ihren Betrieben beschäftigten versicherungs- pflichtigen Personen (§ 11).k

§§ 11─12

[Unverändert]

II. Bildung und Veränderung der Berufsgenossenschaften

§ 13

[1] Die Beschlußfassung über die Bildung der Berufsgenossenschaften erfolgt durch die zu diesem Zweck zu einer Generalversammlung zu berufenden Betriebsunternehmer mit Stimmenmehrheit.

[2] Anträge auf Einberufung der Generalversammlung sind an das Reichsversicherungsamt zu richten; dasselbe hat, sofern es nicht den Fall des § 12 Ziffer 1 für vorliegend erachtet, den Anträgen stattzugeben, wenn dieselben innerhalb vier Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes und mindestens von dem zwanzigsten Teil der Unternehmer derjenigen Betriebe, für welche die Berufsgenossenschaft gebildet werden soll oder von solchen Unternehmer, welche mindestens den zehnten Teil der in diesen Betrieben vorhandenen versicherungspflichtigen Personen beschäftigen, gestellt werden.

[3] ─ [4] Unverändert.

§ 14

[1] Aufgrund der unter § 11 erwähnten Verzeichnisse werden die Betriebsunternehmer von dem Reichsversicherungsamt unter Angabe der ihnen zustehenden Stimmenzahl zur Generalversammlung einzeln eingeladen.

[2] Jeder Unternehmer oder Vertreter eines Betriebes, in welchem nicht mehr als 20 versicherungspflichtige Personen beschäftigt werden, hat eine, darüber hinaus bis zu 200 für je 20 und von 200 an für je 100 mehr kversicherungspflichtige Perso- nenk eine weitere Stimme.

[3] Abwesende Betriebsunternehmer können sich durch stimmberechtigte Berufsgenossen koder durch einen bevollmächtigten Leiter ihres Betriebes vertre- ten lassenk .

[4] ─ [7] Unverändert.

§ 15

[Unverändert]

§ 16

[1] Unverändert.

[2] Die Genossenschaftsversammlung wählt bei ihrem erstmaligen Zusammentreten einen aus einem Vorsitzenden, einem Schriftführer und mindestens drei Beisitzern [ Druckseite 643 ] bestehenden provisorischen Genossenschaftsvorstand, welcher bis zur kÜbernahme der Geschäfte durch den aufgrund des Statuts gewählten Vor- standk die Genossenschaftsversammlung leitet und die Geschäfte der Genossenschaft fuhrt.

[3] Die Mitglieder der Berufsgenossenschaften können sich in der Genossenschaftsversammlung durch andere stimmberechtigte Mitglieder koder durch einen bevollmächtigten Leiter ihres Betriebesk vertreten lassen.

§ 17

Das Genossenschaftsstatut muß Bestimmung treffen:

1) ─ 5) Unverändert.

6) über das Verfahren bei Betriebsveränderungen ksowie bei Änderungen in der Person des Unternehmers (§§ 37 letzter Absatzk , 38, 39),

7) über die Folgen der Betriebseinstellungen, insbesondere über die Sicherstellung der Beiträge der Unternehmer, welche den Betrieb einstellen,

8) über die den kVertretern der versicherten Arbeiterk zu gewährenden Vergütungssätze (§§ 44 Absatz 4, 49 Absatz 2, k55 Absatz 1k ),

9) ─ 11) Unverändert.

§ 18

[1] Die Berufsgenossenschaften haben einen Reservefonds anzusammeln. An Zuschlägen zur Bildung desselben sind bei der erstmaligen Umlegung der Ent- schädigungsbeträge dreihundert Prozent, bei der zweiten zweihundert, bei der dritten einhundertundfünfzig, bei der vierten einhundert, bei der fünften acht- zig, bei der sechsten sechzig und von da an bis zur elften Umlegung jedesmal zehn Prozent weniger als Zuschlag zu den Entschädigungsbeträgen zu erheben. Nach Ablauf der ersten elf Jahre sind die Zinsen des Reservefonds dem letz- teren solange weiter zuzuschlagen, bis dieser den doppelten Jahresbedarf er- reicht hat. Ist das letztere der Fall, so können die Zinsen insoweit, als der Be- stand des Reservefonds den laufenden doppelten Jahresbetrag übersteigt, zur Deckung der Genossenschaftslasten verwendet werden.

