II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 104

1883 September 1

Denkschrift1 des Geheimen Regierungsrates Tonio Bödiker für den Direktor im Reichsamt des Innern Robert Bosse

Ausfertigung

[Ausgehend vom erforderlichen Deckungskapital werden die steigenden Bedarfssummen nach dem Umlageprinzip und unter Berücksichtigung der verschiedenen Gefahrenklassen berechnet]

In der Abhandlung über die “Unfallstatistik” (Ergänzungsheft zum Band 53 der St[atistik] d[es] d[eu]t[schen] R[eichs]) wurde die Gesamtunfallast ─ mit Ausschluß der den Krankenkassen überwiesenen 13-Wochenlast ─ angegeben pro Jahr auf

13 510 564 M

für

1 615 253

männliche Arbeiter

286 308 M

"

342 295

weibliche "
S[umm]a

13 796 872 M

Diese Summe stelle den rechnerischen effektiven Belastungswert der Unfälle eines Jahres dar, also das erforderliche Deckungskapital, und zwar bei Annahme von 750 M Jahreslohn für die Arbeiter und 750 : 2 M für die Arbeiterinnen, und bei Leistung der im Unfallgesetzentwurf vorgesehenen Entschädigungen.

Da indes die Zahl der Invaliden, Witwen, Waisen und Aszendenten vom Jahre der Eröffnung der Versicherung an erst allmählich wächst bis zum Beharrungszustande, so folgt daraus, daß bei Erhebung der von Jahr zu Jahr notwendig [ Druckseite 360 ] werdenden Bedarfssummen (Umlageprinzip) anfangs eine viel niedrigere Summe als der Durchschnittsbelastungswert und später eine höhere Summe umzulegen ist. Es steigt nämlich nach den Berechnungen des Rechnungsrats Behm die Zahl der Invaliden von 1 542 Personen am Schluß des ersten Jahres während eines Zeitraumes von 75 Jahren bis auf schließlich 33 826 Personen jährlich. Die Zahl der Witwen steigt von 1 124 auf 32 061, die der Waisen von 2254 auf 17 531 und die der Aszendenten von 85 auf 1 086. Die Steigerung erreicht bezüglich

der Invaliden das

21,9

fache
" Witwen "

28,5

"
" Waisen "

7,8

" und
" Aszendenten "

12,8

"

der am Schlusse des ersten Geschäftsjahres vorhandenen Personenzahl.

Die Zahl des Beharrungszustandes für die Invaliden wird nach 75 Jahren, für die Witwen nach 72 Jahren, für die Waisen nach 14 Jahren und für die Aszendenten nach 43 Jahren, der Gesamtbeharrungszustand mithin nach 75 Jahren erreicht sein.

Im 17. Jahre erreicht die Umlagequote denjenigen Betrag, welcher als gleichbleibende Jahresprämie für den Fall der Einstellung von Deckungskapitalien von vornherein zu erheben sein würde. Im Beharrungszustande, also nach 75 Jahren, übersteigt die Umlagequote den Betrag der gleichbleibenden Jahresprämie um 69 %.

Die jährlichen Umlagen, welche für 1 615 253 männliche Arbeiter ─ bei den oben angenommenen Lohn- und Entschädigungssätzen und bei Annahme des Umlageprinzips ─ aufzubringen sein werden2, steigen wie folgt:

1.

Jahr

688 000 M

13. Jahre 11 142 000 M

2.

"

1 708 000 M

17. " 13 533 000 M

3.

"

2 752 000 M

24. " 16 895 000 M

4.

"

3 758 000 M

30. " 19 074 000 M

5.

"

4 723 000 M

40. " 21 413 000 M

6.

"

5 529 000 M

50. " 22 482 000 M

7.

"

6 554 000 M

60. " 22 804 000 M

8.

"

7 412 000 M

74. " 22 854 000 M

9.

"

8 232 000 M

75. " 22 855 000 M

10.

