II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 35

1882 Januar 8

Schreiben1 des Direktors des preußischen Statistischen Büros Dr. Ernst Engel an den preußischen Minister des Innern Robert von Puttkamer

Ausfertigung

[Gesuch um Dienstentlassung mit Pension aus gesundheitlichen Gründen, um ein Disziplinarverfahren zu vermeiden]

Euer Exzellenz bitte ich ehrerbietigst, folgendes zum Vortrag bringen zu dürfen.

Durch gütige mündliche Mitteilung des Herrn Ministeraldirektor Herrfurth2 von Euer Exzellenz Mißstimmung darüber unterrichtet, daß ich den in der mir am Donnerstag den 5. d. M. huldvoll gewährten Audienz von Hochdenselben gezeigten Ausweg der Einreichung eines Gesuches um Dienstentlassung mit Pension, zur Vermeidung einer über mich zu verhängenden Disziplinaruntersuchung mit dem möglichen Ausgange der Dienstentlassung ohne Pension, unbeachtet gelassen hätte, beeile ich mich, Euer Exzellenz auf das Bestimmteste zu versichern, daß nur meine leicht begreifliche Aufregung die Ursache sein kann, eine solche wohlwollende Andeutung nicht verstanden und darum auch nicht mit lebhaftem Danke ergriffen zu haben. Da mich die Rücksichten auf meine Gesundheit schon längst hätten bestimmen [ Druckseite 137 ] sollen, Seine Majestät den Kaiser untertänigst um meine Entlassung aus dem Staatsdienste zu bitten, ich diesen Schritt aus Liebe zu meinem Berufe und zu meinem Amte aber immer verschoben habe, so erfüllt mich die jetzige Verkettung zwingender Umstände dazu zwar mit tiefem Schmerze, allein ich heiße sie doch willkommen, weil sie mir Gelegenheit gibt, durch baldiges Scheiden aus meinem Amte der preußischen Statistik mehr zu nützen als durch mein Verbleiben in demselben.

Euer Exzellenz wollen daher hochgeneigtest gestatten, daß ich in dankbarster Anerkennung der mir trotz des Vorgefallenen3 geschenkten Rücksicht ein besonderes Gesuch in Hochdero Hände lege und mir ehrerbietigst erlaube, dasselbe Euer Exzellenz gnädiger und einflußreicher Befürwortung zu empfehlen.

[Entlassungsgesuch]

Euer Exzellenz, beziehungsweise Hochdero Herren Amtsvorgänger, werden in meinen gehorsamsten Berichten schon öfters Bemerkungen über meinen erschütterten Gesundheitszustand gefunden haben. Derselbe ist seit der schweren Krankheit, die mich Ende 1877 ungefähr 10 Wochen völlig dienstunfähig machte, immer bergab gegangen, so daß ich jetzt nicht mehr die nötige körperliche und geistige Spannkraft in mir fühle, ein Amt noch länger zu bekleiden, welches, seiner inneren Natur nach, ein sehr aufreibendes ist und volle Rüstigkeit erfordert. Wie aufreibend die Tätigkeit des ununterbrochenen Operierens mit statistischen Zahlen und Rechnungen ist, geht unter anderem daraus hervor, daß in einem Zeitraum von etwa 15 Jahren meine Kollegen Bergsoë4 in Kopenhagen, Brdizka5 in Prag, Quételet6 in Brüssel, von Baumhauer7 in Haag, Dr. W. Farr8 in London geistiger Um-

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nachtung erlegen sind. Auch die an Gehirnerweichung gestorbenen Professoren Enke9 und Dove10 dürfen als Opfer rechnerischer Tätigkeit genannt werden.

In Erkenntnis der Abnahme meiner Kraft und der Zunahme eines mich schon lange quälenden Herzleidens fühle ich mich gedrungen, Euer Exzellenz ehrerbietigst zu bitten, bei Seiner Majestät dem Kaiser meine Entlassung aus dem Staatsdienste mit Pension hochgeneigtest befürworten und dieselbe herbeiführen zu wollen. Allerdings werde ich in Rücksicht auf die zahlreichen Teilnehmer an meinen Vorlesungen im Statistischen Seminar meine amtlichen Funktionen vor Ende des Wintersemesters 1881/82 kaum niederlegen können, und zur Ordnung meiner vielen Kollektaneen und meiner Bibliothek würde es mir hocherwünscht sein, wenn mir vom 1. April d. J. ein dreimonatiger Urlaub gnädigst gewährt, als Termin meines definitiven Ausscheidens aber der 1. Juli d. J. gesetzt würde.