[2] Auf Antrag des Genossenschaftsvorstandes kann die Genossenschaftsver- sammlung jederzeit weitere Zuschläge zum Reservefonds beschließen sowie be- stimmen, daß derselbe über den doppelten Jahresbedarf erhöht werde. Derar- tige Beschlüsse bedürfen der Genehmigung des Reichsversicherungsamts.

[3] In dringenden Bedarfsfällen kann die Genossenschaft mit Genehmigung des Reichsversicherungsamts schon vorher die Zinsen und erforderlichenfalls auch den Kapitalbestand des Reservefonds angreifen. Die Wiederergänzung er- folgt alsdann nach näherer Anordnung des Reichsversicherungsamts.17 [...]

§ 33

Berufsgenossenschaften, welche zur Erfüllung der ihnen durch dieses Gesetz auferlegten Verpflichtungen leistungsunfähig werden, können auf Antrag des

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Reichsversicherungsamts von dem Bundesrat aufgelöst werden. Diejenigen Industriezweige, welche die aufgelöste Genossenschaft gebildet haben, sind anderen Berufsgenossenschaften nach deren Anhörung zuzuteilen. Mit der Auflösung der Genossenschaft gehen deren Rechtsansprüche und Verpflichtungen, k vorbehaltlich der Bestimmung im § 92k , auf das Reich über. [...]

IV. Vertretung der Arbeiter

§ 41

[1] Zum Zweck der Wahl von Beisitzern zum Schiedsgericht (§ 46), der Begutachtung der zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Vorschriften (§§ 78, 81) und der Teilnahme an der Wahl zweier nichtständiger Mitglieder des Reichsversicherungsamts (§ 87) werden für jede Genossenschaftssektion, und, sofern die Genossenschaft nicht in Sektionen geteilt ist, für die Genossenschaft k Vertreter der Arbeiter gewähltk .

[2] kDie Zahl der Vertreter muß der Zahl der von den Betriebsunterneh- mern in den Vorstand der Sektion bzw. der Genossenschaft gewählten Mitglie- der gleich sein.k 18

§ 42

Die Wahl erfolgt durch die Vorstände derjenigen Orts-, Betriebs- (Fabrik-) und Innungskrankenkassen sowie derjenigen Knappschaftskassen, welche im Bezirke der Sektion bzw. der Genossenschaft19 ihren Sitz haben und welchen mindestens zehn in den Betrieben der Genossenschaftsmitglieder beschäftigte versicherte Personen angehören, unter Ausschluß der Vertreter der Arbeitgeber. Wählbar sind nur männliche, großjährige, k aufgrund dieses Gesetzes versicherungspflichtige Kas- senmitgliederk 20 , welche in Betrieben der Genossenschaftsmitglieder und im Bezirke der Sektion bzw. der Genossenschaft21 beschäftigt sind, sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und nicht durch richterliche Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind.

§ 43

kDiek Verteilung kder Vertreter der Arbeiterk auf örtlich abzugrenzende Teile der Genossenschaft wird mittels eines Regulativs bestimmt, welches durch das Reichsversicherungsamt oder, sofern es sich um eine Genossenschaft oder Sektion handelt, welche über die Grenzen eines Landes nicht hinausgeht, durch die Landeszentralbehörde oder die von derselben zu bestimmende höhere Verwaltungsbehörde zu erlassen ist.

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§ 44

[1] Die Wahl der k Vertreter der Arbeiterk erfolgt nach näherer Bestimmung des Regulativs unter der Leitung eines k Beauftragten k derjenigen Behörde, von welcher das Regulativ erlassen worden ist.

[2] Für jeden Vertreter sind ein erster und ein zweiter Ersatzmann zu wählen, welche denselben in Behinderungsfallen zu ersetzen22 und im Falle des Ausscheidens für den Rest der Wahlperiode in der Reihenfolge ihrer Wahl einzutreten haben.

