II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 61

1882 Mai 17

Bericht1 des bayerischen Gesandten in Berlin Hugo Graf von und zu Lerchenfeld Koefering an den bayerischen Staatsminister des königlichen Hauses und Außenminister Krafft Freiherr von Crailsheim

Ausfertigung, Teildruck2

[Bericht über Grundtendenzen der Reichstagsdebatten zur Arbeiterversicherung]

[...] Die vorgestrige Debatte über die Versicherungsentwürfe hat wieder deutlich erkennen lassen, daß bei allen Parteien die Absicht besteht, auf diesem Gebiete ein Resultat zu erzielen. Abgesehen hiervon sind aber bisher lediglich prinzipielle Gegensätze und keine gemeinsamen Berührungspunkte hervorgetreten. Die Liberalen bleiben auf ihrer schon im vorigen Jahre zum Ausdruck gebrachten Auffassung im allgemeinen stehen, daß die Tätigkeit der Privatversicherungsgesellschaften durch das Gesetz nicht beeinträchtigt werden solle und daß der Versicherungszwang und die Staatshilfe auszuschließen seien. Bezüglich des Versicherungszwanges sind allerdings auch innerhalb der liberalen Parteien Stimmen laut geworden, welche sich mit diesem Prinzip einverstanden erklären. Dem Staatszuschuß stehen aber alle liberalen Parteien und, wie es scheint, auch das Zentrum ablehnend gegenüber. Es dürfte unter diesen Umständen der Staatszuschuß zum Kompromißobjekt werden, in der Art, daß die Reichsregierung für die nächste Zeit der geringen Belastung der Industrie einwilligt, die fraglichen 25 % auf Genossenschafts- und Betriebsverbände zu legen. Hierdurch würde auch der vom Abgeordneten Lasker hervorgehobene Mangel des Entwurfs, daß die Genossenschaften zu gering belastet seien, beseitigt werden.3

[ Druckseite 239 ]

Registerinformationen

  • 1BayHStA MA 77092, n.fol. »
  • 2Ausgelassen ist ein Bericht über die Debatten des Reichstags betreffend seine Vertagung und das Tabaksmonopol. »
  • 3Vgl. Laskers kritische Rede vom 16.5.1882, zu der Theodor Lohmann unmittelbar Stellung nahm (Sten.Ber.RT, 5. LP, II. Sess. 1882/83, Bd. 1, S. 235 ff.), Lasker hatte das System der 60 %-Belastung der Gefahrenklassen in Anspielung an den populären Räuberroman von Christian Vulpius (Leipzig 1797) insgesamt als die Methode “Rinaldo-Rinaldini” bezeichnet. Theodor Lohmann mußte hier amtlicherseits gegenüber Lasker ein Organisations- und Finanzierungssystem verteidigen, das er selbst innerlich ablehnte. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 61, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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