II. Abteilung, 2. Band, 1. Teil

Nr. 22

1881 November 19

Entwurf für ein Schreiben1 des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck an den Staatsminister a.D. Dr. Albert Schäffle

Reinschrift, Teildruck

[Suggestivfragen mit detaillierten Erläuterungen zu Bismarcks Direktiven: Zwangskorporationen als Versicherungsträger mit zwei verschiedenen Organisationsformen: Berufsgenossenschaften nach Industriezweigen und Verbänden nach politischen Verwaltungseinheiten, Kritik an Umlageverfahren (“Knappschaftsprinzip”) und Reichszuschuß]

Aufgrund einer nochmaligen Prüfung des Gesetzentwurfs betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter ist eine Umarbeitung desselben in der Richtung der Regelung der Unfallversicherung auf korporativer Grundlage in Erwägung gezogen.2 Bevor indessen zur Ausarbeitung eines auf dieser Grundlage beruhenden Gesetzentwurfs geschritten werden kann, bedarf es der eingehenden Erörterung einer Reihe schwieriger Fragen, von deren Beantwortung das System des auszuarbeitenden Gesetzentwurfs abhängig ist.

Bei dem lebhaften Interesse, welches Ew. pp. an der Regelung der in Frage stehenden Materie nehmen, und unter Bezugnahme auf die zwischen Euer Exzellenz [ Druckseite 79 ] und mir über diesen Gegenstand geführte Korrespondenz3 gestatte ich mir, Ew. pp. ganz ergebenst um eine gefällige Begutachtung der nebst einigen Erläuterungen und einem Exemplare des Berichts der Reichstagskommission über den bisherigen Gesetzentwurf4 anliegenden Fragen zu ersuchen. Ich verbinde damit das weitere ergebenste Ersuchen, mir gleichzeitig mit Ihrem Gutachten gefälligst eine Äußerung darüber zugehen lassen zu wollen, ob Ew. pp. eventuell geneigt sein würden, auch an einer mündlichen Beratung über den Gegenstand desselben teilzunehmen.

Fragen, welche für den Fall, daß die Unfallversicherung auf genossenschaftlicher (korporativer) Grundlage geregelt werden soll, der Entscheidung bedürfen.

I. System der Organisation

A. Kann die Versicherung ausschließlich auf die nach Industriezweigen gesonderten Korporationen (Genossenschaften) gegründet werden oder bedarf es neben diesen noch der Bildung örtlich abgegrenzter Korporationen (Verbände) für alle diejenigen Betriebe, welche einer Berufsgenossenschaft nicht angehören?

B. Wenn neben den Berufsgenossenschaften örtliche allgemeinere Verbände nicht zu entbehren sind, in welchem organisatorischen Verhältnis sollen beide Bildungen zueinander stehen?

1. Sollen beide Bildungen in der Weise als gesetzliche Regel aufgestellt werden, daß die Voraussetzungen, unter welchen die eine oder die andere Platz zu greifen hat, von vornherein gesetzlich festgestellt werden, und daß zur Herstellung und Aufrechterhaltung beider ein direkter Zwang ausgeübt wird?

2. Oder soll der direkte Zwang nur für die örtlich abgegrenzten Verbände ausgeübt werden, in der Weise, daß alle Betriebe, welche sich nicht einer (Berufs-)Genossenschaft anschließen, vermöge direkten Zwanges den örtlichen Verbänden eingegliedert werden?

Eventuell falls auch die Genossenschaften zwangsweise ins Leben gerufen werden sollen:

3. Auf welchen Grundlagen soll die Einteilung der Betriebe in Genossenschaften vorgenommen werden?

4. Auf welchem Wege soll die erstmalige Organisation herbeigeführt werden?

5. Mit welchen Mitteln soll die dauernde Aufrechterhaltung der Genossenschaften und die fortlaufend vollständige Eingliederung der ihnen gesetzlich zugewiesenen Betriebe in dieselben gesichert werden?

II. Die Aufgaben der Verbände und Genossenschaften

A. Soll der Haushalt der Genossenschaften nach dem Prinzip der Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit oder nach dem im wesentlichen von den Knappschaftskassen befolgten Prinzip geregelt werden, d. h. sollen die Beiträge der Mitglieder als wirkliche Versicherungsprämien bemessen5 oder, abgesehen von der

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Bildung eines mehr oder weniger starken Reservefonds, durch die Summe der im einzelnen Rechnungsjahre zu leistenden Ausgaben bestimmt6 werden?

B. Sollen die Verbände und Genossenschaften alle Unfallschäden unmittelbar regulieren und decken, oder soll eine Scheidung der letzteren eintreten in solche, aus welchen nur einmalige (Heilungs- und Begräbniskosten) oder vorübergehende (zeitweilige Unterstützung der nur vorübergehend Erwerbsunfähigen) Ansprüche und solche, aus welchen dauernde (Renten für dauernd Invalide, für Witwen und Waisen) Ansprüche erwachsen, in der Weise, daß nur für die letzteren der Gesamtverband bzw. die Gesamtgenossenschaft, für erstere dagegen kleinere Abteilungen derselben aufzukommen haben?

C. Soll die korporative Regelung der Unfallversicherung in Verbindung mit einer Reichsversicherungsanstalt oder ohne dieselbe durchgeführt werden? und eventuell welche Aufgabe soll die letztere haben?