[3] Die Wahl erfolgt auf vier Jahre. Alle zwei Jahre scheidet die Hälfte der Vertreter und Ersatzmänner23 aus. Die erstmalig Ausscheidenden werden durch das Los bestimmt, demnächst entscheidet das Dienstalter. Die Ausscheidenden können wiedergewählt werden.24

[4] Die Vertreter erhalten aus der Genossenschaftskasse auf Anweisung des Genossenschaftsvorstandes nach den durch das Genossenschaftsstatut zu bestimmenden Sätzen Ersatz für notwendige bare Auslagen und entgangenen Arbeitsverdienst. Gegen die Anweisung ist die Beschwerde an diejenige Behörde, welche das Regulativ erlassen hat (§ 43), zulässig. Dieselbe entscheidet endgültig.

§ 45

[1] kDie Vorstände der Krankenkassen und der Knappschaftskassen, wel- chen mindestens zehn in den Betrieben der Genossenschaftsmitglieder beschäf- tigte versicherte Personen angehören, wählen alle zwei Jahre aus der Zahl der Kassenmitgliederk zum Zwecke der Teilnahme an den Unfalluntersuchungen (§ 54) für den Bezirk einer oder mehrerer Ortspolizeibehörden je einen Bevoll- mächtigten und zwei Ersatzmänner25 , deren Name und Wohnort den beteiligten Ortspolizeibehörden mitzuteilen ist.

[2] kDie dem Vorstande der Kasse angehörenden Vertreter der Arbeitgeber nehmen an der Wahl nicht teil.k

V. Schiedsgerichte

§ 46

[1] Für jeden Bezirk einer Berufsgenossenschaft oder, sofern dieselbe in Sek- tionen geteilt ist, einer Sektion, wird ein Schiedsgericht errichtet.

[2] Der Bundesrat kann anordnen, daß statt eines Schiedsgerichts deren mehrere nach Bezirken gebildet werden.26

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[3] Der Sitz des Schiedsgerichts wird von der Zentralbehörde des Bundesstaates, zu welchem der Bezirk desselben gehört oder, sofern der Bezirk über die Grenzen eines Bundesstaates hinausgeht, im Einvernehmen mit den beteiligten Zentralbehörden von dem Reichsversicherungsamt bestimmt. [...]

VI. Feststellung und Auszahlung der Entschädigungen

§ 54

[1] An den Untersuchungsverhandlungen können teilnehmen: Vertreter der Genossenschaft, kder von dem Vorstande der Krankenkasse, welcher der Getötete oder Verletzte zur Zeit des Unfalls angehört hat, gewählte Bevollmächtigte (§ 45) sowiek der Betriebsunternehmer, letzterer entweder in Person oder durch einen Vertreter. Zu diesem Zwecke ist dem Genossenschaftsvorstande, dem k Bevoll- mächtigten der Krankenkassek und dem Betriebsunternehmer von der Einleitung der Untersuchung rechtzeitig Kenntnis zu geben. Ist die Genossenschaft in Sektionen geteilt, oder sind von der Genossenschaft Vertrauensmänner bestellt, so ist die Mitteilung von der Einleitung der Untersuchung an den Sektionsvorstand bzw. an den Vertrauensmann zu richten.

[2] Außerdem sind, soweit tunlich, die sonstigen Beteiligten und auf Antrag und Kosten der Genossenschaft Sachverständige zuzuziehen. [...]

§ 58

[1] ─ [3] Unverändert.

[4] In den Fällen des Absatzes 2 und 3 ist bis zur definitiven Feststellung der Entschädigung noch vor Beendigung des Heilverfahrens vorläufig eine Ent- schädigung zuzubilligen.27

§ 59

[1] Entschädigungsberechtigte, für welche die Entschädigung nicht von Amts wegen festgestellt ist, haben ihren Entschädigungsanspruch bei Vermeidung des Ausschlusses vor Ablauf von zwei Jahren28 nach dem Eintritt des Unfalls bei dem zuständigen Vorstande anzumelden.

[2] Nach Ablauf dieser Frist ist der Anmeldung nur dann Folge zu geben, wenn zugleich glaubhaft bescheinigt wird, daß die Folgen des Unfalls erst spä- ter bemerkbar geworden sind oder daß der Entschädigungsberechtigte von der Verfolgung seines Anspruchs durrefch außerhalb seines Willens liegende Verhält- nisse abgehalten worden ist.29

[3] ─ [4] Unverändert.