"

9 016 000 M

Für weibliche Arbeiter sind sichere Berechnungen nicht anzustellen; wird die durch eine Arbeiterin hervorgerufene Belastung auf 1/10 der Belastung durch einen Arbeiter angenommen ─ halber Lohn und ein Fünftel der Unfallslast, da die Arbeiterinnen keine Witwen, selten Kinder pp. hinterlassen: 1/2 x 1/5 = 1/10 und das numerische Verhältnis der weiblichen Arbeiter zu den männlichen Arbeitern wie 342 295 : 1 615 253 = 0,2119 gesetzt, so sind die vorstehenden Jahresumlagen (für

[ Druckseite 361 ]

insgesamt 1 957 548 Arbeiter und Arbeiterinnen) um 0,2119 x 1/10 = 2,119 % oder 2 1/8 zu erhöhen.

In Prozenten des Lohnes ausgedrückt (und nur für die männlichen Arbeiter berechnet) betragen die Jahresumlagen im

1.

Jahre 0,06 % 13. Jahre 0,92 %

2.

" 0,14 % 17. " 1,12 %

3.

" 0,23 % 24. " 1,39 %

4.

" 0,31 % 30. " 1,57 %

5.

" 0,39 % 40. " 1,77 %

6.

" 0,47 % 50. " 1,86 %

7.

" 0,54 % 60. " 1,88 %

8.

" 0,61 % 74. " 1,89 %

9.

" 0,68 % 75. " 1,89 %

10.

" 0,74 %

[...] Es folgt eine umfangreiche Tabelle, die darüber informiert, auf welche Höhe sich die Umlagebeträge, ausgedrückt in Lohnprozenten belaufen.

Nach dieser Tabelle ist im Jahre des Beharrungszustandes (75. Jahre) die Prozentreihe für die 10 Gefahrenklassen die folgende:

I [Holzsägemühlen, Dachdecker pp., Explosivstoffarbeiter] 5,4 % des Lohnes
II [Steinkohlenbergwerke, Marmor pp. - und Steinbrüche] 3,5 % " "
III [Bauunternehmer, Maurer pp., Brunnenmacher] 3,0 % " "
IV [Brauerereien, Zuckerfabriken] 2,9 % " "
V [Papierfabriken, Schau, Branntwein- brennereien, Hochöfen, Stahlhütten] 2,5 % " "
VI [Mühlen, Streichgarnspinnereien u. Webereien, Shoddyfabriken3] 2,1 % " "
VII [Chemische Fabriken, Maschinenfabriken] 1,6 % " "
VIII [Eisengießereien, Seifen- und Stearin- fabriken pp.] 1,2 % " "
IX [Textilindustrie, Lederfabriken] 0,9 % " "
X [Buchdruckereien, Weißwäscherei pp. Goldschmiederei] 0,6 % " "
[ Druckseite 362 ]

Registerinformationen

Personen

  • Behm, Gustav (1821─1906) Geheimer Sekretär und Kalkulator im preuß. Handelsministerium
  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Bosse, Robert (1832─1901) Direktor der II. Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten im Reichsamt des Innern
  • Lohmann, Theodor (1831─1905) Geheimer Oberregierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Wyneken, Dr. Ernst Friedrich (1840─1905) Philosoph und Theologe, Freund Theodor Lohmanns
  • 1BArchP 90 Lo 2 Nr. 17, fol. 94─98 Rs. Diese Denkschrift wurde von Bödiker der vorstehenden Denkschrift (Nr. 103) als Anlage beigefügt. »
  • 2Die nachstehenden Berechnungen differieren erheblich von denen Gustav Behms vom 9.3.1884 (Nr. 147). »
  • 3Shoddy ist eine aus besonderen Lumpen, Spinnerei- und Webereiabfällen (ungewalkte Stoffe, loser Flanell, Wirkwaren) hergestellte Kunst- bzw. Reißwolle. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 104, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

Permalink: https://quellen-sozialpolitik-kaiserreich.de/id/q.02.02.01.0104

Nachnutzung: Digitale Quellensammlung und Forschungsdaten stehen unter einer Creative Commons Attribution 4.0 International (CC-BY 4.0) Lizenz. Weiterverwendung unter Namensnennung und Angabe des Permalinks.