1. Soll die definitive und selbständige Regulierung der Entschädigungsansprüche den Verbänden und Genossenschaften hinsichtlich aller Unfälle oder nur hinsichtlich derjenigen übertragen werden, welche lediglich einmalige und vorübergehende Ansprüche zur Folge haben?

2. Worin soll im letzterem Falle die Aufgabe der Verbände und Genossenschaften hinsichtlich der Unfälle, welche dauernde Rentenansprüche zur Folge haben, bestehen? Rückversicherung dieser Unfälle bei der Reichsversicherungsanstalt oder Aufbringung der nach Wahrscheinlichkeit zu berechnenden Deckungskapitalien für die daraus erwachsenden Rentenansprüche und Einzahlung an die Reichsversicherungsanstalt, welche dagegen die Befriedigung der Ansprüche übernimmt?

D. Soll den Verbänden und Genossenschaften die Feststellung der Entschädigungsansprüche durch eigene Organe überlassen werden? Definitiv? oder unter Vorbehalt der Berufung auf richterliche Entscheidung oder des Rekurses an irgendeine staatliche Behörde?

1. Kann die Feststellung der Entschädigungsansprüche einem Verbands- oder Genossenschaftsorgane überlassen werden, wenn nicht auch die Arbeiter im denselben eine wirksame Vertretung haben?

2. Kann den Arbeitern eine solche Vertretung eingeräumt werden, wenn sie oder soweit sie keine Beiträge zahlen?

E. Soll den Verbänden und Genossenschaften die Befugnis gegeben werden, Vorschriften zur Verhütung von Unfällen für die ihnen angehörenden Betriebe zu erlassen und die Befolgung derselben zu beaufsichtigen?

1. Kann diese Befugnis auch den Verbänden, welche die verschiedenartigsten Betriebe, und von einzelnen Industriezweigen oft nur wenige oder gar nur einen Betrieb umfassen werden, übertragen werden?

2. Kann diese Befugnis sich auch auf Vorschriften für das Verhalten der Arbeiter erstrecken, wenn diesen keine Vertretung eingeräumt wird?

III. Reichs-(oder Staats-)Zuschuß zu den Versicherungsbeiträgen

A. Für wen und in welchem Umfange soll derselbe geleistet werden?

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1. Nach dem System des Gesetzentwurfs nur für diejenigen Arbeiter, welche eine gewisse Lohngrenze nicht erreichen?

2. Allen Arbeitern für einen gewissen Betrag ihres Arbeitsverdienstes (Existenzminimum: etwa 450 M), während sie für den Rest des Arbeitsverdienstes selbst den Beitrag leisten?

3. Allen Arbeitern im vollen Betrage der auf sie entfallenden Beiträge mit der Maßgabe, daß bei einer gewissen Grenze des jährlichen Arbeitsverdienstes (1 000 M) die Zwangsversicherung aufhört und für überschießende Beträge nur Versicherung auf eigene Kosten fakultativ stattfindet?

B. In welcher Weise soll bei Regelung der Unfallversicherung auf korporativer Grundlage die Feststellung des in jeder Beitragsperiode zu leistenden Zuschusses erfolgen, und welche Mittel können dem Reiche gegeben werden zur Kontrolle der richtigen Berechnung des Zuschusses und seiner richtigen Verwendung für die einzelnen Mitglieder der Verbände und Genossenschaften?

Selbstverständlich wird die Entscheidung der vorstehenden Fragen, soweit es sich dabei um die Organisation der Berufsgenossenschaften und bzw. der örtlichen Zwangsverbände handelt, auch für die demnächstige Behandlung der Alters- und Invalidenversorgung der Arbeiter von maßgebendem Einflusse sein.

Bemerkungen und Erläuterungen zu den “Fragen”

Ad I. A. Die Sicherung der Arbeiter gegen die wirtschaftlichen Folgen der Unfälle kann auf zwei verschiedenen Wegen erstrebt werden:

Durch Einführung eines indirekten und bedingten Versicherungszwanges, indem man dem Arbeitgeber die Wahl läßt, entweder in einer der vom Gesetze zugelassenen Formen seine Arbeiter bis zu einer gewissen Grenze (limitierte Entschädigungen) zu versichern oder für alle Folgen der Unfälle aus eigenen Mitteln und mit den vollen vom Richter festzusetzenden Entschädigungen aufzukommen, oder durch Einführung eines direkten und unbedingten Versicherungszwanges.