§§ 60─61

[Unverändert]

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§ 62

[1] Gegen den Bescheid der unteren Verwaltungsbehörde, durch welchen der Entschädigungsanspruch aus dem Grunde abgelehnt wird, weil der Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet hat, für nicht unter den § 1 fallend erachtet wird (§ 59 Absatz 4), steht dem Verletzten und seinen Hinterbliebenen die Beschwerde an das Reichsversicherungsamt zu. Dieselbe ist binnen vier Wochen nach der Zustellung des ablehnenden Bescheides bei der unteren Verwaltungsbehörde einzulegen.

[2] Gegen den Bescheid, durch welchen der Entschädigungsanspruch aus einem anderen als dem vorbezeichneten Grunde abgelehnt wird (§ 59 Absatz 3) sowie gegen den Bescheid, durch welchen die Entschädigung festgestellt wird (§ 61), findet die Berufung auf schiedsrichterliche Entscheidung statt.

[3] Die Berufung ist bei Vermeidung des Ausschlusses binnen vier Wochen nach der Zustellung des Bescheides bei dem Vorsitzenden desjenigen Schiedsgerichts (§ 47) zu erheben, in dessen Bezirk der Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet hat, belegen ist.

[4] Der Bescheid muß die Bezeichnung der für die Berufung zuständigen Stelle bzw. des Vorsitzenden des Schiedsgerichts sowie die Belehrung über die einzuhaltenden Fristen enthalten. 30

[5] Die Berufung hat keine aufschiebende Wirkung. [...]

§§ 69─71

[Unverändert]

VII. Unfallverhütung. Überwachung der Betriebe durch die Genossenschaften.

§ 78

[1] ─ [2] Unverändert.

[3] kDem Antrage auf Erteilung der Genehmigung ist die gutachtliche Äu- ßerung der Vorstände derjenigen Sektionen, für welche die Vorschriften Gül- tigkeit haben sollen oder, sofern die Genossenschaft in Sektionen nicht einge- teilt ist, des Genossenschaftsvorstandes beizufügen.k

§ 79

[1] kDie im § 41 bezeichneten Vertreter der Arbeiter sind zu der Beratung und Beschlußfassung der Genossenschafts- oder Sektionsvorstände über diese Vorschriften zuzuziehen. Dieselben haben dabei volles Stimmrecht.k Das über die Verhandlungen aufzunehmende Protokoll, kaus welchem die Abstimmung der Vertreter der Arbeiter ersichtlich sein muß, ist dem Reichsversicherungsamt vorzulegen.k

[2] Die genehmigten Vorschriften sind den höheren Verwaltungsbehörden, auf deren Bezirke dieselben sich erstrecken, durch den Genossenschaftsvorstand mitzuteilen.

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§ 80

[Unverändert]

§ 81

Die von den Landesbehörden für bestimmte Industriezweige oder Betriebsarten zur Verhütung von Unfällen zu erlassenden Anordnungen sollen, sofern nicht Gefahr im Verzuge ist, den beteiligten Genossenschaftsvorständen oder Sektionsvor- ständen31 zur Begutachtung nach Maßgabe des § 78 vorher mitgeteilt werden. kDabei findet der § 79 entsprechende Anwendung.k

§ 82

[Unverändert]

§ 83

Befürchtet der Betriebsunternehmer die Verletzung eines Fabrikgeheimnisses oder die Schädigung seiner Geschäftsinteressen infolge der Besichtigung des Betriebes durch den Beauftragten der Genossenschaft, so kann derselbe die Besichtigung durch andere Sachverständige32 beanspruchen. In diesem Falle hat er dem Genossenschaftsvorstande, sobald er den Namen des Beauftragten erfährt, eine entsprechende Mitteilung zu machen und einige geeignete Personen zu bezeichnen, welche auf seine Kosten die erforderliche Einsicht in den Betrieb zu nehmen und dem Vorstande die für die Zwecke der Genossenschaft notwendige Auskunft über die Betriebseinrichtungen zu geben bereit sind. In Ermangelung einer Verständigung zwischen dem Betriebsunternehmer und dem Vorstande entscheidet auf Anrufen des letzteren das Reichsversicherungsamt.

