II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 122

1883 November 4

Brief1 des Geheimen Oberregierungsrates Theodor Lohmann an den Pastor Dr. Ernst Wyneken

Ausfertigung, Teildruck2

[Lohmann hat mit dem “Zeitungsklatsch absolut gar nichts zu tun”, zu “irgendeinem disziplinarischen Einschreiten” will er keine Veranlassung geben]

Um nicht undankbar zu erscheinen gegenüber Deinem Rate in Sachen meiner “Berühmtheit”, antworte ich nicht bloß durch Stillschweigen, sondern durch die ausdrückliche Erklärung, daß ich jeder Versuchung, in dieser Sache selbst das Wort zu ergreifen, widerstehen werde. Ich will in der Lage bleiben, vorkommendenfalls mit gutem Gewissen amtlich die Erklärung abgeben zu können, daß ich mit dem ganzen Zeitungsklatsch3 absolut gar nichts zu tun habe, mit keinem Blatte irgendeiner Art eine auch nur indirekte Beziehung habe und auch nicht einmal eine Vermutung habe, von wo aus die Anregung zu dieser öffentlichen Besprechung gegeben ist.

Wenn es an maßgebender Stelle für richtig gehalten wird, meine Rolle bei der bisherigen Gesetzgebungsarbeit auf das richtige Maß zurückzuführen, so wird das auch ohne mein Zutun geschehen4 (ist zum Teil schon geschehen). Sage ich aber ein Wort öffentlich, so wird das wieder zur Grundlage weiterer Kombinationen gemacht werden, so unverfänglich das von mir Gesagte für jeden Unbefangenen auch sein möchte.

Die ganze Sache hat ja die Tendenz, aus meiner vermuteten Stellung Kapital gegen den Reichskanzler zu schlagen; daher das scheinbare Wohlwollen gegen mich.

[ Druckseite 396 ]

Übrigens würde ich nach den bestehenden Dienstanweisungen nicht einmal befugt sein, ohne Genehmigung irgendetwas zu veröffentlichen, und wenn ich solche erbäte, würde man mir wahrscheinlich diktieren wollen, was ich schreiben solle. Danke! Die Sache muß sich totlaufen und wird es auch; bekomme ich dabei eine Ohrfeige, so muß ich mir die auch gefallen lassen. Zu irgendeinem disziplinarischen Einschreiten werde ich aber keine Veranlassung geben.

Übrigens sieht es mit dem Fortgang der Arbeiten augenblicklich nicht sehr hoffnungsvoll aus, da, wie ich gestern zufällig, aber aus sicherer Quelle gehört habe, das Befinden des Fürsten plötzlich wieder “sehr schlecht” geworden ist.5 Bis jetzt hat er über die verschiedenen auf seine Anordnung ausgearbeiteten Grundzüge noch keine Entscheidung getroffen, sie wohl noch nicht einmal vollständig in Händen; und wenn er längere Zeit arbeitsunfähig sein sollte, so weiß ich nicht, wie seine jetzigen “Mitarbeiter” weiterkommen sollen. Übrigens bemerke ich, daß die Nachrichten über sein Befinden sorgfältig geheimgehalten werden. Der sie mir mitteilte6, wollte von “zwei bedeutenden Ärzten”, einem deutschen und einem ausländischen, welche Bismarck im Sommer in Kissingen gesehen und von dem Befund einer Untersuchung Kenntnis erhalten haben, das Urteil vernommen haben, daß er schwerlich das nächste Frühjahr überleben werde.

Was würde dann aus der Welt werden?! Dagegen tritt die mich mitberührende Angelegenheit als eine verhältnismäßig winzige gänzlich in den Hintergrund. [...]

Registerinformationen

Personen

  • Bosse, Robert (1832─1901) Direktor der II. Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten im Reichsamt des Innern
  • Crailsheim, Krafft Frhr. von (1841─1926) bayer. Außenminister
  • Lerchenfeld-Koefering, Hugo Graf von und zu (1843─1925) bayer. Gesandter in Berlin
  • Schweninger, Dr. Ernst (1850─1924) Hausarzt Bismarcks
  • 1BArchP 90 Lo 2 Nr. 2, fol. 183─184 Rs. »
  • 2Die ausgelassenen Abschnitte betreffen Kirchenangelegenheiten. »
  • 3Der unter Nr. 118 abgedruckte Artikel war in verschiedenen Tageszeitungen mehr oder weniger ausführlich referiert und kommentiert worden, so z. B. auch in der National-Zeitung Nr. 509 v. 30.10.1883, dem Berliner Tageblatt Nr. 509, 511, 513, 515 v. 31.10., 1., 2. u. 3.11.1883 sowie der Germania Nr. 249 u. 250 v. 30. bzw. 31.10.1883. »
  • 4Vgl. Nr. 127. »
  • 5Vgl. dazu Ernst Schweninger, Dem Andenken Bismarcks, Leipzig 1899, S. 34 ff. »
  • 6Vermutlich Bosse, vgl. Nr. 100 Anm. 3. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 122, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0122

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