Die Betretung des letzteren Weges fordert, wenn man nicht eine durch das Gesetz begründete, vom Reiche (Staate) verwaltete allgemeine monopolistische Versicherungsanstalt will, eine bestimmte unter allen Umständen durchführbare Form der Versicherung, welche entweder für jeden Versicherungspflichtigen unbedingt, oder für jeden, der seiner Versicherungspflicht nicht auf einem anderen vom Gesetze zugelassenen Wege genügt, kraft Gesetzes Platz greift Demnach muß, falls lediglich die Versicherung auf korporativer Grundlage zugelassen werden soll, durch das Gesetz eine Korporationsbildung vorgesehen und von vornherein erschöpfend geregelt werden, welche sich mit den der Staatsverwaltung zu Gebote stehenden Mitteln allgemein durchführen läßt und so gestaltet ist, daß sie alle Versicherungspflichtigen in sich aufzunehmen und, soweit erforderlich, zwangsweise sich einzugliedern vermag.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Unfallversicherung am rationellsten von Korporationen durchgeführt werden kann, welche aus den Vertretern jedes einzelnen Industriezweiges oder mehrerer in ihren Betriebsverhältnissen gleichartiger Industriezweige gebildet werden. Neben der gerechtesten Verteilung der Last, welche durch die für alle Versicherten im wesentlichen gleiche Unfallgefahr bedingt ist, [ Druckseite 82 ] bieten sie die Möglichkeit, die Unfallversicherung so zu regeln, daß sie gleichzeitig zur fortschreitenden Verminderung der Unfallgefahr fuhrt, und also mit der Unfallversicherung die ebenso wichtige Unfallverhütung verbindet. Dennoch wird die korporative Vereinigung der Berufsgenossen (Genossenschaft) nicht zur ausschließlichen Form der Unfallversicherung gemacht werden können, weil sie ─ abgesehen von dem später zu erörternden organisatorischen Schwierigkeiten, mit welchen die zwangsweise Bildung der Korporationen überhaupt verbunden ist ─ nicht so allgemein durchgeführt werden kann, daß sie alle Versicherungspflichtigen mit Sicherheit erfaßt. Es gibt, namentlich in den industriell noch wenig entwickelten Gegenden, zahlreiche Betriebe, welche so isoliert belegen oder doch von anderen Betrieben desselben oder eines verwandten Industriezweiges so weit entfernt sind, daß sie weder an dem Korporationsleben aktiv teilnehmen, noch auch von den Organen der Korporation in den Bereich ihrer verwaltenden Tätigkeit und namentlich der unerläßlichen Kontrolle gezogen werden können. Es gibt ferner Betriebe, welche ihrer Natur nach nur von vorübergehender Dauer sind und deshalb zu einem korporativen Zusammenschluß auf persönlicher Grundlage überhaupt nicht geeignet sind, während sie doch von der Unfallversicherung nicht ausgeschlossen werden können.

Die hiernach notwendige Ergänzung werden die Genossenschaften, wenn an der korporativen Organisation festgehalten werden soll, nur in örtlich abgegrenzten Korporationen (Verbänden) finden können, welche alle in einem bestimmten Bezirke belegenen Betriebe aller Art umfassen, soweit sie nicht einer Berufsgenossenschaft angehören.

Ad I B. Von vornherein scheint es nicht ausgeschlossen, beiden Organisationen durch das Gesetz eine parallele und gleichwertige Stellung anzuweisen, indem man gesetzlich die Voraussetzungen feststellte, unter welchen die eine oder die andere Organisation Platz zu greifen habe und für die Ausführung jeder der beiden Organisationen, soweit ihre Voraussetzungen vorhanden, den direkten Zwang eintreten ließe. Es fragt sich nur, ob die Schwierigkeiten der daraus für die Gesetzgebung und die Ausführung erwachsenden Aufgabe zu bewältigen sein würden.

Die Frage, welche Betriebe für die Berufsgenossenschaften geeignet sein würden, läßt sich nicht theoretisch beantworten. Es bedarf dazu einer speziellen Berufsund Unfallstatistik. Ohne eine solche läßt sich nicht bestimmen, ob ein Industriezweig nach Zahl und Umfang seiner Betriebe und dem ihm eigentümlichen Maße der Unfallgefahr für sich eine Versicherungsgenossenschaft bilden kann, oder ob er, um das Risiko tragen zu können, mit einem anderen Industriezweige vereinigt werden muß, und ob ein Industriezweig, mit welchem er vereinigt werden kann, vorhanden ist. Ferner ist zu erwägen, ob die einzelnen Genossenschaften für das ganze Reich oder für kleinere Bezirke zu errichten sind, namentlich auch, ob es zweckmäßiger ist, einen einzelnen Industriezweig zu einer das ganze Reich umfassenden Genossenschaft zu vereinigen, oder die Genossenschaften für kleinere Bezirke aber unter Zusammenfassung mehrerer Industriezweige zu errichten. Noch schwieriger und kaum aufgrund einer noch so genauen Berufs- und Unfallstatistik mit genügender Sicherheit zu beantworten würde die Frage sein, ob alle Betriebe eines Industriezweiges, welcher an sich als zur Genossenschaftsbildung geeignet befunden wird, in diese Bildung einzubeziehen oder ob nicht einzelne derselben wegen ihrer isolierten Lage davon auszuschließen und den örtlichen Verbänden zu überweisen seien.

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Es liegt auf der Hand, daß es unmöglich sein würde, für die Entscheidung aller dieser Fragen auch nur Grundzüge in das Gesetz aufzunehmen. Dasselbe würde sich begnügen müssen, die Verpflichtung zur Genossenschaftsbildung im allgemeinen auszusprechen, und für die nähere Regelung und die Durchführung derselben dem Bundesrat eine fast unbeschränkte Vollmacht zu erteilen. [...] Da es sich um Zwangsgenossenschaften handelt, welche auch ohne, ja gegen den Willen der Beteiligten gebildet werden sollen, so kann auf die freiwillige Mitwirkung der letzteren nicht überall gerechnet werden; es müßte daher die Konstituierung jeder einzelnen Genossenschaft von staatlichen Organen nicht bloß eingeleitet, sondern auch durch mehr oder weniger starkes Eingreifen der Staatsgewalt im einzelnen durchgeführt werden, und zwar würde diese Organisationsarbeit, da es sich um Genossenschaften handelt, deren Bezirke vielfach über die Grenzen der einzelnen Bundesstaaten hinausgreifen und häufig noch im Laufe der Ausführung einer Abänderung bedürfen würden, der Hauptsache nach oder doch zum großen Teil von einer zentralen Reichsbehörde ausgeführt werden müssen. [...]