§ 84

Die Mitglieder der Vorstände der Genossenschaften sowie deren Beauftragte (§§ 82, 83) und die nach § 83 ernannten Sachverständigen33 haben über die Tatsachen, welche durch die Überwachung und Kontrolle der Betriebe zu ihrer Kenntnis kommen, Verschwiegenheit zu beobachten und sich der Nachahmung der von den Betriebsunternehmern geheim gehaltenen, zu ihrer Kenntnis gelangten Betriebseinrichtungen und Betriebsweisen so lange, als diese Betriebsgeheim- nisse sind, zu enthalten.34 Die Beauftragten der Genossenschaften und Sachverständigen sind hierauf von der unteren Verwaltungsbehörde ihres Wohnorts zu beeidigen.

§ 85─86

[Unverändert]

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VIII. Das Reichsversicherungsamt

§ 87

[1] ─ [2] Unverändert.

[3] Der Vorsitzende und die übrigen ständigen Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Von den nichtständigen Mitgliedern werden vier vom Bundesrate aus seiner Mitte, kund je zwei mittels schriftlicher Abstimmung von den Vertretern der versicherten Arbeiter (§ 41) aus ihrer Mitte in getrennter Wahlhandlungk unter Leitung des Reichsversicherungsamts gewählt. Die Wahl erfolgt nach relativer Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Die Amtsdauer der nichtständigen Mitglieder währt vier Jahre. Das Stimmenverhältnis der einzelnen kWahlkörperk bei der Wahl der nichtständigen Mitglieder bestimmt der Bundesrat unter Berücksichtigung der Zahl der versicherten Personen.

[4] Für jedes durch die Genossenschaftsvorstände ksowie durch die Vertreter der Arbeiterk gewählte Mitglied sind ein erster und ein zweiter Stellvertreter zu wählen, welche dasselbe in Behinderungsfällen zu vertreten haben. Scheidet ein solches Mitglied während der Wahlperiode aus, so haben für den Rest derselben die Stellvertreter in der Reihenfolge ihrer Wahl als Mitglied einzutreten.

[5] Die übrigen Beamten des Reichsversicherungsamts werden vom Reichskanzler ernannt.

§ 88

[Unverändert] [...]

§ 90

[1] Die Beschlußfassung des Reichsversicherungsamts ist durch die Anwesenheit von mindestens fünf Mitgliedern (einschließlich des Vorsitzenden), unter denen sich je ein Vertreter der Genossenschaftsvorstände und der Arbeiter befinden müssen, bedingt, wenn es sich handelt

a. um die Vorbereitung der Beschlußfassung des Bundesrats bei der Bestimmung, welche Betriebe mit einer Unfallgefahr nicht verbunden und deshalb nicht versicherungspflichtig sind (§ 1), bei der Genehmigung von Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (§ 31), bei der Auflösung einer leistungsunfähigen Genossenschaft (§ 33), kbei der Bildung von Schiedsgerichten (§ 46)k ;

b. um die Entscheidung vermögensrechtlicher Streitigkeiten bei Veränderungen des Bestandes der Genossenschaften (§ 32),

c. um die Entscheidung auf Rekurse gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte (§ 63),

d. um die Genehmigung von Vorschriften zur Verhütung von Unfällen (§ 78),

e. um die Entscheidung auf Beschwerden gegen Strafverfügungen der Genossenschaftsvorstände (§ 106).

[2] Solange die Wahl der Vertreter der Genossenschaftsvorstände und der kAr- beiterk nicht zustande gekommen ist, genügt die Anwesenheit von fünf anderen Mitgliedern (einschließlich des Vorsitzenden).

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[3] k In den Fällen zu b und c erfolgt die Beschlußfassung unter Zuziehung von zwei richterlichen Beamten.k

[4] Im übrigen werden die Formen des Verfahrens und der Geschäftsgang des Reichsversicherungsamts durch Kaiserliche Verordnung unter Zustimmung des Bundesrats geregelt.

§ 91

[1] Die Kosten des Reichsversicherungsamts und seiner Verwaltung trägt das Reich.