In bezug auf die Höhe der Pension glaube ich noch erwähnen zu dürfen, daß, nach der getroffenen Vereinbarung bei meiner Berufung in den preußischen Staatsdienst, meine im königlich sächsischen Staatsdienste verbrachte Dienstzeit mit in Anrechnung kommt. Diese währte vom 1. August 1848 bis 1. August 1858. Über die Anrechnung der ersten zwei Jahre, die anfangs zweifelhaft war, ist im Jahre 1865 ein hohes Reskript (I. A. 1668) vom 16. März an mich ergangen, in welchem Euer Exzellenz Herr Amtsvorgänger mir die huldvolle Zusicherung erteilte, daß zur gekommenen Zeit meinem Gesuche um Anrechnung jener Zeit jede irgend zulässige Unterstützung zuteil werden solle. Die Bestimmung des § 19 des Gesetzes vom 27. März 1872, betreffend die Pensionierung der unmittelbaren Staatsbeamten, kommt dieser gnädigst in Aussicht gestellten Unterstützung zu Hilfe.

Da ich die Zeit vom 1. August 1858 bis 31. März 1860 nicht im Staats-, sondern im Privatdienste zubrachte, so beträgt meine gesamte Staatsdienstzeit am 1. April 1882 32 volle Jahre.

Noch einen anderen Umstand bitte Euer Exzellenz ich, bei meiner Pensionierung geltend machen zu dürfen.

Aus den Akten des königlichen Ministeriums des Innern geht unzweifelhaft hervor, daß mir bei meinem Eintritt in den königlich preußischen Staatsdienst ein Jahresgehalt von 2500 Talern nebst freier Amtswohnung zugesichert wurde. Lediglich um Etatsschwierigkeiten zu vermeiden, geschah es, daß in den Jahren 1860 und 1861 die 500 Taler über 2000 Taler als nicht pensionsberechtigt bezeichnet wurden. Mein Amtsvorgänger Dieterici11 bezog schon länger 3000 Taler jährlich. Nach seinem Tode wurden seine Stellen und dieses Gehalt geteilt. Dem Professor Dr. Hanssen12 wurden 1000, mir 2000 Taler zugewiesen. Bis einschließlich 1867

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betrug mein Gehalt 2500 Taler = 7500 Mark. Infolge der Einverleibung des hannoverschen und hessischen Statistischen Büros in das königlich preußische wurde dasselbe auf 8400 M erhöht. So blieb es bis 1872. In diesem Jahre fand eine allgemeine Erhöhung der Gehälter der Staatsbeamten statt, und das meinige stieg nominell von 8400 auf 10 200 M, in Wahrheit aber nur auf 9160 M, weil gleichzeitig die bisher freie Dienstwohnung von nun ab fortfiel und für dieselbe 1020 M in Anrechnung kamen. 1873 erhielten sämtliche unmittelbaren Staatsbeamten Wohnungsgeldzuschüsse; die Mietsvergütigungen der in Amtswohnungen befindlichen Kranken wurden nicht mehr erhoben; somit betrug mein Gehalt von 1873 ab voll 10 300 M und auf dieser Höhe ist es bis heute geblieben.

Aus dem Vorgetragenen erhellt sonach, daß mir im Laufe meiner 22jährigen Dienstzeit in Preußen, d. h. von meinem 39. bis zu meinem 61. Lebensjahre nur eine einzige wirkliche Gehaltserhöhung, die im Jahre 1867 um 900 M zuteil geworden ist, während in den nämlichen 22 Jahren Hunderte von jüngeren Beamten durch natürliches Avancement mit und ohne Versetzung sehr beträchtliche Einkommensverbesserungen erfuhren. Daher dürfte es wohl nicht unbillig befunden werden, wenn ich gehorsamst darum ersuche, daß auch meine etatisierten Nebeneinnahmen a) von 1800 M für Redaktion der Zeitschrift des königlich Preußischen Statistischen Büros und b) von 900 M für meine Lehrtätigkeit am statistischen Seminar13 meinem pensionsberechtigten Gehalte hinzugeschlagen werden möchten. Alsdann würde die nach 32 Staatsdienstjahren mir zukommende Pension 42/80 einer Totalsumme von 13 560 M oder 7119 M betragen.