Die Schwierigkeiten, welche aus der Anwendung direkten Zwanges zur Bildung von Genossenschaften erwachsen, sind vorstehend noch keineswegs erschöpfend dargestellt. Die dargelegten werden aber genügen, um von der Betretung dieses Weges abzumahnen.

Wenn man von der Voraussetzung ausgehen darf, daß die genossenschaftliche Versicherung die vorteilhafteste sein wird, so kann man auch die Bildung der Genossenschaften von dem Interesse der Beteiligten erwarten, wenn nur diejenigen, welche sich nicht an Genossenschaften beteiligen, zu einer anderen weniger vorteilhafteren Form der Versicherung gezwungen werden. Dies würde geschehen, wenn das Gesetz bestimmte, daß alle Betriebe, deren Unternehmer nicht einer Genossenschaft beigetreten sind, ipso jure den örtlich abgegrenzten Versicherungsverbänden angehörten. Für die nach Berufszweigen gebildeten, freien Versicherungsgenossenschaften brauchte das Gesetz in diesem Falle nur Normativbestimmungen zu erlassen, welche bei der Konstituierung und Verfassung derselben zu beobachten wären. Die Abgrenzung der Genossenschaften nach Industriezweigen und Bezirken würde durch das Interesse der Beteiligten richtiger getroffen werden, als es durch die sorgfältigste gesetzliche Regelung geschehen könnte, und jeder Zwang bei der Konstituierung und Verwaltung der Genossenschaften, sowie alle Streitigkeiten über die Zugehörigkeit zu einer Genossenschaft wären ausgeschlossen. Die subsidiäre Ergänzung der freien Berufsgenossenschaften würde hiernach durch örtlich (bezirksweise) abzugrenzende Zwangsversicherungsverbände erfolgen müssen, welchen alle einer freien Berufsgenossenschaft nicht angehörenden Betriebe jeder Art zuzuweisen wären.

Die zwangsweise Durchführung der Organisation dieser Versicherungsverbände bietet zwar auch Schwierigkeiten; dieselben würden aber ungleich geringer sein, als die mit der zwangsweisen Bildung der Genossenschaften verbundenen. Es würde sich darum handeln, die Bezirke der Verbände so abzugrenzen, daß jeder der letzteren eine hinreichende Anzahl von Betrieben umfaßte, um das Versicherungsrisiko tragen zu können. Die Organisationsarbeit würde schon dadurch erheblich vereinfacht und erleichtert werden, daß die Bezirkseinteilung an die politische Verwaltungsorganisation angeschlossen und demnach das Organisationsgeschäft der Regel nach für jeden Verband von der für den Bezirk zuständigen Verwaltungsbehörde [ Druckseite 84 ] erledigt werden könnte. Auch die innere Organisation des Verbandes könnte an die politische Verwaltungseinteilung und deren Organe angelehnt und dadurch zugleich für den Fall, daß die Selbstverwaltung des Verbandes infolge Widerstandes der Beteiligten nicht zustande kommen sollte, in der Übernahme der Geschäfte durch die ordentlichen Verwaltungsbehörden der einfachste Ersatz gefunden werden.

Daß gleichwohl auch diese Organisation noch auf erhebliche Bedenken stoßen wird, läßt sich nicht verkennen.

Zunächst wird für die Verbände, auch wenn sie anfangs richtig, d. h. ausreichend kräftig für das von ihnen zu übernehmende Risiko gebildet sind, die Gefahr entstehen, daß sie durch die fortschreitende Bildung von Versicherungsgenossenschaften mehr und mehr geschwächt und schließlich unfähig zur Tragung des Risikos gemacht werden, zumal gerade die Betriebe mit geringer Unfallgefahr am meisten geneigt sein werden, die günstigere Chance der genossenchaftlichen Versicherung aufzusuchen. [...] Auf alle Fälle aber macht die Vereinigung der verschiedenartigsten Betriebe zu einem Versicherungsverbande, ein weitgehendes Eingreifen in die Regelung des Beitragsverhältnisses unabweislich. Bliebe die letztere der Selbstverwaltung der Verbände überlassen, so würden die größten Unbilligkeiten zu Ungunsten der Minoritäten nicht ausbleiben. Um dem entgegenzutreten würde wahrscheinlich dem Reiche oder Staate die schwierige und verantwortliche Aufgabe zufallen, das Beitragsverhältnis nach Gefahrenklassen zu regeln.