[2] Die nichtständigen Mitglieder erhalten für die Teilnahme an den Arbeiten und Sitzungen des Reichsversicherungsamts eine nach dem Jahresbetrage festzusetzende Vergütung und diejenigen, welche außerhalb Berlin wohnen, außerdem Ersatz der Kosten der Hin- und Rückreise nach den für die vortragenden Räte der obersten Reichsbehörden geltenden Sätzen (Verordnung vom 21. Juni 1875, RGBl. S. 249). Die Bestimmungen in § 16 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten vom 31. März 1873 (RGBl. S. 61) finden auf sie keine Anwendung.

§ 92 [ehem. 91 a]

[1] kIn den einzelnen Bundesstaaten können für das Gebiet und auf Kosten derselben Landesversicherungsämter von den Landesregierungen errichtet werden.

[2] Der Beaufsichtigung des Landesversicherungsamts unterstehen diejeni- gen Berufsgenossenschaften, welche sich nicht über das Gebiet des betreffen- den Bundesstaats hinaus erstrecken. In den Angelegenheiten dieser Berufsge- nossenschaften gehen die in den §§ 16, 18, 20, 27, 28, 30, 32, 33, 37, 38, 39, 40, 62, 63, 73, 75, 78, 80, 83, 85, 86, 88, 89, 106 dem Reichsversicherungsamt übertragenen Zuständigkeiten auf das Landesversicherungsamt über.

[3] Soweit jedoch in den Fällen der §§ 30, 32, 37 und 38 eine der Aufsicht des Reichsversicherungsamts unterstellte Berufsgenossenschaft mitbeteiligt ist, entscheidet das Reichsversicherungsamt.

[4] Treten für eine der in Absatz 2 genannten, der Aufsicht eines Landesver- sicherungsamts unterstellten Berufsgenossenschaften die Voraussetzungen des § 33 ein, so gehen die Rechtsansprüche und Verpflichtungen auf den betreffen- den Bundesstaat über.k

§ 93 [ehem. 91 b]

[1] kDas Landesversicherungsamt besteht aus mindestens drei ständigen Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden und aus vier nichtständigen Mit- gliedern.

[2] Die ständigen Mitglieder werden von den Landesherrn des betreffenden Bundesstaats auf Lebenszeit ernannt; die nichtständigen Mitglieder werden von den Genossenschaftsvorständen derjenigen Genossenschaften, welche sich nicht über das Gebiet des betreffenden Bundesstaats hinaus erstrecken, und von den Vertretern der versicherten Arbeiter (§ 41) aus ihrer Mitte mittels schriftlicher Abstimmung unter Leitung des Landesversicherungsamts ge-

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wählt. Das Stimmenverhältnis der einzelnen Wahlkörper bestimmt die Landes- regierung unter Berücksichtigung der Zahl der in den betreffenden Genossen- schaften versicherten Personen. Im übrigen finden die Bestimmungen des § 87 über die Wahl, die Amtsdauer und die Stellvertretung dieser nichtständigen Mitglieder gleichmäßig Anwendung. Solange eine Wahl der Vertreter der Ge- nossenschaftsvorstände und der Arbeiter nicht zustande kommt, werden Ver- treter der Betriebsunternehmer und der Versicherten von der Landeszentralbe- hörde ernannt.

[3] Die Beschlußfassung des Landesversicherungsamts in den im § 90 unter b bis e bezeichneten Angelegenheiten ist durch die Anwesenheit von drei stän- digen Mitgliedern bedingt, zu welchen in den Fällen zu b und c außerdem zwei richterliche Beamte zuzuziehen sind.

[4] Die Formen des Verfahrens und der Geschäftsgang bei dem Landesversi- cherungsamt sowie die den nichtständigen Mitgliedern zu gewährende Vergü- tung werden durch die Landesregierung geregelt.k

IX. Schluß- und Strafbestimmungen

§ 94 [ehem. 91 c]

[1] Unternehmer von Betrieben, welche landesgesetzlich bestehenden Knappschaftsverbänden angehören, können auf Antrag der Vorstände der letzteren nach Maßgabe der §§ 12 ff. vom Bundesrate zu Knappschaftsberufs- genossenschaften vereinigt werden.

