II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 153

1884 März 29

Bericht1 über die zweite Sitzung der VII. Kommission des Reichstags

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[Beratung über § 1 der dritten Unfallversicherungsvorlage]

Am Sonnabend begann die Kommission mit der Beratung des § 1. Die Abgg. Barth, Eysoldt, Gutfleisch, Hirsch, Löwe, Schenck2, Schrader3, v. Schirmeister beantragten Ausdehnung der Versicherungspflicht auf alle Gewerbe, einschließlich des Transportgewerbes, auch Post und Eisenbahn, und des Handwerks, jedoch ausschließlich des Seeverkehrs, ferner auf Land- und Forstwirtschaft. Letzterer Antrag wurde auch von konservativer Seite gestellt mit der Beschränkung auf die Betriebe, in welchen Zugvieh zur Verwendung kommt. Von nationalliberaler Seite ward Ausdehnung auf die Baugewerbe und die gewerbsmäßige Herstellung von Explosivstoffen beantragt. Die Diskussion ergab, daß das Zentrum4 und ein Teil der

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Konservativen und Nationalliberalen der Aufnahme der Land- und Forstwirtschaft in das Gesetz widerstreben. Staatssekretär v. Boetticher bat, den Kreis der Versicherten nicht über die Vorlage zu erweitern, gestand aber zu, daß die technischen Schwierigkeiten dieser Erweiterung nicht sehr groß seien. Geh. Regierungsrat Bödiker stimmte der Ausdehnung auf die Herstellung von Explosivstoffen zu, weiter könne man vorerst nicht gehen. Aus seinen Darlegungen ging übrigens hervor, daß in jüngster Zeit die französische Gesetzgebung zu Vorschlägen ganz ähnlicher Art gelangt ist wie der liberale Haftpflichtantrag von 1882 sie enthält. Nach eingehender Diskussion wurde zur Abstimmung über § 1 geschritten und hierbei der Antrag der Freisinnigen auf Ausdehnung der Versicherung auf alle gewerblichen Arbeiter mit 16 gegen 6 Stimmen, der Antrag auf Ausdehnung auch auf die Beamten mit mehr als 2000 M Jahresgehalt mit 12 gegen 10 Stimmen, der Antrag auf Einbeziehung der Land- und Forstwirtschaft mit 11 (Zentrum, Konservative und 3 Nationalliberale) gegen 11 (Freisinnige, Freikonservative und Dr. Buhl) der Antrag auf Ausdehnung auf die Transportgewerbe mit 12 gegen 10 Stimmen abgelehnt; der Antrag auf Einbeziehung der Bauarbeiter mit 13 gegen 9 und der auf Einbeziehung der mit Explosionsstoffen beschäftigten Arbeiter einstimmig angenommen; der Antrag v. Hertling auf Entscheidung des Bundesrats statt des Reichsversicherungsamtes über die Frage, welche gewerblichen Unternehmungen Fabriken seien wurde abgelehnt, und schließlich § 1 mit den gedachten Abänderungen angenommen.

Registerinformationen

Personen

  • Baare, Louis (1821─1897) Generaldirektor des Bochumer Vereins, Mitglied des preuß. Volkswirtschaftsrats
  • Bödiker, Tonio (1843─1907) Geh. Regierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Buhl, Dr. Franz Armand (1837─1896) Gutsbesitzer, MdR (nationalliberal)
  • 1ZfV, 8. Jg. 1884, S. 154, SP: BArchP 01.01 Nr. 3081, fol. 92─95, Anträge fol. 96─98. »
  • 2Friedrich Schenck (1827─1900), Rechtsanwalt u. Notar, seit 1871 MdR (Fortschritt/ Deutsche Freisinnige Partei). »
  • 3Karl Schrader (1834─1913), Eisenbahndirektor, seit 1881 MdR (Liberale Vereinigung). »
  • 4Laut Sitzungsprotokoll vermerkte Frhr. v. Hertling: Eine Grenze müsse gezogen werden. Nur für Arbeitnehmer sei das Gesetz bestimmt. Ferner sei die besondere Natur der Unfallgefahr zu beachten ─ da sei bisher die Verletzung durch Maschinenbetrieb als Ausgangspunkt genommen worden. Da sei auch die Unfallverhütung von hoher Bedeutung. Beim Baugewerbe liegen die Sachen ganz anders, desgl. bei der Land- und Forstwirtschaft. Da fehlen obige Kriterien. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 153, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0153

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