Ad II. A. Die Anwendung des Knappschaftskassenprinzips 7 (um es der Kürze wegen so zu bezeichnen) fordert auf alle Fälle Korporationen, deren Fortbestand und fortdauernde Leistungsfähigkeit gesichert ist. Sie ist also schon ausgeschlossen, wenn die Unfallversicherungsgenossenschaften nicht als Zwangsgenossenschaften, sondern nur als freiwillige konstituiert werden können. Als solche können sie nicht nur durch Austritt von Mitgliedern bis zur Leistungsunfähigkeit geschwächt werden, sondern auch sich auflösen. Ebenso bieten unter obiger Voraussetzung die Versicherungsverbände die erforderliche Sicherheit dauernder Leistungsfähigkeit nicht, weil sie in jedem Augenblick durch Übertritt bisheriger Mitglieder zu Genossenschaften so geschwächt werden können, daß ihre Leistungsfähigkeit aufhört. Je höher die Belastung des Verbandes mit Renten steigt, desto größer ist der Antrieb zu solchem Übertritt, desto größer demnach die Gefahr entstehender Leistungsunfähigkeit.

Nach weitverbreiteter Meinung soll dagegen jenes Prinzip für Zwangsgenossenschaften anwendbar und um deswillen dem Versicherungsprinzip vorzuziehen sein, weil es die Ansammlung von Kapitalien (der sog. rechnungsmäßigen Reserven) und übermäßig hohe Beitrage überflüssig macht.

Daß letzteres nicht zutrifft, ist in dem Kommissionsberichte über den Gesetzentwurf, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter8 auf Seite 14 ─ 17 dargetan. Nur für die ersten Jahre besteht die Möglichkeit, niedrigere Beiträge, als nach Versicherungsprinzipien erforderlich, zu erheben. Wenn aber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, so ist die notwendige Folge, daß nach Eintritt des Beharrungszustandes höhere Beiträge erhoben werden müssen, als nach [ Druckseite 85 ] dem Versicherungsprinzip erforderlich sein würden. Das Ergebnis der Anwendung des Knappschaftsprinzips ist also eine Bereicherung derjenigen Unternehmer, welche in den ersten Jahren Mitglieder der Genossenschaften sind, auf Kosten der späteren Mitglieder. Für die Arbeitgeber bedeutet dies eine ungerechte Belastung neuer Unternehmungen zugunsten älterer Konkurrenten, für die Arbeiter, wenn diese zu Beiträgen herangezogen werden, die Belastung des gegenwärtigen Arbeiterbestandes mit Ausgaben, welche von Rechts wegen ein früherer Arbeiterbestand zu leisten gehabt hätte. Die Anwendung jenes Prinzips ist aber, abgesehen von dieser Ungerechtigkeit, mit schweren Gefahren verbunden. Auch die Zwangsgenossenschaften bieten keine unbedingte Sicherheit für dauernden Fortbestand und noch weniger für stets ausreichende Leistungsfähigkeit. Wir kennen sie bisher nur für einen Industriezweig (Bergbau), für welchen allerdings die Annahme dauernden Fortbestandes in hohem Maße berechtigt ist. Bei ihrer Ausdehnung auf die übrigen Industriezweige verliert aber diese Annahme an Berechtigung. Die Fälle, daß blühende Industriezweige in Verfall geraten, sind keineswegs so selten, daß sie bei einer Regelung, wie die in Frage stehende, außer Betracht gelassen werden könnten, und für die Frage, was aus den Invaliden, Witwen und Waisen einer Genossenschaft werden soll, wenn der betreffende Industriezweig so in Verfall gerät, daß die übrig bleibenden Genossenschaften die Last der Renten nicht mehr tragen könnten, gibt es keine Antwort als Staatshilfe, d. h. Deckung desjenigen, was die früheren Genossenschaften zu wenig geleistet haben aus den Mitteln der Steuerzahler. Aber auch abgesehen von diesem äußersten und vielleicht seltenen Falle kann die Anwendung des fraglichen Prinzips unter den Wirkungen schwankender Konjunkturen zu den bedenklichsten Folgen führen. Bei steigender Konjunktur werden immer die niedrigsten Beiträge erhoben werden, weil aus der voraufgegangenen Zeit beschränkteren Betriebes im Verhältnis zur Zahl der jetzt beschäftigten Arbeiter nur wenige Invaliden, Witwen und Waisen vorhanden sein werden. Bei sinkender Konjunktur dagegen, also in den Zeiten, wo die Industrie ohnehin mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, werden die höchsten und unter Umständen sehr drückende Beiträge zu zahlen sein, weil in der voraufgegangenen Zeit gesteigerten Betriebes sowohl infolge der größeren Anzahl beschäftigter Arbeiter, als auch infolge der Verwendung umgeübterer Arbeiter und des weniger sorgfältigen Betriebes mehr Unfälle vorgekommen sind und eine größere Zahl von Rentenbezugsberechtigten entstanden ist. Die letzteren müssen dann durch die Beiträge der zusammengeschmolzenen und weniger verdienenden Unternehmer und Arbeiter befriedigt werden. Auf diese Weise müssen dann die Sünden schwindelhafter, in der Zeit des Aufschwunges entstandener, bei sinkender Konjunktur wieder eingehender Unternehmungen, von den unter schweren Kämpfen sich aufrechterhaltenden soliden Unternehmungen gebüßt werden.