[2] Die Knappschaftsberufsgenossenschaften können durch Statut bestim- men:

a. daß die Entschädigungsbeträge auch über fünfzig Prozent hinaus (§ 29) von denjenigen Sektionen zu tragen sind, in deren Bezirken die Unfälle einge- treten sind;

b. daß den Knappschaftsältesten die Funktionen der im § 41 bezeichneten Vertreter der Arbeiter übertragen werden;

c. daß Knappschaftsälteste stimmberechtigte Mitglieder des Genossen- schaftsvorstandes oder, sofern die Knappschaftsberufsgenossenschaft in Sek- tionen geteilt ist, der Sektionsvorstände sind;

d. daß die Auszahlung der Entschädigungen durch die Knappschaftskassen bewirkt wird (§ 69).35

§ 95

[Unverändert, ehem. § 92]

§ 96

[1] ─ [3] Unverändert.

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[4] Der Anspruch verjährt in achtzehn Monaten von dem Tage an, an wel- chem das strafrechtliche Urteil rechtskräftig geworden ist.36 [...]

Registerinformationen

Personen

  • Boettcher, Dr. Friedrich (1842─1922) Schriftsteller, MdR (nationalliberal)
  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Bosse, Alwine (1835─1909) Ehefrau Robert Bosses
  • Bosse, Robert (1832─1901) Direktor der II. Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten im Reichsamt des Innern
  • Buhl, Dr. Franz Armand (1837─1896) Gutsbesitzer, MdR (nationalliberal)
  • Ebert, Karl (1838─1889) Bergwerkbesitzer, MdR (konservativ)
  • Eysoldt, Arthur (1832─1907) Rechtsanwalt, MdR (Fortschritt)
  • Franckenstein, Georg Arbogast Freiherr von und zu (1825─1890) Jurist und Gutsbesitzer, MdR (Zentrum), Vizepräsident des Reichstags
  • Frege-Weltzien, Dr. Arnold von (1848─1916) Kammerherr, MdR (konservativ)
  • Gutfleisch, Dr. Egidi (1844─1914) Rechtsanwalt, MdR (Liberale Vereinigung)
  • Hammerstein, Wilhelm Freiherr von (1838─1904) Chefredakteur der “Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung”, MdR (konservativ)
  • Hertling, Prof. Dr. Georg Freiherr von (1843─1919) Philosoph, MdR (Zentrum)
  • Hirsch, Dr. Max (1832─1905) Jurist und Gewerkvereinsführer, MdR (Fortschritt)
  • Kulmiz, Dr. Paul von (1836─1895) Rittergutsbesitzer und Industrieller, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Leuschner, Ernst (1826─1898) Bergrat, Hüttendirektor, MdR (Deutsche Reichspartei)
  • Lohmann, Theodor (1831─1905) Geheimer Oberregierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Marquardsen, Dr. Heinrich (1826─1897) Staatsrechtslehrer, MdR (nationalliberal)
  • Müller, Dr. Hermann (1826─1903) Rittergutsbesitzer, MdR (nationalliberal)
  • Rottenburg, Dr. Franz von (1845─1907) Geheimer Regierungsrat, Chef der Reichskanzlei
  • Schirmeister, Heinrich von (1817─1892) Landrat a.D., MdR (Liberale Vereinigung)
  • Schrader, Karl (1834─1913) Eisenbahndirektor, MdR (Liberale Vereinigung)
  • Stolberg-Roßla, Wilhelm Graf von (1748─1826) Stifter der Wilhelmsstiftung
  • Wendt-Papenhausen, Karl Freiherr von (1832─1903) Rittergutsbesitzer, MdR (Zentrum)
  • 1Reichsgesetzblatt, S. 69─111; die fett gedruckten Sätze bzw. Satzteile wurden im Verlauf des parlamentarischen Prozesses gegenüber der Regierungsvorlage geändert, die durch k ─ k gekennzeichneten Abänderungen erfolgten durch den sog. klerikal-konservativen Kompromiß (vgl. Nr. 176), in diesem Fall erfolgen keine Einzelhinweise zur Genese mehr. »
  • 2Antrag Buhl, Marquardsen, Oechelhäuser v. 29.3.1884 (BArchP 15.01, Nr. 390, fol. 77). »
  • 3Antrag Frhr. v. Maltzahn-Gültz, Frhr. v. Wendt, Dr. v. Kulmiz, Dr. Buhl v. 24.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 172). »
  • 4Antrag Buhl, Marquardsen, Oechelhäuser v. 29.3.1884 (BArchP 15.01, Nr. 390, fol. 77). »