Da ich kein nennenswertes Vermögen besitze, die Gelegenheit zu einigen außerdienstlichen Nebeneinnahmen in Aufsichtsratsstellungen bei Aktiengesellschaften durch das Gesetz vom 10. Juni 187414 mir, wie sämtlichen Staatsbeamten, unmöglich gemacht worden ist, ich dagegen aber verpflichtet bin, jährlich circa 1500 M an Prämien für Lebens- und Witwenpensionsversicherung aufzubringen, auch noch einen Sohn zu erziehen habe und meinen übrigen Kindern und ärmeren Verwandten Unterstützungen gewähren muß, so bleibt selbst von jenem Höchstbetrage der Pension kaum so viel übrig wie für eine vierfache Familie zu bescheidenem Leben unbedingt nötig ist.

Euer Exzellenz würde ich zu größtem Danke verpflichtet sein, wenn hochdieselben vorstehenden Ausführungen ihre Zustimmung schenken und sonach hochgeneigtest bewirken wollten:

1. daß Seine Majestät der Kaiser, mit Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand, allergnädigst geruhen möge, mich am 1. Juli d. J. mit Pension aus dem königlich preußischen Staatsdienste zu entlassen;

2. daß die Pension von dem dienstlichen Gesamteinkommen einschließlich Wohnungsgeldzuschuß mir allgergnädigst gewährt wird und [ Druckseite 140 ] 3. daß mir vom 1. April d. J. ab ein dreimonatiger Urlaub zur Ordnung meiner Bibliothek und meiner Kollektaneen huldreichst gewährt werde.15