Im Anfang der siebziger Jahre haben z. B. in Oberschlesien große durch Gründungen ins Leben gerufene Werke mit Tausenden von Arbeitern Invaliden-, Witwen- und Waisenkassen errichtet und nach jenem Prinzip verwaltet. Als diese Werke später zusammenbrachen, haben zahlreiche Invaliden, Witwen und Waisen von den ihnen zukommenden Renten so gut wie nichts erhalten. Hätten jene Werke zu einer den ganzen Industriezweig umfassenden Genossenschaft gehört, so würden allerdings die Invaliden, Witwen und Waisen ihre Rente fortbezogen haben, aber [ Druckseite 86 ] die letzteren würden nicht von den eigentlich verpflichteten, sondern von den übrig gebliebenen soliden Werken gezahlt sein. Endlich spricht gegen die Anwendung des Knappschaftskassenprinzips noch die Notwendigkeit, der künftigen Entwicklung der Genossenschaften und Verbände nicht vorzugreifen. Wenn eine zwangsweise Bildung der Genossenschaften und Verbände überhaupt ausführbar ist, so wird jedenfalls auch die umsichtigste und sorgfältigste Organisationstätigkeit nicht ausreichen, sie von vornherein so abzugrenzen, daß nicht im Laufe der Zeit Abänderungen vorgenommen, also bestehende Genossenschaften und Verbände geteilt, ganz oder teilweise mit anderen verschmolzen werden müssen, weil sie für das ihnen obliegende Risiko zu schwach oder weil sie auf unrichtigen Grundlagen errichtet sind. Ist die Verwaltung nach den Prinzipien der Versicherung geführt, so sind in diesem Falle für die schwebenden Ansprüche die Deckungsmittel vorhanden, und es kann entweder bis zum Aussterben der Rentenberechtigten eine Verwaltung der Fonds ad hoc eingerichtet, oder die letzteren können samt den schwebenden Verbindlichkeiten, denjenigen Genossenschaften oder Verbänden überwiesen werden, in welche die Mitglieder der bisherigen Korporation übergehen. Ist aber nach dem Knappschaftsprinzip verwaltet, so bleiben von der eingehenden Genossenschaft nur Verbindlichkeiten übrig, und diese ohne die entsprechende Deckung der Korporation, in welche die Mitglieder der eingehenden aufgenommen werden, zuzuweisen, würde unter Umständen die größte Unbilligkeit sein und die Folge haben, daß alle solche ohnehin schon schwierigen Abänderungen, auf den hartnäckigsten Widerstand stoßen würden.

Ad II B. Um das ganze Unfallrisiko tragen zu können, müssen die Verbände und ─ abgesehen von den Industriezweigen, in denen Unfälle mit Todesfällen oder schweren Verletzungen nur selten vorkommen ─ auch die Genossenschaften einen erheblichen Umfang haben. Umfangreiche Korporationen sind aber ebensowenig wie eine Reichsversicherungsanstalt geeignet, die Masse der kleinen Schadenfälle zu erledigen, bei denen es einerseits auf rasche Gewährung der Entschädigung, andererseits auf scharfe Kontrolle zur Bekämpfung der Simulation ankommt. Dieser Teil der Versicherung wird vielleicht am richtigsten engeren Kreisen überlassen, welche für das damit verbundene Risiko noch kräftig genug sind, zugleich aber durch ihre mit den Verhältnissen vertrauten Organe und die persönlichen Beziehungen der Beteiligten untereinander am besten den an die Geschäftsführung zu stellenden Anforderungen genügen können. [...]

Als Versicherungsanstalt im eigentlichen Sinne würde die Reichsanstalt für die zu Genossenschaften vereinigten Betriebe nur dann fungieren, wenn man auch die Tätigkeit der Genossenschaften im wesentlichen auf die Versicherung der einmaligen und vorübergehenden Entschädigungen beschränkte und sie verpflichtete, für alle dauernden Renten bei der Reichsanstalt Rückversicherung zu nehmen. Damit würden die Genossenschaften für diesen Teil der Versicherung zu bloßen Verwaltungsstellen der Reichsanstalt herabsinken. Im übrigen wäre eine Funktion der Reichsanstalt nur noch in der Weise denkbar, daß die Genossenschaften in der Weise des § 56 des bisherigen Entwurfs verpflichtet würden, für alle dauernden Renten die Deckungskapitalien an die Reichsanstalt einzuzahlen, wogegen diese die Verpflichtung zur Zahlung der Renten zu übernehmen hätte. Diese Regelung, welche der Reichsanstalt die Funktion einer Rentenkaufanstalt zuweisen würde, setzt [ Druckseite 87 ] voraus, daß die Verwaltung der Genossenschaften nach dem Versicherungsprinzip und nicht nach dem Knappschaftsprinzip geführt wird. Unter dieser Voraussetzung würde aber die fragliche Funktion der Reichsanstalt zur Sicherstellung der Rentenbezugsberechtigten nicht erforderlich sein, da sich diese auch durch gesetzliche Vorschriften über die Belegung und Verwaltung der Deckungskapitalien erreichen ließe. Sollen aber die Genossenschaften nach dem Knappschaftsprinzip verwaltet werden, so bleibt für eine Funktion der Reichsanstalt überhaupt kein Raum mehr.