  • 5Antrag Frhr. v. Maltzahn-Gültz, Frhr. v. Wendt, Dr. v. Kulmiz, Dr. Buhl v. 24.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 172). »
  • 6Antrag Frhr. v. Maltzahn-Gültz, Frhr. v. Wendt, Dr. v. Kulmiz, Dr. Buhl v. 24.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 172). »
  • 7Antrag Frhr. v. Wendt v. 26.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 181). »
  • 8Antrag Frhr. v. Maltzahn-Gültz, Frhr. v. Wendt, Dr. v. Kulmiz, Dr. Buhl v. 24.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 172). »
  • 9Antrag Buhl, Oechelhäuser, Müller (Sangerhausen) v. 1.4.1884 (BArchP 15.01, Nr. 390, fol. 80). »
  • 10Antrag Frhr. v. Maltzahn-Gültz, Frhr. v. Wendt, Dr. v. Kulmiz, Dr. Buhl v. 24.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 172). »
  • 11Antrag Eysoldt, Gutfleisch, Hirsch und Genossen v. 31.3.1884 (BArchP 15.01, Nr. 390, fol. 79). »
  • 12Ebd. »
  • 13Ebd. »
  • 14Vgl. Nr. 157 (Antrag Hertling u. Gen.). »
  • 15Abänderungsantrag Frhr. v. Maltzahn-Gültz, Frhr. v. Wendt u. v. Kulmiz v. 17.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 138) »
  • 16Antrag v. Schirmeister v. 22.4.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 91) »
  • 17Die neue Fassung des gesamten § 18 erfolgte durch den Antrag Dr. Buhl, Dr. Böttcher, Dr. Marquardsen vom 24.5.1884 (ebd., fol. 203); vgl. Nr. 178. »
  • 18Die entscheidende Abänderung der Regierungsvorlage zuungunsten der Arbeiterausschüsse hatten Zentrum und Nationalliberale bereits in der ersten Kommissionslesung als Beschluß durchgesetzt (vgl. Nr. 164 u. 171) »
  • 19Vorschlag der Subkommission (hier durch Buhl) v. 7.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 100). »
  • 20Statt “Kassenmitglieder” hieß es im Antrag ursprünglich “Personen”. »
  • 21Vorschlag der Subkommission (hier durch Buhl) v. 7.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 100). »
  • 22Vorschlag der Subkommission (hier durch Buhl) v. 7.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 100). »
  • 23Vorschlag der Subkommission (hier durch Buhl) v. 7.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 100). »
  • 24Vorschlag der Subkommission (hier durch Buhl) v. 7.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 100). »
  • 25Antrag Frhr. v. Maltzahn-Gültz, Frhr. v. Wendt, Dr. v. Kulmiz, Dr. Buhl v. 24.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 172). »
  • 26Vorschlag der Subkommission (hier durch Buhl) v. 7.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 100). »
  • 27Antrag Schrader v. 13.5.1884 (15.01 Nr. 390, fol. 106). »
  • 28Antrag Müller in der ersten Lesung (BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 244). »
  • 29Antrag Frhr. v. Wendt (von v. Boetticher geschrieben) in der ersten Lesung (BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 246). »
  • 30Antrag Frhr. v. Hammerstein in der ersten Lesung (BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 245 Rs.) »
  • 31Antrag v. Hertling/v. Franckenstein in der ersten Lesung (BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 281 Rs.). »
  • 32Antrag Dr. Buhl in der ersten Lesung (BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 282). »
  • 33Antrag in der ersten Lesung (BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 290). »
  • 34Antrag Eysoldt v. 16.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 110). »
  • 35Abänderungsantrag Leuschner (Eisleben), Dr. v. Kulmiz, Dr. Müller (Sangerhausen), Dr. Frege, Ebert v. 19.6.1884 (RT-Drucks. Nr. 146). »
  • 36Antrag Buhl v. 17.5.1884 (BArchP 15.01 Nr. 390, fol. 111). »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 186, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0186

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