Registerinformationen

Personen

  • Baumhauer, Marie Matthieu (1816─1878) niederländ. Jurist und Statistiker
  • Bergsoë, Adolph Frederik (1806─1854) schwedischer Jurist und Statistiker
  • Brdiczka, Leopold (gest. 1861) Sekretär der Statistischen Kanzlei in Prag
  • Dieterici, Prof. Dr. Wilhelm (1790─1859) Direktor des preuß. Statistischen Büros
  • Dove, Prof. Dr. Heinrich Wilhelm (1803─1879) Physiker und Meteorologe
  • Enckc, Johann Franz (1791─1865) Direktor der Sternwarte Berlin
  • Engel, Dr. h. c. Ernst (1821─1896) Direktor des preußischen Statistischen Büros
  • Farr, Dr. William (1808─1883) engl. Arzt und Statistiker
  • Hanssen, Prof. Dr. Georg (1809─1894) Nationalökonom und Statistiker
  • Hertling, Prof. Dr. Georg Freiherr von (1843─1919) Philosoph, MdR (Zentrum)
  • Hirsch, Dr. Max (1832─1905) Jurist und Gewerkvereinsführer, MdR (Fortschritt)
  • Lerchenfeld-Koefering, Hugo Graf von und zu (1843─1925) bayer. Gesandter in Berlin
  • Quételet, Adolphe Jaques (1796─1874) belgischer Statistiker
  • 1GStA Dahlem (M) Rep. 77 Tit. 536 Nr. 23, Bd. 2, fol. 242─247. »
  • 2Ernst Ludwig Herrfurth (1830─1900), seit 1881 Ministerialdirektor im preuß. Ministerium des Innern. »
  • 3Im Sitzungsprotokoll des Staatsministeriums vom 12.1.1882 ist dazu vermerkt: Der Herr Minister des Innern trug vor, der Direktor des Preußischen Statistischen Büros, Geheimer Oberregierungsrat Dr. Engel habe wegen zahlreicher Indiskretionen und sonstiger Verstöße gegen seine amtlichen Pflichten vielfach Verweise (vgl. dazu Nr. 6) erhalten. Jetzt habe er sich zwei schwere Verstöße zuschulden kommen lassen, einmal durch Veröffentlichung zweier gegen die Vorlage über die Berufsstatistik gerichteter Artikel im Berliner Tageblatt (vgl. dazu auch Bd. 1 der I. Abt. dieser Quellensammlung, Nr. 148) unter Benutzung ihm vertraulich mitgeteilter Materialien, sodann durch Lieferung von Material an den Reichstagsabgeordneten (Dr. Max) Hirsch zur Verwertung im Reichstage im oppositionellen Sinn (anläßlich der Beratung des Gesetzes betr. die Erhebung einer Berufsstatistik am 2. u. 9.12.1881 im Reichstag). Auf die Eröffnung, daß gegen ihn unter Suspension vom Amte die Disziplinaruntersuchung auf Entferung vom Amte werde eingeleitet werden, habe er seine Pensionierung erbeten. Das Staatsministerium erklärte sich damit einverstanden, daß auf dieses Gesuch eingegangen werde. (GStA Dahlem (M) Rep. 90a B III 2b Nr. 6, Bd. 94, fol. 36 Rs.-37); Engel seinerseits hatte am 19.12. 1881 brieflich von Hirsch Informationen über die Verhandlungen zur Berufsstatistik im Reichstag erbeten und sich dabei gern zu Gegendiensten bereit erklärt (BArchP 90 Hi 2 Nr. 7, fol. 19). »
  • 4Adolph Frederik Bergsoë (1806─1854), Jurist und Statistiker. »
  • 5Leopold Brdiczka (gest. 1861), Sekretär der Statistischen Kanzlei beim böhmischen Landwirtschaftsrat. »
  • 6Adolphe Jaques Quételet (1796─1874), Mathematiker, Direktor der Statistischen Zentralkommission. »
  • 7Marie Matthieu von Baumhauer (1816─1878), Jurist und Statistiker. »
  • 8William Farr (1808─1883), Arzt und Statistiker, verfaßte “English life tables”. »
  • 9Wohl Johann Franz Encke (1791─1865), Direktor der Sternwarte Berlin, seit 1863 krankheitshalber pensioniert. »
  • 10Heinrich Wilhelm Dove (1803─1879), Physiker und Meteorologe, seit 1844 Physikprofessor an der Berliner Universität, seit 1848 Vorstand der meteorologischen Stationen in Preußen. »
  • 11Wilhelm Dieterici (1790─1859), seit 1834 Professor für Statistik und Staatswissenschaft an der Berliner Universität, seit 1844 Direktor des preuß. Statistischen Büros. »
  • 12Georg Hanssen (1809─1894), seit 1860 Professor für Nationalökonomie an der Berliner Universität und Mitglied des preuß. Statistischen Büros (bis 1869). »
  • 13Das von Engel 1862 begründete Statistische Seminar veranstaltete für angehende Universitätsprofessoren und höhere Ministerialbeamte “theoretisch-praktische Kurse zur Ausbildung in der amtlichen Statistik” (vgl. dazu Ernst Engel, Das statistische Seminar und das Studium der Statistik überhaupt, Zeitschrift des Königlich preußischen Statistischen Bureaus 1871, S. 181 ff.). »
  • 14Gesetz betr. die Beteiligung der Staatsbeamten bei der Gründung und Verwaltung von Aktien-, Kommandit- und Bergwerksgesellschaften (PrGS S. 244). »
  • 15Mit Erlaß vom 13.1.1882 wurden Engel die Entlassung aus dem Staatsdienst mit Pension und der beantragte Urlaub gewährt, die übliche (Ordens-)Auszeichnung unterblieb allerdings! Bei der Festsetzung seiner Pension wurden jedoch die Einnahmen aus seinen Tätigkeiten für die Redaktion der Zeitschrift und für das Statistische Seminar nicht berücksichtigt (GStA Dahlem (M) Rep. 77 Tit. 536 Nr. 23, Bd. 2, fol. 248─249). Hiergegen legte Engel mit Schreiben vom 16.1.1882 Widerspruch ein (ebd., fol. 250─252), diesem wurde aber nicht stattgegeben. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 35, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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