Ad II D. Daß die Feststellung der Entschädigungen mindestens in erster Instanz durch Organe der Korporation erfolge, dürfte eine Voraussetzung der kräftigen Entwicklung der letzteren sein. Ihre volle Bedeutung für das Korporationsleben wird diese Funktion aber nur gewinnen, wenn sie von einem aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzten Organ wahrgenommen wird. Einer einseitig von einem Arbeitgeberorgane vorgenommenen Feststellung würde außerdem nur die Bedeutung eines Vergleichsvorschlages beiwohnen können, welchen der Entschädigungsberechtigte annehmen oder ablehnen könnte. Auf der anderen Seite würde eine Vertretung der Arbeiter in dem entscheidenden Organe nur unter der Voraussetzung berechtigt und praktisch unbedenklich sein, wenn auch die zur Mitwirkung berufenen Arbeiter ein Interesse nicht bloß an der ausreichenden Bemessung der Entschädigungen, sondern auch an der sparsamen Verwaltung haben, und dieses Interesse ist nur herzustellen, wenn auch die Arbeiter Beiträge zu zahlen haben.

Ad II E. Der Erlaß von Vorschriften zur Verhütung von Unfällen und die Überwachung der Befolgung derselben, wird eine der wichtigsten Funktionen der Korporationen sein.

Durch Ausübung dieser Autonomie nehmen die letzteren zugleich ihr eigenes Interesse an der Herabdrückung der Versicherungskosten und das öffentliche Interesse an der Verminderung der Unfälle wahr. Den aus Unternehmern desselben Industriezweiges bestehenden Genossenschaften kann sie unbedenklich eingeräumt werden. Zweifelhaft ist es, ob sie auch den Verbänden eingeräumt werden kann, da in den Organen derselben der Regel nach nicht alle vorhandenen Industriezweige vertreten sein können, und es denselben somit meist an der zur Ausübung dieser Funktion erforderlichen Sachkenntnis fehlen wird.

Ebenso ist es zweifelhaft, ob den Genossenschaften die Befugnis zum Erlaß von Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter eingeräumt werden kann, wenn diese nicht zu Beiträgen herangezogen werden. Den Erlaß solcher Vorschriften ohne eine Mitwirkung von Vertretern der Arbeiter zuzulassen, erscheint bedenklich, da in diesem Falle die Gefahr des Erlasses unbilliger und schikanöser Vorschriften naheliegen würde. Auf der anderen Seite würde eine Vertretung von Arbeitern, welche an der Minderung der Versicherungskosten kein Interesse haben, voraussichtlich das Bestreben haben, derartige Vorschriften nicht zustande kommen zu lassen.

Ad III. Der Reichs- (oder Staats-) zuschuß wird für notwendig gehalten einerseits, weil es zweifelhaft ist, ob alle Industriezweige die in der Zwangsversicherung liegende Belastung tragen können, ohne in ihrer Konkurrenzfähigkeit gegenüber der auswärtigen Industrie geschädigt zu werden, andererseits, weil eine Vereitlung der sozialpolitischen Wirkung des Gesetzes zu befürchten ist, wenn die Arbeiter, namentlich die niedrig gelohnten, zwangsweise zu Beiträgen herangezogen werden.

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Es stellt sich aber als ungemein schwierig heraus, den Zuschuß so zu regeln, daß er wirklich seinen Zweck erfüllt. Bis jetzt sind die unter A 1─3 bezeichneten Systeme zur Erwägung gekommen. Jedes derselben hat aber seine Bedenken:

Das System ad 1 hat die Folge, daß die Wohltat der Befreiung von Beiträgen vielen Arbeitern zuteil wird, welche nach ihrer wirtschaftlichen Lage derselben nicht bedürfen, dagegen vielen nicht, welche trotz höheren Lohnes derselben viel dringender bedürfen, als andere niedriger gelohnte Arbeiter. Daneben führt die Begrenzung durch eine bestimmte Lohnhöhe zu schroffen Übergängen. Beides zusammen ist geeignet, mehr Mißstimmung zu erregen, als die Wohltat im ganzen Befriedigung zur Folge haben würde. Die Wirkung auf die Belastung der Industrie wird für Betriebe desselben Industriezweiges eine ganz verschiedene sein, je nachdem sie hohe oder niedrige Löhne zahlen. Für die mit niedrigen Löhnen wird das Reich einen viel höheren Prozentsatz des Gesamtbeitrages zahlen, als für die mit hohen Löhnen. Den letzteren wird daher die Erleichterung nur in geringem Maße zugute kommen; dagegen werden ihre Konkurrenzbedingungen gegenüber den inländischen Betrieben mit niedrigeren Löhnen künstlich verschlechtert werden. [...]

Bei den Systemen ad. 3 [...] werden alle Arbeiter in gleicher Weise von Beiträgen befreit. Dagegen gelangt man auch hier zu einer ungleichen Wirkung auf die verschiedenen Betriebe desselben Industriezweiges, und zwar zu einer höheren Belastung der Betriebe mit niedrigeren Löhnen. Betriebe, deren höchste Löhne die für die Zwangsversicherung angenommene Lohngrenze nicht überschreiten, müssen den Beitrag für ihre ganze Lohnsumme leisten, während Betriebe, welche viele Arbeiter mit höheren Löhnen beschäftigen, nur für einen Teil ihrer gesamten Lohnsumme Beiträge zu zahlen haben. Ebenso hat dieses System eine ungleichmäßige Behandlung der Arbeiter in der Bemessung der Entschädigungen zur Folge. Während ein Arbeiter in einer Gegend mit niedrigen Löhnen und niedrigen Preisen der gewöhnlichen Lebensbedürfnisse, welcher 1000 M Lohn bezieht und damit wirtschaftlich besser gestellt ist, als ein Arbeiter mit 1200 M Lohn in einer teuren Gegend, erhält der erstere im Falle der Invalidität 2/3 von seinem vollen Lohn, der letztere dagegen nur 2/3 von einem Teil seines Lohnes.

Endlich würde mit der Beschränkung der Zwangsversicherung durch eine Lohngrenze ein sehr schwer zu bekämpfender Einwand gegen die völlige Aufhebung der Haftpflicht hervortreten.

Wie immer auch die Gewährung des Reichszuschusses geregelt werden mag, so wird die Formulierung und Handhabung der darüber zu erlassenden Vorschriften unter allen Umständen noch erheblich erschwert werden, wenn die Unfallversicherung auf korporativer Grundlage durchgeführt werden soll, weil die Feststellung der vom Reiche zu leistenden Zuschüsse, welche bei der Versicherung durch die Reichsversicherungsanstalt einen Teil des ordentlichen Geschäftsbetriebes ausmachen würde, in diesem Falle, wo es sich um eine fortlaufende Rechnung mit hunderten und vielleicht tausenden von Korporationen handelt, ein besonderes Verfahren erfordern würde, welches, wenn das Reich nicht der Gefahr weitgehender Übervorteilung ausgesetzt werden sollte, mit einer in die Einzelheiten der Korporationsverwaltung eindringenden Kontrolle verbunden sein müßte.

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Registerinformationen

Personen

  • Bitter, Karl Hermann (1813─1885) preuß. Finanzminister
  • Boetticher, Karl Heinrich von (1833─1907) Staatssekretär des Innern
  • Goßler, Gustav von (1838─1902) preuß. Kultusminister, MdR (konservativ)
  • Lindau, Dr. Paul (1839─1919) Herausgeber der Monatsschrift “Nord und Süd”
  • Lohmann, Theodor (1831─1905) Geheimer Oberregierungsrat im Reichsamt des Innern
  • Lucius, Dr. Robert (1835─1914) Arzt, preuß. Landwirtschaftsminister
  • Puttkamer, Robert von (1828─1900) preuß. Innenminister
  • Schäffle, Dr. Albert (1831─1903) Nationalökonom, ehem. österr. Handelsminister
  • Wagner, Prof. Dr. Adolph (1835─1917) Nationalökonom, Mitbegründer der christlich-sozialen Partei
  • 1BArchP 15.01 Nr. 381, fol. 220─275 Rs. (Schreiben: fol. 220─221, Anlagen: fol. 222─ 275 Rs.). Ein gleichlautendes Schreiben sollte auch an Adolph Wagner gehen. Lohmann legte seinen Entwurf am 16.11.1881 vor (ebd., fol. 203─218 Rs., Geschäftsvermerke: Kenntnisnahme Bosse 17.11., Boetticher und Eck 18.11., von der Hand Bosses: Seiner Durchlaucht vorzulegen, von der Hand v. Boettichers: Reinkonzept des Schreibens und der Anlage für Seine Durchlaucht). Am 19.11. wurde die Reinschrift von v. Boetticher abgezeichnet. Dieser Tag wurde von den Bearbeitern für die Datierung des Schreibens gewählt. Geschäftsvermerk auf der Reinschrift von der Hand v. Boettichers: Seiner Durchlaucht mündlich Vortrag gehalten Geh(eimer) Oberreg(ierungs)rat Lohmann z(ur) gef(älligen) Rückspr(ache) Boetticher am 20.11. Das Schreiben ging nicht ab, es fehlen Abgangsvermerk und Paraphierung durch Bismarck, d. h. dieser hielt es an, vermutlich, weil es implizit teilweise eine negative Stellungnahme gegenüber seinen Vorstellungen enthielt und eine solche seitens seiner informellen Berater dadurch auch suggerierte. Argumentativ entspricht es dem im Nachlaß Lohmann überlieferten Manuskript mit der nachträglichen, irrtümlichen Betitelung von der Hand Lohmanns: zu dem im Nov. (1881) Sr. Durchlaucht vorgelegten Gesetzentwurf (BArchP 90 Lo 2 Nr. 16, fol. 239─247), das sich nicht auf Nr. 27, sondern auf Nr. 57 bezieht. »
  • 2Vgl. Nr. 10. »
  • 3Die Korrespondenz mit Adolph Wagner ist ─ mit Ausnahme der in Bd. 1 der I. Abteilung dieser Quellensammlung gedruckten Stücke ─ nicht überliefert. »
  • 4Sten.Ber.RT, 4. LP, IV. Sess. 1881, Bd. 4, Aktenstück Nr. 159. »
  • 5Also: Kapitaldeckungsverfahren »
  • 6Also: Umlageverfahren »
  • 7Gemeint ist das Umlageverfahren. »
  • 8Sten.Ber.RT., 4. LP, IV. Sess. 1881, Bd. 4, Nr. 159. »

Zitierhinweis

Abteilung II, 2. Band, 1. Teil, Nr. 22, in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, 2. Band, 1. Teil. Von der zweiten Unfallversicherungsvorlage bis zum Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Digitale Version unter Mitarbeit von Hans-Werner Bartz, Anna Neovesky und Torsten Schrade.

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